Wieder auf Liebe, Schnaps & Revolution am Tresen anstoßen

Gisela Notz (LP21-Redaktion)

„Aber über mich red ich nicht!“ Da geht’s mir ganz so, wie der Schauspielerin Therese Giehse, die das allen gesagt haben soll, die etwas über sie wissen wollten. Nun soll ich etwas über mich und die Corona-Zeiten schreiben? In den ersten Tagen kam ich mir vor, wie im Science-Fiction Film. Schließlich habe ich so etwas in den vielen Jahren, die ich auf der Welt bin, noch nicht erlebt. „Bleib zu Hause“, das war für mich nicht so schlimm (für viele Frauen schon), ich bin eh seit 13 Jahren im Home-Office: Wir haben einen großen Garten und auch sonst viel Freiraum und ich kann am Kanal spazieren gehen. Kaufhäuser und Flieger brauch ich nicht, ohne Friseur geht´s auch, ohne Kino schon schwerer und die drei Lokale, in denen wir öfter essen gehen, hatten zu. Das vermisste ich schon. Ich musste plötzlich täglich für mich kochen, auch weil – das war viel schlimmer – meine Vortragsreisen wegfielen. Nun hatte ich kein Publikum, kein Feedback und keinen Austausch mit den jungen Menschen. Die klugen Artikel, die mehr als täglich bei mir eintrudelten, von Kollegen, die alles über Corona wussten oder besser wussten, jedenfalls noch besser als der andere, konnten das nicht ersetzen. Sie gingen mir so lange auf die Nerven, bis ich sie nicht mehr gelesen habe. Ich hatte genug zu tun. Ich hatte viele Texte zu schreiben, junge und ältere Frauen zu trösten, die den Lärm ihrer Nachbarn nicht mehr ertragen konnten, und Omas aufzumuntern, die ihre Enkel nicht mehr sehen konnten. Ich lernte alle möglichen Video-Konferenz-Programme, halte Vorträge und sehe immer noch kein Publikum: Das sitzt nun weit weg, hinter dem Laptop und diskutiert per Zoom mit mir. Ich habe schon viereckige Augen.

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Grundrecht auf staatliche Aktivität

spezial > kapitalistische krisen in den zeiten der pandemie

André Geicke (LP21-Autor)

Entfaltung der Persönlichkeit und Handlungsfreiheit zählen zu den Grundrechten, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit auch. Letztere sind aber Voraussetzungen der erstgenannten. Persönliche Freiheit und Entfaltung kann uneingeschränkt überhaupt nur wahrnehmen, wer gesund und wessen Leben nicht bedroht ist. In Zeiten von Pest und Cholera ist an Persönlichkeitsentfaltung nicht mal zu denken.

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weitermachen*

Joachim Römer (LP21-Gestalter)

Morgens wachwerden und zu einer Risikogruppe gehören. Gespenstische Ruhe auf der Straße. Ein Teil der Brotjobs weggebrochen. Die meisten der in den Straßencafes und Imbissen Arbeitenden können nichtmal Kurzarbeitergeld beantragen oder sich arbeitslos melden. Keine spielenden Kinder mehr im Innenhof. Die demente Tante meiner Freundin wird – schlecht betreut – alleine sterben. Schwarz und surreal. Radio hören. Die Telefonate vieler Menschen dauern erheblich länger als sonst. Die Ursachen für die Pandemie sind teils identisch mit denen für den Klimawandel. Deutschlandfunk. Interview. Dennis Carroll (noch ein Virologe) forschte 20 Jahre lang für die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit über Viren: „Die wichtigste Ursache für das Übergreifen von Viren liegt in der Transformation von Ökosystemen durch eine Änderung der Landnutzung. Deren wichtigster Faktor ist wiederum die Rinderhaltung und -produktion.“ „Wenn wir uns die Aspekte und Ursachen des Klimawandels anschauen, stellen wir fest, dass auch dies zu einem großen Teil auf die Änderung von Landnutzung zurückzuführen ist. Wir müssen uns also weder an die Gefahr durch Viren gewöhnen, noch an das Szenario des Klimawandels.“ Da hatte ich das Bild links schon angefangen. weitermachen! Die Straßen-Fundstücke zusammenkleben und übermalen…

* Grabstein-Inschrift, Herbert Marcuse, Dorotheenstädtischer Friedhof, Berlin

Das „Corona-Konzert“ & die Entschleunigung danach

Bernd Köhler (LP21-Autor)

Corona wird für mich immer verbunden sein, mit der Erinnerung an ein besonderes Konzert, das kurz vor dem Lockdown gerade noch so über die Bühne gebracht werden konnte. Die Veranstaltung stand im Zusammenhang mit der Herausgabe eines Buchs mit Liedern und Texten aus der Zeit zwischen 1967-89. Über dieses „versiffte 68” also und seine Folgejahrzehnte mit einem weltweiten Aufschwung revolutionärer Kämpfe um Emanzipation und Selbstbestimmung, die ich mit meinen Songs begleitet, interpretiert, manchmal auch zu befeuern versucht habe.

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Skizzen aus dem Leben mit Corona

Therese Wüthrich (LP21-Redaktion)

Lockdown, Tag eins: Es war Dienstagmorgen. Es war erstaunlich ruhig wie an einem Sonntagmorgen. Ich fuhr mit dem Bus ins Zentrum der Stadt Bern. Bereits auf dem Weg dorthin wurde mir mit aller Deutlichkeit bewusst: Über Nacht hat sich das gewohnte Leben verändert. Nur noch vereinzelt wartende Menschen an den Bushaltestellen, auf einer sonst sehr befahrenen Strasse waren kaum Autos zu sehen. Mit dem Wochenmarkt am Dienstagmorgen pulsiert das Leben im Stadtzentrum intensiver als während der anderen Wochenarbeitstage. Aber an diesem Dienstagmorgen war das Stadtzentrum wie leergefegt. Kein Wochenmarkt, kaum Menschen in den Gassen und auf der Strasse, die Geschäfte geschlossen. Das Zentrum in Bern ist zu einer Geisterstadt geworden. Es mutete an wie in einem Westernfilm, ein paar Minuten vor dem Ansturm.

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Spuren im Körper

Der Krieg gegen das unsichtbare Virus

Im Zeitalter der „Fake News“, der allgemeinen Verunsicherung über Klimakatastrophen, Corona und die Krise, werden Eindeutigkeiten und wirksame Lösungen ersehnt. Die Stunde der Virologen – und einiger weniger Virologinnen sowie Epidemiologinnen – hat geschlagen. Aber: Deren Problembeschreibungen kommen in Begriffen daher, die weder vorstell- noch sinnlich erfahrbar sind. So werden mit (Sprach-)Bildern die erforderlichen Übersetzungsarbeiten geleistet, um die Ursachen der aktuellen Corona-Krise zu erklären und die daraus folgenden Maßnahmen für alle plausibel zu machen. Das gilt für die Bereiche von Politik, Naturwissenschaft und Medien gleichermaßen.

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Corona-Panik

Schrittmacher einer kybernetischen Wende

Von Woche zu Woche blamieren sich Wirtschaftsforschungsinstitute mit ihren Prognosen. War am Anfang des Lockdowns noch von Produktionseinbrüchen von 2 Prozent für das laufende Jahr 2020 die Rede, sagte man bald das Zehnfache davon voraus. Ähnlich wie bei den Mathematikern in den Corona-Fachstäben, die medizinische Fallzahlen aggregieren, fehlt auch den Rechnern für die zukünftige Wirtschaftsleistung jede seriöse Datenlage. Wie lange bleiben welche Beschränkungen von Grundfreiheiten bestehen? Welche Art von Mobilität wird wann und wem erlaubt sein? Wann und wie dürfen Handels-, Industrie- und Dienstleistungsmessen stattfinden? Wie sollen Staaten die versprochenen Billionen-Hilfen für alles und jeden zuerst auftreiben und später wieder eintreiben? Welche Kosten verursachen Arbeitslosigkeit und Insolvenzverfahren? Ohne solche Kenntnisse fehlen jeder Gleichung die Zahlen, die ein gültiges Resultat ergeben könnten.

Wir wollen uns in der Folge einem vorhersehbaren, tiefgreifenden Zyklenwechsel widmen, der die Menschheit in ein neues kybernetisches Zeitalter im Sinne einer Verbindung von Mensch und Maschine führt.

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Tempowahn und Eisenbahn

Bündnis für den Widerstand gegen Schädigungen jeglicher Art – Alliance pour l´opposition à toutes les nuisances*

Die Bewegungsfreiheit war als Freizügigkeit einer der wichtigsten Gründe für den Umsturz despotischer Regime. Doch am Ende sind es nun die Waren, die Bewegungsfreiheit genießen, während die Menschen, zu zahlenden Handelsgütern degradiert, von einer Ausbeutungsstätte zur anderen transportiert werden. Das Befreiungsversprechen hat sich am Ende in die bedauerliche Gewissheit verkehrt, nirgend mehr zu Hause zu sein und sich ständig auf die Suche nach sich selbst machen zu müssen. Der [französische Hochgeschwindigkeitszug] TGV entspricht diesem letzten Stadium. Es liegt tatsächlich eine gewisse Logik darin, eine Landschaft so schnell wie möglich zu durchqueren, wenn daraus beinahe alles verschwunden ist, was es wert war, dort zu verweilen, und wenn deren parodistische Nachbildung jederzeit im Euro-Disneyland [sic!] konsumiert werden kann, das zweckmäßig an einem Hauptknotenpunkt des Streckennetzes platziert wurde.

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Tempowahn

Zur Pathologie der automobilen Gesellschaft

Im Gefolge des Diesel-Skandals erklärten die Bosse der Autoindustrie: „Wir haben verstanden“. Ab sofort würde Autofahren „nachhaltig und umweltverträglich“. Um das zu unterstreichen, gibt es die Kampagne für Elektromobilität. Dass E-Autos wenig mit Nachhaltigkeit zu tun haben und dass die gesamte E-Auto-Kampagne darauf hinausläuft, die erreichte Autodichte nochmals zu erhöhen, wurde u.a. in Lunapark21 46 im Frühjahr 2019 belegt.1 Doch das ist nicht alles. Die Autoindustrie fährt längst auch eine Offensive, um Pkw mit immer höheren Spitzengeschwindigkeiten und mit einer immer größeren PS-Leistung auf den Markt zu bringen und um zugleich den Anteil von SUVs bei den Neuzulassungen zu steigern. Diese fatale Strategie wird auch dadurch ermöglicht, dass die EU alle E-Pkw als „Zero-Emission Vehicles“ definiert. Diese „Null-Emissionsautos“ können gegen das Aufgebot von SUV mit Verbrennungsmotoren aufgere chnet werden. Damit vergrößert sich die Spanne, in der Diesel- und Benzin-SUV verkauft werden können – der CO2-Ausstoss der Pkw-Flotte erhöht sich.

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It´s physics, stupid!

„Tempo 130 bringt nichts?“

Die in Deutschland herrschende Auffassung, ein Tempolimit bringe wenig, widerspricht der Physik. Die zur Stützung dieser steilen These herangezogenen Verbrauchsdaten können gar nicht belegen, was sie beweisen sollen, dass nämlich im letzten Land der Europäischen Union die Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung nur geringen Effekt auf den Treibstoffverbrauch und damit den CO2-Ausstoß des Verkehrs hätte.

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