Alles ist gesagt in Sachen § 219a
Zu dem Thema ist eigentlich alles gesagt. Ich hatte nicht gedacht, dass ich mich noch einmal mit den falschen Argumenten um den § 218 auseinandersetzen müsste.
Aber dann erstattete der altbekannte Lebensschützer und Betreiber der Website „Babycaust“, Gerd Annen, Anzeige gegen die Ärztin Kristina Hänel. Ein Jannicks Hendricks, der das in einem Taz-Interview als sein Hobby beschreibt, betrieb weitere Verfahren „wegen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche“.
Als Kerstin Artus, Vorsitzende der ProFa Hamburg ihn namentlich outete nebst seinem rechtsradikalen Netzwerk, zeigte er sie mit der Behauptung an, er müsse Übergriffe von militanten Abtreibungsbefürwortern befürchten. Der Prozess wurde verschoben, weil Hendricks den Streitwert erhöht hat, nachdem sein Konterfei die Rote Flora in Hamburg ziert.
Und was bisher meist mit der Rücknahme der Information darüber, dass Ärztinnen Schwangerschaftsabbrüche in ihren Praxen durchführen, stillschweigend endete, wurde zu einem politischen Verfahren. Der Grund: Kristina Hänel weigerte sich, die entsprechende Information von ihrer Webseite zu nehmen. Sie wurde auf Grundlage der bestehenden Rechtslage zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Allerdings empfahl ihr der Richter, dies Urteil als Ehrentitel zu tragen.
Bei zwei anderen Ärztinnen Nora Szàsz und Natascha Nicklaus wurde der vergleichbare Prozess aufgeschoben, weil man während der laufenden Diskussion kein Urteil fällen wollte.
Werbung?
„Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise
- eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruches oder
- Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch einer Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung
anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
So lautete der § 219a bisher. Der bloße Hinweis auf der Webseite einer Ärztin wurde als Werbung interpretiert, weil auch die Arbeit von Ärztinnen normalerweise bezahlt wird, also „ein Vermögensvorteil“ entstehen muss.
In der Hamburger U-Bahn gab es monatelang die Werbung eines alternden Gynäkologen für Schamlippenkorrektur mit dem Titel „Keine falsche Scham“. Zahnärzte werben dafür, dass bei ihnen die Wartezeit kürzer als bei Parship ist „alle 7 Minuten…“. Ärzte dürfen auf ihren Websites Werbung für unsinnige Leistungen machen, die die Patentinnen selber bezahlen müssen wie Krebsvorsorge Plus, Anti-Aging-Medizin u. ä., was nur den Anbietern und den Herstellern nützt.
Aber die Information über die Tatsache, dass eine Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchführt, soll als Werbung verhindert werden.
Nachdem die Diskussion diese Absurdität deutlich gemacht hatte, gab es im Bundestag eine Mehrheit für die Streichung des §219. Aber der SPD war das Thema keinen Koalitionskrach wert. Wahrscheinlich haben die SPD-Ministerinnen wirklich hart gerungen – allein sie bissen bei der CDU auf Granit. Um es auf den Nenner zu bringen: Die Frauen sind es nicht wert, eine Koalition platzen zu lassen.
Bei den Anhörungen brillierten die diversen Gutachterinnen und Betroffenen in ihren Beiträgen über das Recht auf Zugang zu Informationen und der ärztlichen Pflicht zu umfassender Aufklärung. Die Verfassungsmäßigkeit des Paragrafen wurde deshalb in Frage gestellt. Das einzige Argument der Gegner und Gegnerinnen einer Änderung war: Ein Schwangerschaftsabbruch dürfte nicht „etwas Normales“ sein. Für Gefühle braucht es aber keine Gesetze.
Um der CDU entgegenzukommen, ist nun eine Veränderung des §219 herausgekommen, die nur noch als absurd bezeichnet werden kann. Wir dürfen jetzt darüber informieren, dass wir Schwangerschaftsabbrüche durchführen, dürfen aber nicht öffentlich über die Methoden von Abbrüchen informieren – das sollen „neutrale Stellen“ tun, die Ärztekammern und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Die Bundesärztekammer soll eine monatlich aktualisierte Liste führen, wer Schwangerschaftsabbrüche durchführt – bisher schaffte es die wohlmeinende zuständige Hamburger Behörde nicht, eine seit 10 Jahren bestehende Liste auf den neuesten Stand zu bringen.
Bekanntermaßen ist ein Herzstück ärztlicher Arbeit, Patienten umfassend und umfangreich zu informieren und aufzuklären – fast alle Arzthaftungsprozesse setzen bei mangelnder Information über Behandlungsfolgen an. Aber bei Schwangerschaftsabbrüchen soll dies nun nicht gelten, da sollen andere darüber informieren, worüber wir am besten Bescheid wissen und informieren müssen.
Unsere Webseite enthielt bisher den Hinweis, wir dürften nicht sagen, ob wir Schwangerschaftsabbrüche machen und schloss daran umfangreiche Informationen über Schwangerschaftskonflikte, die gesetzlichen Regelungen und auch die Methoden an. Dies war nach altem Recht zulässig. Ist das jetzt ein Verstoß gegen die neue Fassung des §219?
Die Schwarze Pädagogik des Jens Spahn arbeitet offensichtlich mit der Methode, allzu genaue Schilderungen der einfachen und schmerzarmen Methoden des Schwangerschaftsabbruches zu unterbinden. Das Verbot öffentlicher Informationen über Schwangerschaftsabbrüche seitens der Frauenärztinnen ist eine Misstrauenserklärung gegenüber diesen Ärztinnen und Ärzten und vor allem gegenüber den Frauen selbst. Die Unterstellung lautet: Der Abbruch könnte als zu leicht dargestellt werden, Frauen würden deshalb eine Schwangerschaft abbrechen lassen.
Spahn setzt damit eine bevormundende Erziehung fort, die auf absurden Annahmen beruht. Kroatische Ärzte haben beispielsweise Ausschabungen, also Abbrüche, ohne Narkose durchgeführt … offenbar in der Absicht, gegen den Stand der medizinischen Erkenntnis Abbrüche möglichst qualvoll zu machen.
Nun will der Gesundheitsminister für 5 Millionen Euro auch noch ein Syndrom erforschen lassen, das sogenannte Post-Abortion-Syndrom, das die „Lebensschützer“ erfunden haben, um Schwangeren Angst zu machen. Die Existenz eines solchen „Syndroms“ wurde schon längst durch umfangreiche Studien widerlegt. Über das seelische Befinden nach einem Abbruch entscheiden in erster Linie die Bedingungen rund um die Entscheidung und den Abbruch.
Was beworben werden darf
Parallel zur Diskussion um den § 219 wird übrigens eine Debatte geführt, ob Bluttests an Schwangeren zur frühen Diagnose von Trisomie 21 (Down-Syndrom) und anderen Chromosomenbesonderheiten von den Krankenkassen bezahlt werden sollen. Konsequenz dieser entsprechenden positiven Diagnose ist in den meisten Fällen ein Schwangerschaftsabbruch – sonst bräuchte sie nicht gestellt zu werden, weil es keine Behandlung und damit keine therapeutische Konsequenz gibt. Das ist ein riesiger Markt. Die Tests haben so schöne Namen „Präna-Test“, „Harmony“ und „Panorama“. Die Firmen streiten sich untereinander um Lizenzen. Fortwährend erhalten wir als Ärztinnen und Ärzte, aber auch Schwangere, Werbung mit dem Motto: „1 Tropfen Blut für ihre Sicherheit“.
Das ist natürlich auch von der Sache her Unsinn, weil die meisten Probleme, die Schwangere und ihre Kinder haben, andere Ursachen haben als das, was der Test suchen und finden kann. Wird das in der Schwangerenvorsorge obligatorisch, so bedeutet dies ein Screening, ein Durchleuchten mit Hilfe von Tests auf Trisomie 21 mit der unausgesprochenen Aufforderung, die Schwangere möge sich zum Abbruch entschließen. Das nenne ich Werbung für Schwangerschaftsabbruch.
Was würde Jens Spahn wohl sagen, wenn einem HIV-Behandler untersagt wäre, über Postexpositionsprophylaxe, der vorbeugenden Einnahme von Medikamenten zur Verhinderung einer Infektion, zu informieren – weil das Werbung für gefährlichen Sex unter Männern sei – und das dürfe „nichts Normales“ sein. Das traut sich vielleicht nur noch AKK im Karneval. Und keiner lacht.
Gute Zugänglichkeit von Informationen und Behandlung ist überall die beste Prophylaxe und Medizin – auch für Frauen.
Es ist wirklich alles gesagt zum Thema.
Silke Koppermann ist Frauenärztin in Hamburg und Sprecherin des Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik