Gelb-grünes Wunschdenken

Die stoffliche Seite des „grünen“ Kapitalismus und seiner technischen Wunderwaffen gegen die Klimakatastrophe

Die Erzählung vom grünen Wachstum im „Green New Deal“ der internationalen Politik verlängert das Konzept der Industriegesellschaft in eine strahlende, klimaneutrale und dekarbonisierte Zukunft. Es wird danach auch angesichts der Klimakrise ein ökonomisches „Weiter so“ geben, weil die Technik – allem voran die Digitalisierung – und ihre Transformation dem Kapitalismus den Hals rettet.

Dieses Heilsversprechen beruhigt Konzerne wie Konsument:innen und Gewerkschaften: Es wird auch in Zukunft Arbeitsplätze und Profite durch Autos, Flugzeuge, Flugzeugträger, Panzer, Smartphones geben, dazu Smart Cities und Smart Homes, Pflege- und Sexroboter.

Um beurteilen zu können, wie realistisch die Versprechen technischer Lösungen für die multiple Krise sind, in der wir uns befinden, müsste man alle Dimensionen dieser Krise berücksichtigen, also auch Biodiversität und Stickstoffkreislauf als jetzt schon überkritische Umweltprobleme, Verschmutzung von Land und Ozeanen, Abbau der Ozonschicht, Phosphorkreislauf, Wassermangel und Zerstörung der Wälder. Für all diese Bedrohungen unserer Lebensgrundlagen kommt Technik als Problemlösung noch weniger in Frage als für das Klima, auf das ich mich hier aber beschränke.

Beim „Green Deal“ geht es der Politik und dem Kapital darum, die erneuerbare Energie-Wandlung so schnell wie möglich auszubauen, um den steigenden Bedarf an Strom nachhaltig decken zu können. Es wird also Tempo gemacht. Unsere bisherige Technik basiert aber auf fortschreitender Natur-Zerstörung. Ihre Produktivität besteht darin, Arbeit und Fähigkeiten von Tieren und Menschen, Wind- und Wasserkraft durch fossil gewonnene Energie und Rohstoffe zu ersetzen. Diese Technik ist im Vergleich zur Produktivität der Natur grobschlächtig und wenig intelligent.

Die erneuerbaren Energie-Wandlungs-Systeme wie Fotovoltaik und Windkraft brauchen nämlich riesige, Energie- und Rohstoff-intensive Maschinerien, zu deren Herstellung weiterhin energetisch und stofflich fossile Brennstoffe zum Einsatz kommen. Das Gleiche gilt für die Extraktion der dafür benötigten Rohstoffe, insbesondere Metalle.

Für die Produktion von Wasserstoff und dessen Einsatz als Energieträger, etwa für die Stahl- und Zement-Industrie, gilt das gleiche. Ein Huhn kann bei Zimmertemperatur ohne CO2-Emissionen hochwertigen Zement für die Eierschale produzieren – wir brauchen dafür 1400 Grad und produzieren mit Zement zugleich sechs bis acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. In Sachen intelligenter Technik ist noch viel Luft nach oben.

Wachstumsperspektiven

Fossile Primär-Energie macht noch mehr als vier Fünftel des heutigen weltweiten Energie-Umsatzes aus. Um nur auf dem Stand heutiger Energie-Nutzung bleiben zu können, müssten wir gut das Vierfache der bis jetzt installierten Erneuerbaren innerhalb von etwa 25 Jahren bauen und die anderen Kraftwerke zurückbauen. Gleichzeitig müssen wir die existierenden fossil angetriebenen Geräte durch elektrisch angetriebene ersetzen und die alten entsorgen. Der für diese Transformation nötige Aufwand an noch fossil gewonnener Energie erzeugt zusätzliche Mengen von Treibhausgasen.

CO2 bleibt Hunderte von Jahren in der Atmosphäre. Die erhoffte Entkoppelung zwischen Wirtschaftswachstum und dem Stoff- und Energieeinsatz, den Emissionen und der Naturzerstörung ist trotz aller politischer Absichtserklärungen nicht gelungen. Grund dafür ist der Rebound-Effekt, der für das Wachstum und die Renditen in der kapitalistischen Ökonomie existentiell ist: Die beschleunigte Zunahme des Umsatzes technischer Geräte durch „Systemische Obsoleszenz“ und bedarfsgenerierendes Marketing macht diese Entwicklung exponentiell. Allein in den vergangenen 30 Jahren wurden so viel Klima-Gase emittiert wie in den ersten zwei Jahrhunderten seit der Industriellen Revolution. Bei einem weiteren Wirtschaftswachstum von nur zwei Prozent pro Jahr kommen wir 2050 auf 74 Prozent mehr als heute.

Für den „Green New Deal“ wird auch die Hoffnung angeführt, dass wir kritische, seltene, unter brutalen Arbeitsbedingungen und mit kriminellen Unternehmenspraktiken geförderte Metalle irgendwann und irgendwie ersetzen. Die grünen Innovationen müssen fast durchweg erst entwickelt, konstruiert und praxistauglich hergestellt werden. Allein die Windkraft hat über 35 Jahre gebraucht, bis durch die von kleinen, selbstverwalteten Ingenieur:innen-Unternehmen entwickelte, fast reibungsfreie Lagerung und die Auswucht-Technik die heutigen riesigen Maschinen praxistauglich entwickelt und gebaut waren.

Der Bedarf an elektrischem Strom all dieser neuen Geräte und Verfahren wird geradezu explodieren. Allein die als klimafreundlich gehypten E-Autos benötigen, wenn sie in Stückzahlen wie heute Verbrenner auf die Straßen kommen, etwa ein Viertel der gesamten heutigen Strom-Menge. Wir nutzen derzeit weltweit etwa 1,3 Milliarden PKW, die jährlich um etwa acht Prozent mehr werden. Dazu kommen die Millionen LKW und die Arbeitsmaschinen der Bergbau-, Holzindustrie und Landwirtschaft. Was also ist mit den Flugzeugen, den Milliarden von Smartphones, den riesigen Servern für die Digitalisierung, der Wasserstoff-Gewinnung und den Klimaanlagen, die angesichts steigender Temperaturen nicht nur in Dubai, sondern in den Hitzezonen der ganzen Welt gebraucht werden, um überhaupt dort leben und arbeiten zu können? Was ist mit der gesamten Militär-Technik? Die politischen und geopolitischen Probleme, die die Konkurrenz um die Verfügbarkeit von Rohstoffen erzeugt, haben in d en letzten Jahren die internationale Szene immer mehr beherrscht und führen seit Jahren zu genau so großen Spannungen wie die politischen Kämpfe und Kriege um Kohle, Öl und Erdgas. Der Überfall des russischen Militärs auf die Ukraine zeigt die Härte und Rücksichtslosigkeit kommender Kämpfe. Die Aufrüstung der Bundeswehr, die jetzt in Deutschland programmiert wird, wird nicht nur den Kohle-Ausstieg verzögern: Die Produktion und der Betrieb der entsprechenden Militär-Maschinerie wird auf den fossilen Aufwand noch oben draufgesetzt.

Rohstoffe

Es wurde schon erwähnt, dass für alle elektrischen und elektronischen Geräte Metalle gebraucht werden, die man vor 50 Jahren nur aus dem Periodensystem der Elemente kannte oder aus dem Labor. Es ist aber ein Unterschied, und das nicht nur quantitativ, ob diese Elemente begrenzt genutzt oder großtechnisch in Geräte für mehrere Milliarden von Menschen eingebaut und eingesetzt werden.

Beispiel Kupfer: Es ist ziemlich gut zu recyclen, weil es nicht wie Coltan, Gold oder Neodym in kleinsten Mengen verarbeitet wird – etwa 50 Prozent des heute verwendeten Kupfers kommt bereits aus Recycling-Quellen. Dennoch ist der Bedarf so gewaltig gestiegen, dass die Förderung sich selbst dann lohnt, wenn, wie in Chile, der Kupfergehalt im Erz nur noch 0,7 Prozent beträgt. Vor vier Jahrhunderten enthielt das geförderte Erz 20 bis 30 Prozent Kupfer, im 19. Jahrhundert noch 5, im 21. Jahrhundert durchweg weniger als 2 Prozent. Der Kupfer-Bedarf für ein großes Windrad beträgt etwa 4,5 Tonnen, für ein E-Auto 45 bis 85 Kilogramm, je nach Größe, Gewicht und PS-Zahl. Die Förderung ist trotz Recycling von 1932 bis 2017 exponentiell von einer Megatonne pro Jahr auf 20 Megatonnen angestiegen. Dafür werden sozusagen Berge versetzt – mit riesigen Arbeitsmaschinen wie Muldenkippern, die pro Tag 4900 Liter Diesel verbrauchen. Die alle auch noch durch Elekt rifizierung klimaneutral zu machen, gleicht dem Versuch, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.

Auch die Förderung der sogenannten Seltenen Erden – die zum Teil gar nicht so selten und auch keine Erden sind, sondern Metalle – und anderer kritischer Metalle wie Kobalt, Wolfram, Nickel, Molybdän, erfordert hohen Aufwand. Die anschließende Aufbereitung für die Verwendung in Geräten ist energieintensiv, wobei Schwermetalle, Arsen und Säuren freigesetzt werden.

Kritische Rohstoffe werden vor allem dort verwendet, wo es um grüne und digitale Technologien geht. Sie stecken in Flüssigkristall- und Plasmabildschirmen, in Wind- und Wasserkraftanlagen. Ihr Abbau schädigt nicht nur das Klima, sondern belastet auch die Umwelt extrem und hinterlässt zerstörte Landschaften. Der „ökologische Rucksack“ dieser Stoffe durch Schürfung, Herstellung und Anwendung ist riesig. Für einen Mikrochip von zwei Gramm werden 100 Kilogramm an Ressourcen benötigt; um einen etwa zwei Kilogramm schweren PC herzustellen, braucht es 22 Kilogramm an Chemikalien, 240 Kilogramm an Brennstoffen und anderthalb Tonnen Trinkwasser. Das Recycling dieser oft in minimalen Mengen in die Geräte eingebauten Metalle ist schwierig und energieaufwendig. Da es inzwischen fast vier Milliarden Smartphones gibt, dürfte allein die Logistik für deren Recycling ein Problem darstellen. Wahrscheinlich ist ein großer Teil der verbauten Stoffe verloren, wird irgendwo auf Mülldeponien landen und die Umgebung und die dort wohnende Bevölkerung vergiften.

Es ist also zu befürchten, dass die Transformations-Strategie, die den bisherigen Pfad der kapitalistisch geformten Entwicklung beibehalten soll, zum Scheitern verurteilt ist. Sie verschärft das Problem. In der Technikgeschichte des 20. Jahrhunderts sind schon viele Heilsversprechen gebrochen worden – vom unsinkbaren Schiff über ein Atomzeitalter ohne Stromzähler bis zur Dematerialisierung durch elektronische Informationstechnik. Wir sollten nicht darauf setzen – dieser Wechsel auf die Zukunft ist energetisch und stofflich ungedeckt.

Auswege

„Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos“ sagen die Deutschen. „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst“, die Österreicher. Das ist die Parole des Kapitals und der ihm folgenden Politik: Verdrängung. Das ist verständlich, wenn man die einzig mögliche Strategie zur Abwendung von noch mehr Schäden in der multiplen Krise der fossilen Zivilisation ins Auge fasst: Die schnelle Reduzierung von Produktion und Konsum in den Industrieländern, um die Pro-Kopf-Emissionen von etwa 12 Tonnen pro Jahr auf global verträgliche 2 Tonnen zu senken, um den Ländern, die heute noch deutlich unter diesen 2 Tonnen liegen, die Möglichkeit zu geben, ihren Lebensstandard zu erhöhen. Das hieße für uns in Europa: Wir müssen auf etwa den Standard zurückkommen, den wir Mitte der 1960er Jahre hatten, und uns von der „imperialen Lebensweise“, ihrem das Leben erstickenden Überfluss und dem Druck befreien, die lediglich Geld vermehrende Gschaftlhu berei für die Renditen des Kapitals zu steigern: Also beispielsweise die Arbeitszeit auf die Hälfte senken, die Städte von den Autos, die Kids von der „smarten Diktatur“ der Tech-Konzerne befreien. Und: Wir brauchen eine Technik, die sich in das natürliche und soziale Leben integriert, also „konvivial“ ist – für eine solche Technik gibt es schon viele Ansätze. Ingenieure und Handwerker früherer Zeiten haben ohne Kapitalismus, ohne fossile Hilfsmittel und ganz ohne Künstliche Intelligenz beeindruckend kluge und raffinierte technische Verfahren und Produkte geschaffen. Will man also eine grüne Revolution gestalten, ist man gut beraten, sich die vorindustriellen Methoden anzuschauen und zu lernen, wie Technik wieder nachhaltig werden kann.

Für eine Reduzierung und internationale Umverteilung muss der Kapitalismus, schon gar der neoliberal radikalisierte und globalisierte, zunächst rabiat politisch eingeschränkt und sukzessive durch eine solidarische oder „Post-Wachstums-Ökonomie“ ersetzt werden. Die Linke hat sich seit dem Zusammenbruch des „Realen Sozialismus“ einreden lassen, der Kapitalismus sei das „Ende der Geschichte“, und damit die Alternativlosigkeit dieser Wirtschaftsform implizit akzeptiert. Sie ist deshalb politisch immer mehr in die Defensive geraten. Sie könnte die Krise aber nutzen, um die Hegemonie dieser Irrlehre wie zu Zeiten Galileis durch eine wissenschafts-basierte Kritik des Produktivismus, des Konsumismus und des fossilen Fortschritts-Modells zu brechen und damit eine neue Epoche in der Menschheitsgeschichte einzuläuten. Da hilft auch eine sozial innovative (Wieder-)Belebung klassisch linker Ökonomie-Modelle wie Genossenschaften und selbstverwaltete Betriebe. Die jungen Menschen, die den Ernst der Lage immer präziser erfasst haben, fragen nach einem System-Wandel: Wenn die Antwort und praktikable Modelle dafür nicht von der Linken kommen, werden andere Antworten von den Faschisten kommen.

Wolfgang Neef, Jahrgang 1943, ist Ingenieur und Soziologe. Er hat an der TU Berlin 45 Jahre lang zu sozialen und ökologischen Kriterien der Technikgestaltung im Ingenieurberuf  geforscht und gelehrt und entsprechende Projekte und TU-Einrichtungen initiiert.