Verbesserung der Kapitalverwertung im Fokus

CDUCSUSPD weiter auf neoliberalem Kurs

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung verspricht im Kern die Fortsetzung einer Wirtschaftspolitik, die auf freien Markt und einen möglichst unregulierten Wettbewerb setzt. Die Ungleichverteilung wird weiter verschärft. Änderungen an der Schuldenbremse erfolgen, weil sie auch im Interesse wichtiger Kapitalfraktionen sind.

Deregulierung von Arbeitsverhältnissen und Umverteilung

Mit Blick auf die Regulierung von Arbeitsverhältnissen haben sich Union und SPD – den Vorhaben einer deutlichen Erhöhung des Mindestlohns und eines Bundestariftreuegesetzes zum Trotz – auf die Fortsetzung der neoliberalen und an Unternehmensinteressen ausgerichteten Politik geeinigt. Besonders drastisch fallen dabei jene Maßnahmen aus, die sich auf die Regulierung von Lieferketten beziehen.

Seit 2023 ist in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft, das die Verletzung von Menschenrechten und Umweltschäden eindämmen soll. Die gleichen Ziele verfolgt die Lieferkettenrichtlinie der EU, die ab dem Jahr 2026 in nationales Recht umgesetzt werden muss. In einigen Punkten geht die europäische Lieferkettenrichtlinie über das deutsche LkSG hinaus. Sowohl das deutsche Gesetz als auch die europäische Lieferkettenrichtlinie wurden von der deutschen Unternehmenslobby vor ihrer Verabschiedung massiv bekämpft, wodurch beide Vorhaben in ihrer Reichweite schon deutlich eingeschränkt wurden.

Im Koalitionsvertrag haben sich die Koalitionäre nun darauf festgelegt, das deutsche LkSG unter dem Schlagwort des »Bürokratieabbaus« sofort zu suspendieren. Zudem wird die aktuelle EU-Kommission in ihrem Vorhaben unterstützt, die EU-Lieferkettenrichtlinie abzuschwächen. Wie weit dies nach Vorstellung von Kanzler Friedrich Merz gehen soll, hat dieser im Rahmen seines Antrittsbesuchs in Brüssel im Mai verkündet: »Wir werden in Deutschland das nationale Gesetz aufheben. Ich erwarte auch von der Europäischen Union, dass sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie wirklich aufhebt.«

Im Bereich der Arbeitszeitregulierung soll laut Koalitionsvertrag »die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit« geschaffen werden. Auch hier wird dem Wunsch der Unternehmen und ihrer Verbände entsprochen, die Arbeitszeit zu flexibilisieren – aktuell liegt die im Arbeitszeitgesetz festgelegte maximale »werktägliche Arbeitszeit« bei acht Stunden, wobei auch heute schon länger als acht Stunden gearbeitet werden kann. Zur Begründung ihres Wunsches nach einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit führen Arbeitgeberverbände in der Regel Vorteile auch für die abhängig Beschäftigten an. Welche Vorteile das sein sollen, bleibt im Dunkeln. Tatsächlich wirken sich Arbeitszeiten von mehr als acht Stunden negativ auf die Gesundheit aus, und sie erhöhen das Unfallrisiko bei der Arbeit.

Dem neoliberalen Credo, dass Sozialleistungen Arbeitslose faul und bequem machen, folgt die vorgesehene Umwandlung des Bürgergeldes in eine neue Grundsicherung. Diese soll Sozialleistungsmissbrauch verhindern, indem Sanktionen verschärft und Karenzzeiten beim Vermögen und den Mietkosten abgeschafft werden. Ein solcher Sozialleistungsmissbrauch wird seit Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar 2023 behauptet: Die entsprechenden Leistungen seien zu hoch und eine hohe Zahl von »Totalverweigerern« würde so von Arbeit abgehalten. Wer in die entsprechenden Statistiken schaut, erkennt schnell, dass es sich bei den »Totalverweigerern« um eine unbedeutende Gruppe handelt. So ist die Zahl der Bürgergeld-Beziehenden, die ein Arbeitsangebot oder einen Ausbildungsplatz ablehnen, sehr gering. Aus diesen Gründen haben Jobcenter im Jahr 2024 gerade einmal knapp 23.400 Sanktionen verhängt. Bezogen auf die Zahl der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erw erbslosen sind dies gut ein Prozent.

Auch im Bereich der Besteuerung entspricht die Koalition aus CDU/CSU und SPD dem breit artikulierten Wunsch von Unternehmensverbänden, die Nettoprofite – das heißt die Profite nach Zahlung der Unternehmenssteuern – zu erhöhen. So sind hohe Sonderabschreibungen für die Jahre 2025-2027 vorgesehen. Außerdem ist die Senkung der Körperschaftsteuer, die Aktiengesellschaften und GmbHs zu entrichten haben, um fünf Prozent in fünf Schritten ab dem 2028 geplant. Analoge Änderungen sollen auch für Unternehmen erfolgen, die der Einkommensteuer unterliegen. Die steuerlichen Entlastungen sollen sich nach bisher bekannt gewordenen Schätzungen bis 2029 auf insgesamt 17 Milliarden Euro belaufen.

Tariftreuegesetz und höherer Mindestlohn – begrenzte Wirkung auf die Einkommensverteilung

Die SPD verweist – insbesondere um ihre Beteiligung an der neuen Bundesregierung zu rechtfertigen – gerne auf das ebenfalls im Koalitionsvertrag festgeschriebene Bundestariftreue-Gesetz und die Erhöhung des Mindestlohns.

Durch ein Bundestariftreue-Gesetz würde festgeschrieben, dass Unternehmen nur dann öffentlichen Aufträge vom Bund erhalten, wenn sie Tariflöhne bezahlen. Damit ist die Hoffnung verbunden, die Tarifbindung zu erhöhen – das heißt, dass mehr Unternehmen tariflich entlohnen und so die Zahl der tariflich bezahlten Beschäftigten steigt.

Tatsächlich können Tariftreuegesetze solche Hoffnungen nur begrenzt erfüllen. So müssen Unternehmen ihre Beschäftigten lediglich im Rahmen des konkreten vergebenen öffentlichen Auftrags nach Tarif bezahlen, nicht aber generell. Vor allem aber zeigen die Erfahrungen mit Vergabegesetzen auf der Ebene der Bundesländer, dass aufgrund mangelnder Kontrollen Tariftreuegesetze nur bedingt greifen.

Spielraum für Interpretation lassen die Ausführungen im Koalitionsvertrag zur Erhöhung des Mindestlohns im kommenden Jahr: Der Wert von 15 Euro sei erreichbar, wenn sich die Mindestlohnkommission an der Entwicklung der Tariflöhne und an der Größe von 60 Prozent des Bruttomedianlohns orientiere. Damit handelt es sich bei den ins Spiel gebrachten 15 Euro (aktuelles Niveau: 12,82 Euro) um eine unverbindliche Zielgröße, da die Mindestlohnkommission letztlich die Entscheidung über die Mindestlohnhöhe fällen wird.

Dabei hätte die Erhöhung des Mindestlohns auf die im Koalitionsvertrag genannte Höhe durchaus verteilungspolitische Auswirkungen. So ist der Niedriglohnsektor seit Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 geschrumpft, und die Spreizung der Lohnstruktur ist rückläufig. Eine kräftige Erhöhung könnte diesen Effekt weiter verstärken.

Auch im Rahmen der Entwicklung der verfügbaren Haushaltseinkommen – diese erfassen sämtliche Einkommen wie die Entlohnung aus abhängiger Beschäftigung, Unternehmensprofite, Mieteinkommen usw. nach Zahlung von Steuern und Sozialbeiträgen – zeigt der Mindestlohn durchaus Wirkung. So haben sich die unteren zehn Prozent aller Haushaltseinkommen einigermaßen stabilisiert.

Allerdings zeigen die neuesten Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dass trotz Mindestlohn eine zunehmende Ungleichverteilung der verfügbaren Haushaltseinkommen seit Mitte der 1990er Jahre festzustellen ist – das gilt auch für die vergangenen zehn Jahre. Dies liegt insbesondere an dem weit überdurchschnittlichen Anstieg der Einkommen an der Spitze der Einkommensverteilung. Die angesprochene, im Koalitionsvertrag vorgesehene Senkung der Unternehmenssteuern wird diese Entwicklung weiter anheizen, da die Einkünfte der einkommensstärksten Haushalte in hohem Maße auf Unternehmensgewinnen beruhen.

Änderung der Finanzverfassung: Unbedingt kriegsbereit

Im Bereich der Finanzverfassung hatte noch der alte Bundestag –im Vorgriff auf die Bildung der neuen Koalition – eine weitgehende Reform der Schuldenbremse beschlossen. Zwar wird durch diese Reform die Kritik der Schuldenbremse-Gegner bestätigt, dass das Kreditaufnahmeverbot der Schuldenbremse zu einem erheblichen Anstieg des staatlichen Investitionsstaus führen würde. Gleichwohl ist die Reform nur aufgrund geopolitischer Überlegungen zustande gekommen – und weil Kapitalverwertung eine brauchbare Infrastruktur zum Beispiel in Gestalt von verkehrstüchtigen Brücken und Straßen und einigermaßen modern ausgestatteter Bildungseinrichtungen zur Voraussetzung hat.

Der Investitionsrückstand bei der staatlichen Infrastruktur soll durch das beschlossene Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro behoben werden. Für ein ähnliches Investitionsprogramm in Höhe von 400 Milliarden Euro hatte sich vor der Bundestagswahl der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ausgesprochen. Auch wenn das Sondervermögen aus einer progressiven Perspektive zu begrüßen ist, so weist es doch erhebliche Mängel auf. Problematisch ist insbesondere, dass auf die Bundesländer und ihre Kommunen lediglich 100 Milliarden Euro entfallen sollen: Allein der Investitionsrückstand der Kommunen beträgt nach einer aktuellen Umfrage mehr als 180 Milliarden Euro. Zudem ist in der öffentlichen Debatte bisher kaum beachtet worden, dass Deutschland mit dem kreditfinanzierten Sondervermögen eigentlich gegen die europäischen Schuldenregeln verstößt. Was das für die praktische Umsetzung des Sondervermögens bedeuten wird, ist  vollkommen ungewiss.

Während sich eine Reform der Schuldenbremse aufgrund des staatlichen Investitionsstaus und der deswegen breit geführten Debatten vor der Bundestagswahl abzeichnete, war die vollständige Suspendierung des Kreditfinanzierungsverbots für Rüstungsgüter überraschend: Für Ausgaben in Verteidigung, Zivilschutz, Nachrichtendienste und Cybersicherheit, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, dürfen jetzt Kredite aufgenommen werden. Damit fallen für die Produktion der wohl destruktivsten Warenkategorie, die zudem auch mit hohen Schadstoffemissionen und einem hohen Ressourcenverbrauch verbunden ist, sämtliche Beschränkungen. Und das ganz im Gegensatz zu Investitionen in die zivile staatliche Infrastruktur – hier sind die Ausgaben wie ausgeführt auf 500 Milliarden Euro gedeckelt. Ganz offensichtlich hat sich eine Allianz aus Politik und Industrie durchgesetzt, die das bisher stark durch den Export von zivilen Industriegütern gekenn zeichnete deutsche Wirtschaftsmodell in Richtung einer deutlich höheren Rüstungsproduktion modifizieren will.

In welchem Zeitraum und in welchem Umfang die mit der Reform der Schuldenbremse erhofften Wachstumseffekte tatsächlich eintreten werden, ist höchst ungewiss. So ist der wirtschaftliche Impuls von Rüstungsausgaben gering. Und die öffentlichen Kernhaushalte werden im kommenden Jahr aufgrund der nach wie vor bestehenden Elemente der Schuldenbremse einen Spar- und Kürzungskurs einschlagen, der die positiven Konjunktureffekte des Sondervermögens zumindest zum Teil konterkarieren wird.

Kai Eicker-Wolf, Ökonom und Politikwissenschaftler, arbeitet als hauptamtlicher Gewerkschafter in Frankfurt / Main.

Auslöser von Phantomschmerzen

Die Besteuerung von Reichtum in Deutschland

Während in Deutschland immer mehr Menschen in oder am Rande der Armut leben, konzentrieren sich zwei Drittel des gesamten Vermögens bei den reichsten zehn Prozent. Zentrale Ursache dafür ist eine Steuerpolitik, die in den vergangenen Jahrzehnten vor allem Kapitalinteressen bedient hat.

Eine Besteuerung von Vermögensbeständen kann im deutschen Steuersystem durch vier Steuern erfolgen: die Grundsteuer, die Vermögensteuer, die Erbschafts- und Schenkungssteuer sowie eine Vermögensabgabe.

Die Grundsteuer besteuert das Eigentum an Grundstücken. Ihr Aufkommen steht den Städten und Gemeinden zu, für die sie mit gut 15 Milliarden Euro eine wichtige Einnahmequelle ist. Grundsteuer darf durch die Immobilienbesitzer umgelegt werden, wodurch die Mieter:innen die Grundsteuer als Teil der Nebenkosten zahlen. Dadurch besitzt die Grundsteuer keine nennenswerte umverteilende Wirkung. Anders sieht es bei den anderen drei vermögensbezogenen Steuern aus, zu denen trotz ihres Namens auch die Vermögensabgabe zählt. Im Unterschied zur jährlichen Vermögensteuer wird die Vermögensabgabe nur einmalig auf den aktuellen Vermögensbestand berechnet. In Deutschland gab es eine Vermögensabgabe auf Basis des Lastenausgleichsgesetzes aus dem Jahr 1952: Durch ihre Erhebung auf den Vermögensbestand des Jahres 1948 sollten Vermögensverluste oder sonstige Nachteile des Krieges ausgeglichen werden. Die Abgabe wurde nicht auf einen Schlag fällig, sondern über  30 Jahre in einen Ausgleichsfond eingezahlt.

Bis einschließlich 1996 wurde – zeitweise parallel zur Vermögensabgabe – eine Vermögensteuer erhoben. Das Bundesverfassungsgericht monierte im Jahr 1995 zu Recht eine Bevorteilung von Grund- und Immobilienvermögen gegenüber anderen Vermögensformen. Nach dem entsprechenden Urteil hätte die Vermögensteuer verfassungskonform reformiert werden müssen. Da die Regierung Kohl die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist verstreichen ließ, ist die Vermögensteuer seit 1997 ausgesetzt.

Seitdem wird nur noch die Erbschafts- und Schenkungssteuer erhoben. Erbschaften und Schenkungen werden in Deutschland in einem gemeinsamen Gesetz geregelt. Bei dieser Steuer handelt sich um eine Erbanfallsteuer, das heißt der Erbe oder Beschenkte muss gegebenenfalls Steuern auf seinen Erbteil oder die Schenkung zahlen. In einigen Staaten ist die Erbschaftssteuer als Nachlasssteuer ausgestaltet, in diesem Fall unterliegt der gesamte Nachlass des Verstorbenen der Erbschaftssteuer.

Wie Grafik 1 zu entnehmen ist, ist die Besteuerung von Vermögen durch den Lastenausgleich, die Vermögens- und die Erbschaftsteuer in Deutschland im Trend deutlich gesunken. Flossen im Jahr 1950 noch rund 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Form von vermögensbezogenen Steuern in die öffentlichen Kassen, sind es im Jahr 2023 noch gut 0,2 Prozent. Es ist angesichts einer solchen Entwicklung kein Wunder, dass die Vermögensungleichheit zugenommen hat. Verantwortlich dafür ist allerdings auch die Besteuerung der Einkommen.

Wechselwirkung zwischen Einkommens- und 
Vermögensverteilung

Je höher das laufende Einkommen einer Person oder eines Haushalts ist, desto größer ist in der Regel der Anteil, der zwecks Vermögensaufbau gespart wird. Die Sparquote, also der Anteil der Ersparnis am Einkommen, nimmt mit steigendem Einkommen zu. Erhöht sich aber das individuelle Vermögen durch hohe Ersparnisse, so wirft dieses in Zukunft höhere Kapitaleinkommen ab, was das Gesamteinkommen der entsprechenden Person weiter vergrößert.

In Deutschland nahmen Debatten um Steuersenkungen Mitte der 1990er Jahre stark zu. Insbesondere seitens der deutschen Industrie wurden – mit Verweis auf den globalen Wettbewerb und die angeblich bedrohte internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland – Forderungen nach einer tiefgreifenden Steuerreform laut. Die Politik kam diesen Forderungen in den kommenden Jahrzehnten nach. So wurde wie bereits erwähnt die Vermögenssteuer nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt. Vor allem die Regierung Schröder/Fischer reduzierte die Steuern auf hohe Einkommen und die Unternehmenssteuern in erheblichem Umfang. So verringerte die Koalition aus Grünen und SPD den Einkommensteuerspitzensatz von 53 auf 42 Prozent – aktuell liegt er inklusive der so genannten Reichensteuer bei 45 Prozent.

Gerade mit Blick auf die Besteuerung von Unternehmensgewinnen ist relevant, dass sie sich stark auf Personen bzw. Haushalte mit hohen Einkommen konzentrieren. So speisen sich die Einkommen der rund 29.400 Einkommensmillionäre in Höhe von insgesamt rund 75 Milliarden Euro im Jahr 2020 zu zwei Dritteln von Einkünften aus Gewerbebetrieben. Nehmen Gewinn- und Vermögenseinkommen aufgrund einer sinkenden Spitzenbesteuerung zu, wird dies zu verstärktem Sparen der reichen Haushalte führen und die Ungleichverteilung von Vermögen weiter erhöhen. Und sinken vermögensbezogene Steuern, dann steigert dies potenziell die Vermögens- und im zweiten Schritt auch die Einkommensungleichheit.

Umgekehrt könnte eine hohe Besteuerung von Vermögen egalitär auf Vermögens- und Einkommensverteilung wirken – hier aber war die Lobbyarbeit von Unternehmerverbänden so erfolgreich, dass dies selbst im Rahmen der immer noch erhobenen Erbschafts- und Schenkungsteuer kaum erfolgt.

Verschonung großer Erbschaften und Schenkungen

In Deutschland werden nach den verfügbaren Schätzungen jährlich mindestens 300 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt, dabei geht die Hälfte aller Erbschaften und Schenkungen an die reichsten zehn Prozent der Begünstigten. Die Erbschaftssteuer sieht je nach Verwandtschaftsgrad verschiedene Steuerklassen vor, diese wiederum weisen verschiedene Freibeträge und unterschiedliche, mit der Höhe der Erbschaft steigende Steuersätze auf. Hinzu kommen viele Detailregelungen wie etwa großzügige Steuerbefreiung für selbstgenutzte Immobilien. Von Relevanz ist mit Blick auf Verteilungsfragen vor allem die Behandlung von Unternehmensvermögen, da diese in den besonders großen Erbschaften übertragen werden.

Seit der vorletzten Reform der Erbschaftsteuer im Jahr 2009 bestehen erhebliche Verschonungsregeln für Betriebsvermögen, das seitdem ganz oder zumindest weitgehend steuerfrei übertragen werden kann. Hieran hat auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2014 nichts geändert, dass diese Privilegierung großer Erbschaften eigentlich für grundgesetzwidrig erklärt hatte. Unternehmenserbschaften werden auch nach der dann folgenden Reform im Jahr 2016 in extremer Form bevorzugt. So fallen für ein geerbtes Unternehmen bis zu einem Wert von 26 Millionen Euro keine Steuern an, wenn der Betrieb für sieben Jahre in der bestehenden Form – gemessen an der Lohnsumme der Beschäftigten – fortgeführt wird. Bei einem Unternehmenswert zwischen 26 und 90 Millionen Euro sinkt die Steuerbefreiung zwar kontinuierlich auf null. Allerdings muss der Erbende nur maximal 50 Prozent seines eigenen Privatvermögens für die Begleichung der Erbschaftsteuer a uf ein geerbtes Unternehmen einsetzen. Ein Kind, das über kein Privatvermögen verfügt, kann so im Extremfall ein Unternehmensvermögen in Milliardenhöhe von seinen Eltern durch Schenkung erhalten, ohne auch nur einen Cent Erbschaftsteuer zu zahlen. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass die eigentlich progressiv ausgestaltete Erbschaftsteuer de facto regressiv wirkt – das heißt, sehr hohe Erbschaften und Schenkungen werden aufgrund der besonderen Regeln für Unternehmen geringer besteuert als weniger hohe Nachlässe.

Wachsende Ungleich-
verteilung und leere öffentliche Kassen

Angesichts der geschilderten Besteuerung von großen Vermögen ist eine hohe Ungleichverteilung des Reichtums in Deutschland kein Wunder (vgl. Abbildung 2). So verfügen die reichsten 10 Prozent über gut zwei Drittel des gesamten Nettovermögens (Bruttovermögen abzüglich Schulden). Beim reichsten Prozent ballt sich mehr als ein Drittel und bei den reichsten 0,1 Prozent ein Fünftel des Nettovermögens.

Neben der zunehmenden Ungleichverteilung von Reichtum hat der Verzicht auf jede auch nur moderate Besteuerung von großen Vermögensbeständen eine strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Hand zur Folge. Das gilt mit Blick auf Erbschafts- und Vermögensteuer insbesondere für die Bundesländer, denn ausschließlich ihnen fließt das Aufkommen aus beiden Steuern zu. Indirekt hat dies auch Auswirkungen auf die Kommunen, da sich deren Einnahmen in erheblichem Umfang aus Zuweisungen der Bundesländer speisen. Kaputte Schulen, marode Hochschulgebäude, fehlendes Personal in Kitas oder fehlendes Geld für kommunale Kliniken hängen unmittelbar mit der Nicht-Besteuerung von großen Vermögen zusammen.

So weist der aktuelle Subventionsbericht der Bundesregierung die Privilegierung von Unternehmenserbschaften mit jährlich 4,5 Milliarden Euro als größten steuerlichen Subventionstatbestand aus. Laut einer Schätzung aus dem Jahr 2020 sind seit dem Jahr 2009 insgesamt rund 70 Milliarden Euro an Erbschaftsteuern aufgrund der geschilderten Unternehmensprivilegien nicht erhoben worden. Mit diesem Geld hätte der gesamte Investitionsstau im Bereich von Schulen und Kitas in Höhe von knapp 70 Milliarden beseitigt werden können.

Unternehmensverbände führen gegen vermögensbezogene Steuern gerne ins Feld, dass diese Betriebe und damit Arbeitsplätze gefährdeten. Denn Erbschafts- und Vermögenssteuern müssten gerade im Falle einer schwachen Ertragslage bzw. bei fehlenden liquiden Mitteln »aus der Substanz heraus« bezahlt werden. Diese Argumente laufen ins Leere, denn den vermeintlichen Problemen kann mit zwei Instrumenten begegnet werden: zum einen mit der Stundung von Steuerzahlungen, und zum anderen mit der Übertragung von Unternehmensanteilen an die öffentliche Hand.

Gegen eine höhere Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften wird außerdem häufig auf den internationalen Steuerwettbewerb verwiesen. Unter den fortgeschrittenen Industrieländern erheben in der Tat nur noch wenige eine Vermögensteuer, und dies auch dann meist nur in eingeschränkter Form (z.B. nur für juristische Personen). Im Gegensatz dazu findet sich die Erbschaftsteuer in der Mehrzahl dieser Länder – allerdings sind Ausnahmeregeln bei der Besteuerung von Unternehmenserbschaften sehr weit verbreitet. Aber das heißt nicht, dass vermögensbezogene Steuern Auslaufmodelle sein müssen: Denn tatsächlich gibt es kaum einen empirischen Beleg dafür, dass die Erhebung von Erbschafts- und Vermögensteuern massive Wohnsitz- oder Vermögensverlagerungen zur Folge hätte. Und außerdem verhindern in Deutschland verschiedene Regelungen ebendies. So macht etwa die Wegzugsbesteuerung den Umzug von reichen Personen ins Ausland extrem teuer –  laut Berechnungen von Oxfam müsste die BMW-Erbin Susanne Klatten in so einem Fall 6,5 Milliarden Euro ihres Vermögens bezahlen. Wer trotzdem an das Märchen der Steuerflucht glaubt, geht einer neoliberalen Propaganda auf den Leim, die in den vergangenen Jahrzehnten eine Besteuerung von großen Unternehmenserbschaften und Vermögen erfolgreich zurückgedrängt hat.

Kai Eicker-Wolf, Ökonom und Politikwissenschaftler, arbeitet als hauptamtlicher Gewerkschafter in Frankfurt / Main.

Ausgebremst

Das bevorstehende Ende der Schuldenbremse

Im Jahr 2009 wurde die so genannte Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) sprach von einer »historischen Entscheidung« – die Schuldenbremse sei nötig, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu sichern. Tatsächlich hat die Schuldenbremse das Gegenteil bewirkt und dürfte bald Geschichte sein.

Mitte der 1970er Jahre begann die Wirtschaftspolitik in den führenden kapitalistischen Staaten, sich an neoliberalen Vorstellungen zu orientieren. Die freie Preisbildung auf Märkten, so das zentrale neoliberale Argument, generiere ökonomisch relevante Informationen am besten, der Markt sei dem Staat bei der Informationsgewinnung und -verarbeitung überlegen. Ein wichtiger Grundsatz des Neoliberalismus ist folglich die Formel »Privat vor Staat«. Die öffentliche Hand soll sich so wenig wie möglich in das Wirtschaftsgeschehen einmischen, da privatwirtschaftliche Akteure grundsätzlich bessere ökonomische Entscheidungen träfen als der Staat.

Vor diesem Hintergrund muss die Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz im Jahr 2009 interpretiert werden. Zwar erlaubt es die Schuldenbremse in einem engen Rahmen, auf wirtschaftliche Abschwünge zu reagieren. Abgeschafft wurde aber die so genannte »goldene Regel«, die Bund und Bundesländern eine Kreditfinanzierung von öffentlichen Investitionen erlaubte – nur der Bund hat einen kleinen Spielraum in Höhe von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung behalten. Die Kreditbeschränkung der Schuldenbremse darf nur suspendiert werden, wenn Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen auftreten, die sich der Kontrolle des Staates entziehen.

Das Konstrukt der Schuldenbremse folgt den Ideen des US-amerikanischen neoliberalen Ökonomen James Buchanan. Buchanan ging davon aus, dass Politiker:innen vor allem ihre Wiederwahl im Auge haben. Deshalb neigten sie dazu, den Sozialstaat auszubauen. Außerdem versagten sie bei der Anwendung einer antizyklisch ausgerichteten Konjunkturpolitik: In Boomphasen würden staatliche Defizite nicht abgebaut, weil dies restriktiv wirken und so die Wiederwahl der handelnden Politiker:innen gefährden würde.

Um solche »Fehlanreize« zu unterbinden, riet Buchanan zur Regelbindung. Eine solche Regel ist die Schuldenbremse, die der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher als »Odysseus-Strategie« bezeichnet. Odysseus hatte sich von seinen Matrosen, die sich selbst die Ohren verstopft hatten, an den Mast binden lassen, um den Sirenen zu lauschen, ohne ihnen verfallen zu können. In diesem Sinne bänden sich der Staat bzw. seine Repräsentanten und Funktionsträger an selbstgegebene Regeln, um das bestehende System der Fehlanreize zu überwinden.

Gegen die Schuldenbremse sprachen sich bei ihrer Einführung nur wenige politische Akteure aus, etwa ein Großteil der Gewerkschaften. Sie verwiesen auf den Spielraum für öffentliche Investitionen, der aufgrund des nicht besonders hohen öffentlichen Schuldenstands in Deutschland bestehe. Sie warnten zudem davor, dass sich der Investitionsstau im Bereich der öffentlichen Infrastruktur verschärfen werde, zumal in den Jahren ab 2001 die rot-grüne Regierung Schröder/Fischer und anschließend die erste große Koalition mit Angela Merkel als Kanzlerin (mit der Unternehmenssteuerreform von 2008 und der Erbschaftssteuerreform 2009) dafür gesorgt hatte, dass die Steuereinnahmen vor allem durch Entlastungen von reichen Haushalten und Unternehmen stark sanken. Die Erbschaftssteuer ist durch ihre Reform von 2009 zur teuersten Unternehmenssubvention geworden. Die Ausfälle aufgrund dieser Reform summieren sich auf mehrere Milliarden Euro pro Jahr.

Die Warnungen haben sich als richtig erwiesen. Es besteht ein erheblicher Investitionsrückstand im Bereich der Bildungsinfrastruktur, des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs usw. Hinzu kommen die hohen Investitionsbedarfe für den Klimaschutz und die Umstellung auf Erneuerbare Energien. Nach einer gemeinsamen, eher konservativen Schätzung durch zwei Wirtschaftsforschungsinstitute besteht in den kommenden zehn Jahren ein Gesamtbedarf an öffentlichen Investitionen in Höhe von 600 Milliarden Euro.

Bundesverfassungsgericht 
urteilt zur Schuldenbremse

Um den faktisch selbst verursachten Investitionsstau zumindest zum Teil aufzulösen, starteten sowohl der Bund als auch verschiedene Bundesländer Versuche, im Zuge der Corona-Krise und der Energie-Krise infolge des Kriegs in der Ukraine die Schuldenbremse zu umgehen. So setzte die Ampel-Regierung für den im April 2021 auf den Weg gebrachten Nachtragshaushalt das Kreditaufnahmeverbot der Schuldenbremse aus. Begründet wurde die damit einhergehende Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro mit der Notsituation aufgrund der Corona-Pandemie. Da die Regierung Scholz die Kreditermächtigung nicht benötigte, beschloss sie einen zweiten Nachtragshaushalt für das Jahr 2021. Die Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro sollte zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen und der Energiewende durch den Klima- und Transformationsfonds (KTF) in den folgenden Jahren dienen. Hiergegen erhoben die Bundestagsabgeordneten der CDU erfolgreich Verfassungskla ge – das Bundesverfassungsgericht erklärte Mitte November 2023 den zweiten Nachtragshaushalt für nichtig. Zentral sind dabei zwei Punkte.

Die Bundesregierung habe, so das Bundesverfassungsgericht, keinen begründeten Zusammenhang zwischen der Notsituation der Pandemie und dem zweiten Nachtragshaushalt hergestellt. Eine solche Begründung aber sei umso mehr erforderlich, je weiter der eigentliche Auslöser der Notsituation zurückliege. Außerdem müsse die Kreditaufnahme nach Jahren getrennt ermittelt werden, und die Kreditermächtigung und die auf dieser Grundlage dann erfolgende tatsächliche Aufnahme der Kredite müsse in demselben Jahr geschehen. Das Urteil löste heftige Auseinandersetzungen innerhalb der Bundesregierung über die Folgen für den Bundeshaushalt aus. Für das Jahr 2023 wurde kurz vor Weihnachten die Aussetzung des Kreditaufnahmeverbots der Schuldenbremse beschlossen, um so die Voraussetzungen für einen Nachtragshaushalt zu schaffen. Begründet wurde dies mit zwei Notlagen: Dem Krieg in der Ukraine und seinen Folgen sowie den Schäden aus der Flutkatastrophe im Ahrta l im Sommer 2021.

Für das Jahr 2024 hatte sich die Ampel-Koalition auf Ausgabenkürzungen verständigt – insbesondere die FDP wollte das Kreditaufnahmeverbot der Schuldenbremse nicht nochmals aufheben. Damit hat sich die Bundesregierung auf einen klassischen pro-zyklischen finanzpolitischen Kurs begeben, der die bereits schlechte Konjunkturlage zusätzlich verschärft.

Urteil hat Folgen für die Bundesländer

Betroffen vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind auch einige Bundesländer. Einige von ihnen haben, mit ähnlichen Konstruktionen wie der Bund, Fonds in Milliardenhöhe zur Finanzierung von klimapolitischen Maßnahmen und der Energiewende beschlossen oder zumindest geplant. Durch das Urteil vor erhebliche Probleme gestellt sind insbesondere das Saarland, Bremen und Berlin – hier sollten mit vergleichsweise großen Fonds Mittel für mehrere Jahre bereitgestellt werden, indem das Land eine Notlage erklärte. So waren in Bremen 2,5 Milliarden Euro für einen kreditfinanzierten Klimafonds vorgesehen. Hier haben sich der rot-rot-grüne Senat und die oppositionelle CDU auf ein aus Krediten finanziertes Sondervermögen in Höhe von 450 bis 550 Millionen Euro anstelle des Klimafonds geeinigt. Das Parlament muss jedes Jahr aufs Neue mit Zweidrittelmehrheit eine Notlage erklären, um so dieses Sondervermögen zu sichern. Wie es bei anderen Problemen (zum Bei spiel energetische Gebäudesanierung von öffentlichen Bauten) weitergehen wird, ist ungewiss.

Im Saarland hat die Landesregierung kurz nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verkündet, dass der Landtag künftig jährlich eine Notsituation erklären wird. So soll der drei Milliarden Euro schwere Transformationsfonds gerettet werden.

In Berlin ist das im Koalitionsvertrag von CDU und SPD geplante Klima-Sondervermögen in Höhe von fünf Milliarden Euro aufgrund des Karlsruher Urteils geplatzt. Hier werden von der Landesregierung verschiedene Wege beschritten, wie außerhalb des Kernhaushalts dringend benötigte Investitionen getätigt werden können.

Verbleibende Möglichkeiten

Seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil hat sich die vorher schon geführte Debatte um das Für und Wider der Schuldenbremse verschärft, und es wird nach Möglichkeiten gesucht, die erforderlichen staatlichen Investitionen zu tätigen.

So wird zum Beispiel erwogen. jedes Jahr aufs Neue den Notstand zu erklären und so das Kreditaufnahmeverbot der Schuldenbremse immer wieder zu suspendieren. Ob dieser Weg verfassungsrechtlich gangbar ist, kann zumindest in Zweifel gezogen werden. Denn wenn Investitionen zur Bewältigung von Energie- und Klimakrise als staatliche Daueraufgaben und nicht als Notfallmaßnahmen interpretiert werden, dann müssen sie eigentlich aus dem regulären Haushalt bezahlt werden.

Rechtssicher umgangen werden kann die Schuldenbremse, indem staatliche Investitionen durch rechtlich selbständige Institutionen (GmbH, Aktiengesellschaft, Anstalt des öffentlichen Rechts) getätigt werden, die der öffentlichen Hand gehören. Allerdings werfen solche Konstruktionen immer die Frage nach der demokratischen Kontrolle auf, da hier die Parlamente als Haushaltsgesetzgeber außen vor sind.

Für den Bund käme auch die Verankerung eines oder mehrerer Sondervermögen für Investitionen in die Energiewende, die staatlich Infrastruktur usw. in Frage – solche Überlegungen lehnen sich an das Sondervermögen zur Aufrüstung der Bundeswehr an.

Selbst über eine grundlegende Reform der Schuldenbremse, die kreditfinanzierte Investitionen wieder ermöglicht, wird seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil diskutiert. Einem solchen Vorhaben stehen SPD und Bündnis 90/Die Grünen offen gegenüber. Auch verschiedene CDU-geführte Bundesländer haben in den zurückliegenden Monaten signalisiert, dass sie bereit sind, hierüber zu reden. Allerdings standen einer solchen Initiative bis zum Ausscheiden der FDP aus der Bundesregierung zwei Dinge im Weg: zum einen die FDP als Regierungspartei, die eine Reform der Schuldenbremse nicht mittragen wollte. Und auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz und die CDU im Bundestag hatten bis zum erfolgten Bruch der Ampel-Koalition aus taktischen Gründen kein Interesse an einer Grundgesetzänderung, da die Union in der Wählergunst vom Streit der Ampel-Koalition über die Finanzierung des Bundeshaushalts profitierte.

Abschaffung der Schuldenbremse nach der nächsten Bundestagswahl wahrscheinlich

Nach der kommenden Bundestagswahl wird die Schuldenbremse mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Vorschlag einer dann CDU-geführten Bundesregierung grundlegend reformiert – und damit im Kern abgeschafft. Dafür spricht, dass große Teile des Unternehmerlagers den bestehenden Investitionsstau in Deutschland als Problem ausmachen. Auch der Kapitalseite ist mittlerweile klar geworden, dass eine funktionsfähige öffentliche Infrastruktur eine wichtige Voraussetzung für die privatwirtschaftliche Produktionstätigkeit ist.

Aus einer progressiven Perspektive heraus ist es ebenfalls sinnvoll, sich für das Ende der Schuldenbremse einzusetzen – selbst wenn eine deutlich stärkere Besteuerung hoher Einkommen und großer Vermögen die bessere Variante wäre, um den staatlichen Ausgabenspielraum zu erweitern. Denn wird das Kreditaufnahmeverbot der Schuldenbremse nicht beseitigt, droht zum einen weiterer Sozialabbau, weil Investitionen auf Kosten von Sozialleistungen getätigt werden. Und zum anderen werden zumindest Teile der staatlichen Infrastruktur weiter verfallen, auf die diejenigen angewiesen sind, die nicht über Produktionsmittel oder große Vermögen verfügen.

Kai Eicker-Wolf, Ökonom und Politikwissenschaftler, arbeitet als hauptamtlicher Gewerkschafter in Frankfurt / Main

„Staatliche Eingriffe in die Mieten am Wohnungsmarkt sind schädlich!“

Es war einmal eine Wirtschaftsjournalistin in Führungsposition mit klarem Gespür dafür, was sich für Wirtschaftsjournalismus im neoliberalen Kapitalismus gehört. Ihr Name war Ileana Grabitz, und von Marktpreisen war sie zutiefst überzeugt. Im August 2019 schrieb sie auf ZEIT Online in einem Kommentar zu Plänen des Berliner Senats, die Mieten am Wohnungsmarkt zu deckeln: „Doch statt kurzfristig am Mietpreis zu doktern, müsste die Politik vor allem am Angebot ansetzen: Wenn Vermieter die Miete in schwindelerregende Höhen treiben können, liegt das vor allem daran, dass die Nachfrage das Angebot weit übertrifft.“

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„Gewerkschaften sind schädliche Kartelle!“

Es war einmal ein Oberpriester neoliberaler Wirtschaftswissenschaft, dem zahlreiche Jünger in Politik, Journalismus und Wissenschaft huldigten. Es war die glorreiche Hoch-Zeit des Neoliberalismus, als besagter Hans-Werner Sinn seine Anhänger mit deftiger Dresche für die Gewerkschaften in Ekstase versetzte. In einem Interview mit Focus Money sagte er im Juli 2004: „Die Gewerkschaften sind ein Kartell derjenigen, die Arbeit haben. Und wie jedes Kartell dient es dazu, überhöhte Preise durchzusetzen. Würden sich die Löhne frei nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage bilden, gäbe es keine Arbeitslosigkeit.“

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„Konjunkturpakete entfachen nur teure Strohfeuer “

Es war einmal ein CDU-Politiker namens Friedrich Merz, der zum Wirtschaftsfachmann hochgeschrieben wurde, seit er Steuererklärungen auf die Größe eines Bierdeckels schrumpfen wollte. Ebenso bescheiden wie seine steuerpolitischen Kenntnisse war sein Wesen: Trotz eines jährlichen Einkommens in Millionenhöhe hielt er sich selbst für Mittelschicht – wenn auch für gehobene. Auf die Frage des Redaktionsnetzwerks Deutschland, ob die öffentliche Hand einem Abschwung mit Konjunkturprogrammen entgegenwirken solle, antwortete er im August 2019 mit einem klaren Nein: „Jede rein nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik hat sich am Ende immer als Strohfeuer erwiesen, die Staatsschulden noch weiter erhöht und die Arbeitslosigkeit gleich mit dazu.“

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„Die Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen gefährdet Arbeitsplätze!“

[Märchen des Neoliberalismus Nr. 18]

Es war einmal ein ehrgeiziger bayerischer Finanzminister mit Namen Markus Söder, der genau wusste, wie man Karriere macht. In der parteieigenen CSU-Hauspostille Bayernkurier stellte er sich im September 2016 in Sachen Erbschafts- und Schenkungssteuer unmissverständlich auf die Seite des Kapitals: „Für uns ist klar: Wir wollen keine Steuererhöhung und keine Gefährdung von Arbeitsplätzen.“

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„Einkommensteuern belasten die Leistungsträger!“

Märchen des Neoliberalismus Nr. 17

Es war einmal ein junger Finanz-Staatssekretär der CDU, dessen Gespür für gefällige Wahlkampf-Parolen ebenso groß war wie seine Karrierehoffnungen. Sein Name war Jens Spahn, und im Juni 2017 sagte er der Deutschen Handwerks-Zeitung: „Wir wollen möglichst viele Leistungsträger entlasten. Und damit meine ich nicht Millionäre mit Jacht und Villa. Ich meine die Mittelschicht – Angestellte und Selbstständige.“ Die Handwerks-Unternehmer werden es mit Befriedigung gelesen haben.

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„Flexiblere Arbeitsmärkte führen zu mehr Arbeitsplätzen!“

Märchen des Neoliberalismus Nr. 16


Es war einmal eine Stiftung, die sich mit der Förderung des Neoliberalismus schon immer ganz besonders hervortat. So auch 2014, als sie sich in einem Bericht geradezu enthusiastisch zur deutschen Arbeitsmarktpolitik äußerte: „Durch die stärkere Verbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse und von Niedriglohnjobs ist der deutsche Arbeitsmarkt insgesamt flexibler und damit aufnahmefähiger geworden.“

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