Gefälligkeitsgutachten anlässlich 20 Jahre Bahnreform
Bernhard Knierim/Winfried Wolf. Lunapark21 – Heft 26
Die Deutsche Bahn AG ist bemüht, möglichst viele positive Stimmen zur Bahnreform in der Öffentlichkeit zu platzieren. Auffällig sind dabei zwei aktuelle Gutachten, die die DB AG selbst in Auftrag gegeben hat – eines bei der Unternehmensberatung Roland Berger und eines beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW).[1]
Die gründliche Auswertung der beiden Studien ergab, dass diese nicht nur wissenschaftlichen Standards widersprechen, sondern schlicht manipulativ sind, echte Fälschungen inbegriffen. Wir dokumentierten dies in einer ausführlichen Arbeit, die in vollem Umfang auf der Website von Lunapark21 wiedergegeben wird. Im Folgenden vier konkrete Beispiele, die für unser Urteil charakteristisch sind.
1. Wachstum oder Rückgang – Das Debakel des Fernverkehrs
Eines der beiden wichtigsten Ziele der Bahnreform war die Verlagerung von Personenverkehr auf die Schiene. Dazu kam es in den 20 Jahren seit der Bahnreform nicht: Der Anstieg der Bahnreisenden hielt nur mit dem allgemeinen Anstieg des Gesamtverkehrs Schritt. Der Marktanteil verharrt seit 1994 bei rund sieben bis acht Prozent. Laut IW gab es jedoch einen „soliden Anstieg“ des Marktanteils (S.66), Berger diagnostiziert ein „überdurchschnittliches Wachstum“ des Schienenpersonenverkehrsmarktes (S.79). Im Konkreten nennen die Studien dann auch nur einen maximalen Anstieg der Marktanteile von 1,1 Prozentpunkten – über 20 Jahre. Hier von einem signifikanten Anstieg zu sprechen, wenn die Zahlen von Jahr zu Jahr in der gleichen Höhe fluktuieren, ist eine sehr mutige Interpretation.
Interessanter ist allerdings eine Untersuchung der Segmente des Personenverkehrs. Denn es gab nur ein Wachstum im Nahverkehr, also dort wo mehr als 60 Prozent des Umsatzes durch staatliche Gelder finanziert werden. Nun rühmt sich die DB AG jedoch vor allem ihre Leistungen im Fernverkehr. Und sie muss dies tun. Denn rund 70 Prozent der Infrastruktur-Investitionen flossen in den vergangenen zwei Jahrzehnten in dieses Segment.
Beide Studien streifen das Thema Fernverkehr. In der IW-Studie heißt es: „Die mit der Bahnreform angestrebten Mehrverkehre wurden erreicht.“ (S. 65), bei Roland Berger: „Insbesondere stieg die Zahl der Reisenden im ICE seit 1994 mit jährlichen Wachstumsraten von durchschnittlich 8%“ (S.80).
Tatsächlich sank die Zahl der Fahrgäste im Fernverkehr als Ganzes genommen. Der ICE-Verkehr wuchs nur, weil er massiv ausgebaut und zugleich andere Fernverkehrszuggattungen noch massiver abgebaut wurden. Einen echten Crash im Fernverkehr produzierte die DB AG mit der Einstellung des Interregio-Verkehrs vor gut einem Jahrzehnt. Siehe Grafik 1.
Die Liberalisierung der Fernbusverkehre, zu der es seit dem 1. Januar 2013 kam, dürfte zu einem neuerlichen Rückgang im Schienenpersonenfernverkehr führen. Die Verantwortung dafür trägt die Bundesregierung. Allerdings hat die DB AG dieser Entwicklung nicht nur keinen größeren Widerstand entgegengestellt. Sie ist längst selbst massiv im Fernbusgeschäft vertreten, gibt eigene Schienenstrecken zugunsten neuer, eigener Fernbusverbindungen auf. Mit dem 2011 getätigten Kauf von Arriva wurde die Deutsche Bahn AG auch Europas größter Betreiber von Fernbusverkehren.
Bilanz: Es gibt keine Verlagerung von Verkehr von der Straße und aus der Luft auf die Schiene. Die Schiene konnte ihren allgemeinen Marktanteil gerade mal halten. Im gleichen Zeitraum hat der Inlandsluftverkehr seinen Marktanteil verdoppelt. Vor allem kam es im einzigen Segment, das die Bahn im Personenverkehr „eigenwirtschaftlich“ – ohne Subventionen – betreibt, zu einem deutlichen Rückgang der Fahrgastzahlen. Damit aber wird über die gewaltigen Investitionen in just diesem Bereich – im Zeitraum 1994 bis 2013 mehr als 70 Milliarden Euro – ein vernichtendes Urteil gefällt.
2. Preiswerte oder teure Bahn?
Zu den Bahnfahrpreisen heißt es in der Berger-Studie: „Die Entwicklung der Fahrpreise im Fernverkehr der Deutschen Bahn verlief im vergangenen Jahrzehnt im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern, aber auch im Vergleich zu den Nahverkehrsverbünden unterdurchschnittlich.“ (S. 93). Dies belegen die Berger-Leute mit einer an sich überzeugenden Grafik. Danach stiegen die Bahnpreise im Fernverkehr im Zeitraum 2002 bis 2012 um 15 Prozent. Bei den Verkehrsverbünden gab es einen Anstieg um 37 und im Pkw-Verkehr um 23 Prozent. Die Inflationsrate wird mit 17 Prozent angegeben. Nach diesen Angaben wurde Bahnfahren im Fernverkehr als einzige Verkehrsart – in realen Werten – sogar (etwas) preiswerter.
Diejenigen, die regelmäßig mit der Bahn fahren, wissen aus höchst praktischer Erfahrung, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Das Bündnis Bahn für Alle hat, beruhend auf den jährlichen Angaben der DB AG selbst, eine Zusammenstellung der Fahrpreiserhöhungen durchgeführt, und zwar für die Jahre 2003 bis 2013. Die Rechnung beginnt hier ein Jahr später als in der Roland-Berger-Studie, weil mit dem Jahr 2003 ein neues Preissystem für den Fernverkehr eingeführt wurde, womit eine Vergleichbarkeit der Bahnpreise in früheren Jahren erschwert wird. In der Grafik 2 werden die Preiserhöhungen seit 2003 und bis Ende 2013 dargestellt.
Über den Zehn-Jahres-Zeitraum 2003 bis 2013 gab es eine Preissteigerung von 38,6 Prozent im Fernverkehr. Dies ist eine mehr als doppelt so große Erhöhung wie die in der Roland-Berger-Studie behauptete. Diesen Preissteigerungen steht im gleichen Zeitraum eine Inflation von 19,2 Prozent gegenüber; der preisbereinigte Anstieg der Bahnpreise liegt damit bei 19,4 Prozent.
Dazu kommen noch deutlich höhere Preiserhöhungen in einzelnen Segmenten: So erhöhten sich die Kosten für Platzreservierungen um 120 Prozent (nicht in der Grafik dargestellt). Insbesondere verteuerte sich die für Vielfahrende wichtige BahnCard 50 um sagenhafte 84,7 Prozent (in der Grafik die graue Linie).
Interessant ist die Behauptung in derselben Studie, wonach die Preiserhöhungen für die Mehrzahl der Bahnreisenden noch niedriger ausfallen würden, weil „ca. 90% der Fahrgäste Ermäßigungen nutzen […] u.a. durch Bahncards […]“ (S. 94).
Tatsache ist: Wer mit einer BahnCard 50 unterwegs ist, erhält immer eine Preisreduktion von 50 Prozent auf den Normalpreis (Inhaber einer BahnCard 25 erhalten einen Rabatt von 25 Prozent). Das bedeutet: Die prozentualen Preiserhöhungen waren für diese Reisenden exakt die gleichen wie für die Menschen, die den vollen Normalpreis zahlen. Allerdings erhöhte sich der Preis für die BahnCard50 überproportional. Was wiederum das Gegenteil dessen heißt, was Berger & Co. unterstellen: Für BahnCard50-Inhaber erhöhten sich die Bahnpreise auf zwei Ebenen überproportional zur Inflationsrate: Erstens in Form der gestiegenen „normalen“ Bahnpreise und zweitens in Form einer BahnCard50, deren Preis im Zeitraum 2002 bis 2013 sich fast verdoppelte.
Bilanz: Die Bahnpreise stiegen mindestens doppelt so schnell wie von Roland Berger behauptet. Für Bahnreisende mit BahnCard50 ist die Fahrpreiserhöhung sogar noch größer. Mit der Berger-Darstellung von real sinkenden Bahnpreisen wird die tatsächliche Entwicklung ins Gegenteil verkehrt. Wir haben in der Langfassung unseres Textes mittels konkreter Preisentwicklungen bei einzelnen Verbindungen auch die Bahnpreiserhöhungen seit Beginn der Bahnreform (seit 1994) untersucht. Danach stiegen die Bahnpreise real seit 1994 in Westdeutschland um rund 50 Prozent und in Ostdeutschland um gut 100 Prozent. Unter solchen Bedingungen darf man sich nicht wundern, wenn der allgemeine Eindruck entsteht: Bahnfahren ist teuer und für viele oft unbezahlbar. Was wiederum den erheblichen Erfolgen der neuen Fernbusverkehre massiven Vorschub leistete.
3. Wurde der Trend des brutalen Belegschaftsabbau wirklich gestoppt?
In der Roland-Berger-Studie liest man: „Seit der Bahnreform sank die Mitarbeiterzahl um rund 50% auf 155000. Seit 2010 lässt sich […] eine Zunahme der Mitarbeiterzahl beobachten. Sehr deutlich zeigt sich diese Entwicklung bei der DB Netz AG. Hier ging die Mitarbeiterzahl von 56938 im Jahr 2000 auf 34020 im Jahr 2010 zurück und stieg im Jahr 2012 wieder auf 35249 an. Zwischen 2010 und 2012 gab es also eine Steigerung um 3,6%.“ (S. 97).
Die Behauptung, es gebe eine Trendwende beim Belegschaftsabbau taucht in dem Gutachten offensichtlich deshalb auf, weil es nach dem „Mainz-Desaster“ vom August 2013, als über Wochen das dortige Stellwerk nicht voll besetzt werden konnte und deswegen alle Fernzüge um den Bahnhof Mainz herum geführt werden mussten, massive Kritik an der Personalpolitik der DB AG gab. Allerdings zeigt bereits die zitierte Berger-Aussage, dass hier mit extrem kurzfristigen Teilentwicklungen argumentiert werden muss – um den allgemeinen Trend zu verdecken. Grafik 3 zeigt die langfristige Entwicklung im Personalbereich.
Danach gab es einen radikalen Abbau der Bahnbeschäftigten im Inland. 1994 waren es noch mehr als 330000. Selbst 1998 gab es noch 250000 Bahnbeschäftigte im Inland. 2012 sind es mit 165000 halb so viele wie bei Beginn der Bahnreform. Gleichzeitig wuchs die Zahl der im Ausland Beschäftigten von faktisch Null Ende der 1990er Jahre auf inzwischen rund 110000.
Seit 2010 gab es eine leichte Steigerung der inländischen Beschäftigtenzahlen. Doch das Spielchen „alter Bahnchef Mehdorn = böse // neuer Bahnchef Grube = gut“ geht dann nicht auf, wenn wir auch hier ins Detail gehen. So gab es im Zeitraum 2009 bis 2013 – also in der Ära Grube – in den Bereichen Nahverkehr (DB Regio) und Schienengüterverkehr (Railion) einen zusätzlichen Abbau von Personal.[2] Als Grube im Mai 2009 seinen Top-Job antrat, gab es im Bahnkonzern noch 19090 Triebfahrzeugführer. Ende 2013 waren es noch 18520. In einem Zeitraum mit wachsenden Verkehrsleistungen wurde also die Zahl der Triebfahrzeugführer absolut um 570 reduziert.[3] Ein anderes Beispiel: 2011, also zwei Jahre nach Amtsantritt von Grube als Bahnchef, verkündete der Bahnkonzern, man werde die Zahl der 2350 Reiseberater, die damals in noch 400 Reisezentren tätig waren, um 700 reduzieren – ein Abbau von 30 Prozent. Dabei hatte es seit Beginn der Bahnreform bereits eine Halbierung des Service-Personals gegeben. Dieses aktuelle Programm zur Schließung weiterer Reisezentren und Schalter läuft weiter.
In beiden Studien ist viel die Rede von der gesteigerten Produktivität je Mitarbeiter. Dass dies in einem erheblichen Umfang durch Verdichtung der Arbeit, also Stress, erreicht wird, ist für die zwei Unternehmer-nahen Institute kein Thema. Der Aspekt aufgelaufene Mehrleistungsstunden und offenen Urlaubstage taucht nicht auf. Tatsächlich brachten es Ende 2013 allein die Fahrdienstleiter auf 1,1 Millionen Überstunden. Es gab dabei keinerlei Verbesserung gegenüber dem Vorjahr. Beim Bordservice (Zugbegleitung) und bei der Fahrzeuginstandhaltung wuchs die Summe der aufgehäuften Überstunden sogar weiter an.[4] Die Streckenlokführer brachten es Ende 2013 gar auf zwei Millionen Überstunden – gegenüber dem Vorjahr stieg diese Summe um 200000 oder um 11 Prozent. Insgesamt gab es im Konzern Deutsche Bahn im Schienenbereich (Inland) Ende 2013 7,9 Millionen aufgelaufene Mehrleistungsstunden – auch hier waren es gegenüber dem Vorjahr 400000 oder rund 5 Prozent mehr.
Bilanz: Es gab im Bahnbereich einen massiven Belegschaftsabbau, der aus sozialer Sicht unverantwortlich ist. Mit diesem werden auch elementare Standards von Service und Sicherheit untergraben. Diese Entwicklung wurde unter Grube nicht rückgängig gemacht. In Teilbereichen setzt sie sich sogar noch fort.
4. Ist die DB AG betriebswirtschaftlich solide?
Beide Studien sehen die betriebswirtschaftliche Bilanz der Deutschen Bahn positiv: Steigende Umsätze und immer größere Gewinne. Nicht untersucht wird, wie es zu den steigenden Umsätzen kam. Tatsächlich sind diese zu mehr als der Hälfte durch drei Elemente künstlich herbeigeführt: erstens durch die Expansion im Ausland, zweitens durch die im Vergleich zur Vor-Bahnreform-Zeit höheren öffentlichen Unterstützungszahlungen und Zuschüsse für die Infrastruktur und drittens durch die ab Ende der 1990er Jahre überproportional steigenden Trassen- und Stationsentgelte, mit denen die Konkurrenzbahnen geschröpft und fatalerweise auch die Zuwächse des Schienenverkehrs deutlich gedrosselt werden.
Gleichzeitig verschweigen das Berger-Team und die IW-Leute die erheblich unterschiedliche Struktur von Umsätzen und Gewinnen, die hier in zwei Torten-Grafiken dargestellt sind (alle Zahlen für 2012).
Danach stammen die Gewinne der DB AG (= rechte „Torte“) zum ganz überwiegenden Teil aus den beiden Geschäftsfeldern Regionalverkehr (=DB Regio) und Infrastruktur (=DB Netz und Personenbahnhöfe). Es handelt sich dabei um Geschäftsfelder, in die jedes Jahr viele Milliarden an öffentlichen Zuschüssen fließen – und zwar deutlich mehr Gelder, als in diesen Bereichen nun Gewinne ausgewiesen werden. Letztlich werden also öffentliche Gelder zunächst zu DB-AG-Umsätzen und dann zu Gewinnen der DB AG Holding umgerubelt.
Und was ist mit den Gewinnen aus den Bereichen Logistik und Arriva, in die die DB AG in den letzten Jahren erhebliche Mittel für Aufkäufe im Ausland investiert hat – immer mit der Begründung, dass es um die „wirtschaftliche Weiterentwicklung des Konzerns“ gehe? Tatsächlich sind die Gewinne in diesen Segmenten höchst bescheiden und deutlich unterproportional. Letztendlich wird das Logistik- und Auslandsgeschäft durch die Gewinne im Kernbereich finanziert – und diese Gewinne wiederum kommen in erster Linie über staatliche Zuschüsse zustande.
In der Roland-Berger-Studie heißt es: „Das Ergebnis vor Steuern hat sich seit 1994 nachhaltig positiv entwickelt. Zwischen 1994 und 2012 verfünffachte es sich von 0,3 Milliarden Euro auf 1,5 Milliarden Euro. […] Auch der Return on Capital Employed (ROCE) entwickelte sich positiv.“ (S. 84)
Tatsächlich ist es aus zwei Gründen falsch, bei der Deutschen Bahn AG überhaupt von Gewinnen zu reden: Erstens weil es die beschriebenen enormen staatlichen Unterstützungszahlungen gibt, mit denen faktisch das Defizit, das der Schienenverkehr unter den gegebenen (die Schiene benachteiligenden) Verkehrsmarktbedingungen einfährt, reduziert und in einen Scheingewinn transformiert wird. Zum zweiten, weil ein erheblicher Teil des „gebundenen Kapitals“ zwar stofflich im Unternehmen existiert und „arbeitet“, aber nicht wertmäßig in der Bilanz auftaucht und somit nicht zu Abschreibungen – und damit zur Reduktion der Gewinne bzw. zu Defiziten – führt. Das gesamte Geschäftsmodell der DB AG basiert auf einer grundlegenden Täuschung: Die staatlichen Mittel für die Infrastruktur werden als Schenkungen behandelt, deren Resultate – Neubaustrecken, Ausbaustrecken, größere Instandhaltung – nicht in der Bilanz auftauchen. Damit gibt es bei diesen Investitionen keine Abschreibungen, also keine Kosten, was wiederum Gewinne „produziert“. Und in 20 oder 30 Jahren, wenn die entsprechenden neuen Strecken grundlegend saniert werden müssten, gibt es dafür dann auch keine Rücklagen.
Das sehen bürgerliche Profis durchaus auch so. In dem sogenannten PRIMON-Gutachten, das von der US-Beratungsfirma Booz Allen Hamilton mit dem Ziel verfasst wurde, die DB AG auch materiell zu privatisieren, heißt es: „In der politischen Diskussion wird wiederholt darauf hingewiesen, dass im Capital Employed in der Definition der DB AG die Baukostenzuschüsse Dritter sowie die zinslosen Darlehen des Bundes nicht enthalten sind. Dies ist betriebswirtschaftlich korrekt und aus der Perspektive der DB AG durchaus berechtigt. […] Operativ gesehen handelt es sich aber bei den genannten Positionen um wesentliche Vermögensgegenstände, insbesondere des Infrastrukturvermögens, ohne die keine Trassen vermarktet bzw. Verkehrsleistungen erbracht werden können. In das EBIT fließen demgegenüber alle mit diesen Vermögensgegenständen generierten Erlöse ein. Allein die Baukostenzuschüsse Dritter für Investitionen der DB AG addieren sich seit 1994 auf EUR 38,4 Mrd. […][5] Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht müssten zur Verzinsung dieses eingesetzten Kapitals merklich höhere Ergebnisbeiträge aufgebracht werden. Außerdem wird das EBIT der DB AG entlastet, da auf die durch Baukostenzuschüsse finanzierten Sachanlagen keine Abschreibungen zu verrechnen sind. In der Folge haben wir versucht […] eine adjustierte Berechnung vorzunehmen. Ziel ist es […] eine Art ROTCE-Ziffer (Return on TOTAL Capital Employed) zu berechnen.“
Das Ergebnis laut Booz-Allen-Hamilton: Im untersuchten Zeitraum hatte die Deutsche Bahn AG nur Verluste und nie einen Gewinn.[6] Nochmals im Klartext: In dem Gutachten, das in der Phase, als die materielle Privatisierung der DB AG auf der Tagesordnung stand, maßgeblich war und das im Auftrag der Bundesregierung erstellt worden war, wird konstatiert: Bei einer Gewinnberechnung, die sich auf das gesamte angelegte Kapital bezieht, gab es bei der Deutschen Bahn AG keine Gewinne, sondern nur Verluste.
Die beiden hier untersuchten Gutachten gehen auf diese Thematik nicht nur nicht ein. In den zwei ausführlichen Literaturlisten, die sich am Ende dieser Studien finden, taucht das PRIMON-Gutachten schlicht nicht auf, obwohl es die umfassendste Untersuchung der betriebswirtschaftlichen Daten der Bahn darstellt. Es gilt also offensichtlich: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Bilanz: Die Jahresabschlüsse, die die Deutschen Bahn AG erstellt, werden elementaren Ansprüchen für eine Bilanz nicht gerecht. In ihnen werden Gewinne ausgewiesen, die deshalb Scheingewinne sind, weil sie wesentlich auf Zuschüssen der öffentlichen Hand und aus Einnahmen resultieren, deren stoffliche Basis als Bilanzkapital gar nicht erfasst wird. Die Deutsche Bahn AG ist als gesamtes Unternehmen betriebswirtschaftlich intransparent und unsolide.
***
Ganz offensichtlich hat die Deutsche Bahn AG sich zwei Gefälligkeitsgutachten bestellt und dafür ausreichend viel bezahlt, um die gewünschten Ergebnisse zu erhalten. Die Roland-Berger-Leute und das IW-Team dehnen dabei die Grenze dessen, was wissenschaftlich noch vertretbar ist, mindestens bis zur Schmerzgrenze, indem sie Daten höchst selektiv verwenden und vielfach so interpretieren, dass sie das gewünschte Bild ergeben. Bei mehreren der untersuchten Aspekte sind wir geneigt die Frage zu stellen, inwieweit hier Fälscherwerkstätten zu Gange waren.
Dass diese Gutachten im Sinne der öffentlichen Transparenz gut angelegtes Geld sind, muss bestritten werden. Das Geld, das die DB AG dafür ausgibt, kommt letztlich auch wieder aus Steuergeldern und Fahrgeldeinnahmen, also von den Bürgerinnen und Bürgern. Dass dieses Geld so eingesetzt wird, dass sie damit bewusst für dumm verkauft werden, ist eine perfide Ironie.
Bernhard Knierim und Winfried Wolf veröffentlichten im April das Buch Bitte umsteigen! 20 Jahre Bahnreform (Schmetterling Verlag, Stuttgart; 256 Seiten, Katalog-Format, 22,80 Euro).
Anmerkungen:
[1] Puls, Thomas (2014): Markt und Staat im Schienenverkehr. Köln (Institut der deutschen Wirtschaft); Schwilling, Andreas & Stephan Bunge (2014): 20 Jahre Bahnreform und Deutsche Bahn AG – Erfolge und künftige Herausforderungen. Berlin (DVV Media Group GmbH)
[2] Im Bereich DB Regio (Nahverkehr) betrug dieser zusätzliche Abbau 1,9% (von 34145 auf 31459 Vollzeitarbeitsplätze (=VZP). Im Schienengüterverkehr (Railion) waren es 7,9% (von 34145 auf 31459 VZP; erneut im Zeitraum Ende 2009 bis November 2013). Angaben nach Daten und Fakten 2002, S. 27, und Daten und Fakten 2012, S. 10 (herausgegeben von der Deutschen Bahn AG); Monatsbericht Personal, Deutsche Bahn AG (interne Berichte; vertraulich), November 2013.
[3]3 Monatsbericht Personal, Deutsche Bahn AG (interne Berichte; vertraulich), 2/2009 & 11/2013.
[4] Beim Bordservice und bei der Fahrzeuginstandhaltung jeweils von 600000 auf 700000 Überstunden; November 2013 gegenüber November 2012.
[5] Das PRIMON-Gutachten wurde 2005 vorgelegt. Im gesamten Zeitraum 1994 bis Anfang 2014 dürften es knapp 100 Milliarden Euro sein.
[6] PRIMON-Gutachten – Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG mit und ohne Netz, erstellt von Booz Allen Hamilton, 1.3.2006, Seite 469f.