CDUCSUSPD weiter auf neoliberalem Kurs
Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung verspricht im Kern die Fortsetzung einer Wirtschaftspolitik, die auf freien Markt und einen möglichst unregulierten Wettbewerb setzt. Die Ungleichverteilung wird weiter verschärft. Änderungen an der Schuldenbremse erfolgen, weil sie auch im Interesse wichtiger Kapitalfraktionen sind.
Deregulierung von Arbeitsverhältnissen und Umverteilung
Mit Blick auf die Regulierung von Arbeitsverhältnissen haben sich Union und SPD – den Vorhaben einer deutlichen Erhöhung des Mindestlohns und eines Bundestariftreuegesetzes zum Trotz – auf die Fortsetzung der neoliberalen und an Unternehmensinteressen ausgerichteten Politik geeinigt. Besonders drastisch fallen dabei jene Maßnahmen aus, die sich auf die Regulierung von Lieferketten beziehen.
Seit 2023 ist in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft, das die Verletzung von Menschenrechten und Umweltschäden eindämmen soll. Die gleichen Ziele verfolgt die Lieferkettenrichtlinie der EU, die ab dem Jahr 2026 in nationales Recht umgesetzt werden muss. In einigen Punkten geht die europäische Lieferkettenrichtlinie über das deutsche LkSG hinaus. Sowohl das deutsche Gesetz als auch die europäische Lieferkettenrichtlinie wurden von der deutschen Unternehmenslobby vor ihrer Verabschiedung massiv bekämpft, wodurch beide Vorhaben in ihrer Reichweite schon deutlich eingeschränkt wurden.
Im Koalitionsvertrag haben sich die Koalitionäre nun darauf festgelegt, das deutsche LkSG unter dem Schlagwort des »Bürokratieabbaus« sofort zu suspendieren. Zudem wird die aktuelle EU-Kommission in ihrem Vorhaben unterstützt, die EU-Lieferkettenrichtlinie abzuschwächen. Wie weit dies nach Vorstellung von Kanzler Friedrich Merz gehen soll, hat dieser im Rahmen seines Antrittsbesuchs in Brüssel im Mai verkündet: »Wir werden in Deutschland das nationale Gesetz aufheben. Ich erwarte auch von der Europäischen Union, dass sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie wirklich aufhebt.«
Im Bereich der Arbeitszeitregulierung soll laut Koalitionsvertrag »die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit« geschaffen werden. Auch hier wird dem Wunsch der Unternehmen und ihrer Verbände entsprochen, die Arbeitszeit zu flexibilisieren – aktuell liegt die im Arbeitszeitgesetz festgelegte maximale »werktägliche Arbeitszeit« bei acht Stunden, wobei auch heute schon länger als acht Stunden gearbeitet werden kann. Zur Begründung ihres Wunsches nach einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit führen Arbeitgeberverbände in der Regel Vorteile auch für die abhängig Beschäftigten an. Welche Vorteile das sein sollen, bleibt im Dunkeln. Tatsächlich wirken sich Arbeitszeiten von mehr als acht Stunden negativ auf die Gesundheit aus, und sie erhöhen das Unfallrisiko bei der Arbeit.
Dem neoliberalen Credo, dass Sozialleistungen Arbeitslose faul und bequem machen, folgt die vorgesehene Umwandlung des Bürgergeldes in eine neue Grundsicherung. Diese soll Sozialleistungsmissbrauch verhindern, indem Sanktionen verschärft und Karenzzeiten beim Vermögen und den Mietkosten abgeschafft werden. Ein solcher Sozialleistungsmissbrauch wird seit Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar 2023 behauptet: Die entsprechenden Leistungen seien zu hoch und eine hohe Zahl von »Totalverweigerern« würde so von Arbeit abgehalten. Wer in die entsprechenden Statistiken schaut, erkennt schnell, dass es sich bei den »Totalverweigerern« um eine unbedeutende Gruppe handelt. So ist die Zahl der Bürgergeld-Beziehenden, die ein Arbeitsangebot oder einen Ausbildungsplatz ablehnen, sehr gering. Aus diesen Gründen haben Jobcenter im Jahr 2024 gerade einmal knapp 23.400 Sanktionen verhängt. Bezogen auf die Zahl der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erw erbslosen sind dies gut ein Prozent.
Auch im Bereich der Besteuerung entspricht die Koalition aus CDU/CSU und SPD dem breit artikulierten Wunsch von Unternehmensverbänden, die Nettoprofite – das heißt die Profite nach Zahlung der Unternehmenssteuern – zu erhöhen. So sind hohe Sonderabschreibungen für die Jahre 2025-2027 vorgesehen. Außerdem ist die Senkung der Körperschaftsteuer, die Aktiengesellschaften und GmbHs zu entrichten haben, um fünf Prozent in fünf Schritten ab dem 2028 geplant. Analoge Änderungen sollen auch für Unternehmen erfolgen, die der Einkommensteuer unterliegen. Die steuerlichen Entlastungen sollen sich nach bisher bekannt gewordenen Schätzungen bis 2029 auf insgesamt 17 Milliarden Euro belaufen.
Tariftreuegesetz und höherer Mindestlohn – begrenzte Wirkung auf die Einkommensverteilung
Die SPD verweist – insbesondere um ihre Beteiligung an der neuen Bundesregierung zu rechtfertigen – gerne auf das ebenfalls im Koalitionsvertrag festgeschriebene Bundestariftreue-Gesetz und die Erhöhung des Mindestlohns.
Durch ein Bundestariftreue-Gesetz würde festgeschrieben, dass Unternehmen nur dann öffentlichen Aufträge vom Bund erhalten, wenn sie Tariflöhne bezahlen. Damit ist die Hoffnung verbunden, die Tarifbindung zu erhöhen – das heißt, dass mehr Unternehmen tariflich entlohnen und so die Zahl der tariflich bezahlten Beschäftigten steigt.
Tatsächlich können Tariftreuegesetze solche Hoffnungen nur begrenzt erfüllen. So müssen Unternehmen ihre Beschäftigten lediglich im Rahmen des konkreten vergebenen öffentlichen Auftrags nach Tarif bezahlen, nicht aber generell. Vor allem aber zeigen die Erfahrungen mit Vergabegesetzen auf der Ebene der Bundesländer, dass aufgrund mangelnder Kontrollen Tariftreuegesetze nur bedingt greifen.
Spielraum für Interpretation lassen die Ausführungen im Koalitionsvertrag zur Erhöhung des Mindestlohns im kommenden Jahr: Der Wert von 15 Euro sei erreichbar, wenn sich die Mindestlohnkommission an der Entwicklung der Tariflöhne und an der Größe von 60 Prozent des Bruttomedianlohns orientiere. Damit handelt es sich bei den ins Spiel gebrachten 15 Euro (aktuelles Niveau: 12,82 Euro) um eine unverbindliche Zielgröße, da die Mindestlohnkommission letztlich die Entscheidung über die Mindestlohnhöhe fällen wird.
Dabei hätte die Erhöhung des Mindestlohns auf die im Koalitionsvertrag genannte Höhe durchaus verteilungspolitische Auswirkungen. So ist der Niedriglohnsektor seit Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 geschrumpft, und die Spreizung der Lohnstruktur ist rückläufig. Eine kräftige Erhöhung könnte diesen Effekt weiter verstärken.
Auch im Rahmen der Entwicklung der verfügbaren Haushaltseinkommen – diese erfassen sämtliche Einkommen wie die Entlohnung aus abhängiger Beschäftigung, Unternehmensprofite, Mieteinkommen usw. nach Zahlung von Steuern und Sozialbeiträgen – zeigt der Mindestlohn durchaus Wirkung. So haben sich die unteren zehn Prozent aller Haushaltseinkommen einigermaßen stabilisiert.
Allerdings zeigen die neuesten Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dass trotz Mindestlohn eine zunehmende Ungleichverteilung der verfügbaren Haushaltseinkommen seit Mitte der 1990er Jahre festzustellen ist – das gilt auch für die vergangenen zehn Jahre. Dies liegt insbesondere an dem weit überdurchschnittlichen Anstieg der Einkommen an der Spitze der Einkommensverteilung. Die angesprochene, im Koalitionsvertrag vorgesehene Senkung der Unternehmenssteuern wird diese Entwicklung weiter anheizen, da die Einkünfte der einkommensstärksten Haushalte in hohem Maße auf Unternehmensgewinnen beruhen.
Änderung der Finanzverfassung: Unbedingt kriegsbereit
Im Bereich der Finanzverfassung hatte noch der alte Bundestag –im Vorgriff auf die Bildung der neuen Koalition – eine weitgehende Reform der Schuldenbremse beschlossen. Zwar wird durch diese Reform die Kritik der Schuldenbremse-Gegner bestätigt, dass das Kreditaufnahmeverbot der Schuldenbremse zu einem erheblichen Anstieg des staatlichen Investitionsstaus führen würde. Gleichwohl ist die Reform nur aufgrund geopolitischer Überlegungen zustande gekommen – und weil Kapitalverwertung eine brauchbare Infrastruktur zum Beispiel in Gestalt von verkehrstüchtigen Brücken und Straßen und einigermaßen modern ausgestatteter Bildungseinrichtungen zur Voraussetzung hat.
Der Investitionsrückstand bei der staatlichen Infrastruktur soll durch das beschlossene Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro behoben werden. Für ein ähnliches Investitionsprogramm in Höhe von 400 Milliarden Euro hatte sich vor der Bundestagswahl der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ausgesprochen. Auch wenn das Sondervermögen aus einer progressiven Perspektive zu begrüßen ist, so weist es doch erhebliche Mängel auf. Problematisch ist insbesondere, dass auf die Bundesländer und ihre Kommunen lediglich 100 Milliarden Euro entfallen sollen: Allein der Investitionsrückstand der Kommunen beträgt nach einer aktuellen Umfrage mehr als 180 Milliarden Euro. Zudem ist in der öffentlichen Debatte bisher kaum beachtet worden, dass Deutschland mit dem kreditfinanzierten Sondervermögen eigentlich gegen die europäischen Schuldenregeln verstößt. Was das für die praktische Umsetzung des Sondervermögens bedeuten wird, ist vollkommen ungewiss.
Während sich eine Reform der Schuldenbremse aufgrund des staatlichen Investitionsstaus und der deswegen breit geführten Debatten vor der Bundestagswahl abzeichnete, war die vollständige Suspendierung des Kreditfinanzierungsverbots für Rüstungsgüter überraschend: Für Ausgaben in Verteidigung, Zivilschutz, Nachrichtendienste und Cybersicherheit, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, dürfen jetzt Kredite aufgenommen werden. Damit fallen für die Produktion der wohl destruktivsten Warenkategorie, die zudem auch mit hohen Schadstoffemissionen und einem hohen Ressourcenverbrauch verbunden ist, sämtliche Beschränkungen. Und das ganz im Gegensatz zu Investitionen in die zivile staatliche Infrastruktur – hier sind die Ausgaben wie ausgeführt auf 500 Milliarden Euro gedeckelt. Ganz offensichtlich hat sich eine Allianz aus Politik und Industrie durchgesetzt, die das bisher stark durch den Export von zivilen Industriegütern gekenn zeichnete deutsche Wirtschaftsmodell in Richtung einer deutlich höheren Rüstungsproduktion modifizieren will.
In welchem Zeitraum und in welchem Umfang die mit der Reform der Schuldenbremse erhofften Wachstumseffekte tatsächlich eintreten werden, ist höchst ungewiss. So ist der wirtschaftliche Impuls von Rüstungsausgaben gering. Und die öffentlichen Kernhaushalte werden im kommenden Jahr aufgrund der nach wie vor bestehenden Elemente der Schuldenbremse einen Spar- und Kürzungskurs einschlagen, der die positiven Konjunktureffekte des Sondervermögens zumindest zum Teil konterkarieren wird.
Kai Eicker-Wolf, Ökonom und Politikwissenschaftler, arbeitet als hauptamtlicher Gewerkschafter in Frankfurt / Main.
