Streiks gegen Waffenlieferungen in Genua

Interview mit José Nivoi

José Nivoi ist Mitglied der Gewerkschaft Unione Sindicale di Base und Sprecher des autonomen Hafenarbeiterkollektivs CALP in Genua.

Wie haben Sie herausgefunden, dass über den Hafen von Genua Waffen verschifft werden? Und wohin sollte das Kriegsgerät gebracht werden?

Aus einer Zeitschrift erfuhren wir 2019, dass aus Le Havre ein Schiff mit Waffen in Genua einlaufen würde. Es sollte in den Jemen weiterfahren. Wir haben uns zum Streik entschieden. Seitdem haben wir viermal Waffentransporte blockiert. Als nächstes sollten Waffen über Genua und den türkischen Hafen Iskenderun nach Syrien gebracht werden. Unsere dritte Blockade richtete sich gegen eine Waffenlieferung in die Kaschmir-Region. Der vorerst letzte Versuch einer Blockade fand im Mai 2021 statt. Wir haben eher zufällig erfahren, dass wieder Waffen über unseren Hafen verladen würden, und dass Israel Raketen erhalten sollte. Zeitgleich fand die israelische Offensive „Operation Guardian of the Walls“ im Gaza-
streifen statt. Wir haben landesweit mobilisiert. Die Häfen von Neapel und Livorno haben sich uns unter dem Motto „Stoppt die Waffenlieferung nach Israel“ angeschlossen. Das waren die Höhepunkte unseres Kampfes.

Haben die Zielorte eine Rolle gespielt für die Entscheidung, die Waffenlieferungen zu blockieren?

Wir unterscheiden nicht zwischen Bundesliga- und Zweite-Liga-Kriegen. Wir wollen Aufmerksamkeit für alle Kriege schaffen und die Bewohner Genuas über die Rolle ihrer Stadt und die Kollegen in der Gewerkschaft für die Probleme der Arbeitssicherheit durch Waffentransporte im Hafen informieren. Selbst wenn wir Hafenarbeiter die Kriege nicht aufhalten können, so können wir helfen, sie zu erschweren. Wir sind definitiv auf der Seite der Kurden im Konflikt mit der Türkei. Deshalb haben solche Lieferungen eine besondere politische Relevanz.

Die neu gewählte Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, hat sich jüngst für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Was waren Ihre Gründe, Waffentransporte zu bestreiken und zu blockieren?

Für uns trägt der Hafenarbeiter, der die Waffen vom Kai aufs Schiff lädt, genauso eine Verantwortung wie der Soldat, der schießt. Es stellt sich daher die politisch-ethische Frage, ob ich als Hafenarbeiter ein Zahnrad in der Kriegsmaschine sein will, die die Hegemonie des Westens sichert. Wir haben eine Verantwortung, und beschlossen, dass wir gegen die Waffenlieferungen sind. Es gibt aber auch eine unzweideutige Bestimmung in der italienischen Verfassung, die Waffenlieferungen in Kriegsgebiete untersagt.

Würden Sie auch Waffenlieferungen an die Ukraine verhindern?

Wir sind Antimilitaristen und keine Pazifisten. Das ist ein Unterschied. Wir glauben, dass Gewalt auch sinnvoll eingesetzt werden kann, und die Geschichte unseres Landes ist reich an Beispielen dafür. Was die Ukraine angeht, haben wir die Annäherungsversuche der Nato an die Ukraine beobachtet. Diese Annäherung hat 10.000 Ukrainern seither das Leben gekostet. Wir haben natürlich auch gesehen, wie Russland die Krim erobert hat. Seit dem Euromaidan 2014, ist bei uns die Auffassung gereift, dass wir auch gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind.

Man muss bedenken, dass wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben. Die Rüstungslobby hat durch die Milliarden, die gerade an sie fließen, ein Interesse am Krieg.

Ein anderer Aspekt betrifft die faschistischen Gruppierungen, die spätestens seit 2014 ein großes Problem sind. Wenn Italien Waffen an die Ukraine liefert, gelangen diese direkt in die Hände faschistischer Bataillone. Außerdem schießen die Rüstungsausgaben durch die Decke, während das öffentliche Bildungswesen und die soziale Infrastruktur entkernt werden und das Rentensystem in Italien auseinanderbricht.

Und schließlich entsteht durch die neue Ostgrenze zwischen Nato und Russland die Gefahr eines atomaren Weltkrieges. Deswegen müssen wir für eine diplomatische Lösung sein. Alle Interessen, russische wie ukrainische, müssen berücksichtigt werden, um die Situation zu entschärfen.

Was hat Waffentransport mit klassischen gewerkschaftlichen Anliegen zu tun?

Unfälle mit Waffen stellen eine Bedrohung für unsere Arbeitssicherheit dar und gefährden darüber hinaus die gesamte Umgebung des Hafens. Da zig Container mit Waffen in unseren Hafen kommen, unter denen sich auch große Mengen an Sprengstoff befinden, käme es bei einem Unfall zu Tausenden Toten. Zwei Arbeiterstadtteile befinden sich nur 300 Meter entfernt vom Hafen.

Wie haben Sie die Verschiffung über den Hafen von Genua behindert?

Mit politischen Streiks. Die Arbeiter haben einfach die Arbeit nicht gemacht. Beim ersten Streik haben wir versucht, mit unseren Körpern das Anlegen des Schiffs zu verhindern. Bei den anderen Streiks haben wir Blockaden zusammen mit verschiedenen politischen Organisationen der Stadt Genua errichtet.

Praktisch die gesamte Linke Genuas unterstützt uns mit Ausnahme des sozialdemokratischen Partito Democratico, der mittlerweile eine Pro-Kriegspartei ist.

Seit einem Jahr erhalten wir auch Unterstützung aus dem Bildungswesen. Wir versuchen in Zusammenarbeit mit Lehrkräften, Aufklärungsarbeit zu machen. An unseren Streiks haben Metallarbeiter, Feuerwehrmänner und Lokführer teilgenommen. Es sind keine Massen, aber es gibt Arbeiter aus verschiedenen Wirtschaftszweigen, die sich unserer Sache verpflichtet sehen.

Welche Haltung haben die anderen Gewerkschaften eingenommen?

Die CGIL, der linke Dachverband, in dem wir früher organisiert waren, ist ihrem Selbstverständnis nach pazifistisch. Doch sie sagt, dass sie sich der Rüstungsindustrie nicht in den Weg stellen könne, weil die Arbeitsplätze schaffe. CISL und UIL, die beiden anderen Dachverbände, sind für Waffenlieferungen. Unter den linken Basisgewerkschaften versteht man sich. Sie sind zwar klein, aber in dieser Frage sind wir uns einig.

Wie haben Reeder und Politik auf Ihre Aktionen reagiert?

Die großen Transportunternehmen im Hafen, wie Spinelli oder Messina, gehören Familien von Schiffseigentümern, die viele Kais betreiben. Sie sind eng mit der Politik verwoben. Ihre Antwort war Repression.

Im Februar 2021 gab es Hausdurchsuchungen. Fünfen von uns wird vorgeworfen, eine kriminelle Organisation gebildet zu haben. Die Taten, die uns zur Last gelegt werden, sind unsere Streiks, weil wir mit ihnen eine „öffentliche Dienstleistung“, sprich den Hafen lahmgelegt hätten. Einigen von uns drohen jetzt Haftstrafen.

Was ist mit den Waffen geschehen, nachdem Sie ihre Verladung verhindert hatten?

Was mit den Waffen nach der ersten Blockade passiert ist, wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass nach der zweiten die Waffen später bei Idlib in Nordsyrien genutzt wurden. Auch die Waffen, die nach Israel gehen sollten, sind eingesetzt worden.

Die politische Arbeit Ihres Kollektivs CALP (Colletivo Autonomo Lavoratori Portuali) beschränkt sich nicht darauf, Hafenarbeiter:innen zu organisieren. Sie sind engagierte Antifaschist:innen, haben den Slogan „Geschlossene Häfen für Waffen, offene Häfen für Migranten“ popularisiert und Ideen entwickelt, wie die Hafenwirtschaft CO2-Emissionen reduzieren könnte. Worin liegt für Sie die Verbindung all dieser Kämpfe?

Der Antimilitarismus hängt auch mit der Migrationsfrage zusammen. Der Westen schürt Kriege am anderen Ende der Welt und zwingt Menschen dadurch zur Flucht. Die Kriegsflüchtlinge machen dann hier die Drecksarbeit, während wir Waffen verschiffen sollen.

In den vergangenen Jahren gab es in verschiedenen Häfen Streiks oder Blockaden von Waffentransporten, so in Le Havre in Frankreich und in Bilbao in Spanien. Arbeiten Sie mit den Kolleg:innen zusammen, und gibt es gemeinsame Pläne?

Es gibt ein fast weltweites Netzwerk antimilitaristischer Hafenarbeiter. Kollegen aus Lateinamerika und den USA sind dabei. Infolge unserer Aktionen kamen Kollegen auf uns zu, haben nach unseren Erfahrungen gefragt und den Willen bekundet, ein Netzwerk zu schaffen. Hinsichtlich einer gemeinsamen weltumspannenden Aktion oder Demonstration gab es in Brüssel kürzlich eine Zusammenkunft. Dort wurde der Versuch unternommen, einen Aktionstag für den Herbst zu planen: „Gegen jeden Krieg und gegen jede Rüstungsindustrie“.

Das Interview entnahmen wir leicht gekürzt mit freundlicher Genehmigung der Jungen Welt vom 16.7.22. Die Fragen stellte Christian Strache. Übersetzung Lukas Ferrari.


Zwei Meldungen:

Abschluss in der Tarifrunde Seehäfen

Die Streiks der 12.000 Hafenarbeiter:in-
nen in den deutschen Seehäfen haben international Aufsehen erregt. Die Forderung nach einem echten Inflationsausgleich klang kämpferisch. Das Ergebnis liegt über den Abschlüssen in anderen Branchen, bedeutet aber 2023 trotzdem einen Reallohnverlust.

Vor dem Hintergrund der Krise im Lo-
gistiksektor haben nicht nur die Hafen-arbeiter:innen eine neue Machtposition. In Düsseldorf und London-Heathrow ha-
ben Flughafenbeschäftigte 18 Prozent Lohnerhöhungen durchgesetzt. Die Arbeitsbelastung bleibt jedoch bestehen, wer will schon nach der Kurzarbeit zurück in einen derart prekären, das Klima zerstörenden Sektor kommen? Viele Arbeitsstellen bleiben leer.

In den Häfen wären ähnliche Lohnerhöhungen möglich gewesen. Die jetzt vereinbarten 9,4 Prozent in der Entgeltgruppe 6 bei den Vollcontainerbetrieben im laufenden Jahr enthalten allerdings Sonderzahlungen, die nicht tabellenwirksam sind. Wie groß der Anteil der Sonderzahlung ist, wurde bisher nicht berichtet. Für Betriebe, in denen Schüttgut und andere Güter außerhalb von Containern verladen werden, beträgt die Lohnerhöhung im ersten Jahr nur 7,9 Prozent. Das könnte die Mehrheit der Beschäftigten in den Häfen betreffen. Containerterminals und Containertransport machen weltweit nicht mal ein Fünftel des maritimen Sektors aus.

Im zweiten Jahr des 24-monatigen Tarifabschlusses sollen die Löhne um 4,4 Prozent steigen und, sofern die Inflation darüber liegt, um 5,5 Prozent. Steigt die Inflation über 5,5 Prozent, gibt es eine Sonderkündigungsklausel, die eine neue Verhandlung nächstes Jahr ermöglicht. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen ist eine neue Kampfrunde nächstes Jahr mehr als wahrscheinlich.

Ver.di verlangte ursprünglich für die rund 12.000 Beschäftigten in den 58 tarifgebundenen Betrieben der Bundesländer Niedersachsen, Bremen und Hamburg einen „tatsächlichen Inflationsausgleich“ sowie eine Erhöhung der Stundenlöhne um 1,20 Euro. Bei Löhnen von derzeit knapp 15 bis 28 Euro pro Stunde hätte dies eine Steigerung um bis zu 14 Prozent bedeutet. Die Arbeitgeber boten zwei Erhöhungsschritte mit 3,2 und 2,8 Prozent sowie eine Einmalzahlung von 600 Euro an. 


Ergebnis der Krankenhaus-Streiks in NRW

Nach elf Wochen Streik haben die Beschäftigen der sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen einen Tarifvertrag Entlastung (TVE) durchgesetzt und die Blockade der Arbeitgeber durchbrochen.

Mit dem nordrhein-westfälischen TVE wird zum ersten Mal ein Tarifvertrag durchgesetzt, der mehr als nur eine Klinik oder einen Klinik-Konzern betrifft. Damit steigen die Chancen für eine bundesweite Ausdehnung des Kampfes um Entlastung im Gesundheitswesen.

Die Beschäftigten erhalten bei Unterschreitung des Personalschlüssels pro Schicht sogenannte Belastungspunkte, die mit bis zu elf freien Tagen oder zusätzlicher Bezahlung abgegolten werden müssen. Damit haben die Beschäftigten einen Hebel, um auf Personalmangel reagieren und Druck auf die Klinikleitungen ausüben zu können.

Marieke Nill, Mitglied der Streikleitung vom Kölner Uniklinikum: „Das ist vielleicht nicht der beste Tarifvertrag Entlastung der Welt. Aber wir haben einen guten Start hingelegt, das ganze System DRG* und Profit in den Krankenhäusern anzubohren.“

Entlastungstarifverträge müssen ergänzt werden durch Kampagnen zur Vergesellschaftung der Pflege, zur Enteignung privater Konzerne und zur Rekommunalisierung von Krankenhäusern.

* Das pauschalisierte Abrechnungssystem nach Fallgruppen, DRG, ist in Deutschland seit 2003 in Kraft.