Konzern will Sendeverbot bei SWR-Reportage über Werkverträge durchsetzen
Daniel Behruzi. Lunapark21 – Heft 26
„Daimler verkauft teure Luxusautos, lässt aber für Hungerlöhne arbeiten.“ Dieser These ging der TV-Journalist Jürgen Rose in einem Beitrag nach, der im Mai 2013 erstmals im SWR ausgestrahlt wurde.
Die mehrfach preisgekrönte Reportage basiert unter anderem auf Undercover-Recherchen: Rose ließ sich als Leiharbeiter einstellen und wurde von der Werkvertragsfirma Preymesser im Mercedes-Werk Untertürkheim eingesetzt – für die gleichen Tätigkeiten, aber zu weitaus schlechterer Bezahlung als Stammkräfte des Autobauers.
Der Konzern nennt den Beitrag „manipulativ“ und geht mit einer Unterlassungsklage gegen den Sender vor. „Der Film suggeriert unrechtmäßiges Handeln auf unserer Seite und dies war nicht der Fall“, erklärte eine Sprecherin des Unternehmens auf Nachfrage. Die von Rose mit einer Mini-Kamera gefilmten Tätigkeiten zeigten „einen rechtmäßigen Fremdarbeitskrafteinsatz“ und seien „gegen das Hausrecht der Daimler AG entstanden“.
Letzteres ist das juristische Argument, mit dem der Konzern die erneute Ausstrahlung der Sendung zu verhindern versucht – obwohl er, wie die Sprecherin ausdrücklich betonte, „die Pressefreiheit für ein hohes Gut“ halte und grundsätzlich auch kritische Berichterstattung akzeptiere.
Doch in diesem Fall seien „die journalistischen Sorgfaltspflichten (…) in eklatanter Weise verletzt“ worden. Das sieht nicht nur der Sender anders, der die Behauptungen der Daimler-Spitze in einem „Faktencheck“ detailliert widerlegt (http://tinyurl.com/ng2fdwt). „Wir sind weiterhin der Überzeugung, dass die Verwendung der Aufnahmen rechtmäßig ist“, sagte SWR-Sprecher Wolfgang Utz.
Unterstützung für Rose und sein Team kommt auch von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di. Deren Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß erklärte, das Hausrecht eines Unternehmens sei sicherlich legitim. „Allerdings sehe ich das Verbot in diesem Fall nur als Vehikel, um unliebsame Berichterstattung zu vermeiden.“ Es handle sich um Missstände, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssten.
Davon ist auch Günter Wallraff überzeugt, der Anfang der 1980er-Jahre im Rechtsstreit mit der Bild-Zeitung ein Grundsatzurteil in Sachen Undercover-Recherchen erwirkte. „Im Fall von Daimler handelt es sich definitiv um gravierende Missstände“, sagte er gegenüber dieser Zeitschrift.
„Wenn ein bei Daimler eingesetzter Leiharbeiter weitaus weniger verdient als ein Stammbeschäftigter und mit Arbeitslosengeld II aufstocken muss, dann sind das Zustände, über die man berichten muss.“ Die Arbeit der SWR-Kollegen verdiene jede Unterstützung, so Wallraff. „Denn wenn das Vorgehen von Daimler wieder Schule macht, werden solche Themen der öffentlichen Auseinandersetzung entzogen. Dann können die Konzerne mit ihren Beschäftigten machen, was sie wollen.“
Der Enthüllungsjournalist – der zuletzt mit seiner RTL-Sendung „Team Wallraff“ Aufsehen erregte – führt die große Resonanz auf Reportagen über betriebliche Skandale darauf zurück, dass sich die Zustände in den Betrieben zusehends verschlechtern. „Breite Schichten der Bevölkerung sind unerträglichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Daraus erklärt sich das große Interesse an solchen Fällen, wenn sie beweiskräftig und drastisch veranschaulicht sind.“
Auch „Hungerlohn am Fließband“ sorgte für Wirbel. Das Unternehmen sah sich zu einer Überprüfung der Werkvertragspraxis gezwungen und wandelte manche Fremdverträge in reguläre Beschäftigung um.
Die IG Metall ehrte Rose und seinen Kollegen Claus Hanischdörfer mit dem Willi-Bleicher-Preis 2013. Die mit renommierten Journalisten und Wissenschaftlern besetze Jury lobte ausdrücklich das handwerkliche Vorgehen der Reporter und erklärte, sie hätten neue, extreme Ausbeutungs- und Subventionsverhältnisse offengelegt – „in einem Industriekonzern, der nach wie vor seinen Aktionären hohe Dividenden zahlt“ (http://www.willi-bleicher-preis.de/2013/preistraeger.html).
Das dürfte denn auch der eigentliche Grund dafür sein, dass Daimler die erneute Ausstrahlung des Beitrags verhindern will.
Prozesstermin Daimler gegen SWR wegen Unterlassung: Donnerstag, 31. Juli 2014, 14 Uhr, 1. Stock, Saal 155, Landgericht Stuttgart, Urbanstraße 20