Energieverbrauch und Tempolimit

Physik der Bewegung

Vernunft scheint sich langsam durchzusetzen. Hatte Andreas Scheuer, der ehemalige Verkehrsminister, noch behauptet, ein Tempolimit verstoße „gegen jeden Menschenverstand“, so argumentiert Amtsnachfolger Volker Wissing schon differenzierter und fürchtet, dass ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen nicht umzusetzen sei, da er die nötigen Verkehrsschilder nicht auftreiben könne – immerhin ein Sachargument.

Im Koalitionsvertrag hieß es noch: „Ein generelles Tempolimit wird es nicht geben“, womit die drei Ampel-Parteien sich des Gebrauchs des gesunden Menschenverstands noch knapp entschlugen.

Im Wahlkampf war zu hören, ein Tempolimit bringe eigentlich gar nicht viel an Minderung des Kraftstoffverbrauchs, an Verringerung des Schadstoffausstoßes. Und das legt nun den Verdacht nahe, dass es den Regierenden womöglich schlicht an physikalischen Grundkenntnissen fehlt.

Fährt man mit hoher Geschwindigkeit, das wissen alle Autofahrenden, fällt die Tankrechnung entsprechend höher aus. So weit der Menschenverstand – das „entsprechend“ regelt die Physik – oder der Luftwiderstand.

„Entsprechend“ heißt, aufgepasst: Der Energieverbrauch steigt mit dem Quadrat der Geschwindigkeit. Und das heißt, wer doppelt so schnell fährt, verbraucht vier Mal soviel, wer drei Mal so schnell fährt, das Neunfache an Energie. Und wer viermal so schnell fährt, braucht das 16fache an Energie.

Zwei Faktoren kommen zusammen. Zum einen wächst die für die Beschleunigung der Fahrzeugmasse nötige Energie mit dem Quadrat der zu erreichenden Geschwindigkeit. Zum anderen wächst auch die notwendige Energie, um die erreichte Geschwindigkeit zu halten, mit dem Quadrat der Geschwindigkeit, da nämlich die Luftwiderstandkraft, die das Fahrzeug überwinden muss, im Quadrat der Geschwindigkeit ansteigt.

Beide Größen, nämlich Masse oder Gewicht des Fahrzeuges und die wirksame Querschnittsfläche, die den Luftwiderstand erzeugt, gehen jeweils mit der Hälfte ihres Betrages in den Energieverbrauch ein. Diesen Aufwand muss man mindestens betreiben – die Überwindung des Rollwiderstandes kommt hinzu, verändert sich aber nur gering mit der Geschwindigkeit des Fahrzeuges.

Mindestverbrauch – alles andere kommt dazu

Den physikalischen Gesetzen scheint aber das vielfach verwendete Beispiel des Porsche Cayenne zu widersprechen, dessen Verbrauch bei höherem Tempo, innerhalb moderater Geschwindigkeit, zu sinken scheint. Das liegt daran, dass zu dem Energieaufwand für die Massenbeschleunigung und den zu überwindenden Luftwiderstand zusätzlich enorme Energiemengen verbraucht werden, die meist gar nicht der Vorwärtsbewegung dienen: Licht, Klimaanlage, Sitzverstellung und -heizung und was noch alles mehr. Der Energiebedarf dieser Verbraucher hängt zum größten Teil nicht von der Geschwindigkeit des Fahrzeugs ab, sondern allein von der Zeit, in der man das Auto bewegt.

Wenn man 100 Kilometer pro Stunde fährt, braucht man eine Stunde für hundert Kilometer, fährt man 50 Kilometer pro Stunde, braucht man zwei Stunden, fährt man 200 Kilometer pro Stunde, braucht man eine halbe Stunde. Fährt man mit 1 Kilometer pro Stunde, braucht man 100 Stunden. Die diversen zusätzlichen Funktionen und Apparate, mit denen vor allem hochpreisige Fahrzeuge ausgestattet sind, verbrauchen um so weniger Energie, je kürzer die Fahrt dauert.

Je höher der Energieverbrauch im Fahrzeug, der mit der Fortbewegung nichts zu tun hat, um so steiler fällt die Kurve des Gesamtverbrauches auf einer bestimmten Strecke ab, bis schließlich sich der mit dem Quadrat der Geschwindigkeit wachsende Energieverbrauch für Massenbeschleunigung und Überwindung des Luftwiderstandes unerbittlich bemerkbar macht.

Die Energieeinsparung bei höheren Geschwindigkeiten ist also eine scheinbare – und natürlich sollte man beides tun: langsamer fahren und weniger Energie verbrauchen für das, was mit der Fortbewegung nichts zu tun hat.

Auto oder Verbrauchstest kaputt?

Leider lässt sich der Benzinverbrauch nicht berechnen, indem man den offiziell angegebenen Energieverbrauch des Fahrzeuges mit der zurückgelegten Strecke multipliziert.

Die bei der Typenzulassung ermittelten Verbrauchswerte haben einen anderen Sinn als den individuellen Energieverbrauch für das Fahrzeug festzustellen, unabhängig von der Fahrweise, den Verkehrsverhältnissen oder der dabei gefahrenen Geschwindigkeit.

Die Zulassungstests vergleichen Fahrzeugtypen hinsichtlich ihres Energieverbrauchs – beim Fahren auf derselben Strecke, mit dem gleichen Bremsverhalten und denselben Geschwindigkeiten. Die Tests finden automatisiert auf Rollprüfständen statt, auf denen sich nur die Rollen unter dem Fahrzeug und dessen Räder bewegen, wobei ein immer gleicher Fahrzyklus durchfahren wird. Darin gehen die Wege, Geschwindigkeiten und Verkehrssituationen, Stadtverkehr oder Schnellstraße, einer durchschnittlichen Fahrzeugnutzung ein.

Die Höchstgeschwindigkeit, die während der Prüfung simuliert wird, beträgt 131,5 Kilometer pro Stunde. 130 plus 1,5 Kilometer pro Stunde weil die Prüfer davon ausgingen, dass das allgemein geltende Tempolimit wie jede Geschwindigkeitsbegrenzung auch ein wenig überschritten wird.

Sofern ein Fahrzeug ungefähr die Mischung von Fahrzuständen durchfährt und so ideal ausgerüstet ist, wie sie das in Europa, Japan und Indien geltende Testverfahren WLTP unterstellt, kommt das Ergebnis in allen Ländern mit Tempolimit dem in der Typenzulassung genannten Wert näher als in Deutschland, weil dort höhere Geschwindigkeiten als 130 km/h zulässig sind, die sich unerbittlich im Energieverbrauch niederschlagen.

Tempo 130 bringt wenig?

Warum kamen die Wahlkämpfer mit der Behauptung durch, Tempo 130 bringe wenig? Das lag daran, dass sie nicht die einfache physikalische Wahrheit verkündeten, sondern die Ergebnisse einer Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe (DHU), die sie allerdings nur halb wiedergaben und so gänzlich fälschten.

Die DHU hatte in einer verdienstvollen Studie 2020 ermittelt, wie viel Energieeinsparung eine Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit erbringen würde. Dazu hatten sie tatsächliche Werte des Fahrverhaltens und der Energieverbräuche ermitteln lassen. Und weil viel mehr Fahrzeuge unterwegs sind, die unter 130 Kilometer pro Stunde fahren als Fahrzeuge, die diese Geschwindigkeit überschreiten, ergab sich für Tempo 130 auf Autobahnen ein gering erscheinendes jährliches CO2-Einsparpotenzial von 2,2 Millionen und für Tempo 120 von 2,9 Millionen Tonnen. Für Tempo 100 ermittelte die DHU aber Einsparungen von 6,2 Millionen Tonnen, ausgehend von der Fahrleistung im Jahr 2018. Nach aktualisierten Angaben der DHU aus dem vergangenen Jahr ließen sich bei 100 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen und 80 Kilometer pro Stunde außerorts sofort der Ausstoß von über neun Millionen Tonnen des Klimagases CO2 und der Verbrauch von 3,7 Milliarden Liter Kraftstoff vermeiden.

Deshalb das Fazit der DUH: Eine Temporeduzierung auf 130 Kilometer pro Stunde bringt wenig – im Vergleich zu einer Reduktion auf Tempo 100. Diesen wichtigen, die Wahrheit ausmachenden Halbsatz, ließen die Politiker weg und fälschten damit das beeindruckende Ergebnis der Studie – entgegen der einfachen Grundtatsache, dass wegen der Massenbeschleunigung und des Luftwiderstandes der Energieverbrauch mit dem Quadrat der Geschwindigkeit wächst.