Der autoritäre Staat macht sich breit

Die meisten Menschen ducken sich weg, seit Monaten, bald schon für ein ganzes Jahr. Die Maßnahmen zur Bekämpfung eines Virus verstehen sie längst nicht mehr. Zu widersprüchlich und zu unterschiedlich sind die einzelnen Verordnungen sowohl in ihrem zeitlichen Verlauf als – mehr noch – in ihrer regionalen Ausprägung.

Lockdown hart oder weich, mit oder ohne Schulschließungen, Kultur abgedreht, Demonstrationen erlaubt, Ausgangssperren verhängt, Quarantäne erforderlich, Frei-Testen möglich – oder auch nicht. Viele Linke sind beim Wegducken mit dabei, glauben an das über alle Kanäle verkündete Narrativ, die Maßnahmen würden der Volksgesundheit wegen alternativlos sein. Einzelne mutieren gar zur kampfbereiten Front im Namen der Gesundheit und bringen sich gegen Zweifler an den Maßnahmen in Stellung. Herrschafts- und Leitmedien greifen ihre Selbstdarstellung, wonach es bei der Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern des Ausnahmezustandes um einen Kampf zwischen Antifa und Faschisten bzw. Rechten ginge, bereitwillig auf. Nichts ist freilich so unsinnig, wie diese Annahme. Ein Blick auf das am 18. November im deutschen Bundestag beschlossene dritte Bevölkerungsschutzgesetz zeigt, wie das Virus dazu benutzt wird, parlamentarisch-demokratische Strukturen zurückzudrängen und Eingriffe in die Grundrechte zu institutionalisieren.

Die Analyse, dass von der EU-Kommission in Brüssel abwärts bis in die Ministerbänke vieler Mitgliedsstaaten die Gesundheits- und Sozialpolitik seit Jahren, ja seit Jahrzehnten, kaputtgespart wurde, bleibt aufrecht. Auch bei nun staatsaffinen Linken. Warum ausgerechnet diesen staatlichen und suprastaatlichen Institutionen nun allerdings eine Gesundheitspolitik unterstellt wird, die ihrer sozialen Verantwortung gerecht wird und daher unterstützt werden muss, bleibt nach allen Maßnahmen, die gesetzt werden, ein Rätsel. Ihr autoritärer Charakter und ihre für das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben verheerende Wirkung müsste jeden kritisch denkenden Menschen und jeden Linken, für den Freiheit und Gerechtigkeit keine bloßen Floskeln und untrennbar miteinander verbunden sind, dagegen aufschreien lassen.

Wie sieht es anderswo aus?

In Frankreich entscheidet ausschließlich der „Conseil de défense et de la Sécurité nationale“, der Verteidigungsrat, über das Wohl der Bevölkerung, mithin über die Frage, im Umkreis von wie vielen Metern sich jeder Mensch rund um seine Wohnung bewegen darf. Seit Monaten wechseln einander Ausgangssperren mit Ausgangsbeschränkungen ab. Zwischen dem Atombunker „Jupiter“ unter dem Élysée-Palast und dem Erdgeschoß hat sich ein kleiner Kreis eingerichtet, der im Kriegsmodus agiert, wie der oberste Kriegsherr, Emmanuel Macron, betont. Der vorgebliche Feind: das Virus, das man in Allianz mit Pharmariesen besiegen will. Zur Vertiefung autoritärer Strukturen ließ Macron am 24. November im Parlament das „Gesetz über die globale Sicherheit“ verabschieden, das unter anderem die „böswillige Verbreitung“ von Polizistenbildern im Einsatz verbietet, wenn dies ihre „physische oder psychische Integrität verletzt“. Macron nutz t die Seuchenbekämpfung zur Etablierung eines autoritären Staates, was in Frankreich – anders als in Deutschland – viele Linke protestieren lässt.

Italien geht mit Ausgangssperren und ständig wechselnden Erklärungen zu Hochrisikogebieten gegen die Verbreitung eines Virus vor, das damit nicht gestoppt werden kann. Auf der Strecke bleiben, wie in anderen Ländern, soziale Beziehungen, Lebensperspektiven und Bürgerrechte.

Die Slowakei machte den Anfang mit Massentests. Millionen von Slowakinnen und Slowaken mussten sich Röhrchen in die Nase stecken lassen, um in einem Schnelltest zu erfahren, ob ihre Viruslast über oder unter einer willkürlich festgelegen Marke liegt. Bei wem der Wert darüber lag, der wurde für 14 Tage behördlich abgesondert. Wer den Test verweigerte, der durfte seine Wohnung für denselben Zeitraum ebenfalls nicht verlassen. Der Testwahn fand sogleich Nachfolger in Südtirol und Liverpool. Dass diese Schnelltests besonders fehleranfällig sind, wurde von vielen Medizinern bekrittelt. Doch das spielt angesichts der übergeordneten Rationalität, warum nun an vielen Orte Massentests angeordnet werden, keine Rolle. Immerhin geht es darum, zig Millionen von bereits angekauften und gelagerten Testpaketen ihrer Bestimmung zuzuführen, anstatt sie auf dem Müll zu entsorgen, bevor das große Impfen losgeht und die überproduzierten Teststäbchen und Tes tampullen niemand mehr braucht. Zudem dient die allerorts mit Heereslogistik durchgeführte Massentestung als Probelauf für die angesagte Verwertung der Impfdosen. Dem gläsernen Menschen in einer Orwell’schen Dystopie kommt man damit auch näher, geben doch Millionen über diese Tests freiwillig ihre DNA zwecks weiterer Verwendung in zukünftigen Kontrollsystemen ab.

In Österreich hat sich die konservativ-grüne Koalitionsregierung vom rechten slowakischen Ministerpräsidenten Tipps für die Massentestungen geben lassen. Sie halten die Alpen- und Donaurepublik den ganzen Dezember lang in Atem. Sicherheitshalber hatte man bereits zuvor österreichische Soldaten in die Slowakei geschickt, um dort bei der Suche nach asymptomatischen Virusträgern behilflich zu sein. Ein seit 17. November geltender kompletter Lockdown mit Ausgangssperre zwischen Neusiedlersee und Bodensee erleichtert die Erreichbarkeit der Testpersonen. Dafür wurde eigens eine gesetzliche Ausnahme vom Ausgangsverbot verordnet – man darf sich zwecks viraler Nasenbohrung aus dem Haus begeben; dass man es auch muss, dazu haben sich die Verantwortlichen nicht durchringen können. Ob es Sanktionen beispielsweise für Staatsdiener gibt, die sich nicht testen lassen, ist bei Redaktionsschluss dieses Beitrages noch unbekannt.

Die Verbreitung von Ungewissheit, wann welche Maßnahmen wen und wo betreffen, ist längst zu einer Herrschaftsstrategie des autoritären Staates geworden, und dies nicht nur in Österreich.

Hannes Hofbauer hat (zusammen mit Stefan Kraft) zuletzt herausgegeben: Lockdown 2020. Wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern.