Vielfalt auch bei linken Blättern. Die Medienlandschaft in der Deutschschweiz

Aus Lunapark21 – Heft 19

Im Land der Nummernkonten, Briefkastenfirmen und Fluchtgelder, im Staat des Bankgeheimnisses, der Hochfinanz und Rohstoffhändler (siehe Lunapark 18), in der kleinbürgerlich-bäuerlich geprägten Gesellschaft mit ihrer Allparteienregierung, ihren Vorbehalten und der niedrigen Arbeitslosigkeit – in diesem Gebilde also, wo immer noch viel Milch, Schokolade, Honig und Käse zu fließen scheinen: Kann es da überhaupt eine Linke geben? Und mit ihr auch linke Publikationen?

Die Antwort mag Außenstehende verblüffen. Aber die Schweiz ist längst nicht so durchweg konservativ, wie viele glauben. Die schweizerische SPS ist – im Unterschied zur SPD, zur SPÖ oder zu Labour in Großbritannien – noch immer einer sozialdemokratische Partei mit linken Ansätzen. Die grüne Partei der Schweiz (GPS) vertritt soziale Positionen, die die deutschen Grünen schon lange aufgegeben haben. Die Gewerkschaften (inklusive des Dachverbands SGB) verfolgen teilweise einen klassenkämpferischen Kurs. Und selbst Volksabstimmungen kann die Ökolinke gewinnen – vor allem dann, wenn es um Privatisierungen, um Sozialabbau bei der Rentenversicherung oder um den Schutz der Umwelt geht.

Bei der Schweizer Nationalratswahl 2011 gewannen die Linksparteien (SP, GPS und die kleine kommunistische Partei der Arbeit PdA) über 27 Prozent der Stimmen. Das reicht noch lange nicht für eine linke Mehrheit (die wird es so schnell auch nicht geben) – aber die Linke ist in der traditionell am Konsens orientierten eidgenössischen Politik ein Faktor, den niemand ignorieren kann. Weil zentrale Entscheidungen nicht per Wahl oder durch Parlamentsbeschlüsse getroffen werden, sondern in den Referenden.

Das erklärt zum Teil die Bedeutung der Medien – und weshalb es in der Deutschschweiz vergleichsweise viele verkaufsstarke Blätter gibt: die bürgerlich-konservative Neue Zürcher Zeitung (Auflage: 132000), der liberale Tages-Anzeiger der Tamedia-Gruppe (196000), das Bild-Pendant Blick des Ringier-Verlags (208000), das stramm rechte Wochenmagazin Weltwoche (77000) und profitable Lokalblätter in Basel, St. Gallen, Bern, Chur, Schaffhausen, Solothurn oder Luzern. Deren Verlegerinnen und Verleger halten sich zwar schon längst nicht mehr an Tarifvereinbarungen mit den Gewerkschaften, es kam auch zu zahlreichen Übernahmen (im Kanton Thurgau etwa gab es vor zwanzig Jahren noch sieben Tageszeitungen, heute existiert nur noch eine) – aber immerhin: Noch werden in der Deutschschweiz mit ihren rund fünf Millionen deutschsprachigen Einwohnerinnen und Einwohnern Zeitungen gelesen, wenn auch zunehmend Gratisblätter wie 20 Minuten (Tamedia, Auflage: 700000) und Blick am Abend (Ringier, 285000).

Eine Vielfalt gibt es auch bei den linken Blättern, die allerdings einen langen Restrukturierungsprozess hinter sich haben. Noch vor einem Vierteljahrhundert erschien in fast jeder größeren Stadt, in fast jedem Kanton eine Arbeiterzeitung (AZ), herausgegeben von der SP und finanziert von den Gewerkschaften, mit Kleinstauflagen von 2000 bis 6000 – pro Tag. Überlebt hat nur die Schaffhauser AZ, die während des Generalstreiks 1918 entstand. Heute ist das SP-nahe Blatt (es wird von fünfzig Aktionärinnen und Aktionären finanziert) eine Wochenzeitung mit 2800 zahlenden Leserinnen und Lesern. Ebenfalls sozialdemokratisch orientiert, aber nicht von der SPS kontrolliert, sind P.S. (eine Zürcher Politik- und Kulturwochenzeitung mit einer Auflage von 7900 Exemplaren) und die im Oberwallis publizierte Zeitung Rote Anneliese (fünf Mal jährlich, 2500 Exemplare). Etwas häufiger hat bisher die kommunistische PdA ihr Parteiorgan Vorwärts herausgegeben, das derzeit jedoch ziemlich unregelmäßig erscheint.

Von einem etwas anderen Kaliber hinsichtlich Reichweite und Einfluss sind hingegen die drei Ws in der linken Presselandschaft der Deutschschweiz: Work, Widerspruch und WOZ. Work ist die Mitgliederzeitung der Großgewerkschaft Unia, wird aber auch außerhalb der eigenen Reihen zur Kenntnis genommen. Unia repräsentiert vor allem Lohnabhängige der Bau-, Metall-, Elektro-, Chemie-, Papierbranche und des Dienstleistungssektors und versteht sich als konfliktorientierte Gewerkschaft – dementsprechend links und kampagnenorientiert kommt auch ihre als Boulevard-Blatt konzipiertes Zeitung Work daher: fette Schlagzeilen, hoher Bildanteil, personalisierte Storys. Oft schafft es Work (Auflage: 91000) sogar, ihre Inhalte differenziert auf den Punkt zu bringen. So manche deutschsprachigen Gewerkschaftsblätter könnten sich an ihrem Engagement für die Ausgegrenzten ein Beispiel nehmen.

Das glatte Gegenteil liefert zwei Mal im Jahr der Widerspruch, der künftig vom linken Rotpunktverlag herausgegeben wird. Die text- und theoriefokussierte Zeitschrift orientiert sich seit 1981 an dem Anspruch, „ein politisches Diskussionsforum für ein breites linkes Spektrum“ zu sein. Dieses Ziel hat die kleine Redaktion durchaus erreicht: Im Widerspruch (Auflage: 2500), der kein Honorar zahlen kann, schreiben viele, auch international bekannte Autorinnen und Autoren.

Ebenfalls seit 1981 erscheint auch die Wochenzeitung WOZ, die vielleicht einzige linke Zeitung in Europa, die allein ihren Macherinnen und Machern gehört (sie sind Mitglieder der WOZ-Genossenschaft infolink), die keine Chefredaktion kennt (die publizistischen Beschlüsse werden gemeinsam getroffen), einen Einheitslohn zahlt – und mit ihren politisch divergierenden Positionen (von der SPS nach links) auch noch Erfolg hat. Nach mehreren Krisen, die das Kollektiv dank ihrer Leserschaft und des Fördervereins ProWOZ überstand, verkauft es derzeit 15700 Exemplare pro Woche und erreicht laut dem Medienforschungsunternehmen WEMF 108000 Leserinnen und Leser. Das ist für ein dezidiert linkes Blatt (weitaus kapitalkritischer als die deutsche taz) nicht schlecht – wenn man bedenkt, das es in Deutschland sechzehn Mal mehr deutschsprachige Einwohnerinnen und Einwohner gibt.

Es gibt Gründe dafür. Neben der redaktionellen Unabhängigkeit spielen vor allem die politischen Veränderungen seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise eine Rolle. Auch in der Schweiz bröckelt inzwischen der gesellschaftliche Konsens: Nummernkonten und Bankgeheimnis sind keine heiligen Kühe mehr.

Pit Wuhrer arbeitet als Redakteur bei der WOZ · Mehr Infos zur WOZ bietet das von WOZ-Mitgliedern herausgegebene Buch Wirtschaft zum Glück. Solidarisch arbeiten – heute, weltweit. Es erscheint Mitte September im Rotpunktverlag, Zürich.

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