Die Debatten um den deutschen Außenhandelsüberschuss führen in die Irre
Es hängt von vielen Umständen ab, welche Themen in der öffentlichen Debatte aufgegriffen werden. Die deutsche Presse bietet anlässlich des Frühjahrstreffen des IWF eine Neuauflage der Diskussion um den deutschen Überschuss im Außenhandel: Zu hoch oder gerade richtig? Gerechtfertigt oder nicht? Erfolgsprämie oder Risikofaktor? Auf dem Markt der Meinungen ist alles im Angebot, auch die parlamentarische Linke beteiligt sich.
Weniger Widerhall hat das Thema gefunden, das der IWF selbst zum Gegenstand einer ausführlichen Untersuchung gemacht hat: der globale Rückgang der Lohnquote (Kapitel 3 des World Economic Outlook, April 2017). Über Jahrzehnte hatten Ökonomen wie Politiker an dieser Stelle gern auf eine Bemerkung von John Maynard Keynes zurückgegriffen, wonach die Konstanz der Lohnquote „eines der überraschendsten, aber am besten bestätigten Fakten in der ganzen Wirtschaftsstatistik“ sei. Einige Zeit wurde das zitiert, um Ansprüchen von Beschäftigten entgegenzutreten: Ihr könnt nicht mehr verlangen, das geht einfach nicht. Es wurden dann dazu passende Theorien entwickelt, etwa dass „die Lohn-Preis-Spirale“ übermäßige Lohnsteigerungen durch verminderte Kaufkraft bestrafen würde. Später wurde gern auf Keynes verwiesen, um Sorgen über stagnierende, ja sinkende Einkommen entgegen zu treten: Es wird sich schon wieder alles ausgleichen, früher oder später.
Inzwischen ist es sehr viel später. Kritiker an wachsender Ungleichheit sind nicht mehr nur unter Gewerkschaftern und Linken (Der US-Wahlkampf, die Profitrate und die Arbeiterklasse, lunapark21, Heft 33) zu finden, selbst Mainstream-Ökonomen fragen nicht mehr nach dem „ob“, sondern nach dem „warum“ und die gute alte Tante New York Times berichtet darüber. Nur die deutsche Öffentlichkeit kriegt das nicht so richtig mit, nicht einmal, wenn der IWF es aufschreibt.
Da ist es kein Wunder, dass auch der aktuelle Bericht des IMK, des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, auf die simple Aussage reduziert wird, dass bei höheren Löhnen der Außenhandelsüberschuss nicht (ganz) so hoch ausgefallen wäre. Damit ist der Kern ihrer Analyse aber verkannt, die in den Lohnstückkosten gerade nicht die alleinige Erklärung für den deutschen Außenhandelserfolg sieht: Neben den Lohnstückkosten und den Investitionen in konstantes Kapital gehört auch noch die Betrachtung des Gewinnanteils zu einer Analyse der Preisentwicklung. Schon 2012 haben Georg Feigl und Sepp Zuckerstätter eine solche Untersuchung für verschiedene europäische Länder vorgelegt. Ihr Ergebnis: ein Preisanstieg trotz stagnierender Lohnstückkosten ist auf gestiegene „Gewinnstückkosten“ zurückzuführen: Mehr Profit statt Preissenkung!
Aber die deutsche Öffentlichkeit ist ein zutiefst biedermeierliches Milieu. Sie redet nicht gern über Klassen und Verteilungskämpfe. Sie spekuliert lieber folgenlos über die Nachhaltigkeit deutscher Überschüsse und den möglichen Unwillen auf Seiten Donald Trumps oder der EU-Partner. Also bleibt uns nichts weiter, als dafür zu arbeiten, dass auch aus diesem Biedermeier endlich ein „Vormärz“ wird.