Der Frauenstreik: eine Machtdemonstration!

Ein besonderer Tag: der 14. Juni 2019 in der Schweiz

Deutlich mehr als eine halbe Million Frauen haben sich in der gesamten Schweiz den Frauenstreikaktionen angeschlossen. Die Beteiligung war grösser als vor 28 Jahren, beim Frauenstreik 1991. Es entwickelte sich eine Wucht, die man(n) nicht mehr ignorieren kann und der sich Wirtschaft und Politik nicht länger entziehen können. Besonders bemerkenswert war die enorme Zahl junger Frauen. Durch die monatelangen Vorbereitungen konnte die Vernetzung zwischen Frauenorganisationen und Gewerkschaften gestärkt werden. Der Druck auf die Entscheidungsträger wird anhalten; die Machtdemonstration ist ein deutliches Indiz dafür, dass sich die gesellschaftliche Stellung der Frauen ohne Wenn und Aber ändern muss. Die vielen Aktivistinnen, die in unzähligen Stunden Vorbereitungs- und Vernetzungsarbeit geleistet haben, waren sich am Abend des 14. Juni 2019 einig: Mit diesem Tag wurde Geschichte geschrieben.

Ein für die Schweiz noch nie dagewesenes Ausmass erreichte die Beteiligung an den Schlusskundgebungen. Allein in Zürich fand mit rund 160.000 Frauen und solidarischen Männern die grösste politische Einzeldemo der Geschichte statt. Ähnlich in Lausanne mit ca. 60.000 sowie in Basel und Bern mit jeweils mehr als 40.000 Menschen. Die Zentren dieser Städte wurden lahmgelegt. Mit über 10.000 Beteiligten fanden gleichermassen in den kleineren Städten Kundgebungen statt, die für diese Städte genauso historische Dimensionen haben.

Mehr Lohn! Mehr Zeit! Respekt!

«Lohn. Zeit. Respekt.», so die Forderung der Gewerkschafterinnen. Bei der Lohndiskriminierung müssen sie feststellen, dass sie zu- statt abnimmt. Die neuesten Zahlen des Bundesamtes für Statistik vom Januar 2019 lügen nicht. Die Lohndifferenzen, die nicht mit Ausbildung, Dienstjahren oder Verantwortung erklärbar sind – die Rede ist von diskriminierendem Lohnunterscheid – hat zugenommen, mit anderen Worten, die Lohnschere zwischen den Geschlechtern wird grösser. Darum werden Lohnanalysen mit Kontrollen und Sanktionen gefordert; Gesamtarbeitsverträge in Branchen mit hohem Frauenanteil im privaten Sektor müssen geschaffen werden; die Arbeit in Privathaushalten muss unter das Arbeitsgesetz gestellt werden; anständige und existenzsichernde Altersrenten ohne Erhöhung des Rentenalters für Frauen stehen auf der Tagesordnung.

Die Forderungen nach mehr Zeit und Geld für Betreuungsarbeit impliziert, dass Arbeit auf Abruf und ständige Erreichbarkeit gestoppt werden müssen; dringend nötig ist die eine allgemeine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit auf 30 – maximal 35 – Stunden pro Woche. Es hat sich gezeigt, Teilzeitarbeit für Frauen ist eine Falle. Zudem muss die öffentliche Hand in großem Umfang in den Care-Sektor investieren. Es braucht einen bezahlten Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub, die den Namen verdienen.

Jede Arbeit ist wichtig und verdient Respekt. Die Arbeit von Frauen wird oft kaum ernst genommen und respektiert. Zum Beispiel werden Verkäuferinnen, Frauen in Pflegeberufen und im Reinigungsdienst immer wieder beschimpft und respektlos behandelt. Aber auch, dass Sexismus immer noch zum Alltag von Frauen gehöre und dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen ein weltweites Problem sei – das waren allgegenwärtige Themen am Frauenstreik. Millionen von Frauen und Mädchen erleiden in Europa Gewalt, sei es zu Hause, bei der Arbeit im öffentlichen Raum. Darum brauche es eine wirksame Prävention bei sexueller Belästigung, und Mobbing und Gewalt am Arbeitsplatz wie anderswo, so die unüberhörbare Forderung: Es gelte Nulltoleranz bei Sexismus am Arbeitsplatz wie bei Gewalt an Frauen.

«Wir sind nicht mehr geduldig, wir sind entschieden!»

Frauen aus allen Gesellschaftsschichten wurden mobilisiert. Eine äusserst starke Beteiligung war bereits in den frühen Morgenstunden des 14. Juni im öffentlichen Raum erkennbar. Es wurden erste Ausrufezeichen für die Gleichstellung von Frauen und Männern gesetzt. So erstrahlte in Basel das Frauenstreik-Logo auf dem Turm der Pharma Roche. In Zürich läuteten Aktivistinnen ab Mitternacht mit einem Auto-Corso in der Langstrasse den Frauenstreik ein. Gegen 100.000 Personen beteiligten sich bis Mittag an Aktionen auf der Strasse oder in Betrieben. Beispielsweise zogen 5000 Personen an einer Kinderwagen-Demo durch Berns Gassen. Über 500 Verkäuferinnen und solidarische Kollegen verschafften sich beim Walk-Out in der Berner Marktgasse eine verlängerte Mittagspause. In der Westschweiz wurden Dutzende von Schulen und Kindertagesstätten bestreikt. In zahlreichen Firmen fanden zum Auftakt des Streik- und Aktionstages Streikkaffees und während des Tages Streikpausen statt. Tausende von Frauen machten in ihren Betrieben mit Aktionen auf die Forderungen des Frauenstreiks mit Buttons, Foulards oder violett-lila Kleider-Accessoires aufmerksam. Und in Luzern haben Mitarbeiterinnen einer Reinigungsfirma nach drei Stunden Streik einen vollen Erfolg erzielt: Sie protestierten gegen Gratisarbeit, unbezahlte Reisezeiten sowie für ein besseres Betriebsklima. Worauf der Arbeitgeber zusicherte, dass Vor- und Nachbearbeitungsarbeiten sowie die Reisezeit ab sofort bezahlt werden.

Gleichberechtigung. Punkt. Amen. Die Kirchenfrauen waren am Frauenstreik doppelt im Einsatz: Am 14. Juni beteiligten sie sich am nationalen Frauenstreik und am 15 und 16. Juni führten sie ihre Aktionen in den Kirchgemeinden und Pfarreien weiter. Mit dem Glockengeläut für Gleichberechtigung läuteten am 14. Juni um 11 Uhr die Kirchenglocken schweizweit als Zeichen gegen Gewalt an Frauen.

Wie 1991 haben sich am diesjährigen Frauenstreik auch die Bauern- und Landfrauen angeschlossen. Die Präsidentin der Landfrauen, Christine Bühler, in einem Interview: «Das Hauptproblem ist, dass die Frauen, die auf dem Hof mitarbeiten, keinen Lohn bekommen. Über die Hälfte der Bauernfrauen verdienen nichts. Das ist absolut abstossend! Eine Arbeitszeiterhebung des Bundes zeigt, dass Bauernfrauen im Schnitt 63 Stunden in der Woche arbeiten. Den Haushalt erledigen sie am Samstag und Sonntag, wie alle anderen auch. Die Bauernfrauen machen auf dem Hof nicht nur ‹ein bisschen den Garten›. Sie machen die Administration, sie arbeiten auf dem Betrieb mit und sind überall einsetzbar. Dafür sehen viele keinen Rappen. Drei Viertel der Frauen sind nicht sozialversichert. Ohne Lohn und Arbeitsvertrag gelten sie als Nichterwerbstätige. Dadurch haben sie im Alter nur die AHV [Alters- und Hinterlassenenversicherung; d. Red.] und auch dort meist das Minimum. Gar nichts an sozialer Absicherung bekommt die Bäuerin, wenn sie schwanger wird. Als Nichterwerbstätige hat sie kein Recht auf Mutterschaftsversicherung. Und wenn sie den Hof verlassen muss, kann sie nicht aufs RAV (Regionales Arbeitsvermittlungszentrum). Deshalb müssen die Frauen endlich bezahlt und sozialversichert sein. Und wichtig: Frauen müssen solidarisch sein. Es ist wichtig, dass wir zusammenstehen. Dass wir Landfrauen uns neben andere Frauen stellen und sagen: Ja, wir helfen mit, ihr braucht Lohngleichheit.»

Therese Wüthrich lebt in Bern, Aktivistin des Frauenstreiks 1991 und 2919.

Solidaritätsbotschaft für die streikenden Frauen in der Schweiz aus Bangladesch

Die Schweiz ist bekanntermaßen ein hochentwickeltes Land mit einer modernen industriellen Gesellschaft. Soweit wir wissen, haben Frauen aufgrund ihrer vielfältigen Arbeiten und Aktivitäten in der Schweiz viel mehr für das Land beigetragen als Männer. Es ist eine Schande, dass trotz der verfassungsmässigen Garantien im Land Frauen noch immer nicht die gleichen Rechte, die gleiche Bezahlung haben und Diskriminierungen sowie sexuelle Gewalt erleben. Frauen erhalten weniger Lohn für gleiche Arbeit und ihre Rente ist auch niedriger. Wir sind erstaunt, dass in einer modernen Gesellschaft wie der Schweiz Frauen als Frauen – und nicht als Menschen – behandelt werden.

Wir sind begeistert zu sehen, dass Frauen in allen Schweizer Städten am 14. Juni auf die Strasse gehen und streiken, um ihre Forderungen voranzutragen. Wir drücken unsere tief empfundene Solidarität mit euch aus, mit den Frauen in der Schweiz.

Frauen aller Länder vereinigt euch und kämpft gegen Diskriminierung und Ungerechtigkeit!

Gewerkschaft der Textilarbeiterinnen in Bangladesh (Garment Workers Unity Forum GWUF)

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