Internationaler Frauentag mit bundesweiten Aktivitäten
Es ist nicht möglich, alles zu erfassen, was am vergangenen 8. März bundesweit und international stattgefunden hat. Nicht nur was die Vielzahl an Aktionen angeht, sondern auch mit Blick auf die Wirkung, die diese noch entfalten werden.
Allein die Zahl derjenigen, die an den diesjährigen Demonstrationen zum Frauen*kampftag [1] teilnahmen, sind beeindruckend. In Berlin gingen trotz Wind und Regen 25.000 Menschen in zwei Demonstrationszügen auf die Straße, in Hamburg 10.000, in Leipzig 4.000, in Frankfurt 3.500, in Köln 3.000, in München 2.500 sowie jeweils 2.000 in Freiburg und Kiel. Für jede einzelne der Städte sind dies große Zugewinne im Vergleich zum vergangenen Jahr, teils um das Doppelte oder Dreifache. Rund 70.000 dürften bundesweit an den Demonstrationen teilgenommen haben. Und dennoch: So beachtlich diese Zahlen sind, sie sind eben nur ein Teil der Geschichte.
Denn das erste Mal seit 1994 wurde in Deutschland auch dem Aufruf zu einem feministischen Streik gefolgt. Dieser beschränkte sich ganz explizit nicht nur auf die Lohnarbeit, sondern schloss ebenso die unbezahlte Sorge-, Erziehungs- und Haushaltsarbeit mit ein. Immerhin fordern Feministinnen schon seit Jahrzehnten, dass auch die unbezahlten Tätigkeiten als Arbeit anerkannt werden – und wer arbeitet, kann schließlich auch streiken.
Ein solcher Frauen*streik stößt jedoch auf Schwierigkeiten. Denn sicherlich geht es auch um sexistische Strukturen im eigenen Betrieb oder um die ungleiche Arbeitsverteilung in der (heterosexuellen) Beziehung. Der Frauen*streik kann hier Ausgangspunkt für persönliche Veränderungen sein. Viele Forderungen zielen jedoch auf eine andere Ebene. So etwa, wenn es um einen höheren Lohn in den Pflegeberufen geht, einen flächendeckenden Mindestlohn, ein Ende von Privatisierungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtursachen. Deshalb ist der Frauen*streik allem voran ein politischer Streik, das heißt, es ist eine Arbeitsniederlegung für Forderungen, die sich nicht allein an den Arbeitgeber richten. Ein solcher politischer Streik, der eben auch zu Streiks in der Lohnarbeit aufruft, ist nach weitläufiger Meinung in Deutschland nicht möglich. Erst wenn eine große Anzahl von Frauen zeitgleich ihre Lohnarbeit bestreikt, wird das Risiko für die einzelne sinken – und die Frage der Legitimität eines politischen Streiks auf die Tagesordnung gesetzt, das zeigen Beispiele aus der Geschichte. An diesem Punkt waren wir dieses Jahr noch nicht.
Es gab einzelne Arbeitsniederlegungen in Betrieben und Institutionen. Etwa in Bad Hersfeld in Hessen, wo Amazon-Beschäftigte im Rahmen ihres schon länger andauernden Arbeitskampfes spezifisch auf die Situation und Forderungen von Frauen aufmerksam gemacht haben. Oder am Maxim-Gorki-Theater in Berlin, das eine Premiere abgesagt hatte. Aber auch in Bad Tölz in Oberbayern, wo eine Tierärztin ihre Praxis schloss und zur Demonstration nach München mobilisierte. Zahlreiche Selbstständige schalteten für diesen Tag eine Abwesenheitsnotiz mit Begründungen für ihre Streikbeteiligung. In verschiedenen Orten – etwa Jena oder Freiburg – wurden kämpferische Mittagspausen und Streikcafés organisiert, auf denen Frauen auf ihre häufig prekären Lagen aufmerksam machten. Um 5 vor 12 Uhr beteiligte sich zusätzlich eine große Zahl von Frauen überall in Deutschland an einem gemeinsamen Sitzstreik, ob an öffentlichen Plätzen, vor ihrer Haustür oder ihrem Betrieb. So haben beispielsweise Beschäftigte des Klinikums in Groß-Gerau einen Sitzstreik in der Mittagspause durchgeführt.
Frauen, die ihre Sorgeverpflichtungen nicht einfach liegen lassen konnten, füllten symbolische Überlastungsanzeigen mit ihren persönlichen Geschichten aus. Sie wurden in Berlin vor dem Gesundheitsministerium verlesen und dem Pförtner übergeben. Für sie gab es auf der Demonstration in Berlin auch einen „leeren Block“. Es gibt zu viele kreative Aktionen, als dass sie alle aufgezählt werden könnten. Und nicht alle waren in den sozialen Medien zu verfolgen – wohl aber in den Nachbarschaften und Betrieben.
Doch es gibt leider nicht nur erfreuliche Nachrichten vom 8. März. So wurde dem Streiknetzwerk in Göttingen der Veranstaltungsort abgesagt. Der Eigentümer hatte den Raum kurzfristig lieber für eine kommerzielle Veranstaltung vergeben. In Freiburg und auf der Berliner Demonstration der Alliance of Internationalist Feminists wurden Teilnehmer*innen Opfer von massiver Polizeirepression, in Berlin wurden sogar Frauen festgenommen. Vor allem der Polizeieinsatz dort hat einen bitteren Beigeschmack, denn die Organisatorinnen und ein großer Teil der Teilnehmerinnen waren migrantische Frauen. Es muss Aufgabe der Bewegung sein, hier Solidarität zu zeigen über regionale Grenzen und solche der Herkunft hinweg.
Lohnarbeitsniederlegungen im großen Stil blieben in diesem Jahr noch aus. Das verhinderte jedoch nicht, dass der 8. März in seiner Breite deutlicher mit sozialen Forderungen verbunden war als in den vergangenen Jahren. Der Aufruf zum Streik, der im November 2018 auf der ersten bundesweiten Streikversammlung beschlossen wurde, enthält bereits die Verbindung von sozialen und Freiheitsrechten. Auf den beiden bundesweiten Streikversammlungen waren etwa zwei Drittel der Anwesenden Gewerkschaftsmitglieder, die meisten von ihnen befinden sich selbst in Lohnarbeitsverhältnissen. Auch in den Beiträgen der Aktiven wurde der Kampf gegen Rassismus und Sexismus selbstverständlich mit dem Kampf gegen antisoziale Kürzungspolitiken und die kapitalistische Ausbeutung des globalen Südens durch den globalen Norden verbunden. Die Berichterstattung in den Medien hat diese Fäden bisher nur spärlich aufgenommen. In der Frauen*streikbewegung jedoch sind diese Kämpfe untrennbar miteinander verwoben. Auch, weil die Akteur*innen selbst auf vielfältige und verschlungene Weise von den verschiedenen Ausbeutungs- und Diskriminierungsweisen betroffen sind. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass auf der Demonstration des Bündnisses Frauen*kampftag in Berlin Aktivistinnen von Ni una menos [2] neben den Mietenaktivist*innen von „Zwangsräumungen verhindern“ liefen, oder dass die Physio- und Ergotherapeutinnen der Charité-Tochter CPPZ gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern von Fridays for Future um 17.00 Uhr ihre Wut hinausschrien.
Die Widerstandspraxis des Streiks hat es möglich gemacht, dass sich die verschiedenen Kämpfe leichter aufeinander beziehen konnten. Doch dahinter steckt mehr als der gemeinsame Bezug auf einen Begriff. Es sind die Verhältnisse selbst, sie sich an vielen Enden erschreckend zuspitzen. In den Großstädten Deutschlands und in vielen anderen Ländern sind die Mieten für die meisten mittlerweile kaum noch bezahlbar. Die Pflege in Deutschland liegt am Boden. Es mangelt an Personal und das Personal, das da ist, wird schlecht bezahlt und gerät permanent an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit. Gewalt gegen Frauen sowie Trans- und Interpersonen nimmt zu. Die Folgen des Klimawandels führen bereits zu Dürrekatastrophen und Überschwemmungen und damit zu Hunger und Tod für unzählige Menschen. Die Kriegsgefahr wächst auch in Europa.
Wir brauchen deshalb eine starke Bewegung, die diesen Entwicklungen die Utopie einer besseren Welt entgegensetzt und die gleichzeitig genug Druck aufbauen kann, um eine andere Politik und eine alternative Wirtschaftsordnung durchzusetzen. Die Fluchtbewegungen aus Syrien oder den Ländern Nordafrikas nach Europa, die Wahl von Trump, Bolsonaro und Erdogan zu Präsidenten, aber auch die Polizeigesetzverschärfungen in einzelnen Bundesländern Deutschlands sind nur die Vorboten der kommenden Zeit, die für viele Menschen Leid und Tod bringen wird – wenn wir nichts dagegen tun.
Die Frauen*bewegung, verbunden mit dem ihr eigenen Instrument des feministischen Streiks, könnte in der Lage sein, die verschiedenen Bewegungen, die dieser Entwicklung entgegenstehen, zu verbinden. Auch deshalb, weil es eine internationale Bewegung ist. In Argentinien und Indien, in den Vereinigten Staaten und Spanien gingen Millionen von Frauen auf die Straßen. Die Wirkmächtigkeit der weltweiten Proteste am vergangenen 8. März ist noch nicht abzusehen. Viele haben das erste Mal davon gehört und stoßen gerade erst dazu. Es bedarf weiterer Analysen und Erfahrungen sowie gemeinsame Visionen. Vielerorts stehen Abwehrkämpfe zwangsläufig noch im Vordergrund. Klar ist, dass eine Bewegung auf den Weg gebracht wurde, um auf lange Sicht das ganze System, das auf Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung von Frauen und Queers beruht, zum Einsturz zu bringen. Der 8. März 2019 war erst der Anfang.
Kerstin Wolter und Alex Wischnewski sind Mitinitiatorinnen des Frauen*streik-Netzwerkes
Anmerkungen:
[1] Die Autorinnen benutzen das Gendersternchen, um deutlich zu machen, dass nicht alle Personen, die von der Gesellschaft als Frauen identifiziert werden, auch welche sein müssen, das Geschlecht nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen übereinstimmen muss.
[2] Ni Una Menos [Deutsch: Keine weniger] ist eine Initiative, die auf die strukturellen Ursachen von Frauenmorden hinweisen möchte. https://keinemehr.wordpress.com/, vor allem aktiv in Argentinien.
1 Gedanke zu „Der 8. März war erst der Anfang“
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