Ansätze einer agrarökologischen Wende

Kubas Landwirtschaft am Scheideweg

Wenn über Kubas Produktion und Versorgung mit Lebensmitteln gesprochen wird, gehen die Meinungen auseinander. Dabei werden zwei Aspekte häufiger in eins gesetzt: Das Ziel, einen hohen Grad an Selbstversorgung durch die eigene Landwirtschaft zu erreichen und die Wahl der Mittel und der Organisationsformen. In der wissenschaftlichen Literatur gilt Kuba als Musterbeispiel für die Einführung effizienter agrarökologischer Anbauverfahren, bei denen der chemische Input minimiert oder ganz darauf verzichtet wird. Ob und wann Kuba den angestrebten höheren Anteil an der Selbstversorgung mit Lebensmitteln erreicht, sind noch offene Fragen. Wenn in den Medien von erneuten Rationierungen die Rede, ist, zeigt dies: Die Umstellung der Landwirtschaft vom agrarindustriellen, zentral und bürokratisch organisierten Typ zu einer dezentralen, agrarökologisch basierten Landwirtschaft ist auf dem Weg, das Ziel aber noch lange nicht erreicht.

Die als „Sonderperiode“ bezeichnete tiefe Wirtschaftskrise infolge des Zusammenbruchs des sozialistischen Lagers Anfang der 1990er Jahre ist hinlänglich bekannt. (Siehe dazu auch das Historisch-Kritische Wörterbuch des Marxismus auf den Seiten 28/29). Die Landwirtschaft wurde damals mit am härtesten getroffen. Die verfügbare Erdölmenge betrug 1992 im Vergleich zu den Jahren davor weniger als die Hälfte, für chemische Düngemittel war es nur ein Viertel und für Pestizide rund ein Drittel. Die Folgen eines so plötzlichen Wegbrechens der Kraftstoffversorgung für eine pestizid-basierte Landwirtschaft, deren Mechanisierungsgrad 1988 bei 63 Prozent lag (1970 waren es 2 Prozent), ist leicht vorstellbar.1 Die Zuckerproduktion – wichtigste Devisenquelle in der Zeit vor 1990 – halbierte sich.2 Die Kalorienversorgung war in den kritischsten Jahren der Sonderperiode auf 2.300 Kilokalorien (kcal) pro Person und Tag gesunken. Die Menschen in Kuba verlore n im statistischen Mittel neun Kilogramm an Körpergewicht. Die wirtschaftliche Erholung brauchte ihre Zeit, aber 2002 lagen die Werte wieder bei den üblichen 3.300 bis 3.400 kcal. Hinzu kam eine (angebotsbedingte) Umstellung auf gesündere und klimafreundlichere Ernährung: Ein Teil der aus tierischen Produkten bezogenen Kalorien wurde durch pflanzliche Energiequellen ersetzt. Heute sind die Kubanerinnen und Kubaner sozusagen Halb-Vegetarier: Bei etwa gleicher Kalorienbilanz wie in Deutschland beziehen die Menschen auf Kuba nur halb so viel Kalorien aus tierischen Produkten.

Diese Ernährungsumstellung, die sich in den Statistiken der Welternährungsorganisation widerspiegelt, war mit einer durch die Krise erzwungenen Umstellung auf Agrarökologie verbunden, die nicht bei allen Entscheidungsträgern auf Gegenliebe stieß. Die „Liebe“ für eine industrielle Landwirtschaft war in weiten Teilen der kubanischen Führung fest verankert. Ähnlich wie die politischen Führungen anderer real-sozialistischer Staaten, schwärmte Fidel Castro von einer Großflächenwirtschaft mit neuen Sorten, effizienteren Pestiziden, synthetischem Dünger sowie Be- und Entwässerungssystemen.2 Moisés Sío Wong, ein kubanischer General, der am agrarökologischen Wandel maßgeblich beteiligt war, berichtete, dass noch in den 1990er Jahren der Begriff „kleinbäuerliche Landwirtschaft“ im kubanischen Landwirtschaftsministerium ein Tabu darstellte.3 Die Träume von einer agroindustriellen Großflächenwirtschaft sind bei manchen Entscheidungsträgern bis heute nicht verblasst.4 Insofern gefährdeten das billige Öl aus Venezuela und die zaghafte Lockerung des U.S.-Embargos unter Barack Obama paradoxerweise die progressive Entwicklung der kubanischen Landwirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit.

Moisés Sío Wong zufolge war der heute weltweit verwendete Begriff „urbane Landwirtschaft“ im Kuba der 1990er Jahre ein „Deckname“ für die Einführung einer (vom Agrarministerium ungeliebten) kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Aller kleinflächig-agrarökologischer Anbau, der sich im Zehn-Kilometer Radius um eine Provinzhauptstadt oder im Zwei-Kilomenter Radius um eine Ortschaft mit mehr als tausend Einwohnern abspielte, wurde zur urbanen Landwirtschaft deklariert. Dabei ist diese Produktionsform auch in Kuba nicht neu, sondern hat eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Geschichte. In den 1840er Jahren gab es eine beachtliche chinesische Migration nach Kuba. Die eingewanderten Chinesen begannen mit der Kultivierung von Gemüse an den Stadträndern, welches anschließend an die Bewohner dieser Städte verkauft wurde. Auch in der neueren Zeit kam dieses Konzept nicht erst durch die Sonderperiode auf den Tisch. Bereits 1987 gab Raúl Castro, damals noch Verteidigungsminister, Überlegungen zur Förderung einer urbanen Landwirtschaft öffentlich bekannt.5 So richtig in Gang kam die Bewegung für eine urbane Landwirtschaft erst in den Jahren der Sonderperiode. Doch es dauerte bis 1997, bis sie offiziell anerkannt wurde.6 Die als urbane Landwirtschaft ausgewiesene Fläche wuchs von 257 Hektar im Jahr 1995 auf knapp 60.000 Hektar im Jahr 2004.3 Diese Entwicklung war mit einer entsprechenden staatlichen Unterstützung verbunden, sowohl was die Bereitstellung agrarökologischer Inputs (biologische Schädlingsbekämpfungsmittel, humus-produzierende Regenwürmer usw.) als auch eine entsprechende Wissensvermittlung anbetraf. In Kubas Hauptstadt, die nur knapp zwei Drittel so groß ist wie Berlin, existieren 52 landwirtschaftliche Beratungsstellen.5

Der Ausbau der Agrarökologie blieb nicht auf den urbanen Bereich beschränkt. Ein wichtiger Motor war und ist die Campesino-a-Campesino (Bauer-zu-Bauer)-Bewegung. Diese Art der agrarökologischen Wissensvermittlung, die in der Philosophie des brasilianischen Pädagogen Paulo Freire wurzelt fand zunächst in Mittelamerika Anwendung. Doch während dort – verteilt über Guatemala, Mexiko, Honduras und Nikaragua – in 30 Jahren etwa 30.000 Bäuerinnen und Bauern erreicht wurden, waren es in Kuba 100.000 in einer Dekade. Heute nehmen 85 Prozent aller kubanischen Landkreise an der Campesino-a-Campesino-Bewegung teil. Fallstudien über einen Zeithorizont von 20 Jahren belegen das produktive Potenzial agrarökologischer Anbauverfahren. Regionale Versorgung – ein Trumpf der Nachhaltigkeit und bei uns oftmals nur ein Werbeslogan – ist in Kuba vielfach Realität. Urbane Landwirtschaft ist inzwischen als permanente Form der Nahrungsmittelversorgung anerkannt.4

Das bedeutet jedoch nicht, dass Kuba zum Selbstversorger geworden ist. Bei landwirtschaftlichen Importen im Wert von jährlich 2,2 Milliarden Dollar stellt sich die Frage, ob der Jubel über die agrarökologische Wende berechtigt ist. Diese Frage ist trotz der Tatsache, dass nach wie vor 40 bis 60 Prozent der erwirtschafteten Devisen für Nahrungsmittelimporte ausgegeben werden, mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. Da ist zunächst die Tatsache, dass die Versorgung – gemessen an der Kalorienbilanz – um rund ein Drittel verbessert werden konnte. Hinzu kommt, dass der Grad der Eigenversorgung im Wesentlichen konstant blieb, obwohl Kuba zwischen 2014 und 2017 von einer Dürreperiode heimgesucht wurde, die die schlimmste seit über einem Jahrhundert war. Von den 168 Landkreisen waren 141 betroffen. Dieser Periode folgte in der zweiten Hälfte des Jahres 2017 Hurrikan Irma, mit Ernteschäden und Zerstörungen an der landwirtschaftlichen Infrastruktur in 13 vo n 15 Provinzen.4

Solche Extreme wird es in Zukunft häufiger geben. Kuba liegt in einer Weltregion, die vom Klimawandel besonders schwer betroffen sein wird. Dass agrarökologischer Anbau gegenüber klimabedingten Stresssituationen wesentlich anpassungsfähiger ist, belegen inzwischen zahlreiche Studien. Derzeit sind etwa 70 Prozent der kubanischen Böden degradiert, teils durch die agrarindustrielle Vorgeschichte, teils durch Extremwetterlagen. Die Gegenstrategien lauten Humusanreicherung und „Waldlandwirtschaft“ – eine Kombination aus Ackerbau und Forstwirtschaft unter Verwendung dafür geeigneter Baum- und Straucharten. Beides trägt zur Bodenverbesserung und zu einem besseren Wasserhaushalt bei.

Trotz der geschilderten staatlichen Unterstützungsmaßnahmen fehlt bislang eine kohärente Regierungspolitik, um den agrarökologischen Wandel zu Ende zu bringen. Einer 2018 publizierten Studie zufolge strebt das Agrarministerium unverändert nach einer Normalisierung und Liberalisierung der Handelsbeziehungen mit den USA. Das verhindert bislang, dass Selbstversorgung und Agrarökologie zum dominierenden Modell der kubanischen Landwirtschaftspolitik wurden.7 Vieles passiert an der Basis und wird nur halbherzig unterstützt.

Dr. Peter Clausing ist Agrarwissenschaftler und Toxikologe. Er publiziert regelmäßig zu beiden Themenbereichen.

Anmerkungen

1 Hanon, I. (2020): Cuba, agriculture and socialist renewal. International Journal of Cuban Studies 12: 196-227.

2 www.fao.org/faostat/en/#data/CL

3 Choy, A., Chui, G., Wong, M.S. (2005): Our history is still being written. The story of three Chinese-Cuban generals in the Cuban revolution. Pathfinder Press.

4 Oxfam (2021): Scaling sustainable agriculture. The farmer-to-farmer agroecology movement in Cuba. https://oxfamilibrary.openrepository.com/bitstream/10546/621118/1/cs-farmer-agroecology-moevement-cuba-140121-en.pdf

5 FAO (2015): La agricultura urbana y periurbana en América Latina y el Caribe: Compendio de estudios de casos. http://www.fao.org/ag/agp/greenercities/pdf/Compendium.pdf

6 Gonzales-Corso, M.A. (2017): Urban Agriculture and Economic Change in Cuba. Journal of Socio-Economics in Agriculture 10: 13-25.

7 Fernandez, M. u.a. (2018): New opportunities, new challenges: Harnessing Cuba’s advances in agroecology and sustainable agriculture in the context of changing relations with the United States. Elementa 6 (76) 1-27.


meldungen kuba

Corona und Kuba (1)

Kuba hat bereits im Januar 2020 auf Corona reagiert. Kubanische Spezialisten reisten damals nach China, um vor Ort zu helfen. Seit Anfang März 2020, als man in Deutschland Nase-Mund-Schutz-Masken noch als unnötig bezeichnete, werden in Kuba alle einreisenden Personen getestet. Am 11. März wurden bei der Einreise drei italienische Touristen als Corona-positiv identifiziert. Am 24. März wurden die Grenzen für nicht im Land ansässige Menschen geschlossen – und damit der Tourismus, eine wichtige Einnahmequelle des Inselstaats, eingestellt (Seit November 2020 gibt es wieder einen begrenzten, jedoch mit erheblichen Auflagen verbundenen Tourismus). Am 20. März gab es einen landesweiten Lockdown, der auch den gesamten Verkehrssektor und große Teile der Wirtschaft erfasste. Ein umfassendes staatliches Hilfsprogramm für Arme und Infizierte trat in Kraft (mit der Gratis-Lieferung von Lebensmitteln und Medizin nach Hause).

Die beeindruckenden Ergebnisse: Bis zum Jahresende 2020 gab es in Kuba nur 146 Corona-Tote, was 1,3 Toten auf 100.000 Menschen entspricht. Zum Vergleich: Im nach Einwohnern gleich großen und unvergleichlich reicheren Schweden gab es im selben Zeitraum 8727 Corona-Tote, was 84,7 Corona-Toten je 100.000 Einwohnern entspricht. Wenn man einen Inselstaat als Vergleich wählen will, dann wie folgt: In Irland waren es bis zum 31. Dezember 2.237 Corona-Tote, wobei die Bevölkerung Irlands nur 43 Prozent der kubanischen ausmacht. Die allein aufschlussreiche Vergleichszahl lautet: 45,7 Corona-Tote je 100.000 Einwohner in Irland oder eine im Vergleich zu Kuba 35,2-fach größere Opferzahl (Bevölkerung in der Republik Irland: 4,9; auf Kuba: 11,2 Millionen).

Corona und Kuba (2)

Der Einsatz kubanischer Ärztinnen, Ärzte und anderem medizinischen Personal in der Welt ist legendär. Bis August 2020 waren allein zur Bekämpfung der Corona-Epidemie 3700 Menschen aus den kubanischen medizinischen Brigaden Henry Reeve in 35 Ländern, darunter in Norditalien, zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie im Einsatz. Insgesamt sind in der Regel rund 50.000 medizinische Fachkräfte aus Kuba in bis zu 60 Ländern im Einsatz. 2020/21 sind es wegen der Bekämpfung der Epidemie im eigenen Land deutlich weniger.

Corona und Kuba (3)

Bei der medizinischen Behandlung von Corona und insbesondere bei der Vorbeugung setzt Kuba weit mehr als wohl alle anderen Länder auf Medikamente. Eines davon heißt Heberon. So wurden in Kuba Menschen, die sich mit dem Virus infiziert hatten, meist mit diesem, in Kuba selbst entwickelten Medikament behandelt. Dadurch wurde die Sterblichkeitsrate auf rund ein Drittel reduziert. In Wuhan erhielt ein Teil des chinesischen medizinischen Personals das kubanische Medikament vorbeugend verabreicht. Von denen, die das Mittel erhalten hatten, infizierte sich niemand, während sich bis zu 50 Prozent der dort im Einsatz befindlichen Ärztinnen und Ärzte infizierten, denen das vorbeugende Mittel nicht verabreicht wurde.

Darüber hinaus verfügt Kuba inzwischen über zwei hochwirksame Impfstoffe gegen Corona – „Soberana“ und „Soberana 2“, entwickelt in Kooperation des Finlay-Impfinstituts, dem Zentrum für Molekulare Immunologie und der Universität von Havanna. Die beiden Impfstoffe befinden sich in unterschiedlichen Studien-Phasen und könnten im März/April 2021 in den ersten Ländern Zulassungen erhalten. Kuba will im laufenden Jahr mehr als 100 Millionen (!) Impfdosen im Land selbst produzieren – und einen größeren Teil davon auch ärmeren Ländern zur Verfügung stellen.

Informationen nach: amerika21.de; UZ (DKP) vom 15.1.2021; Bericht von Klaus Piel in: Cuba libre, Heft 1/2021; siehe: https://www.fgbrdkuba.de/cl/cuba-libre.php