Streiks gegen Waffenlieferungen in Genua

Interview mit José Nivoi

José Nivoi ist Mitglied der Gewerkschaft Unione Sindicale di Base und Sprecher des autonomen Hafenarbeiterkollektivs CALP in Genua.

Wie haben Sie herausgefunden, dass über den Hafen von Genua Waffen verschifft werden? Und wohin sollte das Kriegsgerät gebracht werden?

Aus einer Zeitschrift erfuhren wir 2019, dass aus Le Havre ein Schiff mit Waffen in Genua einlaufen würde. Es sollte in den Jemen weiterfahren. Wir haben uns zum Streik entschieden. Seitdem haben wir viermal Waffentransporte blockiert. Als nächstes sollten Waffen über Genua und den türkischen Hafen Iskenderun nach Syrien gebracht werden. Unsere dritte Blockade richtete sich gegen eine Waffenlieferung in die Kaschmir-Region. Der vorerst letzte Versuch einer Blockade fand im Mai 2021 statt. Wir haben eher zufällig erfahren, dass wieder Waffen über unseren Hafen verladen würden, und dass Israel Raketen erhalten sollte. Zeitgleich fand die israelische Offensive „Operation Guardian of the Walls“ im Gaza-
streifen statt. Wir haben landesweit mobilisiert. Die Häfen von Neapel und Livorno haben sich uns unter dem Motto „Stoppt die Waffenlieferung nach Israel“ angeschlossen. Das waren die Höhepunkte unseres Kampfes.

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Der Milchzahntiger

Am 1. Januar 2023 wird das deutsche Lieferkettengesetz in Kraft treten

Das Lieferkettengesetz stellt einen weiteren Versuch dar, Wirtschaft und Menschenrechte in Einklang zu bringen. Die Vorgeschichte reicht weit zurück.

Schon die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ vom 10. Dezember 1948 – eine nicht bindende Resolution der Uno-Vollversammlung – beschränkte sich nicht auf die klassischen bürgerlichen Rechte wie Meinungs- und Informationsfreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, sondern enthielt wichtige wirtschaftliche und soziale Aspekte. In ihren Artikeln 22 bis 26 geht es um das Recht auf soziale Sicherheit, das Recht auf Arbeit bei gleichem Lohn, das Recht auf Bildung.

Auch über 70 Jahre nach ihrer Verabschiedung werden diese Rechte wohl in keinem Land der Erde umfassend garantiert, denn profitorientiertes Wirtschaften und die Respektierung der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte stehen zueinander im Widerspruch. Zu verbreitet ist das Prinzip der Privatisierung der Gewinne und Vergesellschaftung der Kosten.

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Die kommende Krise und ihr schwächstes Glied in der EU

Italiens Wirtschaft ist von Deindustrialisierung gekennzeichnet

Bereits vor der Wahl in Italien kamen an den europäischen Finanzzentren Erinnerungen an die Eurokrise der Jahre 2008/2009 und an die Griechenlandkrise von 2015 auf. Dabei ist deutlich: Eine Italien-Krise würde weit mehr Sprengstoff bieten als das, was wir vor rund einem Jahrzehnt erlebten.

Die griechische Bevölkerung zählt heute 10,6 Millionen – auf dem Höhepunkt der Krise waren es eine gute halbe Million mehr, wobei dieser Rückgang auch Ergebnis der Krise und der Troika-Politik als Reaktion auf diese Krise ist. Der Anteil der griechischen Bevölkerung an derjenigen der EU entspricht rund 2,4 Prozent. Noch wichtiger: Das griechische Bruttoinlandsprodukt macht nur 1,3 Prozent des EU-BIP aus. Diese Relationen bildeten eine wesentliche Grundlage dafür, dass 2015 die EU dem Land und dessen linker Regierung ein brutales Sparregime aufzwingen und Millionen Menschen in bittere Armut und Hunderttausende ins Exil treiben konnte. Eine solche Politik kann sich die EU gegenüber Italien schlicht nicht leisten. Das wurde bereits am Tag vor der Wahl deutlich, als die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, auf die Frage, ob sie „Sorgen“ wegen eines absehbaren rechten Wahlsieg in Italien habe, antwortete, die EU habe ihre „Richtlinien und Werkzeuge“. Was böse Erinnerungen an die Folterwerkzeuge aufkommen ließ, die die EU gegenüber Griechenland zum Einsatz gebracht hatte.

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Kein neuer “Marsch auf Rom”, aber fortgesetzter Demokratieabbau

Italien hat gewählt – aber welche Wahl hatte die Bevölkerung?

Nur knapp zwei heiße Sommermonate lagen zwischen dem unerwarteten Rücktritt Mario Draghis und dem Termin für Neuwahlen. Er war 2020 angetreten, um das Land durch die schwere Corona-und Wirtschaftskrise zu führen, entzog sich aber der zunehmend konfliktschwangeren Lage seines Landes am 14. Juli 2022 auf ungewöhnliche Weise: Er reichte seinen Rücktritt ein, obwohl das Parlament ihm das Vertrauen bestätigt hatte.

Da war schon absehbar, dass das rechte Lager eine Neuwahl gewinnen würde. Unterstützt wurde diese Aussicht auch durch die sofortige Weigerung des stärksten politischen Gegners, Enrico Letta (PD), ein breites Gegenbündnis aller Oppositionsparteien aufzustellen, um „die faschistische Gefahr “zu bannen. (Das nationale Befreiungskomitee CLN gegen die Nazifaschisten umfasste 1944/45 immerhin alle Kräfte von Kommunisten bis zu Monarchisten).

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Documenta fifteen

Kunstkollektive, vorwiegend aus dem globalen Süden, stellten während der 100 Tage documenta in Kassel ihre Sicht auf die großen Krisen und Probleme der Welt aus und zur Diskussion. Mehrere Menschen aus dem Umfeld der Lunapark21-Redaktion fuhren nach Kassel, wie ca. 750.000 andere, schauten, lasen, diskutierten und ließen sich auf die vielfältigen Sichtweisen der beteiligten Künstler:innen ein. Wir geben hier eine kleine Auswahl der bei unseren Documenta-Besuchen entstandenen Fotos wieder.

Joachim Römer

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Was uns alles um die Ohren fliegt

Zwei Drittel wünschen sich die Vier-Tage-Woche. Und alle: Frieden

Die vorherrschende Wirtschaftsweise ist dabei, die Grundlagen für menschliches Leben auf der Erde unwiderruflich zu zerstören. Und nein: Es geht nicht darum, dass das Leben der späteren Generationen perspektivisch zerstört wird. Es geht um das Hier und Heute, um die Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen in absehbarer Zeit.

Schon richtig: In einer allgemeinen Form schreiben wir Vergleichbares seit Jahrzehnten. Zuletzt schrieb ich vor einem Jahr an dieser Stelle, Niko Paech zitierend, dass es einen „ökosuizidale Überfluß“ geben würde, bei dem gilt: „Entweder wir ändern uns oder wir werden geändert.“ Nun hat sich in den letzten zwölf Monaten diese Perspektive nochmals zugespitzt – so auf den Ebenen Wirtschaftskrise, Krieg und Klimanotstand.

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quartalslüge III/MMXXII

„Die Royals sind unpolitisch“

Als Elizabeth II am 8. September starb, bestimmte dieses Ereignis wochenlang die westliche Medienwelt. Dabei wurden immer zwei Aspekte unterstrichen: Erstens, dass die Dame ihren Job als Königin „vorbildlich“ gemacht habe. Zweitens, dass sie, respektive die Royals, die demokratischen Institutionen respektiert und sich aus der Politik herausgehalten hätten. Das Erstere lässt sich mangels einer nachvollziehbaren Beschreibung des Jobs „Königin“ nicht befriedigend beurteilen. Das Zweite ist eine Quartalslüge.

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eingeblättert globaler lunapark

Der globale Lunapark:
das große Vergnügen
auf wessen Kosten?
das Glitzern der Verkaufsmeilen
Wer kann da noch kaufen?
das Feuerwerk über der Alster, über Hongkong und Sydney
Wer bezahlt, was da funkelt?

Rolf Becker

Klimakrise & Politik-Versagen (1)

Am 16.9. war in der Stuttgarter Zeitung zu lesen: „Die bis zu vier Kilometer dicken Eismassen in der Antarktika galten bisher als weitgehend stabil.“ Inzwischen würden „veränderte Strömungen im Südpolarmeer wärmeres Wasser“ unter die Antarktis schieben: „Sie drohen den größten Eismantel der Welt zu unterspülen, der sich über eine Fläche von der Größe der Vereinigten Staaten ausdehnt.“ Die Eismassen beginnen zu schmelzen. Es drohe ein erheblicher Anstieg des Meeresspiegels. Die Reaktion aus Politik und Wirtschaft: In derselben Zeitung wurde unkommentiert berichtet, es sei ein „Schatz im ewigen Eis entdeckt worden“. Danach lagerten unter dem eben nicht mehr „ewigen Eis“ „Erdöl- und Gasfelder in einem Gesamtumfang von bis zu 500 Milliarden Barrel Hydrogenkarbonaten“, was „fast das Doppelte der in Saudi-Arabien nachgewiesenen Reserven“ sei. Je mehr das Eis schmilzt, desto schneller sollen diese Öl- und Gasquellen von westlichen und von russischen Konzernen erschlossen werden.

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Editorial Heft 59

Liebe Leserin, lieber Leser,

in diesen Monaten, Wochen und Tagen hat man den Eindruck, dass uns immer neue verstörende und zerstörerische Dinge um die Ohren fliegen. Das Cover dieses Heftes verwendet ein Foto einer raumplastischen Nachbildung einer explodierenden Granate im Militärhistorischen Museum in Dresden.*

Hitzesommer, Waldbrände, kein Wasser im Po-Tal, Niedrigwasser im Rhein, und, ganz allgemein, das Erreichen drohender Klimakipppunkte; dann die Expansion des Ukraine-Kriegs mit neuen nuklearen Drohungen, ein türkischer Präsident, der gleich an drei Fronten (Nordirak, Rojava, Ägäis) militärisch interveniert oder zu intervenieren droht; der Sieg des rechten und neofaschistischen Lagers bei der Parlamentswahl in Italien, Inflationsrekorde, neue Rezessionsängste, drohende nächste Eurokrise…

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„Green Jobs“ müssen auch „good jobs“ sein

Grußwort der DGB-Regionalgeschäftsführerin Julia Friedrich zur Konferenz „Klimabahn“

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich darf Sie und Euch hier in unserem – wie ich finde – wunderschönen Willi-Bleicher-Haus begrüßen! Dass Sie ihre Klimabahn-Konferenz in die vermeintliche Autostadt Stuttgart legen und dazu noch in das Gewerkschaftshaus, das sind zwei willkommene und schöne Signale in die Öffentlichkeit. Und es legt die Komplexität des Themas offen: Während wir auf der einen Seite für eine Stärkung der Schiene und des ÖPNV – wie auch des Rad- und Fußverkehrs – und eine Steigerung der Lebensqualität jenseits zugeparkter Innenstädte streiten, steht der Stuttgarter Bahnhof als Mahnung, dass allein Geld in das System zu pumpen, uns in Sachen Mobilitätswende nicht weiter bringt.

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