„Gebrauchswert“

Die klassische politische Ökonomie wollte einen Zusammenhang herstellen zwischen dem Nutzen eines Gegenstandes und dessen Preis. Der Tauschwert schwanke zwischen einer für den Verkäufer sehr interessanten Variante, bei der man alles gibt – wie beim Kauf des letzten Glases Wasser in der Wüste oder beim Tausch eines Königreichs für ein Pferd in aussichtsloser Schlacht – und der, bei der sich nichts verkaufen lässt, weil nützliche Gegenstände so reichlich vorhanden sind wie Steine am Strand oder Sand in der Wüste. Die normale Austauschsituation bewege sich zwischen diesen Extremen und müsse auf den Zusammenhang von Gebrauchswert und Preis untersucht werden.

In seinem ökonomischen Hauptwerk teilt Karl Marx bereits auf den ersten Seiten mit, dass die dinglichen, nützlichen Eigenschaften der Gegenstände (und Leistungen), die Waren sind, keinen gemeinsamen Maßstab ihres Nutzens böten und zur Bestimmung des Wertes beim Austausch ungeeignet seien. Marx trifft dann eine radikale Feststellung: Der Tauschwert hat nichts mit dem „Gebrauchswert“ zu tun. Eine Ware muss für jemand anderes nützlich sein oder einen Nutzen haben oder wenigstens den Anschein davon erwecken, so dass der Kauf gewünscht wird. Der Wert oder Tauschwert dieses Gegenstandes hat dann unter bestimmten gesellschaftlichen Voraussetzungen nur etwas mit dem jeweils notwendigen Aufwand zu tun, die Ware herzustellen. Die in der Ware vergegenständlichte Arbeitszeit, sei es lebendige – aktuell verausgabte – sei es „tote“ – zuvor verausgabte, die in Vorprodukten oder in eingesetzten Maschinen steckt – sei entscheidend für den Wert und letzten Endes für den Preis der Ware.

Diese Feststellung erscheint in einem unscheinbaren Gewand, weil Marx für den Nutzen oder den Genuss einer Sache das Wort Gebrauchswert benutzt. Man könnte auch sagen: Was es nützt und was es kostet, und damit deutlich machen, dass Gebrauchswert bezeichnet, wozu man den Gegenstand verwenden will, und der andere, der Tauschwert, anzeigt, was man zu tun bereit ist, um zu dem Gegenstand zu gelangen.

Der „Gebrauchswert“ ist aber gar kein Wert auf einer einheitlichen Skala wie das Geld und hängt mit dem in Geld ausgedrückten Tauschwert nicht systematisch zusammen. Der Gebrauchswert lässt sich nicht wie das Geld oder der Tauschwert addieren, multiplizieren, miteinander verrechnen. Dem Gebrauch liegt kein gemeinsamer Maßstab zugrunde, an dem sich der erzielte Nutzen vergleichen lässt: Ein Fahrrad so schnell wie ein Bügelbrett? Ein Essen so nützlich wie ein Kopfkissen?

Gebrauchs „wert“ und Tauschwert bewegen sich unabhängig voneinander: Der Nutzen nimmt nicht zu oder ab, weil der Aufwand für die Herstellung des Gegenstandes steigt oder sinkt – es sei denn, die Haltbarkeit des Gebrauchsgegenstandes nimmt ab, weil minderwertiges Material – auf kurzfristigen Gebrauch zielend – zusammengebaut worden ist. Der mögliche Nutzen kann gleichbleiben oder sogar größer werden, obgleich der Tauschwert sinkt und die Volkswirtschaft „ärmer“ wird, wenn die Herstellung weniger aufwändig wird.

Marx Analyse ist keine Konsumkritik an den Gebrauchswerten, sondern Produktionskritik, also Kritik an dem Maßstab, an dem sich die Produktion orientiert, Kritik an der Verwertung des Wertes zum Zwecke des Profites.

„Was nichts kostet, ist auch nichts wert!“, bringt den Gebrauchswert nun endgültig auf den Hund, indem der Satz behauptet, etwas, was nichts kostet, könne man gar nicht gebrauchen, es wäre zu nichts nütze und habe deshalb, auch im übertragenen Sinne, keinen Wert. Dann wäre sogar das Paradies, in dem es alles gibt, was mensch braucht, nichts wert, weil niemand darin etwas kaufen muss. Im gewöhnlichen Leben wird dieser Satz, der Tauschwert und Nutzen unentwirrbar als das Gleiche behandelt, von denjenigen benutzt, die verkaufen wollen, um ihr Geld durch Produktion zu vermehren und gelegentlich auch von denjenigen, die nur ihre Arbeitskraft verkaufen können und jemanden suchen, der sie auf diese Weise braucht.

Lassen wir uns künftig also nicht mehr einreden, dass der Genuss einer Sache sich nach ihrem Preis richtet und dass alles, was wir ohne Geld haben können, nichts wert und ohne Bedeutung sei. Nehmen wir denjenigen, die über die Produktionsmittel verfügen, diese aus den Händen, damit wir nicht das nur produzieren, was teuer ist und Gewinn bringt und dabei die Erde zerstört und konzentrieren wir uns darauf, nur das noch zu produzieren, was wir brauchen.

Jürgen Bönig schreibt Geisterbahn. Geisterbahnfahrer freuen sich, wenn das Fahrzeug vor dem Schreckgespenst wegschwenkt, auch wenn es in die falsche Richtung abbiegt.

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