Meisterin des Todes

Angela Merkels Rüstungsexportpolitik

Das Jahr 2005 sollte zum Wendejahr werden. Nachdem die Rot-Grüne Regierungskoalition unter Gerhard Schröder und seinem Vize Joschka Fischer die Rüstungsexporte von 2002 bis 2005 verfünffacht hatte, konnte es kaum schlimmer kommen.

Doch die vier Regierungen unter Angela Merkel offenbaren eine Bilanz des Schreckens.

Genehmigungen für Waffenexporte

Besonders brisante Rüstungsexporte werden in geheimer Sitzung im Bundessicherheitsrat (BSR) entschieden – einem weltweit einmaligen Gremium. Bar jeglicher Transparenz wurden von Bundeskanzlerin Angela Merkel als BSR-Vorsitzender und einigen Minister:innen Waffenlieferungen an menschenrechtsverletzende oder kriegführende Staaten bewilligt.

Als Bundeskanzlerin und Vorsitzende des Bundessicherheitsrats von 2005 bis 2021 verantwortet Angela Merkel Waffenexportgenehmigungen in Höhe von 122 Milliarden Euro, womit sie in der deutschen Wirtschaftsgeschichte den Rekord hält: Meisterin des Todes.

Unter ihrer Ägide durfte die deutsche Rüstungsindustrie mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten ab 2013 mehrere Staaten der Jemen-Kriegskoalition hochrüsten. Dank ihrer Zustimmung konnten deutsche Waffen zudem im Afghanistankrieg, im Libyenkrieg, im Irakkrieg und im Syrienkrieg zum Einsatz kommen. Der Bundessicherheitsrat hat Flucht, Unterdrückung, Verstümmelung und Tötung Abertausender Menschen in Krisen- und Kriegsgebieten zu verantworten.

Diese Exporte stehen im Widerspruch zum Artikel 26 des Grundgesetzes und außerdem ist fraglich, ob der Bundessicherheitsrat verfassungskonform ist.  „Ich halte es nicht für zulässig, solche Entscheidungen an einen Ausschuss zu delegieren, dem nur einzelne Bundesminister angehören“, urteilte der Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier 2014.

Am 26. Februar 2021 protestierte die Aktion Aufschrei vor dem Deutschen Bundestag mit der Kunstaktion „Rüstungsexporte können tödlich sein. Deutschland braucht endlich ein Rüstungsexportkontrollgesetz“. Dazu wurden drei riesige Schachteln aufgestellt, aus denen Waffen wie Zigaretten ragten. „Rüstungsexporte können tödlich sein“ und andere Warnhinweise mit den dazu gehörigen Schockbildern prangten auf den Schachteln.

In der zu Ende gehenden Legislaturperiode wurden Exporte von Kriegswaffen genehmigt

• an das salafistische Herrscherhaus in Saudi-Arabien: Teilzulieferungen für Tornado- und Eurofighter-Kampfflugzeuge von Airbus, Lizenzvergabe für die Sturmgewehrproduktion des G36 von Heckler & Koch und vieles mehr, trotz der Tatsache, dass Saudi-Arabien das Kriegsbündnis im Jemenkrieg anführt. Inzwischen schließt das im Oktober 2018 nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi verhängte Waffenembargo gegen Saudi-Arabien die Teilelieferungen für die Kampfflugzeuge aus;

• an Staaten, die in den Jemenkrieg involviert sind, in dem nachweislich auch deutsche Waffen gegen zivile Ziele eingesetzt wurden: Ägypten (U-Boot der Klasse 209, Küstenwachboote und Patrouillenboote) Kuwait, Jordanien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate;

• an Staaten wie die Türkei und Katar, die in den Libyenkrieg involviert sind: Türkei (Leopard-II-Kampfpanzer von Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall, eingesetzt im Syrienkrieg, U-Boote, Teilezulieferungen für Kampfdrohnen);

• an Israel: Teile für Kampfpanzer, Militärfahrzeuge, Meko-Fregatte, Korvetten, U-Boote der Dolphin-Klasse von ThyssenKrupp Marine Systems; letztere dienen auch zur Seestationierung israelischer Atomwaffen;

• an Mexiko: G36-Gewehre von Heckler & Koch, von denen Abertausende widerrechtlich in belieferungsverbotene Unruheprovinzen transferiert wurden.

Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Keine Wende zum Guten

Analysiert man die Einzelgenehmigungen seit der Publikation von Rüstungsexportberichten der jeweiligen Bundesregierungen, beginnend im Jahr 1996, dann waren die Jahre 2015 bis 2017 negativ hervorgetreten. Für das Jahr 2019 allerdings müssen sich die Regierenden in Berlin den Vorwurf gefallen lassen, die Einzelgenehmigungen für Kriegswaffenexporte auf den Rekordwert von acht Milliarden Euro hochgeschraubt zu haben. Allein 2019 wurden 11.479 Einzelanträge für die endgültige Ausfuhr von Rüstungsgütern bewilligt.

Von einer funktionierenden Exportkontrolle oder gar einer „restriktiven Exportpolitik“ kann für Deutschland keine Rede sein, was um so betrüblicher ist, als auch die Rüstungsexportrestriktionen auf internationaler Ebene weitgehend versagen.

Taliban bestgerüstet

Mit der Ära Merkel endet auch der Afghanistan-Einsatz der Nato und der Bundeswehr. Den Taliban, die die Macht in wenigen Tagen im August eroberten, fielen gewaltige Mengen an Kriegsmaterial der US-Armee und ihrer Verbündeten in die Hände. Dabei handelt es sich um Groß- und Kleinwaffen wie Flugzeuge und Gewehre, um militärische Geländefahrzeuge und um Munition. Da die afghanischen Regierungstruppen ihre Stellungen zumeist kampflos aufgaben, verfügen die Taliban jetzt über ein erschreckendes Arsenal voll einsatzfähiger Hightechwaffen.

Fortan können sie auch deutsches Kriegsgerät nutzen, denn „seit Anfang 2002 bis heute wurden Rüstungsexporte für 418,8 Millionen Euro in das zentralasiatische Land genehmigt“. Letzte Ausfuhrerlaubnisse wurden noch 2021 erteilt, berichtet Zeit-online.

Damit ist der Worst Case eingetreten: Nicht nur, dass die Nato den – nach den Terroranschlägen von 2001 ausgerufenen – „Anti-Terrorkampf“ gegen die Taliban in Afghanistan verloren hat. Nicht nur, dass die im Land verbliebenen vormaligen Unterstützer:innen der Nato-Truppen, der Vereinten Nationen und humanitärer Hilfsorganisationen landesweit gejagt, gefoltert oder getötet werden. Mehr noch: Die Taliban sind in wenigen Tagen zur bestgerüsteten islamistischen Gruppierung der Welt avanciert. Die modernen Waffen können sie gegen Andersdenkende und Andersgläubige im Land und zur Sicherung ihrer Herrschaft einsetzen.1

Was zu tun ist

Was wir brauchen, ist neues Denken, eine wirkliche Wende hin zu einer Politik der Abrüstung und Entmilitarisierung. Im Rahmen dieses Umsteuerungsprozesses bedarf es der Verabschiedung eines strikten Rüstungsexportkontrollgesetzes, wie es von Greenpeace in Absprache mit „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ für Deutschland vorgelegt worden ist.2

In Artikel 26, Abs. 2, des Grundgesetzes soll ein grundsätzliches Verbot von Rüstungsexporten festgeschrieben werden. Ein solches Gesetz muss dem Schutz der Menschenrechte und der Abrüstung und nicht länger der Rüstungsindustrie dienen.

Was vor wenigen Jahren noch utopisch geklungen hätte, gewinnt inzwischen an Kontur. Als Konsequenz unserer erfolgreichen Strafanzeige gegen Heckler & Koch wies der Bundesgerichtshof im April 2021 auf die bestehenden Lücken bei der Kontrolle des Kriegswaffenexports hin. Mit Nachdruck verkündete der Vorsitzende Richter Jürgen Schäfer in seiner Urteilbegründung: „Die Rechtslage zu ändern wäre Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Gerichte, auch nicht des Bundesgerichtshofs.“ Der Schwarze Peter liegt also bei der kommenden Bundesregierung.

Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner:innen, Mitbegründer der Kritischen Aktionär:innen Heckler & Koch und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Anmerkungen:

1 Umfassende Informationen unter www.gn-stat.org.

2 www.greenpeace.de/presse/publikationen/

ruestungsexportkontrollgesetz

Weitere Informationen:

www.aufschrei-waffenhandel.de, www.gn-stat.org, www.dfg-vk.de, www.rib-ev.de und www.juergengraesslin.com

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