Menschliches Versagen oder systemische Krise?

Das Beispiel des Bahnunglücks in Burgrain, Bayern

Aktualisierte Fassung vom 11.7.22 mit Ergänzungen zur GDL-Pressekonferenz vom 26.7.22

Tagtäglich liest man – oder man erfährt im Wortsinne selbst –, dass Bahnfahren allzu oft und von Jahr zu Jahr mehr nervt. Das ist nicht nur so in den 9-Euro-Ticket-Zeiten mit übervollen Regionalzügen. Das ist die ständige Erfahrung von jemand, der seit 37 Jahren mehr als 35.000 Schienenkilometer pro Jahr (die Corona-Jahre 2020 und 2021 ausgenommen) zurücklegt. Aber ist Bahnfahren auch gefährlich? Ich weiß, dass Autofahren mindestens zehn Mal gefährlicher ist. Und der Bahnchef Richard Lutz behauptet auch weiter tapfer: „Wir machen keine Kompromisse bei der Sicherheit.“[1] Jedoch konnte man jüngst in der Stuttgarter-Zeitung in einem Grundsatzartikel zur systemischen Krise der Deutschen Bahn das Folgende lesen: „Der tragische Unfall einer Regionalbahn bei Garmisch-Partenkirchen zeigt unter anderem, dass es bei der Krise der Bahn nicht bloß um Bagatellen geht. Hier werden Menschen nicht nur genervt, sondern auch gefährdet.“[2] Das trifft leider zu. Das Burgrain-Bahnunglück vom 3. Juni ist symptomatisch für die Untergrabung der Sicherheit im Schienenverkehr – und für das Systemversagen, das dafür ursächlich ist.

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Inhalt Heft 58 “Weltumordnungen”

Vertrieb des Printheftes ab 4.7.22

3 · Editorial · Winfried Wolf · 1.7.22

globaler lunapark
6 · Eingeblättert aus dem Alltag des systematischen Wahnsinns · 4.7.22

quartalslüge II/MMXXII
8 · „Tempolimit bringt nichts“ · 7.7.22

kolumne winfried wolf
10 · Schlafwandler – wirklich? Es droht die Ausweitung des Ukraine-Krieges zu einem europäischen Krieg · 22.6.22

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Teilblockade von Kaliningrad: Der Krieg rückt auf Berlin zu

Jetzt mit einer Antwort auf User-Kommentare vom 27.6.22

Es droht die Ausweitung des Ukraine-Kriegs zum europaweiten Krieg. Verantwortlich dafür sind keine Schlafwandler, sondern scharf kalkulierende Akteure. Auch in Berlin.

Zum Verständnis des Ukrainekriegs findet ein Bild Verbreitung, mit dem bereits der Erste Weltkrieg erklärt wurde. „Ziehen wir in eine Katastrophe wie die Schlafwandler 1914?“, fragt Konrad Schuller in einem ganzseitigen Artikel in der FAZ. Ähnlich der ehemalige Chefredakteur des Blattes Cicero, der unter der Überschrift „Die neuen Schlafwandler“ konstatiert: „Wie unsere Neo-Bellizisten das Risiko einer katastrophalen Eskalation nonchalant übersehen.“[1]

Auf den ersten Blick überzeugt das Bild. Der Krieg begann am 24. Februar mit der Invasion der russischen Armee in die Ukraine – und damit als regionaler Krieg. Der russische Präsident behauptete am 9. Mai, es handle sich um eine Art innerrussische Angelegenheit: „Wir führen eine militärische Spezialoperation durch – als reine Verteidigungsaktion von historischem russischen Land“. US-Präsident Joe Biden und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg versicherten mehrfach, „keinen Krieg gegen Russland führen“ zu wollen. Und der deutsche Kanzler Olaf Scholz stellte am 23. März im Bundestag klar: „Wir werden der Ukraine helfen, ohne selbst Kriegspartei zu werden.“

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Die Krise der Partei DIE LINKE

Was Münchhausen geschafft hat, kann eine Basisbewegung in der LINKEn auch schaffen

Eine Linke, die konsequent die neoliberale Unordnung bekämpft, die ohne Wenn und Aber für Abrüstung und Frieden eintritt und die den Kapitalismus nicht als das Ende der Welt, wohl aber als Ursache für das absehbare Ende akzeptabler Lebensbedingungen auf dem Planeten erkennt, ist heute notwendiger denn je. Denn die innere Logik des bestehenden Wirtschaftssystems führt erkennbar in zerstörerische Krisen, zu weltweitem Hunger, in einen neuen großen Krieg und in die Klimakatastrophe. Umso tragischer sind der Niedergang der Partei DIE LINKE. Umso größer die Herausforderungen auf deren Parteitag am letzten Juni-Wochenende.

Dabei ist die Krise dieser Partei erkennbar Teil einer umfassenden Krise der europaweiten Linken. Diese hat sich durch drei Ereignisse vertieft. Erstens durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und der übrigen nicht-kapitalistischen Staaten, die fälschlich als sozialistische verstanden wurden. Das trug zur Zersetzung der großen sozialistischen und kommunistischen Parteien in Italien, Frankreich und Spanien bei. Zweitens durch die Covid-19-Pandemie, die die Mehrheit der linken Parteien nicht als gesundheitliche Bedrohung insbesondere für die ärmeren Bevölkerungsschichten wahrnahm und wo darüber hinaus ein Teil der Linken diese mit grotesken Verschwörungstheorien zu erklären versuchte. Drittens durch den russischen Krieg in der Ukraine, bei dem sich einige Linke noch in einem pro-russischen Lager bewegen und andere Teil der Kriegspartei wurden und Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten.

Dass es diese europaweite Krise der Linken gibt, mag die Krise der LINKEN in Teilen erklären. Dies entschuldigt jedoch nicht den Selbstzerstörungsprozess.

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Wider eine militärische „Lösung“ des Ukrainekriegs

Die Invasion in die Ukraine ist ohne jede Einschränkung oder Relativierung zu verurteilen. Gleichzeitig sind wir fest davon überzeugt, dass die rein militärische Reaktion auf Putins verbrecherischen Krieg ein Irrweg ist, mit dem das menschliche Leid immer mehr vergrößert wird.

Von Heino Berg, Thies Gleiss, Jakob Schäfer, Matthias Schindler, Winfried Wolf.

Zur Einordnung der Invasion und der Reaktion des Westens

Der Kreml verfolgt seit Jahren eine imperialistische Politik zum Erhalt und zur Ausdehnung seiner Machtbasis (Tschetschenien, Georgien, Syrien, …). In Verbindung mit der extraktivistischen Wirtschaftsstruktur in Russland ist die im Kreml konzentrierte Macht die Grundlage für den Reichtum der russischen Oligarchen, leidtragend ist die große Mehrheit der russischen Bevölkerung.

Ohne dass damit der russische Krieg gegen die Ukraine gerechtfertigt werden könnte, bleibt dreierlei festzuhalten: (1) Die NATO übertrifft mit ihren Kriegen u.a. in Afghanistan, Irak und Libyen Russland noch hinsichtlich imperialistischer Politik. (2) Die Expansion der Nato seit 1990 nach Osten ist und bleibt Ausdruck einer aggressiven Politik. (3) Die USA haben die Ukraine in jüngerer Zeit massiv hochgerüstet.

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… eigentlich…

… sollte das Spezial dieses Lunaparks sich mit Tempowahn und dringend notwendigen Tempolimits beschäftigen. Das Cover war schon entworfen. Dann der Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine. Das für uns Unvorstellbare marschierte auch in unser Heft ein. Das neue Titel-Motiv klauten wir von einem Plakat, dass die SAV (Sozialistische Alternative Voran) 2014, nach der russischen Annexion der Krim durch Russland, in vielen deutschen Städten klebte. Danke fürs Kleben und Klauenlassen! +++ „Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit“. Der Satz wird Hiram Warren Johnson – 1866 bis1945 – zugeschrieben. Er war von 1911 bis 1917 Gouverneur von Kalifornien und galt als progressiv. Lange vor dem ersten Schuss haben, wie in jedem Krieg, die Kriegspropaganda-Abteilungen die Lufthohheit über die veröffentlichte Meinung übernommen. Traue keinem der über die Bildschirme und durch den Blätterwald huschenden Bilder. +++

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Von der Demokratie zur Technokratie?

Zur politischen, sozialen und ökonomischen Lage in Italien

Dass Demokratie und Neoliberalismus nicht gut zusammenpassen, ist inzwischen eine Binsenweisheit: Überall kollidieren private Interessen von Minderheiten mit denen der Mehrheit und dem sogenannten Gemeinwohl. Die Lage im heutigen Italien ist hier beispielhaft.

Vor gut hundert Jahren in Wien als antisozialistische Herrschaftstheorie entstanden, hat sich seit den siebziger Jahren der Neoliberalismus als Ideologie gegen die reformistische Sozialdemokratie weiterentwickelt. Er stützt bis heute die Restauration der Klassenherrschaft mittels anti-keynesianischer Regierungspraxis mit massiven Reprivatisierungen und Deregulierungen, wobei ein Rückgriff auf den Staat nur noch zur Stützung des Marktes erfolgt. Der Interessenkonflikt als solcher ist im sozialen wie politischen Bereich weitgehend ausgeblendet. Der einstige Klassenkampf-Begriff ist längst verdrängt von der ab 1945 aus den USA nach Westeuropa exportierten „Sozialpartnerschaft”, in der die Widersprüche zumindest auf sprachlicher Ebene überwunden scheinen. Diese Negierung des Konfliktes hat das demokratische Potential unserer westlichen Gesellschaften wesentlich eingeschränkt. Vor allem die Linken aller Couleur haben das in den vergangenen Jahrzehnten in Euro pa deutlich gespürt und an Einfluss verloren. Werden dann in Krisenzeiten zunehmend reale Bedürfnisse der Mehrheit vernachlässigt, öffnet das über kurz oder lang Einfallstore für rechtsextreme Kräfte.

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