Ein Rückblick auf das 20. und ein Ausblick auf das 21. Jahrhundert
Am Vorabend des Ersten Weltkriegs existierten in Kontinentaleuropa drei Staatsgebilde, die mit vollem Recht als Vielvölkerstaat bezeichnet werden können – das Osmanische Reich, das Russische Reich und Österreich-Ungarn –, im Unterschied etwa zu solchen multinationalen Gebilden wie der Schweiz und Belgien oder auch Staaten, in denen nationale beziehungsweise ethnische Minderheiten bis heute um ihre Unabhängigkeit vom Zentralstaat kämpfen oder wenigstens um einen autonomen Status innerhalb desselben, wie die Katalanen, die Basken, die Korsen. Im Unterschied zu den anderen europäischen Großmächten, insbesondere Frankreich und Großbritannien, hatten diese Vielvölkerstaaten ihre Kolonien nicht in Übersee, sondern sozusagen im eignen Land, denn die vom Kernland eroberten oder ihm angeschlossenen Gebiete standen unter der Herrschaft des türkischen Sultans, des russischen Zaren, des österreichischen Kaisers.
Nach dem Ersten Weltkrieg existierte keines dieser Großreiche mehr. Zwar entstanden der Vielvölkerstaat Jugoslawien und der Zweivölkerstaat Tschechoslowakei, aber beide hatten niemals die Bedeutung eines Großreiches; im Gefolge der Beendigung des Kalten Krieges zerfielen beide wieder in mehrere Nationalstaaten, wobei nur die Sezession von Tschechen und Slowaken friedlich verlief.