Bessere Unternehmer

Am Ende war es Heinz Hermann Thiele doch recht. Der Großinvestor war bei der Lufthansa nach der Talfahrt des Aktienkurses eingestiegen. Nun fürchtete er, dass der Staat mit seiner Beteiligung von 5,7 Milliarden Euro den Flugbetrieb der Airline künftig mitregeln würde, was Thieles Spekulation auf einen wieder steigenden Aktienkurs gefährdet hätte. Aber auch die Kommentatoren waren sich einig: „Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer“; er müsse deshalb nach kurzer Hilfe wieder aussteigen aus dem Geschäft.

weiterlesenBessere Unternehmer

Verschmutzungsrechte

Als Marx das „Kapital“ schrieb, hatte er vermutlich nicht die Phantasie, sich vorzustellen, man werde künftig „Verschmutzungsrechte“ kaufen können.

„Verschmutzungsrechte“ sind ursprünglich entstanden, als in den 1980er Jahren Fluorchlorkohlenwasserstoffe als zerstörerische Ozonkiller erkannt worden waren. Durch Handel mit Zertifikaten sollte bei Herstellern und Nutzern deren Ausstoß vermindert werden – angeblich flexibel zu volkswirtschaftlich geringsten Kosten.

weiterlesenVerschmutzungsrechte

„Arbeitsloses Einkommen“

Geisterbahn

Was spukt da gerade durch alle Köpfe? Das arbeitslose Einkommen.

Ein sogenanntes arbeitsloses Einkommen, das Erwerbslosen und auch Rentnerinnen und Rentnern zukäme, sofern sie überprüfbar bedürftig wären.

Es spukte im Verfassungsgericht, das über Abzüge vom Existenzminimum beim Arbeitslosengeld entschied, es spukte in der Koalitionsregierung, als sie über minimale Erhöhung von Renten nach langjähriger Erwerbsarbeit zu niedrigen Löhnen stritt.

weiterlesen„Arbeitsloses Einkommen“

„Gebrauchswert“

Die klassische politische Ökonomie wollte einen Zusammenhang herstellen zwischen dem Nutzen eines Gegenstandes und dessen Preis. Der Tauschwert schwanke zwischen einer für den Verkäufer sehr interessanten Variante, bei der man alles gibt – wie beim Kauf des letzten Glases Wasser in der Wüste oder beim Tausch eines Königreichs für ein Pferd in aussichtsloser Schlacht – und der, bei der sich nichts verkaufen lässt, weil nützliche Gegenstände so reichlich vorhanden sind wie Steine am Strand oder Sand in der Wüste. Die normale Austauschsituation bewege sich zwischen diesen Extremen und müsse auf den Zusammenhang von Gebrauchswert und Preis untersucht werden.

weiterlesen„Gebrauchswert“

Wachstum

Menschen, Tiere, Pflanzen wachsen – sie werden größer, differenzieren sich aus, verändern ihre Gestalt, weil sie leben und sich entwickeln.

Ein Unternehmen, eine Volkswirtschaft, die Wirtschaft wächst auch – sie tut das nur nicht aus den gleichen Notwendigkeiten wie Flora, Fauna, Lebewesen. Wenn wir den Teil der menschlichen Aktivitäten betrachten, den wir Wirtschaft nennen, wird beim Wachsen die Zahl der Produkte größer, die darauf in der Summe verwendete Arbeitszeit mehr und der Wert der Waren steigt.

weiterlesenWachstum

„Grenzverletzungen“

Verletzungen sind schmerzhaft. Die, die man erleidet, aber auch häufig die, die man verursacht. Die Verletzung kann physischer Art sein als Verwundung, seelisch als Verletzung von Gefühlen. Menschen können verletzt werden. Im weiteren Sprachgebrauch können auch Normen verletzt werden. Sachen hingegen werden beschädigt oder zerstört.

Die Bezeichnung des militärischen Angriffs eines Staates auf den anderen als „Grenzverletzung“ sollte bereits in den sogenannten Befreiungskriegen gegen Napoleon und das revolutionäre Frankreich die Einwohner verführen, den eigenen Staat und die Nation zu verteidigen. Das stärkste und menschlichste Gefühl, das Einfühlen in die Leiden eines anderen, sollte auf den Staat übertragen werden. Dessen Grenze ist aber gar nicht so beschaffen wie die Haut eines Lebewesens, die verletzt werden könnte. Ein Staat empfindet keinen Schmerz, hat kein eigenes Leben und Gefühle wie ein Lebewesen, und wenn diese gesellschaftliche Organisationsform sich auflöst, stirbt da nichts, sondern es gibt nur eine andere gesellschaftliche Organisationsform, die einen (anderen) Teil der Erdoberfläche auf andere Weise für sich beansprucht.

Das Wort „Grenzverletzung“ sollte also eine Gefühlsverschiebung bewirken zu dem schlechten Zweck, einen Krieg mit „mehr Gefühl“ zu führen. Das so drastische Einfühlen in die Leiden von anderen, die Empathie, sollte sich nicht auf Lebewesen beziehen, sondern auf den „Staatskörper“, die „Nation“, die „natürlichen Grenzen“. Einer Organisationsform, die durch bewusst abgestimmte soziale Handlungen funktioniert, werden mit dem Ausdruck „Verletzung“ die gleichen Attribute zugeschrieben wie einem Lebewesen, das sich aus sich selbst heraus entwickelt, wächst, leidet und stirbt.

Dieser Gefühlsmissbrauch konnte vielleicht noch als zielgenau wahrgenommen werden, wenn es um Krieg geht, das heißt das staatlich organisierte Durchbrechen einer Grenze in einer militärischen Aktion mit dem Ziel der Eroberung, Wegnahme, Zerstörung des anderen Staatsgebietes.

Die Bezeichnung „Grenzverletzung durch Flüchtlinge“, durch Einzelpersonen mit einer anderen als kriegerischen Absicht, ist dann zu einer nochmals verdoppelten Irreführung geworden.

Was nicht als Staatsaktion stattfindet, nicht als gegen den anderen Staat gerichteter Akt von allen Beteiligten verstanden wird, nämlich die Bewegung von Menschen auf das Gebiet eines Staates mit der Absicht, dort zu bleiben oder mindestens den bisherigen unerträglichen Lebensverhältnissen zu entkommen, wird plötzlich als eine ebensolche Verletzung des fiktiven Staatskörpers verstanden – und mit militärischen Mitteln bekämpft, die nur beim staatlich organisierten Angriff vielleicht angemessen wären. In kriegsähnlicher Weise werden die Grenzen immer mehr erhöht, Zäune aus NATO-Draht meterhoch aufgetürmt nur zu dem Zweck, einzelne Menschen daran zu hindern, von einem Fleck der Erde auf einen anderen zu gelangen.

Jene „Grenzverletzung“, die die Sowjetunion und die DDR sehen wollten, wenn die Einwohner ihren Staat ohne Genehmigung verließen, hat die Verwirrung der Begriffe befördert. Das „widerrechtliche Passieren der Staatsgrenze“, zu welchem Zweck und in welcher Absicht auch immer, wurde in § 17 des Gesetzes über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik (Grenzgesetz) vom 25. März 1982 als eine unter vielen möglichen Grenzverletzungen gefasst und die Aktion der eigenen Bürger in einen Aggressionsakt gegen den „antifaschistischen Schutzwall“ von der Innenseite her umgedeutet, der durch Beschießen verhindert werden durfte.

Die unheilvolle Wendung gegen die eigenen Bürger und die darin liegende Staatsvergottung machen es schwieriger, die Aufführung des Gespenstes „Grenzverletzung durch Flüchtlinge“ zu bekämpfen.

Nennen wir Grenzverletzungen also fortan diejenigen Verletzungen, die Menschen erleiden, die Grenzen zu überwinden versuchen, die dort nicht sein sollten und aus niederen Beweggründen von Staaten errichtet worden sind.

Grenzen können nicht verletzt werden, nur Lebewesen.

Jürgen Bönig schreibt fortan Geisterbahn.

Geisterbahnfahrer sind froh, wenn das Fahrzeug vor dem Schreckgespenst abbiegt, auch wenn es jedes Mal die falsche Richtung ist.