Seziertisch <180>

Kommando Altmaier

Justizministerin Barley plant ein Gesetz, wonach die „Mietpreisbremse“ effizienter werden soll. Auch tritt sie für mehr sozialen Wohnungsbau ein. Die Basis für solche Vorschläge bildet der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD.

Ein „wissenschaftlicher Beirat“ beim Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier reagierte darauf jetzt mit einem Gutachten. Er schlägt u.a. vor: Bauvorschriften und die Energieeinsparverordung seien zu lockern, die Mietpreisbremse vollständig zu streichen, der soziale Wohnungsbau einzustellen. Das Wohngeld soll den Mieten angepasst, zumindest in den Ballungsgebieten angehoben werden. Neues Bauland sei vor allem auf der grünen Wiese zu erschießen und durch den Öffentlichen Personennahverkehr zugänglich zu machen. „Die mehrfache Erhöhung der Grunderwerbssteuer in vielen Bundesländern sollte zurückgeführt, der kommunale Einnahmeausfall durch höhere Besteuerung der Bodenwerte aufgefangen werden.“

Insgesamt müsse der Mangel an Wohnraum durch Erleichterungen für private Investoren behoben und ausschließlich damit ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage hergestellt werden. Die bestehende Knappheit sei in hohem Maße durch öffentlich-rechtliche Markteingriffe herbeigeführt worden. Deren Aufhebung und damit die Herstellung des freien Spiels der Kräfte müsse das ändern.

Wer bildet gegenwärtig die Nachfrage nach Immobilien?

Versuch einer Antwort: Erstens Menschen, die ein Dach über dem Kopf brauchen, nicht genug Geld zum Bauen haben, vielleicht auch ohnehin lieber zur Miete wohnen, diese aber immer weniger erschwingen können.

Zweitens: Sparerinnen und Sparer, die kaum noch Zinsen für ihre Guthaben erhalten und Letztere deshalb in „Betongold“ anlegen wollen.

Drittens große Fonds, die Wohnraumbestände aufkaufen und nach Luxussanierung die Mieten erhöhen.

Die Situation auf dem Wohnungsmarkt beruht also auf drei Voraussetzungen: Not der Ärmeren, Sparkalkül der so genannten Mittelschicht und Gewinnoptimierungsstrategie der Einsammler und Verwalter von ganz großen Geldvermögen. Die privaten Wohnungsgesellschaften behandeln die von ihnen erworbenen Liegenschaften wie Aktien. Wenn man so will, könnte man sagen: Es gibt nicht nur zu wenige Wohnungen, sondern auch zu viel Kapital, das nach gewinnbringenden Anlagen sucht.

Dieses Problem besteht schon länger.

Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts klagten Anleger in Industrieunternehmen über ihre babylonische Gefangenschaft durch Vollbeschäftigung, Gewerkschaften und Sozialstaat. Der Befreiungsschlag erfolgte mit der Entfesselung der Finanzmärkte in den achtziger Jahren. Kapital, dessen Rendite in der Produktion als zu mager galt, rettete sich in die Börsenspekulation, kehrte in den Neunzigern noch einmal in die Fertigungsindustrien (jetzt von Konsumgütern in der IT-Branche) zurück und drängte nach der Jahrtausendwende in die Kreditwirtschaft. Als dann Banken, bei denen schließlich auch Staaten verschuldet waren, gerettet werden mussten, die EZB die Märkte mit Liquidität schwemmte und die Zinsen fielen, blieben als nächste Zuflucht Immobilienkäufe – fast ein Fall von Geldwäsche.

In den Ballungsgebieten sind die Preise beim Erwerb von Wohnungen inzwischen so hoch, dass ihre durch Mieten zu erwirtschaftende Rendite in die Klemme geraten droht: Die Nachfrage der Schwächeren ist zwar groß, aber nicht zahlungskräftig genug. Hieraus resultiert die Forderung des Beirats nach Erhöhung des Wohngeldes, also einer Subvention der Mieteinnahmen durch die kommunalen Haushalte. Dass diese auch den Öffentlichen Nahverkehr hin zu neuen Baugebieten anlegen sollen, wäre ökologisch sinnvoll, wenn sie das Geld dafür hätten. Wird das durch Knappheit der verfügbaren Mittel und die Schuldenbremse verhindert, fahren mehr Autos zwischen Stadt und Land. Kürzung der Grunderwerbssteuer soll den Kauf von Liegenschaften verbilligen, hohe Bodensteuer den Anreiz zu deren Verkauf erhöhen, Behinderung des sozialen Wohnungsbaus den Markt den Privaten sichern.

Letzteres könnte kurzsichtig sein. Ein auf öffentliche Rechnung erstellter kommunaler Wohnungsbestand ist immerhin eine mögliche Reserve für spätere Privatisierungen, wie u.a. in Berlin und Dresden vor nicht langer Zeit geschehen.

Georg Fülberth lebt in Marburg an der Lahn. Er war an der dortigen Universität Professor für Politikwissenschaften. Sein „Seziertisch“ erscheint in Lunapark21 seit der ersten Ausgabe Anfang 2008.

Dieser Artikel erschien im Oktober 2018