»Hätte, hätte …«
Seit über zwei Jahren ist das Lieferkettengesetz – offiziell Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – in Kraft und betraf im ersten Jahr Unternehmen mit über 3000 und seit 2024 Unternehmen mit über 1000 Beschäftigten in Deutschland, das heißt zunächst zirka 900, dann 4800 Betriebe.
Zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Zeilen steht die Wahlkampf-Drohung der CDU im Raum, das deutsche LkSG wieder abzuschaffen. Das Gesetz wäre damit nicht vollkommen vom Tisch, denn Deutschland bleibt verpflichtet, das am 24. Mai 2024 verabschiedete europäische LkSG1 in nationales Recht umzusetzen. Das wird jedoch erst ab Juli 2027 und dann nur schrittweise in Kraft treten. Aber auch in Brüssel gibt es derzeit Versuche, dieses Gesetz, die Corporate Due Diligence Directive, nachträglich abzuschwächen.
Die Idee, das deutsche LkSG abzuschaffen, ist kein Alleinstellungsmerkmal der CDU. Anfang Juni 2024 dachte der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck öffentlich darüber nach, das Gesetz für zwei Jahre auszusetzen. Vier Monate später fand er deutliche Worte: Es sei – mit Blick auf das LkSG – notwendig, »die Kettensäge anzuwerfen und das ganze Ding wegzubolzen«. Vor allem die aus dem Gesetz erwachsenden »umfangreichen Berichtspflichten« für die Unternehmen identifizierte er als Problem. Man sei beim LkSG »bei guter Intention völlig falsch abgebogen«, erklärte Habeck. Doch falsch abgebogen war wohl eher der Minister selbst.
Geduldiges Papier
Erste Analysen zeigen, dass in die Unternehmensberichte zum Teil nur Text aus dem LkSG beziehungsweise den entsprechenden Handreichungen kopiert wurde. Zu dieser Schlussfolgerung kamen sowohl Studierende der Universität Greifswald, die den Diskurs ausgewählter Unternehmen analysierten,2 als auch Recherchierende des Inkota-Netzwerks und der Kampagne für Saubere Kleidung, die in einer Studie die Unternehmensberichte der Bekleidungs- und Schuhbranche überprüften.3
Insgesamt sollten die Berichte laut LkSG spätestens vier Monate nach Ende des Geschäftsjahres veröffentlicht sein. Diese Frist wurde dann bis zum 31.12.2024 und inzwischen bis zum 31.12.2025 ausgesetzt.4
Die übrigen Teile des LkSG gelten bislang jedoch unverändert. Das heißt Personen, insbesondere im globalen Süden, deren Rechte durch wirtschaftliche Aktivitäten deutscher Unternehmen entlang der Lieferkette verletzt wurden, können nach wie vor Beschwerde einlegen. Betroffene sehen sich bei der Einreichung solcher Beschwerden, deren Wirksamkeit ohnehin beschränkt ist, allerdings schwer zu bewältigenden Herausforderungen gegenüber.
Nichtregierungsorganisationen und Betroffene kritisieren, dass das Gesetz nur Bußgelder und keine Entschädigungen vorsieht. Die Geschädigten haben die Folgen von Rechtsverletzungen zu tragen, eventuelle Strafzahlungen aber fließen in den Haushalt der deutschen Regierung. Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass das deutsche Gesetz, im Gegensatz zum europäischen, nur auf das erste Glied der Lieferkette vollumfänglich anwendbar ist und die tiefer liegenden Glieder nur bei »substantiierter Kenntnis« von Verstößen in Betracht gezogen werden – ein unscharfer Begriff, der zu Unsicherheiten führt.
Intransparente Lieferketten
Kapitalistisches Wirtschaften beruht auf Wettbewerb. Das schließt ein, anderen Unternehmen Informationen vorzuenthalten, die ihnen Wettbewerbsvorteile verschaffen könnten. Folglich ist Intransparenz ein systeminhärenter Aspekt kapitalistischen Wirtschaftens. Das kollidiert mit der Absicht des LkSG: Beschwerdeführende haben Schwierigkeiten zu belegen, dass das Unternehmen, das ihre Rechte verletzt, ein deutsches Unternehmen beliefert, das unter das LkSG fällt.
Als Beispiel kann der transnationale Konzern Ternium dienen, der in Mexiko sowohl Eisenerz gewinnt als auch Stahl produziert und nach eigenen Angaben über die Hälfte des erzeugten Stahls in Mexiko selbst vermarktet, wobei die Automobilindustrie zu seinen wichtigsten Abnehmern gehört. Ternium steht wegen vermuteter Menschenrechtsverletzungen in der Kritik, und in Mexiko haben deutsche Autohersteller (BMW, Mercedes-Benz, VW und Audi) wichtige Produktionsstandorte. Doch beziehen diese Unternehmen tatsächlich Stahl von Ternium? Reichen Indizien, wie geografische Nähe und Marktanteile, um die Annahme einer Beschwerde beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) zu erreichen?
Es ist nicht klar, wer in diesem Zusammenhang die Verantwortung für den Nachweis der Lieferkette trägt – die Beschwerdeführenden? Oder muss das Unternehmen gegenüber dem Bafa als der zuständigen Behörde den Nachweis führen, dass es keine Geschäftsbeziehungen zu dem beschuldigten Lieferanten hat? Und wie wird ein solcher Nachweis vom Bafa überprüft?
Soweit bekannt, wurden (Stand Oktober 2024) 221 Beschwerden beim Bafa eingereicht, von denen 161 abgelehnt wurden. Die Mitteilung der Annahme oder Ablehnung ist jedoch die einzige Information, die Beschwerdeführende direkt erhalten. Ein paar dürftige Details zum Umgang mit den Beschwerden oder zu »anlassbezogenen Kontrollen« sind dann dem jährlichen Rechenschaftsbericht des Bafa5 zu entnehmen.
Probleme vor Ort
Ternium, vermuteter Stahllieferant der deutschen Automobilindustrie in Mexiko, gewinnt das dafür benötigte Eisenerz unter anderem in Aquila im Bundesstaat Michoacán. Mexiko ist ein Land, das sich in weiten Teilen im Würgegriff der organisierten Kriminalität befindet, wobei Michoacán eine ihrer Hochburgen darstellt. Nach vorliegenden Analysen ist der Abbau von Eisenerz in Aquila ohne das Einverständnis des dort herrschenden Kartells überhaupt nicht möglich.
Für Ternium war es zumindest nicht von Nachteil, dass im Januar 2023 die beiden Sprecher des Widerstandes der Gemeinde gegen eine Erweiterung das Abbaugebietes entführt wurden und seither nicht wieder aufgetaucht sind. Das Unternehmen bestreitet jede Beteiligung an dem mutmaßlichen Verbrechen. Doch selbst wenn die Operationen von Ternium lediglich auf dem »Einverständnis« basieren würden, dass die mit den örtlichen Gemeinden vereinbarten Pachtzahlungen von dem Kartell abgezweigt werden, wäre das eine Verletzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten.
Verantwortung
Das LkSG wurde verabschiedet, weil der Versuch scheiterte, mit einem Nationalen Aktionsplan die auf Freiwilligkeit beruhenden, im Jahr 2011 verabschiedeten Uno-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten anzuwenden, denn weniger als 20 Prozent der in Frage kommenden Unternehmen in Deutschland beteiligten sich daran. Viele nutzen die betriebswirtschaftlichen Vorteile der Globalisierung, sperren sich aber gegen die Übernahme der damit verbundenen Verantwortung für Menschenrechte und Umwelt. Wirtschaftsnahe Politiker:innen und Unternehmensverbände verunglimpfen das LkSG als Bürokratiemonster. Aber Vorschläge, wie entlang der Lieferketten mit weniger Bürokratie und mehr Effizienz den Menschen- und Umweltrechten Geltung verschafft werden kann, bleiben aus.
Peter Clausing und Dominique Eckstein arbeiten seit mehreren Jahren bei Partner Südmexikos e.V. zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte im Blick auf Mexiko. Anlässlich des Inkrafttretens der Lieferkettengesetzes erschien 2022 von Peter Clausing »Der Milchzahntiger« in Lunapark21, Heft 59/60, Seite 21; online unter https://www.lunapark21.net/der-milchzahntiger/
Anmerkungen:
1 https://lieferkettengesetz.de/pressemitteilung/eu- lieferkettengesetz-nimmt-letzte-huerde/
2 https://campus1456.uni-greifswald.de/2024/05/25/ unternehmen-menschenrechte-lieferketten/
3 https://www.inkota.de/positionen/wirkungen-lieferketten- fuer-kleidung-und-schuhe
4 https://www.bafa.de/DE/Lieferketten/FAQ/haeufig_ gestellte_fragen_node.html
5 https://www.bafa.de/SharedDocs/Downloads/DE/Lieferketten/rechenschaftsbericht_2023.pdf?__blob=publicationFile&v=4