Ein Buch über die Frauen im Deutschen Bundestag
„Was verbirgt sich hinter der Ehelosigkeit? Eine geschiedene Frau wäre für ein hohes Amt ebenso wenig geeignet wie eine alleinerziehende Mutter. Aber die Junggesellin? Ist sie zu hässlich für einen Mann? Ist sie eine Schreckschraube? Liebt sie etwa – schrecklich, das denken zu müssen – Frauen? Ist sie eine männerfeindliche Emanze? Solchen Verdächtigungen und Ressentiments sahen sich unverheiratete Frauen in der Politik ausgesetzt.“ – So soll es hierzulande zugegangen sein? Und man erinnert sich: Gott ja, so war es wirklich, und ist noch gar nicht lange her.
Man kann die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als Geschichte seines Parlaments erzählen. Man kann sie auch anhand der Frauen des Parlaments erzählen. Das macht Torsten Körner. „In der Männer-Republik – Wie Frauen die Politik eroberten“ heißt sein im Februar dieses Jahres erschienenes Buch. Mit einer langen Reihe von Portraits, von den Müttern des Grundgesetzes, über die erste Bundesministerin Elisabeth Schwarzhaupt, über Lenelotte von Bothmer, die 1970 die Parlamentarier im Hosenanzug schockierte, und der ersten Bundestagspräsidentin Annemarie Renger bis zur ersten Bundeskanzlerin gelingt Körner eine flüssige und mit Erkenntnisgewinn zu lesende Erzählung.
Parlamentarierinnen der CSU, der CDU, FDP und SPD und der Grünen werden vorgestellt, die über alle ideologischen Differenzen und Jahrzehnte hinweg die Erfahrung eint, dass sich das Parlament allzu oft, sobald frau das Wort ergreift, in eine laute Horde pubertierender Jugendlicher zu verwandeln scheint.
Über Sexismus in der Politik wurde kaum gesprochen. Für die Frauen gab es dabei wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren. „Man musste das Baggern so abwehren, dass der Herr nicht tödlich beleidigt und fortan dein Todfeind in der Fraktion war. Das war ein schwer zu beherrschendes Spiel“, so zitiert Körner Carola von Braun, FDP-Bundestagsabgeordnete von 1980 bis 1983.
Vielleicht ist es kein Nachteil, dass ein Mann dieses Buch geschrieben hat, denn der Respekt, den der Autor seinen Protagonistinnen entgegenbringt, überzeugt um so mehr, als er nicht als frauenbündlerisch abgetan werden kann.
Geradezu ehrfurchtsvoll beschreibt er Mut und Selbstbehauptung der Politikerinnen des 1984 ausschließlich von Frauen besetzten Grünen-Fraktionsvorstandes. Obwohl oder gerade weil sich Annemarie Borgmann, Heidemarie Dann, Erika Hickel, Christa Nickels, Waltraud Schoppe und Antje Vollmer auf eine sachlich-pragmatische Arbeit konzentriert und sich nicht besonders feministisch positioniert hätten, „konnte vermutlich der feministische Funke auf die anderen Parteien und in die Gesellschaft überspringen“.
Ähnlich beurteilt Körner die Wirkung Angela Merkels: „Jetzt, auf der globalen Bühne, wo zunehmend autokratische Machtmänner, disruptive Charismatiker, regressive Clowns und aggressive Nationalisten unterwegs sind, wird der Begriff Feministin neu justiert und bestimmt sich beinahe ex negativo. In einer Welt, wo es möglich ist, mit offener Frauenfeindschaft an die Staatsspitze zu gelangen, wird die Kanzlerin als bekennende Multilateralistin nach Ansicht vieler zur Feministin, ohne dass es von ihr ausgesprochen werden müsste. Die Sehnsucht nach einer progressiven Frau wächst dort, wo Männer mit Regression und ihrem Geschlecht Politik machen. Merkel wird, nolens volens, zur Anti-Macho-Kanzlerin, zur Gegenspielerin der Dicke-Hosen-Politik.“
Learning by Doing
Ein kluges Buch über die Revolte in Hongkong
War es in Wahrheit ganz anders? Haben etwa die Spitzenbeamten des chinesischen Verbindungsbüros in Hongkong künstlich eine Unabhängigkeitsbewegung ins Leben rufen wollen, um damit Staatschef Xi Jinping in Schwierigkeiten zu bringen, wie die china-freundliche Hongkonger Tageszeitung Sing Pao berichtete? Was für ein perfides Spiel!
Aber solchen Verschwörungstheorien schenkt Au Loong-Yu keinen Glauben. In seinem Buch zeichnet er die Entstehung und den Verlauf der Proteste genau und verständlich nach. Au, Jahrgang 1956, wuchs in bescheidenen Verhältnissen in Hongkong auf. Bis 1995 arbeitete er als Lehrer an einer High School. Heute wirkt er als Publizist.
„Es ist streng verboten, positiv über irgendeine Forderung der Bürger*innen Hongkongs in Bezug auf Demokratie und Freiheit zu berichten“, gab eine Propagandaabteilung der chinesischen Presse vor. Doch die Repression folgt nicht allein einer kohärenten Politik Chinas, wie Au seinem Publikum verrät. Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei werden auch über Wahlen in Hongkong ausgetragen und Erfolge der Protestbewegung dienen der Kaltstellung von Parteikadern, denen Konkurrenten die Verantwortung für die missglückte Unterdrückung zuweisen können.
Die Übernahme Hongkongs als Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China im Jahr 1997 fiel mit einer Wirtschaftskrise zusammen, von der vor allem Ostasien betroffen war, und die Ausgangspunkt der Politisierung einer jungen Generation in Hongkong wurde. Zu deren Radikalisierung ab 2008 trug die Unterdrückung des Kantonesischen zugunsten des Hochchinesischen bei, wie auch ein Projekt zur Etablierung eines chinesischen Patriotismus im Bildungswesen ab 2010.
Proportional zur gewachsenen Wirtschaftskraft Chinas hat Hongkong an ökonomischer Bedeutung für die Volksrepublik eingebüßt. Daher kann Peking seinen politischen Ansprüchen inzwischen ungehemmt Nachdruck verleihen.
Gegen die Änderung der Wahlgesetze 2014 protestierten die Studierenden, und deren Verhaftung brachte dann Hunderttausende auf die Straße. Gegen Tränengas suchten die Menschen sich mit Regenschirmen zu schützen, was der Bewegung bald ihren Namen gab.
Die Regenschirm-Bewegung aber spaltete die Bevölkerung Hongkongs. „Die einst begeisterte Jugend verfiel in Passivität“, resümiert Au und fährt fort: „Hätte Peking nicht versucht, den Auslieferungsgesetzentwurf einzubringen, hätte es den Aufstand von 2019 vielleicht nicht gegeben.“
Am 6. Juni gingen 2000 Juristinnen und Juristen auf die Straße, drei Tage später folgte ein Million Menschen. Am 16. Juni waren es zwei Millionen.
Au analysiert die Dynamik der Entwicklung und erklärt, wie sich eine Bewegung radikalisiert, wenn Zugeständnisse zu spät kommen und wie repressive Maßnahmen kontraproduktiv wirken, wenn die Polizei mit brutaler Härte bislang indifferente Bürger gegen sich aufbringt
Die Bewegung hatte keine eigentlichen Anführer, aber Akteure, die ihre Erfahrungen machten. Als Träger der Proteste sieht Au eine „Generation 1997“ und fasst damit die kurz vor 1997 Geborenen als Träger der Regenschirm-Bewegung und die danach Geborenen als Träger der Bewegung von 2019 zusammen.
Die Darstellung folgt den Ereignissen bis Anfang 2020 und breitet eine Fülle von Erkenntnissen aus über Protest und Repression. Der Ausblick fällt nüchtern aus: „Die jungen Leute sind mutiger, haben aber Parteipolitik oder jede Idee von Organisation abgelehnt. Es ist schwer vorstellbar, wie sie einem bis an die Zähne bewaffneten Staatsapparat entgegentreten könnten.“
Das Buch ist sorgfältig ediert, illustriert mit prägnanten Schwarzweiß-Fotos, ergänzt um eine Zeittafel, ein Quellen- und Abkürzungsverzeichnis und eine Karte der Bezirke Hongkongs. Die Kapiteleinteilung ist übersichtlich, die deutsche Übersetzung flüssig zu lesen.
Ein ausführliches Interview mit Au Loong-Yu von 2006 findet sich unter: https://newleftreview.org/issues/ii42/articles/loong-yu-au-alter-globo-in-hong-kong