„Die Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen gefährdet Arbeitsplätze!“

[Märchen des Neoliberalismus Nr. 18]

Es war einmal ein ehrgeiziger bayerischer Finanzminister mit Namen Markus Söder, der genau wusste, wie man Karriere macht. In der parteieigenen CSU-Hauspostille Bayernkurier stellte er sich im September 2016 in Sachen Erbschafts- und Schenkungssteuer unmissverständlich auf die Seite des Kapitals: „Für uns ist klar: Wir wollen keine Steuererhöhung und keine Gefährdung von Arbeitsplätzen.“

Die Gefährdung von Arbeitsplätzen ist ein beliebtes Argument in Debatten um die Besteuerung von Unternehmen. Zu hohe Steuersätze auf Unternehmensgewinne etwa werden mit dem Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, mit geringeren Investitionen und mit dem Abbau von Beschäftigung in Verbindung gebracht. Auf die Spitze getrieben wird diese Argumentation, wenn es um die Erbschaftsteuer geht: Hier wird gleich die Existenzgefährdung ganzer Betriebe heraufbeschworen. Und wie nicht anders zu erwarten, fällt die Reform der Erbschaftsteuer dann auch regelmäßig ganz im Sinne der Unternehmensverbände aus – so auch 2016. Betriebsvermögen wird infolgedessen kaum oder gar nicht besteuert, vor und nach jeder Reform der Erbschaftsteuer gleichermaßen.

Dies hat unter anderem zur Folge, dass sehr große Erbschaften prozentual geringer besteuert werden als kleinere. Schließlich enthalten gerade die größeren häufig Betriebsvermögen. Aus der Erbschaftsteuer resultiert folgerichtig ein relativ geringes Aufkommen. In den Jahren 2015 bis 2017 beispielsweise lag es zwischen sechs und sieben Milliarden Euro jährlich, in der Zeit davor bei etwa vier bis fünf Milliarden Euro jährlich. Da das Volumen von Erbschaften und Schenkungen in Deutschland pro Jahr bei 200 bis 300 Milliarden Euro liegt, ist die Erbschaftsteuer kaum mehr als eine bessere Bagatellsteuer.

Dies ist umso ärgerlicher, als es eine Gefährdung von Arbeitsplätzen durch die Erbschaftsteuer auch bei hohen Steuersätzen gar nicht gibt. Das hat verschiedene Gründe: So sind Regelungen denkbar, die die Zahlung der entsprechenden Steuerschuld auch aus den laufenden Unternehmensgewinnen ermöglichen. Sie gibt es schon heute Stundungsregelungen, die eine Begleichung der Erbschaftsteuer über mehrere Jahre erlauben. Darüber hinaus wäre denkbar, dass die öffentliche Hand den Erben die Möglichkeit einräumt, zur Begleichung ihrer Steuerschuld Unternehmensanteile an den Staat zu übertragen und im Gegenzug ein Rückkaufrecht für diese Anteile zu erhalten. Aber selbst wenn Unternehmen tatsächlich ganz oder in Teilen veräußert werden müssten, würde sich die Gefahr von Arbeitsplatzverlusten keineswegs erhöhen. Schließlich gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Kinder von vererbenden Unternehmern automatisch und zwingend erfolgreichere Unternehmer werden als mögliche Käufer des Unternehmens. Tatsächlich gibt es weder in Deutschland noch in anderen Ländern nachgewiesene Fälle, in denen Unternehmen aufgrund einer hohen Erbschaftsteuerbelastung zusammengebrochen wären oder massiv Arbeitsplätze abgebaut hätten.

Das Argument von den angeblich gefährdeten Arbeitsplätzen scheint dennoch nicht totzukriegen zu sein. Der Grund dafür dürfte weniger in ihm selbst liegen als in der moralischen Aufladung der Debatte. Betriebsvermögen und seine Vererbung werden gedanklich verbunden mit idealisierenden Vorstellungen von Familienunternehmen (welch romantischer Begriff!), mit sozialer Verantwortung und mit Arbeitsplätzen vor Ort. Und nicht zuletzt steht dahinter die fixe Idee unternehmerischer Verdienste: Familienunternehmen seien entstanden und gewachsen durch kluges Wirtschaften, persönliche Risikobereitschaft und oft genug materiellen Verzicht auf Seiten großer Unternehmerfiguren. Dass die Realität in den Betrieben oft genug anders aussieht und dass die „großen Unternehmerfiguren“ das eigene Vermögen oft selbst nur geerbt haben, wird dabei gerne ausgeblendet.

Aus verteilungspolitischer Sicht stellt die mangelnde Besteuerung hoher Erbschaften ein Problem dar. Denn die Begünstigten erhalten einen leistungslosen, oft beträchtlichen Vermögenszuwachs. Reiche Erben werden so doppelt privilegiert, da sie durch ihren familiären Hintergrund meist ohnehin schon über bessere Bildungs- und damit Verdienstmöglichkeiten verfügen. Die mangelnde Besteuerung von großen Erbschaften ist denn auch einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Ungleichheit bei den Vermögen so hoch ausfällt.

Kai Eicker-Wolf ist Ökonom und arbeitet als Gewerkschafter in Frankfurt/Main. | Patrick Schreiner arbeitet als Gewerkschafter in Berlin und betreibt den Blog www.blickpunkt-wiso.de.