Wenn der Geist zum Eigentum wird. Internet und Urheberrecht

Aus Lunapark21 – Heft 19

„Mein Kopf gehört mir“: So dümmlich lautete die Parole eines Aufrufs im Handelsblatt im April dieses Jahres, unter den einige deutsche „Denker, Tüftler und Dichter“ aus der Heerschar der „1 Million Kreativen“ ihre Unterschrift setzten. Es war nur eines von vielen öffentlichen Pamphleten dieses ersten Halbjahres 2012 an die Adresse der „Raubkopierer“, mit denen ihrem Treiben Einhalt geboten worden sollte.

Die Anleihe des Spruchs aus der Bewegung für den legalen Schwangerschaftsabbruch passierte wohl nicht zufällig. Im Propagandakrieg zwischen den Piraten und ihren Anhängern aus der Netzgeneration und den Urhebern und ihren Rechteverwertern setzen letztere immer mehr darauf, den ersteren ihr alternatives Image anzukratzen und sich selbst in den Status der Benachteiligten und Unterdrückten zu versetzen. Das konnte nur gelingen, wenn auch die Künstler ihre abwartende Haltung aufgaben und sich für den Schutz des geistigen Eigentums an vorderster Front engagierten. Die Gegenreformation nach den Protesten zu ACTA hat dieses Ziel erreicht.

Nichts ist kostenlos im Netz

Dass sich die „Kreativen“ lange Zeit bedeckt hielten, hängt mit den Erfahrungen all jener zusammen, die es nicht taten. Als die erste große Tauschbörse „Napster“ Ende der 1990er Jahre über 20 Millionen Nutzer verzeichnete, die sich gegenseitig gratis Musik zuschoben, deklarierten sich Superstars wie Metallica oder Dr. Dre öffentlich als Gegner dieser Entwicklung und klagten auf Schadensersatz. Das Bild der geldgierigen Musik-Millionäre, die die Internetgemeinde bedrohten, war über Jahre hinweg gefestigt. Zeitgleich wurde das Internet zur wichtigsten Plattform, um seine Werke bekannt zu machen – gegen dessen Nutzer vorzugehen, würde den eigenen Auftritt entsprechend ramponieren.

Tatsächlich ist das Gerede von „Raubkopien“ und „Diebstahl geistigen Eigentums“ schon juristisch ein beträchtlicher Blödsinn, wie dies der österreichische Richter und auf das Internet spezialisierte Jurist Franz Schmidbauer ausführt. Niemand der Rechteinhaber wird im Internet „beraubt“. Weder werden sie in den Tauschbörsen bedroht, noch wird ihnen dort Gewalt angetan. Auch als Diebstahl kann nach Schmidbauer keiner der illegalen Downloads bezeichnet werden, da dabei „nichts weggenommen wird“. Wesentlicher ist hingegen das weithin unbeachtete Phänomen, dass die „Kostenlos-Kultur“ im Netz beständig Geld einspielt und eine nicht unbedeutende Schattenökonomie erzeugt hat.

Napster ist ein stilgebendes Beispiel, wie die Arbeitskraft der Nutzer und ihre Materialien (in diesem Falle Musikdateien) aus einer einfachen Software und einem zentralen Server ein Unternehmen machten, das im Jahr 2000 100 Millionen US-Dollar an der Börse wert war. Allerdings krachte das Werk bald darauf zusammen und verursachte noch beträchtliche Kosten für den Bertelsmann-Konzern, der sich in der DotCom-Hysterie dazu verleiten ließ, Napster großzügig Gelder für Anteile zu gewähren.

Einträgliches Geschäftsmodell

Dennoch entstanden nach Napster Dutzende weitere Tauschbörsen mit zugehöriger Software, die sich oft durch Werbung finanzierte – das Hin- und Hersenden von Dateien war zum festen Bestandteil der Internetnutzung geworden. Als die Film- und Musikindustrie per Gerichtsverfahren auch diese Server in die Knie zwang, übernahmen Mitte der 2000er-Jahre die sogenannten One-Click-Hoster (OCH) das Geschäft. Dabei handelt es sich um, bildhaft gesprochen, riesige Festplatten im Internet, von denen User mit einem Klick rauf- und runterladen konnten. Am bekanntesten wurde der Fall des One-Click-Hosters megaupload.com im Besitz des legendären deutschen Internetunternehmers Kim Schmitz (der sich mittlerweile „Kim Dotcom“ nennt), gegen den das FBI aufgrund von Urheberrechtsverletzungen einschritt. In der Folge sperrten die meisten Konkurrenten in panischer Angst ihre Angebote.

Das Geschäftsmodell der Tausenden verschiedenen Online-Festplatten ist zumeist so gestrickt: Der Uploader (von zumeist Filmen, Musik, Software) erhält Vergütungen für die Anzahl der Downloads seiner Dateien. Herunterladen kann man zwar prinzipiell gratis, aber mit Einschränkungen wie Mengen- und Zeitbeschränkung und einer langsamen Geschwindigkeit. Löst man allerdings ein Abo beim jeweiligen One-Click-Hoster, sind selbst Filme in HD-Auflösung blitzschnell heruntergeladen. Ebenso wie Napster oder Facebook (darauf werden wir noch zu sprechen kommen) müssen die OCHs also keinerlei eigene Inhalte auf ihre Server legen – das erledigen die User und bekommen dafür Geld von den anderen Usern.

Es gab und gibt Zonen des Netzes, in denen gratis – ohne Wertschöpfung, etwa durch Werbung – Dateien getauscht werden. Gegenüber den kommerziellen Angeboten nehmen sie sich spärlich aus. Und selbst wenn man die Kosten des Internetanschlusses nicht in Betracht zieht, so verdient noch immer der Produzent der jeweiligen Hardware an der „Kostenlos-Kultur“ ebenso wie andere, noch mächtigere Konzerne, von denen noch die Rede sein wird.

Gesellschaftlicher Kompromiss

In Zukunft soll also dafür bezahlt werden, was in mehr als zehn Jahren in millionenfacher Form (fast) kostenlos erhältlich war. Der einhellige Tenor der Musik- und Filmbranche und der Printverlage mit den eigentlichen Urhebern im Vorfeld lautet dazu: Das Urheberrecht darf nicht verletzt, das geistige Eigentum muss geschützt werden.

Die Konstruktion des geistigen Eigentums ist in der Debatte um die Verfügbarkeit von künstlerischen und geistigen Werken im Internet mittlerweile von verschiedenen Seiten oftmals hinterfragt und in Abrede gestellt worden – nicht nur von Internet-Aktivisten und Netztheoretikern, sondern auch von prominenten deutschen Juristen auf dem Gebiet des Urheberrechts wie Manfred Rehbinder und Thomas Hoeren. Ihnen geht es vorrangig um die ihrer Ansicht nach untaugliche Analogie von Sacheigentum und dem Eigentum an Ideen und Schöpfungen bzw. den Folgen solcher Analogien. Damit ist aber noch nichts zu den politischen, philosophischen und gesellschaftlichen Hintergründen gesagt, wie und warum die Kategorie des „immateriellen“ Eigentums überhaupt auftrat.

Als sich im 17., 18. und 19. Jahrhundert nach und nach in den europäischen Nationen die Urheberrechtsgesetze ihren Weg bahnten, ging das einher mit dem Aufstieg des Bürgertums und vor allem mit der liberalen Idee des Privateigentums, die sich nun auch auf die Kunst ausweitete. Die Künstler konnten sich von den höfischen Mäzenen befreien, die Verleger emanzipierten sich in ihrer Unternehmertätigkeit ebenso von den weltlichen und geistigen Herrschern, indem sie Monopole, Willkür und Gemeineigentum durchbrachen. Das Urheberrecht fußt ebenso wenig wie die meisten anderen Rechtswerke und Gesetze auf einem ehernen Prinzip, wenn es auch ihre Proponenten heute so darstellen, sondern auf einem gesellschaftlichen Kompromiss, der im speziellen Falle die damaligen Autoren, Verleger und den Staat umfasste. Mit dem philosophischen Durchbruch des Subjekts in Kontinentaleuropa, mit Kant und Fichte, (die sich beide in ihren Schriften dem geistigen Eigentum des Autors widmeten und es verteidigten) und mit dem Geniekult im 19. Jahrhundert schlug das Pendel oft in Richtung der tatsächlichen Urheber aus. Das im angelsächsischen Raum angewandte „Copyright“ ist hingegen ein eher dem Rechteverwerter und Verleger, dem Unternehmer, zugewandtes Recht, auch wenn sich die Gesetze der einzelnen Staaten immer wieder verändert haben.

Das Recht der Kopie

Kunst war also lange in der Geschichte, wie auch Grund und Boden, ein öffentliches Gut, über das die jeweiligen Herrscher verfügten. Es wurde zum teilweisen Privateigentum mit der Besonderheit, dass dem Schöpfer des Produkts weitgehende Rechte gewährt wurden. Obwohl aus dem Liberalismus geboren, widersetzt sich das Urheberrecht einem entscheidenden liberalen Ideal: Es schränkt den freien Wettbewerb ein. Der Wirtschaftsjurist Eckhard Höffner formuliert dies so: „Damit das Urheberrecht überhaupt seinen Zweck erfüllen kann, muss es die Wirkungen eines Monopols haben. Der Markt wird mit Urheberrecht schlechter versorgt, als es ohne Monopol der Fall wäre. Und der Preis für die betroffenen Leistungen ist höher als der Preis, der sich bei freier Konkurrenz einstellen würde. Zwei essentielle Nachteile eines Monopols werden also durch das geltende Urheberrecht verwirklicht.“

Nachteilig wirkt das Urheberrecht auch überall dort, wo es eingeübte Kulturpraktiken bedroht, nämlich vor allem eine: die Kopie, die Aneignung geistiger Schöpfungen anderer. Netztheoretiker bringen gegen das Urheberrecht die „Remix-Kultur“ in Stellung und die „Prosumenten“, eine neue Generation an Lesern, Musikhörern und Filmschauern, die Kunstwerke nicht nur passiv konsumieren würden, sondern aktiv an deren Weiterentwicklung mitarbeiten möchten.

Mag sein, dass es mit der „Prosumption“ nicht so weit gediehen ist, wie es allgemein verlautbart wird. Die Kulturindustrie hat sich durch neue Verbreitungsformen nicht in ihren Spielregeln verändert. Doch tatsächlich ist die Übernahme der Ideen und Schöpfungen anderer nicht nur fixer Bestandteil jedes schöpferischen Prozesses (so auch die Niederschrift dieses Artikels), sondern auch ein notwendiger Transfer kultureller Leistungen. Hier stehen Konzerninteressen und die Interessen des „Urhebers“ oft gegen wichtige Entwicklungen.

Das Beispiel des vorher genannten Dr. Dre illustriert dieses Argument auf eklatante Weise. Als Vertreter der aufblühenden HipHop-Kultur in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre bediente er sich ganz selbstverständlich an der schwarzen Musik des Soul, Jazz und Funk. Gerade dieser „Diebstahl“ an der Musik ihrer Väter ermöglichte es den HipHop-Künstlern eine Kultur zu schaffen, die auf ihre schwarzen Wurzeln verwies und ihre politischen Botschaften gegen das weiße Establishment musikalisch unterlegte. Als Teil des Musikestablishments wetterte Dr. Dre später gegen all jene, die seine Werke kopierten. Wie Dirk von Gehlen in seinem lesenswerten Buch „Mashup. Lob der Kopie“ ausführt, kümmerte es auch die Musikindustrie recht wenig, als Elvis Presley die schwarze Musik „kopierte“, um mit ihr ein vom Copyright geschützter Star zu werden.

Korporatistisch oder individualistisch

Das Urheberrecht garantiert den Urhebern keineswegs einen bestimmten Lohn für ihre Arbeit – das regeln die Marktverhältnisse und die Machtverhältnisse zwischen Urheber und Rechteverwerter – sondern ein Persönlichkeitsrecht an ihrem Produkt. Im Journalismus ist nicht einmal das gewährleistet. Das Handelsblatt, das sich mit seiner Kampagne dem Schutz der Autoren verschrieben hat, operiert genauso wie alle großen Medien mit Buy-out-Verträgen, die den Urhebern ihr Recht am Werk wegnehmen.

Die zahlreichen öffentlichen Initiativen von Künstlern im deutschsprachigen Raum, die gegen die Piraten und den illegalen Tausch im Netz mobil machen, passieren dennoch im Schulterschluss mit den großen Medienunternehmen oder lassen zumindest jegliche Distanz zu ihnen vermissen. Ein altes Geschäftsmodell, dessen Eckpfeiler etwa die Auslagerung der (CD-)Produktion in die Dritte Welt und die Konzentration auf Bestseller und Blockbuster unter Aussparung subversiver Kunst bedeutete, wird gegen die neuen Technologien verteidigt – so wie man Standorte in Westeuropa gegen Billiglohnländer verteidigt.

Wer würde es den Urhebern auch verdenken? Weder wollen sie sich (vorgeblich kaum kontrollierbaren) technischen Entwicklungen einfach ergeben. Noch scheint das neue Geschäftsmodell des Internet-Zeitalters attraktiv. Die wenigen Künstler, die sich auf die Seite der Piraten stellen, exerzieren eine Art von Online-Ich-AG vor, die beständig um Aufmerksamkeit buhlen muss, um vom Nutzer wahrgenommen und bezahlt zu werden. „Crowdfunding“, das Betteln um Kapitalgeber für die künstlerische Arbeit, ständige Selbstvermarktung und Online-Präsenz prägen das wenig ertragreiche digitale Künstlerleben. Noch schlimmer stellen sich in bloßen Zahlen die neuen Verdienstmodelle etwa der Musikindustrie dar: Bei sogenannten Streaming-Diensten wie „Spotify“, wo die User legal auf Millionen Musiktitel zugreifen können, bleiben den Musikern teilweise nur mehr wenige Cent an Tantiemen übrig.

Die wahren Gewinner des neuen Gemeineigentums an Musik-, Film- und Textdateien sind andere. Jede Sekunde wird Facebook von seinen fast eine Milliarde Usern mit urheberrechtlich geschützten Inhalten gefüttert und mit Inhalten, die wir „für nichts quasi dem Kapital überreichen, so dass es dann seine Gewinn bringenden Spiele treiben kann, über die wir dann wiederum mit Staunen in der Zeitung lesen, obwohl es doch unser eigener sozialer Mehrwert ist, den wir hier abgestreift haben und der uns plötzlich als sagenhafter Mehrwert (…) gegenübertritt.“3 Ebenso verdient Google mit jeder Suche nach einem urheberrechtlich geschützten Bild und sein Subunternehmen YouTube mit der Weiterverbreitung von Filmen und Videos. Die Kostenlos-Kultur ist eine nicht minder durchkommerzialisierte als jene der „Content-Mafia“, schnelle Auswege aus beiden sind weder für die Urheber noch deren Publikum zu finden.

Stefan Kraft ist Verleger und Publizist in Wien. Er arbeitete jahrelang als Technologie-Journalist für Tageszeitungen und Magazine.

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