André Geicke

Klimarettung und Kapitalverwertung – Anforderung? oder Überforderung?

Angesichts der Erkenntnisse der Klimaforschung ist ziemlich klar, welche Maßnahmen zu ergreifen wären, um eine globale Katastrophe zu vermeiden. Doch statt entschlossenem Handeln ist auf der politischen Bühne nur Zaudern und Zagen zu beobachten. Was hemmt die Vertreterinnen und Vertreter des Volkes?

Späte Einsicht und neue Bescheidenheit

In den 70er Jahren gewann die Umweltbewegung Resonanz und Bedeutung. Von ihr ging der Appell aus, das Klima zu retten. Inzwischen ist deutlich geworden, dass es vielmehr darum geht, uns zu retten vor dem sich ändernden Klima, denn die Erderwärmung bedroht unsere Gesundheit und womöglich den Fortbestand der Menschheit.

Und nach Jahrzehnten der Beschwichtigung, Abwiegelung und Leugnung der Gefahr seitens Wirtschaft und Politik hat sich endlich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Gesellschaft, national wie international, in ihrer Entwicklung nicht so fortfahren kann wie bisher.

Das herrschende Modell der Zivilisation durch Wirtschaftswachstum, Industrialisierung, fossilem Brennstoff- und Rohstoffverbrauch und Konsumausweitung steht zur Disposition. Wir werden uns bescheiden müssen: weniger Konsum, weniger Energieverbrauch, weniger Flugverkehr, kleinere und langsamere Autos, geringerer Fleischverzehr und so fort.

Nun, das Leben kann auch auf kleinerem Fuße schön sein, und ein wenig Verzicht wird uns nicht schwerfallen. Uns. Als Individuen. Aber wie würden wir eine derartige Umkehr unserer Lebensgewohnheiten als Gesellschaft verkraften? Eine Beschränkung der Erderwärmung wird ohne Verringerung der weltweiten Industrieproduktion nicht zu erreichen sein. Der Welthandel wird schrumpfen müssen, die Nationaleinkommen sinken. Umsatz und Gewinne der Unternehmen würden schwinden. Massenentlassungen, gar Verelendung von Teilen der Bevölkerung könnten die Folge sein.

Wirtschaftswachstum als gesellschaftliches Verhängnis

Wachstum, endloses Wachstum ist das Lebenselixier kapitalistischer Produktion. Selbst Stagnation, das sogenannte Nullwachstum, reicht hin, um ein Land in eine Wirtschaftskrise zu stürzen.

Warum ist das so? Vermutlich wäre die Mehrheit der Bevölkerung angesichts der Klimakatastrophe durchaus bereit, mit weniger auszukommen. Zumal in Umfragen eine wachsende Zahl von Menschen ohnehin eine Erhöhung ihrer Lebensqualität in einer Verringerung der Arbeitszeit erblickt und bereit ist, dafür Einkommensabstriche hinzunehmen. Jüngere Tarifvereinbarungen, in denen individuelle Arbeitszeitreduktionen mit Einkommensverlusten kombiniert sind, tragen dieser Grundstimmung Rechnung.

Es wurden auch durchaus und wiederholt wissenschaftliche Modelle für eine „stationäre Wirtschaft“ oder eine „Postwachstumsökonomie“ entwickelt, doch keiner dieser Ansätze hat Niederschlag in einer breiteren öffentlichen Debatte gefunden. Zu stark scheint die Ideologie der Kapitalverwertung den gesellschaftlichen Konsens durchdrungen zu haben, als dass Alternativen ernstlich in Betracht gezogen würden.

Doch es handelt sich nicht bloß um Ideologie. Der kapitalistischen Wirtschaftsweise sind Zwänge immanent, die eine kontinuierliche Steigerung der Produktion unausweichlich machen, und darin liegen zugleich Segen und Fluch des Kapitalismus.

Die Knute der Konkurrenz

Die Produktion im Kapitalismus findet unter scharfer Konkurrenz der Unternehmen statt. Es gibt in der Regel keinen gesellschaftlichen Plan für die Güterherstellung, aus dem begründete Aufträge an die Unternehmen resultieren würden. Jedes Unternehmen stellt seine Güter her im Vertrauen, im blauen Dunst des Marktes ausreichende Abnahme zu finden. Andernfalls drohen Verlust und Untergang.

Qualität und Preis geben den Ausschlag, ob ein Produkt in der Konkurrenz bestehen kann oder nicht. Wer das bessere und günstigere Produkt anbieten kann, obsiegt. Wer mehr Geld in die Forschung stecken, wer bessere Produktionsmaschinen einsetzen, wer höhere Stückzahlen auswerfen kann, wer weniger Menschen zur Herstellung braucht, der obsiegt.

Doch die Kostensenkung in der Produktion und die Verbilligung der Produkte verringern zugleich den Umsatz, sofern nicht mehr Produkte oder höherwertige, teurere Produkte abgesetzt werden können. Die Steigerung nimmt groteske Züge an. Fuhren vor fünfzig Jahren Familien mit einem Volkswagen und 34 PS und 700 Kilogramm Leergewicht des Gefährts in den Urlaub, so tut es heute eher ein 200-PS-SUV mit einem Gewicht von zwei Tonnen.

Daraus resultiert ein hoher Druck, immer neu und mehr zu investieren, um die Produktion auszuweiten, zu verbessern und zu verbilligen. Und wer mehr Gewinn macht, kann mehr reinvestieren. In vielen Branchen reicht die Nachfrage eines ganzen Landes nicht mehr aus, um das Kapital zu verwerten. Ob Automobile oder Turnschuhe, nur der Weltmarkt kann noch genügen.

Der Kapitalismus hat eine niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte gekannte Dynamik entfacht und den technischen Fortschritt während der vergangenen zweihundert Jahre ungeheuer beschleunigt. Produktionsverfahren, Güter und Lebenszusammenhänge werden beständig revolutioniert, so dass sich jede Generation in einer eigenen, neuen Welt findet und die Geschichten der Eltern vom Leben drei oder vier Jahrzehnte zuvor erscheinen, wie Berichte aus dunkler Vorzeit.

Die Konkurrenz ist unerbittlich. Die Konkurrierenden sind es auch. Wo es an gesellschaftlichem Widerstand, an Regeln und Gesetzen fehlt, wird ausgepresst, die Ressourcen, die Arbeitskräfte, der Globus. Wer nicht stark genug pressen kann, der geht unter, und die Sieger greifen zu und teilen den Markt neu auf. Und damit soll nun Schluss sein?

Das Unangenehme mit dem Sinnlosen zu verbinden

Die Verantwortlichen der deutschen Koalitionsregierung wissen, dass sie den Wirtschaftsmotor nicht abwürgen dürfen. „Weniger Autos sind besser als mehr“, verkündete einst der frischgebackene baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Die Chefs von Daimler, Bosch, und Porsche werden ihn darüber aufgeklärt haben, was Entlassungen und Produktionsverlagerungen sowohl für das Land, als auch für seine persönliche Karriere bedeuten würden. Den Satz hat er nicht wiederholt.

Klima- und Industriepolitik, das Machbare mit dem Notwendigen vereinen, lautet das Credo der Regierenden. Und dabei sind sie nicht nur Handlanger des Kapitals. Wieviel Verlass ist auf die Menschen, die jetzt entschiedene Maßnahmen gegen den Temperaturanstieg fordern und das Klimapaket der Bundesregierung als völlig unzureichend kritisieren, wenn sie sich erst von Einkommens- und Jobverlust bedroht sehen werden?

Die bitterste Lektion, die Angela Merkel erteilt wurde, war der Umschwung der öffentlichen Meinung, nachdem sie 2015 Deutschland den Flüchtlingen geöffnet und ihrem Volk als Aufmunterung ein „Wir schaffen das“ auf den Weg gegeben hatte. Ihre humane Haltung wurde ihr später als schwerster Fehler angelastet. Sämtliche Regierende in Europa haben verstanden, dass mit Barmherzigkeit gegenüber Flüchtlingen keine Wahlen zu gewinnen sind. Auf die Probe gestellt, galten dem christlichen Abendland seine Werte einen Kehricht.

Glimmen am Ende des Tunnels

Wer mag ermessen, was an Verwerfungen zu gewärtigen wäre, wenn wir Ernst machten mit Konsum- und Produktionsdrosselung, und deren Folgen spürbar würden?

Dennoch, die Zeit schreitet voran und die Lebensbedingungen auf dem Planeten verändern sich in gefährlichem Maße. Mit der kapitalistischen Produktionsweise fortzufahren wie bisher, wird nicht möglich sein. Es hat lange gedauert, bis die Argumente der Umweltbewegung die Mehrheit der Gesellschaft erreicht haben. Inzwischen sind die Auswirkungen des Klimawandels für alle spürbar. Und sie werden noch drastischer ausfallen. Die Kita-Kinder von heute werden womöglich noch entschiedener auftreten als die Fridays-for-Future-Teens jetzt. Die Zahl derjenigen, für die die Folgen der Klimakrise bedrohlicher sein werden als die Folgen der Wirtschaftskrise, wird zunehmen. Es wird aber auch diejenigen geben, denen ihre Pfründen mehr gelten werden als die Verwüstung der Umwelt und die sich bewusst für eine Galgenfrist in Saus und Braus entscheiden werden, sofern ihre Macht dazu ausreichen wird.

Es ist kaum vorstellbar, dass es gelingen kann, den Ressourcenverbrauch und den Ausstoß an Klimagiften zu verringern und gleichzeitig wirtschaftliche Wachstumsraten zu generieren, wie sie die kapitalistische Produktionsweise braucht. Aber genau das ist es, was die Bundesregierung versucht und was sich im Klimapaket niederschlägt. (Siehe dazu auch den Artikel von Wolfgang Pomrehn). Es wird stattdessen notwendig werden, mehr und mehr Branchen unter gesellschaftliche Kontrolle zu bringen und sie von Konkurrenz und Profitdiktat zu befreien, um eine Güterproduktion gewährleisten zu können, die keinen ökologischen Schaden anrichtet.

Doch Vergesellschaftung birgt auch Gefahr. Der kapitalistische Konkurrenzkampf erzwingt ein hohes Maß an Rationalität und Disziplin. Bisher ist noch beinahe jedes Land, das einen sozialistischen Weg einschlug, binnen Kurzem in Schlendrian, Korruption und Willkür versunken. Und gewerkschaftseigene Unternehmen in kapitalistischen Staaten zeigten sich ebenfalls anfällig. Die allgemeine Diskreditierung des Sozialismus hat schwerwiegende Gründe. Wir werden neue Modelle einer Vergesellschaftung entwickeln und neue Wege beschreiten müssen. Auf alle Fälle wird ein Sozialismus der Zukunft mehr Demokratie wagen müssen.

André Geicke, Jahrgang 1955, lebt in Hamburg und war journalistischer Mitarbeiter im Soz-Magazin und im Spiegel.


„Das Kapital, ein Hexenmeister, der die Gewalten nicht mehr beherrscht, die er heraufbeschwor“

„Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen – welches frühere Jahrhundert ahnte, daß solche Produktionskräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlummerten. […] Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.“

Aus: Friedrich Engels und Karl Marx, Das kommunistische Manifest

„So werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen.“

„Die spanischen Pflanzer in Kuba, die die Wälder an den Abhängen niederbrannten und in der Asche Dünger genug für eine Generation höchst rentabler Kaffeebäume vorfanden – was lag ihnen daran, dass nachher die tropischen Regengüsse die nun schutzlose Dammerde herabschwemmten und nur nackten Feld hinterließen? Gegenüber der Natur wie der Gesellschaft kommt bei der heutigen Produktionsweise vorwiegend nur der erste handgreifliche Erfolg in Betracht, und dann wundert man sich noch, dass die entfernten Nachwirkungen der hierauf gerichteten Handlungen andere, meist ganz entgegengesetzte sind. […] So werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern, dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehen, und dass unsere ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug zu allen anderen Ges chöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“

Friedrich Engels, Dialektik der Natur, MEW 20, S. 455 und S. 453.