Kohlen & Kohle

Kein Ausstieg aus den klimaschädlichen Energieträgern Steinkohle und Braunkohle in Sicht

Am 21. Dezember 2018 wurde die Förderung von Steinkohle in Deutschland offiziell beendet – mit einem Festakt und mit staatlich verordneter Trauer. Der deutsche Bundespräsident Walter Steinmeier weilte vor Ort auf der Schachtanlage Prosper-Haniel in Bottrop und nahm das angeblich „letzte abgebaute Steinkohlestück“ mit den Worten in Empfang: „Das ist ein Tag der Trauer für Sie“. Der Chef des (staatlich dominierten) Bergbaukonzerns RAG, Peter Schrimpf, sprach von einem „schwarzen Tag“. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte: „Kohle und Wohlstand sind nicht voneinander zu trennen.“ Und der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet betonte: „Wir haben dem schwarzen Gold viel zu verdanken.“

Solche Worte scheinen einerseits angesichts der stattfindenden Klimaerwärmung völlig aus der Zeit gefallen. Andererseits passen sie in diese Zeit, zu diesen Personen und zu der Politik, die diese verkörpern. Nur wenige Tage zuvor war die Klimakonferenz in Katowice im Kohleland Polen beendet worden – ohne seriöse Ergebnisse, die den klimapolitischen Anforderungen gerecht werden würden. Walter Steinmeier erklärte vor einem knappen Jahrzehnt, 2009, am selben Ort – nach einer Grubenfahrt in Bottrop – er stehe „als Kanzlerkandidat“ dafür ein, dass „die Förderung von Steinkohle noch über das Jahr 2018 hinaus fortgesetzt“ wird. Jean-Claude Juncker wiederum steht einer EU vor, an deren Wiege die 1952 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle- und Stahl (EGKS) stand, ein lockeres Staatenbündnis, dessen Ziel es war, das Überleben der großen, ehemals kriegswichtigen Stahl-, Kohle- und Rüstungskonzerne zu sichern. Und Armin Laschet erklärte noch Ende September 2018: „Im Hambacher Forst wird der Eindruck erweckt, als könnte man diesen Wald retten […] Dieser Eindruck ist einfach falsch”.

Man hätte an diesem Dezembertag ganz anderes ansprechen können und verdeutlichen müssen. So ist die Rede von einem „deutschen Steinkohlebergbau“ diskussionswürdig. Bereits vor 110 Jahren waren im Ruhrgebiet 500.000 Menschen aus „Inlandspolen“ und Masuren beschäftigt; im „deutschen“ Bergbau wurden 1908 exakt „71.774 preußisch-polnische und masurische Arbeiter“ gezählt. Im Ersten Weltkrieg stieg die Zahl der nichtdeutschen Beschäftigten nochmals; zehntausende Fremdarbeiter aus Belgien, Polen und Russland mussten unter Tage malochen. Im Frühjahr 1915 erbat das Kruppsche Hüttenwerk Rheinhausen bei den Behörden um die Überstellung „weiterer russischer Zivilgefangener aus den Konzentrationslagern [sic!] Barmen und Elberfeld.“[1] 1944 wurden im „deutschen Bergbau“ gar 433.790 ausländische Beschäftigte – überwiegend Zwangsarbeiter – gezählt. Diese machten ein Drittel aller Bergbau-Beschäftigten aus.[2] Bis heute haben im Ruhrgebiet viele Nachkommen von Bergbauarbeiter-Familien polnische Wurzeln.

Man hätte auch daran erinnern können und müssen, dass in den 1960er Jahren in Westdeutschland im Jahr durchschnittlich 333 Bergarbeiter den Tod durch Unfälle unter Tage fanden; in den 1970er Jahren waren es immer noch 105 Tote pro Jahr. Es sei wiederholt: bei der Arbeit unter Tage Getötete, jeweils im Jahresdurchschnitt! Insgesamt starben im Zeitraum 1975 bis 2016 im „deutschen“ Steinkohlebergbau nach offiziellen Angaben 6.599 Menschen – vor allem durch Grubenbrände, Schlagwetterexplosionen und Einbrüche von Stollen. Im gleichen Zeitraum wurden rund 90.000 Silikose-Erkrankungen ehemaliger Bergbaubeschäftigter offiziell als Berufskrankheit anerkannt – die tatsächliche Zahl der an „Staublunge“ Erkrankten dürfte gut doppelt so hoch liegen. Allein für die offiziell Erkrankten mussten Entschädigungsleistungen in Höhe von knapp 13 Milliarden Euro bezahlt werden.[3]

Man hätte kritisch bilanzieren müssen, dass vor allem in den letzten drei Jahrzehnten mehr als 200 Milliarden Euro an Subventionen in den Bergbau flossen – und zwar Gelder, mit denen (in einer Höhe von rund 130 Milliarden Euro, also mit dem größten Teil dieser Gesamtsumme) der Preis der deutschen Steinkohle gesenkt und damit die Gewinne der Kohle- und Stahlkonzerne und der Energieunternehmen gestützt und gesteigert wurde.[4] Diese Gelder flossen zu einem großen Teil in einer Zeit, als es das Wissen um die Klimaerwärmung und um die fatale Rolle, die dabei die Kohleverstromung spielt, längst gab. Mit diesem stolzen Betrag staatlicher Subventionen hätte man zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine weitreichende Energiewende realisieren können – und dies durchaus sozialverträglich.[5]

Vor allem aber hätte man spätestens zu diesem Zeitpunkt, Ende 2018, einen Schlussstrich ziehen müssen unter verharmlosende Formulierungen, wonach „das schwarze Gold tief unter der Erde schlummert“ und es sich bei der Kohle um „einen natürlichen Energiespeicher handelt, aus dem Energie jederzeit abgerufen werden kann“.[6] Stattdessen hätte man auf die folgenden Tatsachen verweisen müssen: „Kohle ist der Brennstoff mit der schlechtesten Klimabilanz. Ihre Verbrennung geht einher mit der Freisetzung gesundheitsgefährdender Luftschadstoffe sowie toxischer Metalle. Die Braun- und Steinkohleverstromung verursacht hohe Umweltschäden und Kosten, die sich in den Strompreisen nicht wiederfinden. In Deutschland wird zudem mehr Strom erzeugt als verbraucht. Kurzfristig sollte eine umweltschonendere Stromerzeugung durch die Abschaltung von Kohlekraftwerken, die Reduzierung der Volllaststunden und den verstärkten Ausbau erneuerbarer Energieträger umgesetzt werden.“ So ist dies beim Umweltbundesamt nachzulesen. Es handelt sich hier um eine Institution, die zumindest ein deutscher Bundespräsident bei dieser Gelegenheit hätte zu Wort kommen lassen müssen.

Stattdessen geht die Kohleverstromung 2019 und in den folgenden Jahren kaum vermindert weiter – indem Kohle aus Russland, Kolumbien und den USA importiert und in deutschen Kraftwerken verfeuert wird. Die Förderung von Braunkohle – der klimaschädlichste aller Energieträger – soll nach einem der Vorsitzenden der Kohlekommission, Ronald Pofalla, noch knapp zwei Jahrzehnte, nach Armin Laschet noch länger fortgesetzt werden.[7]

Die Behauptungen, der viel zu späte Ausstieg aus der Förderung der Steinkohle und der nicht absehbare Ausstieg aus der Förderung der Braunkohle habe etwas mit dem Schutz von Arbeitsplätzen zu tun, ist unhaltbar. Allein die jüngeren Maßnahmen der deutschen Regierung zur Rückführung der Förderung erneuerbarer Energien vernichteten mehr Arbeitsplätze, als es insgesamt heute noch im Bereich Braunkohlebergbau und Braunkohlekraftwerke gibt.[8] Die deutsche Energiepolitik ist eng verwoben mit den Strukturen der fossilen Wirtschaft und orientiert sich – wie diejenige in der EU, in China und auf Weltebene – in erster Linie an den Profitinteressen der Energiekonzerne. Nicht ganz zufällig steht „Kohle“ auch für Gewinn, Profit oder allgemein für Geld.[10]

Anmerkungen:

[1] Zitiert nach: Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, München 2001 (Verlag C.H. Beck), S.109. Die Angaben zuvor ebenda, S.74

[2] Es handelte sich im August 1944 um 252.848 Beschäftigte aus der Sowjetunion, um 69.085 Beschäftigte aus Polen, um 50.325 Italiener und um 21.844 Franzosen. Nach der NS-Statistik waren es nicht näher aufgeteilte „ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene“, letztere dominierten deutlich. A.a.O., S. 148f

[3] Angaben der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (www.bgrci.de); siehe: http://www.realize-ruhrgebiet.de/2018/05/31/den-schmerz-und-den-dreck-vergessen/

[4] Die Förderkosten deutscher Steinkohle lagen seit mehr als vier Jahrzehnten deutlich höher als der Preis von Steinkohle auf dem Weltmarkt. Natürlich wäre es theoretisch auch möglich und damit mit keinen staatlichen Kosten, sondern mit Einnahmen verbunden gewesen, den Import von Kohle mit hohen Zöllen zu belegen.

[5] Hinzu kommen die sogenannten Ewigkeitskosten, um durch Geländeabsenkungen verursachte weitere, größere Schäden bei Gebäuden und Flussläufen zu verhindern oder zu minimieren. Diese „Ewigkeitskosten“ liegen pro Jahr bei 250 bis 300 Millionen Euro. Richtig ist, dass es sich hier zunächst nicht um direkte staatliche Subventionen handelt. Diese Kosten werden von dem Chemiekonzern Evonik, der zu 68 Prozent von der RAG kontrolliert wird, getragen. Wobei Evonik wiederum in problematischer Weise in den Sektoren (Petro-) Chemie, Kraftwerke (einschließlich Kohleverstromung) und Immobilien tätig ist.

[6] Zitate aus dem Handelsblatt und der Süddeutschen Zeitung, die sich dort im Dezember 2018 anlässlich der Beendigung der deutschen Steinkohleförderung fanden.

[7] Laschet erklärte Ende September 2018, ein (Braun-)Kohleausstieg sei voraussichtlich „früher möglich als zum Enddatum 2045“, das die vorausgegangene (rot-grüne!) Landesregierung festgelegt hatte.

[8] Im Braunkohlebergbau und in den Braunkohlekraftwerken arbeiteten laut Berechnungen des Umweltbundesamtes Anfang 2019 noch rund 20.000 Menschen; die Hälfte davon sind 50 und mehr Jahre alt (Studie vom Juli 2018).

[9] Lucas Zeise, dessen Beiträge oft in Lunapark21 zu lesen waren, brachte in seinem Buch „Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus“ (Köln, PapyRossa, 2010) eine lange Aufzählung von Synonymen für „Geld“. Mindestens drei davon („Kohle“, „Schotter“, „Koks“, ev. auch „Eier“-[Kohlen]) haben mit dem Kohlebergbau-Milieu zu tun.

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