Women of Courage

Das Frauenfilmfestival Herat und die Lage der Frauen in Afghanistan

Nichts ist gut an Afghanistan. Obwohl keine Kennerin des Hindukusch, labt sich ein Teil der deutschen Öffentlichkeit unverändert an diesem Satz von Ex-Bischöfin Margot Käßmann. So als erleichtere der Bezug das ungenügende Wissen über das Land und seine Menschen, den westlichen Analphabetismus über Afghanistan.

Tatsächlich gibt es, auch in diesen Tagen, vielerlei Anlass zu Skepsis, ja Pessimismus. Die jüngsten Wahlen am Hindukusch haben die Idee von Demokratie noch ein Stück weiter diskreditiert. Zugleich droht, bei Friedensgesprächen mit den Taliban, eine Lösung, die viele Errungenschaften der letzten Jahre, zuförderst Menschen- und Frauenrechte und Pressefreiheit, auf die Probe stellt. Ganz zu schweigen von der Sicherheitslage, die – ich konnte mich für diesen Beitrag davon vor Ort überzeugen – so schlecht ist wie noch nie in den vergangenen Jahren.

Aber parallel dazu gibt es auch Anlass zu Hoffnung. Beispiel: das Internationale Frauenfilmfestival von Herat (kurz: HIWFF), das dieses Jahr vom 26. bis 29. August mit Schwerpunkt in Kabul und stattfand, und das sich durch seine große Dichte gesellschaftlich, politisch und künstlerisch aktiver Frauen auszeichnet.

Roter Teppich. Blitzlichtgewitter. Preisverleihung am Swimmingpool in geschützter Hotel-Lage. Junge Afghaninnen in armfreier Abendrobe, ohne Kopftuch die eine oder andere. Man muss Kabul erleben, um sich frei zu machen vom Einerlei unserer Schlagzeilen. Zur Eröffnung des Frauen-Filmfestivals wird Bertolt Brecht zitiert. Mit einer Einsicht in den Kampf für die Freiheit, die Mühen des Individuums in schweren Zeiten.

Eine von zwei Frauen in Afghanistan, so heißt es in einer aktuellen Umfrage, will das Land verlassen. Viel Krieg, wenig Arbeit. Zum Glück ist das Land so vielfältig, dass unter den Film-Regisseurinnen viele anders denken und träumen.

„Ich habe Glück gehabt“, erzählt die Regisseurin und Festival-Gründerin Roya Sadat. „Mein Vater hat meine Liebe zum Film von Anfang an unterstützt. Aber mein Onkel hat unser Haus aus demselben Grund fünf Jahre lang nicht betreten. Dann haben sie alle meine Filme gesehen. Langsam haben sie verstanden, was ich fühle und denke. Jetzt sagen sie: Wir sind stolz auf dich! Aber dieser Respekt und der Stolz“, seufzt sie, „das kam beides erst sehr spät.“

Roya Sadat dreht Spielfilme für internationale Festivals und produziert erfolgreiche Fernsehserien für das einheimische Publikum. Mitunter treffen da Welten aufeinander. „Es ist sehr schwierig in Afghanistan als Filmemacherin“, so Roya Sadat. “Für mich ist es mein Leben. Schwer ist vor allem, in den Dörfern zu drehen. Überhaupt draußen. Am Set bin ich oft mit 50-60 Leuten. Ich gebe Regie-Anweisungen, ich renne hin und her. Wie die Anführerin einer Gruppe. Für Schaulustige, gerade Dorfbewohner drumherum, ist das sehr ungewohnt.“

Die spanische Regisseurin Alba Sotorra, Jury-Mitglied in diesem Jahr und nach über zehn Jahren das erste Mal wieder im Land, ist voller Anerkennung: „Filmemacherinnen werden hier von allen Seiten bedrängt. Finanziell sind sie ohne Absicherung. Gesellschaftlich sind sie immer und überall in Gefahr, alles zu verlieren. Immense Hindernisse also. Trotzdem produzieren sie gute, zum Teil außergewöhnliche Filme. Mit Leidenschaft und Talent. Mit Willen und dem Mut, ihre eigenen Geschichten zu erzählen.“

Sadat weiß auch: „Filme zu finanzieren, ist wirklich schwierig. Für unseren letzten Film A letter to the President haben wir jahrelang das Budget gesucht. Und am Ende selbst viel draufgezahlt. Junge Filmemacherinnen nehmen oft die Hilfe von Freunden und Kommilitonen an der Uni in Anspruch, um überhaupt zu drehen.“

Als Frau Filme zu drehen, das bedeutet in Afghanistan, gesellschaftliche Risiken einzugehen. Rasch kann man in der Familie und im öffentlichen Umfeld ausgegrenzt, stigmatisiert werden. Finanziell auf eigenen Füssen zu stehen, scheint anfangs meist ein Ding der Unmöglichkeit. Die Gefahr des Scheiterns ist sozial wie künstlerisch enorm, auch angesichts fehlender Vorbilder in Medien und Gesellschaft.

Man kann Roya Sadat, die Festivalgründerin und Mutter zweier junger Kinder, getrost die Woman of Courage nennen, als die sie vor Jahren schon ausgezeichnet worden ist. Junge Afghanen brauchen lebende Ikonen und Vorbilder, um dem Patriarchat etwas entgegenzusetzen. Sadats letzter Film A letter to the President war Afghanistans Beitrag im Rennen um die Oscar-Filme. Ihre Filme wurden in Locarno und anderen Festivals prämiert. Sadat hat es verstanden, einflussreiche Personen hinter sich zu scharen, Männer wie Frauen, und dabei eine afghanische Feministin zu bleiben: in sich ruhend, clever und kompromissbereit, also pragmatisch, wenn es sein muss.

Die Drehbücher schreibt sie zusammen mit ihrem Mann Aziz. Ihre Filmfirma beschäftigt heute mehr als ein Dutzend Angestellte. Zusammen drehen sie erfolgreich Serien im afghanischen Fernsehen. Ihr Arbeitsethos steht dem westlicher Kolleginnen in nichts nach.

Obwohl dies bereits die fünfte Ausgabe des Festivals ist, gibt es außer mir keinen westlichen Reporter bei dieser Veranstaltung. Eigentlich gehört das Ereignis auf die Seite 3 einer gut informierten deutschen Zeitung. So aber: nichts. Es wird, wie meist, eine permanente Armut an kulturellen Ereignissen in Afghanistan suggeriert.

Die Message des HIWFF ist klar: Ja, es gibt eine rege Filmwelt in Afghanistan. Und: Afghanische Filme können international konkurrieren, auch wenn, gerade bei den langen, den abendfüllenden Filmen qualitativ noch viel Luft nach oben ist. Filmförderung in Afghanistan bleibt dabei ein Fremdwort, trotz der vielen internationaler Mittel, die vorübergehend zur Verfügung standen, die oft aber mit dem Abzug der meisten ausländischen Programme passé sind.

Einige Regisseurinnen, die ich auf dem Festival treffe, sind gerade erst volljährig, erzählen aber bereits reife Kurzfilme über das Erwachsensein, über den frühen Verlust der Kindheit, über Gewalt in der Familie. Unterdrückung, Aufstehen, individuelles Erwachen sind wiederkehrende Themen. Träume auch von einem anderen, einem freieren Leben.

Rund 60 Filme insgesamt sind im Programm, afghanische wie internationale: Gerade die fiktionale Stoffe aus Afghanistan bewegen sich nah am Dokumentarischen. Neben der gestohlenen Jugend sind es Geschichten vom Protest gegen eine konservative Gesellschaft, gegen die ältere Generation. Aber auch die Erinnerung an Tradiertes, da wo blinder Glaube an Globalisierung zurückschlägt. Ein Novum in Kabul diesmal: Das Frauen-Filmfestival expandiert ins Land hinein. Neben Kabul und Herat (wo die ersten drei Ausgaben stattfanden) wurden diesmal auch Filme in Bamiyan und in Jalalabad gezeigt, der konservativen paschtunischen Metropole an der Grenze zu Pakistan. Bemerkenswert ist das, weil hier Kultur und Film weitgehend männlich geprägt sind, und weibliche Regisseure die absoluten Ausnahmen sind. Ich selbst habe 2011 ein Seminar über Story-Telling im Dokumentarfilm in Jalalabad gegeben. Damals lauschten mir ausschließlich Männer unter den 25 Teilnehmern. So ist es erkl e4rtes Ziel der Festivalmacher, in Zukunft auch paschtunische Regisseurinnen zu Filmproduktionen zu animieren.

Die Festival-Filme liefen in Kabul in drei Kinos, darunter einem Kinosaal ausschließlich für Familien, eine alte afghanische Tradition aus der Zeit vor den Kriegen. Ein erster Versuch, diese wiederzubeleben, war vor zehn Jahren gescheitert, unter anderem an allerlei Halbstarken und fehlender Sicherheit in den Kinos gescheitert. Ob der zweite Versuch gelingt, ist eine von vielen Fragen, nicht zuletzt angesichts der Taliban, die zurück in die Mitte der Gesellschaft drängen.

Auch für das weitere Bestehen des Festivals wirft dies naturgemäß Fragen auf. Der Sicherheitsaufwand ist jedes Mal enorm: hier braucht es Polizei und Waffen an Eingangstoren, wo das westliche Publikum gewöhnlich Chips verspeist und ans Chillen denkt.

Die Macht mit den Taliban teilen?, wie es jetzt droht. Ein Alptraum für das Festival wäre das. Roya Sadat bleibt gleichwohl positiv: „Ich glaube, wir können so weitermachen wie jetzt. Ich bin fünf Jahre lang groß geworden, als die Taliban an der Macht waren. Die jungen Frauen heute sind nicht dieselben wie damals. Ich denke nicht, dass sich Geschichte wiederholt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ein oder zwei Monate ohne Arbeit am Film leben kann. Natürlich sind die Menschen müde vom Krieg. Sicher werden wir darum kämpfen, so weiterzuarbeiten wie jetzt.“

Klar ist auch: auf die Straße gehen, demonstrieren ist in Afghanistan kein Mittel der Wahl. Zu groß ist die Gefahr von Gewalt und Tod dabei.

Nach den Taliban, die Film und Musik verbannt haben, hat Kabul nach 2001 zunächst wieder mehr als ein Dutzend Kino-Säle bekommen. Vorübergehend. Heute, wie überall auf der Welt, macht die digitale Filmwelt den Spielsälen auch in Afghanistan den Garaus. Die ersten Kinos schließen wieder.

Neben Film und freien Filmautoren ist es vor allem die Anzahl öffentlicher Medien – rund 90 TV-Sender und über 100 Radio-Stationen – die den Taliban ein Dorn im Auge sind. Welche Medien sie einschränken könnten im Fall einer Rückkehr in die Verantwortung, und welche Rechte die Gesellschaft und Frauen insbesondere dabei konzedieren müssten, ist eine Frage, die unverändert auch Experten nicht zu beantworten vermögen.

Martin Gerner arbeitet seit 2001 als Filmautor, ARD-Korrespondent und Dozent beim Aufbau einer neuen Medienlandschaft in Afghanistan. Er hat dabei Hunderte junger Afghanen und Afghaninnen ausgebildet. Beim diesjährigen Herater Frauenfilmfestival in Kabul war er Mitglied der Jury für Dokumentarfilm. Sein Dokumentarfilm Generation Kunduz wurde vielfach international ausgezeichnet. www.martingerner.de / www.generation-kunduz.com

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