Warum Kulturarbeit bezahlt werden sollte

Religion darf in Gruppen ausgeübt werden, Kultur, die für viel mehr Menschen sinnstiftend ist, aber nicht. So kritisierte in ZEIT online Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien Hamburgs, die Anfang November verordneten Kontaktbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie. Er hätte auch hinzufügen können, dass nicht schlüssig ist, die Kontakte bei Konsum und Kultur drastisch zu beschränken, aber den Bereich der Arbeit einfach laufen zu lassen und dort nicht auch eine viel leichter zu kontrollierende Halbierung der bisherigen Kontakte zwischen Arbeitenden durchzusetzen.

Zum Glück für die Kulturschaffenden war das Ende von Live-Kultur vor Publikum diesmal mit der Zusage von Geld verbunden: Alleinunternehmer im Kulturbereich, wie früher die Solo-Selbstständigen hießen, sollten für den Schließungsmonat den durchschnittlichen Umsatz eines Vorjahresmonats erhalten – also nicht nur den Verdienst eines Monats, sondern das, was sie einschließlich der Kosten geldlich bewegt hatten.

Zum Glück, weil Kulturveranstaltungen mit den Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen nicht funktionieren – weder von der Stimmung her noch wirtschaftlich. Ein verkürztes Konzert in der Elbphilharmonie mit einem Drittel des Publikums von einem auf ein Drittel reduziertem Orchester bringt höchstens einmal Spaß und rechnet sich nicht – ebenso wie das Reeperbahnfestival in Hamburg, das 2020 einen derart kontaktbeschränkten Probelauf unternahm. Es funktioniert nicht, wenn das wenige Publikum in Kleingruppen auf Stehplätzen festgefroren bleiben muss.

Diese Beurteilungen und Protestmaßnahmen wurden breit im Rundfunk, Fernsehen und im Internet dargestellt und kommentiert. Kultur fand also statt, nur nicht live und vor Publikum. Warum wirkt sich das Ende der Live-Auftritte wirtschaftlich so katastrophal für die Kulturschaffenden aus? Das liegt vor allem an den weitreichenden strukturellen Veränderungen in diesem Bereich: Als Resultat des immer größeren Anteils der digitalen Verbreitung von Kultur, mit der die Kulturschaffenden nichts verdienen, wuchs die Bedeutung der Einnahmen aus Live-Auftritten.

Während es zu Zeiten von Ton- und Bildträgern wie Schallplatte, Tonband und CDs rechtlich sichergestellt werden konnte, dass die Produzierenden einen Anteil am Verkaufserlös als Vergütung erhielten, gehen sie beim Austausch von Werken im Internet meistens leer aus und müssen sich durch einen Anteil an den Eintrittseinnahmen und den Verkauf von CDs und Merchandising-Artikeln über Wasser halten.

Diese Veränderung ist nicht schicksalshaft über die Welt gekommen und ist nicht untrennbar mit digitalen Techniken verbunden. Digitale Techniken und das World Wide Web sind in den USA entwickelt worden und mit der Technik setzten sich auch die dort vorherrschenden Rechtsvorstellungen durch, speziell auf dem Gebiet des Urheberrechts.

Nach dem ursprünglichen europäischen Modell des Urheberrechts entstehen Vergütungsansprüche für ein Werk durch den Akt seiner Schöpfung. Sie sind wie bei einem Handwerker untrennbar mit der Person des Schöpfenden verbunden. Der Urheber eines künstlerischen Werkes erhält das Recht auf Vergütung, das erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt. Ob sie oder er mit diesem Recht etwas anfangen kann, richtet sich dann nach den institutionellen Regelungen. Im Prinzip muss bei jeder Nutzung ein Entgelt entrichtet werden, das durch die GEMA oder VG Wort von den Nutzern eingesammelt und an die Urheber gezahlt wird.

Das amerikanische Recht geht dagegen von einem Copyright aus, das verkauft werden kann und nicht mehr an den ursprünglichen Urheber gebunden ist.

In gewisser Weise verdanken wir die Gestalt von Mickey Mouse diesem Umstand: Nachdem Walt Disney seine Schöpfung Oswalt the Lucky Rabbit 1927 an seine Verleihfirma verloren hatte, die die Rechte daran besaß, produzierte er 1928 in kurzer Zeit eine Ersatzfigur für seine Animationsfilme, nämlich Mickey Mouse, an der er sich die Rechte eindeutig sicherte.

Wegen der dominierenden Rolle der USA in der elektronischen Datenverarbeitung und schließlich im WWW ist diese Rechtskonstruktion zunächst bei den EDV-Programmen durchgesetzt worden und schließlich bei allen anderen Schöpfungen, die über elektronische Medien verbreitet werden. Das bedeutet, dass nur dort, wo Firmen Copyright-Ansprüche erworben haben und verteidigen, alle anderen Nutzer zahlen müssen – aber nicht an die Produzenten, sondern an die Rechteinhaber.

Für das System der öffentlichen Information und Debatte wurde aus den USA die Konstruktion übernommen, wonach die Zeitungen und später auch die Rundfunk- und Fernseh-Sender viel stärker durch Werbeeinnahmen finanziert wurden als dies in Europa der Fall war. Das hat Konsequenzen für den Inhalt, weil Produktionen speziell darauf ausgerichtet werden, viel Aufmerksamkeit und viele Klicks anzuregen, die wiederum zu größeren Werbeeinnahmen führen.

Vergütung im Netz

Dabei wäre eine Vergütung nach europäischem Recht im WWW der demokratischen Nutzung des Mediums angemessener und während der Corona-Pandemie weit besser durchsetzbar als zu früheren Zeiten: Jeder Abruf oder jede Nutzung eines Produktes wird vom Nutzer mit minimalen Beträgen bezahlt, gestaffelt nach Informationsmenge und Bedeutungsgehalt, der bei Texten pro Byte höher ist als bei Bildern. Das eingesammelte Geld wird nach Anzahl der Nutzungen unter den lebenden Urhebern verteilt: etwa nach Art einer weltweiten GEMA für sämtliche elektronisch im Netz verfügbare Produktionen.

Dabei sollten lebende Urheber auch etwas von dem erhalten, was längst verstorbene Urheber geleistet haben, die dadurch lebende Autorinnen fördern würden. Das schlösse einen erweiterten Begriff von Urheberschaft an einem Produkt ein, nämlich nicht nur der Autoren, sondern auch der Schauspieler, Kameramenschen, Aufnahmetechniker und Verlage, die letztendlich das im Netz verfügbare Produkt geschaffen haben. Und ähnlich wie bei der VG Wort könnten wissenschaftliche Beiträge oder neue Texte mehr von den eingesammelten Geldern erhalten als Beiträge mit sehr hohen Klickzahlen.

Durch die Urheberschaft aller an der Produktion Beteiligten (und nicht derjenigen, die das Urheberrecht kaufen) könnte gewährleistet werden, dass redaktionelle und verlegerische Arbeit sich auch finanziell lohnt. Das US-amerikanische liberalistisch-anarchistische Modell unterstellt, dass ohne redaktionelle Bearbeitung, allein durch das Zusammentreffen verschiedenster Autorinnen und Beiträge, im Netz eine neue Qualität entsteht – ein schon bei der kapitalistischen Produktionsweise verhängnisvoller Irrtum, der hier auf die öffentliche Meinungsbildung übertragen wird.

Also: Her mit dem Geld, das sich Kulturschaffende im WWW eigentlich durch ihre Arbeit bereits verdient haben!

Jürgen Bönig arbeitete jahrzehntelang im – jetzt stillgelegten – Museum der Arbeit in Hamburg, dessen Attraktivität auf Vorführungen, Produktion vor Publikum und Erproben durch das Publikum beruht.