Enteignet Bezos!

Der Axel Springer Verlag ehrt zum 1968er Jubiläum den Amazon-Boss

Am 24. April 2018 verleiht der Springer Medien-Konzern dem Amazon-Boss Jeff Bezos den „Axel Springer Award“. Friede Springer, Hauptaktionärin des Konzerns und Witwe des Pressezaren Axel Cäsar Springer, und Matthias Döpfner, Miteigentümer des Konzerns und Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, geben sich die Ehre als Gastgeber im „Journalisten-Club von Axel Springer“ in Berlin. Die Laudatio auf Bezos hält John Elkann, Verwaltungsratspräsident des Fiat-Konzerns. Aufschlussreich bei diesem Event, das Springer als „An Evening for Jeff Bezos“ bezeichnet, ist, wer hier wen ehrt und welcher Zeitpunkt für die Ehrung gewählt wird.

Liga der Superreichen und Supermächtigen. Friede Springer ist Milliardärin; sie liegt aktuell auf Rang 27 der reichsten Deutschen und verfügt über ein Vermögen von 4 Milliarden Euro. Döpfner wird mit einem Vermögen von 150 Millionen Euro gelistet. Mit Bezos wird der derzeit reichste Mensch der Welt geehrt. Allein die jüngste Steigerung des Bezos-Reichtums ist spektakulär: Im Juli 2017 rangierte Bezos erstmals auf Rang 1 der Welt-Reichsten-Liste von Forbes, vor Bill Gates. Im März 2018 wird sein privates Vermögen bereits auf 130 Milliarden US-Dollar geschätzt. Der Festrender John Elkann wiederum zählt als Teil der Agnelli-Familie ebenfalls zum Club der Milliardäre. Döpfner, Bezos und Elkann sind regelmäßige Teilnehmer an den Bilderberg-Konferenzen, einem Stelldichein der Reichsten, Mächtigsten und Einflussreichsten.[1]

Eliten-Verständnis und menschenverachtende Ideologie. Der Springer-Konzern zählt heute zu den wichtigsten Medienkonzernen in Europa. Dabei tragen die digitalen Aktivitäten zu zwei Drittel des Umsatzes bei. Springer ist (u.a. mit Bild, Welt, BZ, Bild am Sonntag, Welt am Sonntag, Auto-Bild, Sport-Bild, Bilanz, Rolling Stone) auch im deutschen Printbereich einer der wichtigsten Medienkonzerne. Springer baut seine Medienmacht europaweit aus – in Osteuropa im Verbund mit dem Ringier-Verlag.

Das Wirken des Springer-Konzerns ist manipulativ, oft rassistisch und totalitär. Das wurde unter anderem von Günter Wallraff aufgedeckt, der 1977 mehrere Wochen lang verdeckt bei Bild als Journalist arbeitete.[2] Das wurde in den Jahren 2014/2015 mit der rassistischen Anti-Griechenland-Kampagne der Springer-Medien, damals angeführt von Bild, dokumentiert. Die „Grundsätze“, auf die sich Springer-Medienleute verpflichten müssen, sind eine ideologische Festlegung auf Neoliberalismus, Pro-Israel-Propaganda und Nibelungentreue gegenüber den USA.[3]

Jeff Bezos wiederum ist mit Amazon auf globaler Ebene die mediale Weltmacht schlechthin. Sein Internetkonzern hat inzwischen 300 Millionen Kundinnen und Kunden. Ihm geht es um maximalen Konsum und um maximale Kontrolle über möglichst viele Daten und damit über Millionen Menschen. Wer auf einem Kindle etwas liest – Amazon registriert dies. Wer dort etwas anstreicht – Amazon wertet dies aus. Wer eine Taucherbrille kauft, bekommt eine Werbung für Flossen oder Sonnencreme auf das Smartphone geliefert. Bezos erwarb 2013 mit der Washington Post die zweitwichtigste Zeitung der USA. Seine ersten Aktivitäten dort waren die Kürzung der Betriebsrenten, die Ausrichtung des Unternehmens auf Internet und Digitalisierung und die Herabstufung des klassischen Journalismus´.[4]

Amazon beschäftigt weltweit inzwischen 540.000 Menschen. Der Konzern ist strikt antigewerkschaftlich ausgerichtet (wogegen Verdi und viele Amazon-Beschäftigte immer wieder neu und mutig ankämpfen). Es überwiegen Billiglöhne; es herrscht Lohndumping. Bei Amazon gibt es ein menschenverachtendes Arbeitsregime, bei dem jeder einzelne Beschäftigte bei seinen Tätigkeiten systematisch kontrolliert wird. Die New York Timesveröffentlichte 2015 einen umfassenden Bericht über die Situation der Amazon-Beschäftigten in den USA. In diesem wird Bezos beschuldigt, in seinem Konzern ein nahezu totalitäres Regime zu errichten, um ständig eine maximale Ausbeutung der Arbeitskraft zu gewährleisten. Menschen, die ein Krebsleiden haben, Frauen mit Kindern und generell ältere Menschen würden dabei systematisch degradiert und vielfach aus dem Unternehmen gedrängt.[5] Bezos hat seinem Konzern eine eigene Arbeitswelt-Sprache aufgedrückt. Er verpflichtet sein Personal auf 14 „Führungsprinzipien“, die diesen Totalitarismus der Amazon-Welt und die Pflicht zur absolute Verausgabung von Arbeitskraft im Dienste der Bezos-Macht-Maschine zum Ausdruck bringen.[6]

Eine Preisverleihung zum zynisch-richtigen Zeitpunkt Vor 50 Jahren, am 11. April 1968, wurde der führende Kopf der Außerparlamentarischen Opposition und des Sozialistischen Deutschen Studentenverbandes (SDS), Rudi Dutschke, in Westberlin bei einem Mordanschlag schwer verletzt. Zu der Tat hatten die Springerblätter kaum verhüllt aufgerufen. Dutschke wurde dort als „Polit-Gammler“ tituliert; es gab Springer-Schlagzeilen wie „Unruhestifter unter Studenten ausmerzen!“ An der Spitze des Redaktionellen Beirats des Springer-Imperiums, in dem sich alle Chefredakteure der Springer-Zeitungen regelmäßig absprachen, stand damals mit Horst Mahnke ein ehemaliger SS-Hauptsturmführer, der in Russland an Massakern unter der „jüdischen Intelligenz“ beteiligt war. Soviel zum Thema „Unterstützung für das jüdische Volk“; einer der Springer-„Grundsätze“.[7]

Als Reaktion auf den Mordanschlag auf Rudi Dutschke gab es bundesweit Demonstrationen und Blockade-Aktionen vor Springer-Häusern, so auch vor dem Springer-Hochhaus in der Kochstrasse (die 2008 in einem Teilbereich in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt wurde). Die Demonstrierenden skandierten „Bild hat mitgeschossen“. Einige besonders militante Aktionen hatten einen spezifischen Hintergrund. Vor Ort, am Springer-Hochhaus, war ein Mann, der in einem Weidenkorb ein Dutzend Molotow-Cocktails herangeschafft hatte. Sein Name: Peter Urbach. Sein erst viel später bekannt gewordener Hauptberuf: Verfassungsschutz-Agent, vor Ort agent provocateur.[8]

***

Die rechte, radikale Hetze der Springer-Medien war damals so umfassend, dass SDS und APO eine Kampagne unter der Losung „Enteignet Springer“ durchgeführt hatten. Ein halbes Jahr vor dem Anschlag auf Dutschke unterzeichneten prominente Intellektuelle, darunter Heinrich Böll, Günter Grass, Max Frisch, Alexander Mitscherlich, Marcel Reich-Ranicki und Martin Walser, einen Boykott-Aufruf „gegen das Monopol von Axel Springer“. In diesem heißt es: „Der Springer-Konzern kontrolliert 32,7 Prozent aller deutschen Zeitungen und Zeitschriften.“ Weil dies „eine Einschränkung und Verletzung der Meinungsfreiheit“ und eine „Gefährdung der Grundlagen der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland“ sei, habe man „beschlossen: Wir werden in keiner Zeitung und keiner Zeitschrift des Springerkonzerns mitarbeiten. Wir erwarten von unseren Verlegern, dass sie für unsere Bücher in keiner Zeitung und keiner Zeitschrift des Springer-Konzerns inserieren.“

Notwendig ist heute ein vergleichbarer Appell bezogen auf Amazon. Richtig war vor fünfzig Jahren die Forderung: „Enteignet Springer!“. Richtig ist heute die Forderung: „Enteignet Bezos!“

Anmerkungen:

[1] In der Bilderberg-Gesellschaft gibt es Personen, die dort einen kurzen Auftritt haben und die auf diese Weise eine gewisse Duftmarke verpasst bekommen. Aus dem neuen GroKo-Kabinett waren dies z.B. Olaf Scholz (2010) und Jens Spahn (2017). Es gibt dort auch einige wenige, deutlich wichtigere Leute, deren fast regelmäßige Anwesenheit bei den Bilderberg-Treffen auffallend ist. Aus Deutschland waren und sind dies der EADS/Airbus-Chef Thomas Enders (seit 2009 in jedem Jahr anwesend) und Matthias Döpfner (anwesend 2005, 2006, 2007, 2014, 2015, 2016, 2017).

[2] Siehe Günter Wallraff, Der Aufmacher. Der Mann der bei Bild Hans Esser war, 1977 (ohne Ort; unzensierter Raubdruck).

[3] Die weltanschaulichen Grundsätze, die für jeden Springer-Mitarbeiter verbindlich sind, verpflichten u.a. dazu „Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika“ zu zeigen und sich für eine „freie und soziale Marktwirtschaft“ einzusetzen.

[4] Der IT-Leiter der Washington Post, Shailesh Prakash: „Wir sind kein Zeitungsunternehmen mehr, sondern ein kleines, aber feines Technikunternehmen.“ Die Softwareentwickler bei der Washington Post werden mit einem Jahressalär von 78.000 US-Dollar, die Reporter mit 52.000 US-Dollar entlohnt. Zitat und Angaben nach: Die Welt Kompakt vom 27. Januar 2015.

[5] Jodi Kantor and David Streifeld, Inside Amazon: Werstling Big Ideas in a Bruising Workplace, New York Times, 15th of August 2015. https://www.nytimes.com/2015/08/16/technology/inside-amazon-wrestling-big-ideas-in-a-bruising-workplace.html

[6] So müssen Amazon-Beschäftigte vom Dienst am Kunden „besessen“ sein. Siehe Florian Güßgen, Der Herr der Dinge, in: stern.de vom 16. Dezember 2017. https://www.stern.de/wirtschaft/news/amazon–wie-jeff-bezos-zum-reichsten-mann-der-welt-wurde-7784300.html

[7] Siehe ausführlich. Otto Köhler, Axel Springer lebt, in: junge Welt vom 30. April 2012.

[8] Siehe Tilmann Fichter / Siegward Lönnedonker, Kleine Geschichte des SDS, Berlin 1977, S. 127. Jutta Ditfurth, Ulrike Meinhof. Die Biografie (Berlin 2007, S.218ff) beschreibt sehr gut die Pogromstimmung, die es damals in Westberlin gab. Als Datum für die Aktion mit Urbach wird fälschlich der 1. April 1968 genannt (S.230).

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