„Einkommensteuern belasten die Leistungsträger!“

Märchen des Neoliberalismus Nr. 17

Es war einmal ein junger Finanz-Staatssekretär der CDU, dessen Gespür für gefällige Wahlkampf-Parolen ebenso groß war wie seine Karrierehoffnungen. Sein Name war Jens Spahn, und im Juni 2017 sagte er der Deutschen Handwerks-Zeitung: „Wir wollen möglichst viele Leistungsträger entlasten. Und damit meine ich nicht Millionäre mit Jacht und Villa. Ich meine die Mittelschicht – Angestellte und Selbstständige.“ Die Handwerks-Unternehmer werden es mit Befriedigung gelesen haben.

Wer in der Zukunft entlasten will, der unterstellt, dass in der Gegenwart zu viel belastet wird. In diesem Sinne will sich Spahn steuerpolitisch für „Leistungsträger“ in die Bresche werfen. Und das ist ein neoliberaler Dauerbrenner – durchaus aus gutem Grund: Die Rede von der „Entlastung der Leistungsträger“ dürfte für viele durchaus sympathisch und überzeugend klingen. Dies umso mehr, als „Leistungsträger“ in diesem Kontext ja sogar die „Mittelschicht“ umfassen soll.

Und doch dient diese Parole letztlich dazu, steuerliche Umverteilung von unten nach oben zu rechtfertigen (und zugleich unkenntlich zu machen). Sie tut dies aus mindestens zwei Gründen: Der erste Grund ist, dass der ärmere Teil der Bevölkerung gar keine Einkommensteuer bezahlt. Die Einkommen dieser Menschen sind schlicht zu niedrig. Viele von ihnen gehen allerdings sehr wohl einer Arbeit nach; oft genug werden ja gerade besonders belastende und anstrengende Tätigkeiten schlecht bezahlt. Viele Menschen mit geringem Einkommen können, ja müssen also durchaus als „Leistungsträger“ selbst im Sinne der (auf Erwerbsarbeit verkürzten) Spahnschen Definition gelten. Von einer Senkung der Einkommensteuer hätten sie aber nichts. Ganz im Gegenteil: Verschlechtern oder verteuern sich aufgrund geringerer Steuereinnahmen bestimmte öffentliche Leistungen, so trifft dies die Ärmsten mehr als Reiche. Denn vor allem erstere sind auf preiswerte und gute öffentliche Dienste sowie intakte Infrastrukturen angewiesen. Auch trifft es die Ärmsten besonders, wenn Einkommensteuer-Senkungen etwa durch höhere Mehrwertsteuern gegenfinanziert werden. Denn die belasten niedrige Einkommen weitaus stärker als hohe: Während ärmere Haushalte jeden Euro ausgeben (müssen), sparen reichere Haushalte mit steigendem Einkommen einen immer größeren Anteil. Und Ersparnisse werden durch die Mehrwertsteuer nicht belastet.

Die Parole von der „Entlastung der Mittelschicht“ ist aber noch aus einem zweiten Grund perfide: Am Ende wird bei jeder Entlastung des mittleren Einkommensbereichs eine mindestens genauso hohe, wenn nicht noch höhere Entlastung der Spitzenverdienenden herauskommen. Der Grund dafür ist die progressive Gestaltung der Einkommensteuer, wie sie fast alle Staaten aufweisen. Wer ein höheres Einkommen bezieht, kann und soll mehr zum Gemeinwesen beitragen – deshalb sind die Steuerzahlungen auf hohe Einkommen in der Regel höher als auf kleine und mittlere. In vielen Ländern – auch in Deutschland – wird dies dadurch gewährleistet, dass die Steuersätze für hohe Einkommens-Bestandteile (!) höher sind als für untere und mittlere Einkommens-Bestandteile. Auf die ersten beispielsweise 50.000 Euro bezahlt ein Millionär dann (unter ansonsten gleichen Voraussetzungen) die gleichen Steuern wie jemand, dessen Einkommen diese 50.000 Euro nicht überschreitet. Erst auf die darüber hinausgehenden Einkommensbestandteile bezahlt der Millionär einen höheren Steuersatz (wodurch seine Steuerzahlungen insgesamt höher ausfallen).

Die Konsequenz dessen aber ist, dass eine Entlastung mittlerer Einkommensbestandteile zu einer Entlastung nicht nur der mittleren, sondern auch der hohen Einkommen führt. Im Klartext: Nicht nur Spahns „Angestellte und Selbständige“ freuen sich über Steuersenkungen, sondern auch und gerade Bezieher von sehr hohen Einkommen!

Dieser unschöne Effekt lässt sich verhindern. Dazu ist es notwendig, nicht einfach nur die Steuersätze auf untere und mittlere Einkommens-Bestandteile zu senken, sondern zugleich die Steuersätze auf hohe Einkommens-Bestandteile anzuheben. Davon aber wollen Spahn & Co. nichts wissen. Und genau aus diesem Grund ist es reine Augenwischerei, wenn sie behaupten, sie zielten auf „die Mittelschicht“. Ein neoliberales Märchen eben.

Kai Eicker-Wolf ist Ökonom und arbeitet als Gewerkschafter in Frankfurt/Main. | Patrick Schreiner arbeitet als Gewerkschafter in Berlin und betreibt den Blog www.blickpunkt-wiso.de

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