Datteln IV und der schmutzige neue Bahnstrom

Die Bahn ist das klimafreundlichste Verkehrsmittel auf längeren Strecken – was sie mit „100% Ökostrom“ an ihren ICEs auch breit bewirbt. Der Bahnverkehr könnte rein technisch schon jetzt überwiegend mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Nur auf nicht elektrifizierten Strecken wird die Bahn – noch – von Diesel angetrieben, wobei es mit Akkutriebwagen und Wasserstoffzügen auch hier inzwischen die Möglichkeit des elektrischen Betriebs gibt. Auch heute schon enthält der Bahnstrom mit 57 Prozent schon einen deutlich höheren Anteil erneuerbarer Energien als der allgemeine Strommix in Deutschland. Bis zum Jahr 2030 sollen es 80 Prozent sein, im Jahr 2038 dann endlich 100 Prozent.1 Echter Wind-, Solar und Wasserkraft-Strom macht allerdings nur Teil davon aus. Der größte Teil des Stroms wird hingegen über den Kauf und die Entwertung sogenannter Grünstromzertifikate lediglich „grün gemacht“.2 Das heißt beispielsweise, dass di e betreffende Energiemenge tatsächlich aus einem Kohle- oder Atomkraftwerk stammen kann, die Deutsche Bahn (DB AG) aber für diesen Strom die Grünstromzertifikate von Wasserkraftwerken in Norwegen aufkauft. Tatsächlich fließt aber kein Strom von Norwegen ins deutsche Bahnstromnetz, sondern die DB Energie GmbH bezahlt lediglich für die „grüne Eigenschaft“ dieser Energiemenge – was andere Stromanbieter im Übrigen ebenso praktizieren.

Die DB AG hat in der Vergangenheit allerdings nicht immer auf Ökostrom gesetzt. Als die E.on Kraftwerke GmbH mit den Planungen für das neue Kohlekraftwerk Datteln IV begann, schloss das damalige Management unter Hartmut Mehdorn langfristige Verträge über die Energielieferung ab. Auch wenn Datteln IV wegen fehlender Genehmigungen, technischer Probleme und politischer Proteste nun erst fast zehn Jahre später als geplant ans Netz geht, sind diese Verträge – inzwischen mit dem neuen Betreiber Uniper – nach wie vor gültig. Das bedeutet, dass die DB Energie GmbH seit Inbetriebnahme von Datteln IV in erheblichem Umfang weiter Bahnstrom aus Steinkohle bezieht: Rund 40 Prozent der Kraftwerksleistung von Datteln IV (413 der insgesamt 1.100 MW) werden ins Bahnstromnetz eingespeist.3 Dieser Kohlestrom aus Datteln widerspricht natürlich eklatant dem Ziel des Klimaschutzes und des zunehmenden Ökostrom-Anteils im Bahnnetz – und das für lange Zeit, da Datteln I V als letztes Kohlekraftwerk in Deutschland vom Netz gehen wird. Noch im Januar 2019 hatte die Kohlekommission gefordert, das Kraftwerk gar nicht erst in Betrieb zu nehmen. Die am 16.1.2020 von der Bundesregierung bewilligten Beschlüssen zum Kohleausstieg sahen dann aber doch wieder die Inbetriebnahme des Kraftwerks vor – trotz der anhaltenden Proteste aus der Zivilgesellschaft.

Konsequent wäre es, dass die DB AG die Verträge für den Kohlestrom aus Datteln sofort kündigt. Durch den Wegfall des wichtigsten Kunden würde möglicherweise das gesamte Kraftwerk unwirtschaftlich und wesentlich früher stillgelegt. Für das Klima, dem dadurch zwischen 10 und 14 Millionen Tonnen CO2 erspart blieben, wäre das eine gute Nachricht. Als Alternative sollte die DB AG wesentlich stärker auf die eigene Produktion von echtem Grünstrom setzen. Sie hat mit großen Flächen und Gebäuden im ganzen Land dafür hervorragende Voraussetzungen. Schon heute wirbt sie mit dem Konzept der „Grünen Bahnhöfe“, die angeblich gänzlich CO2-neutral arbeiten sollen.4 Solche Konzepte sollten aber nicht bei Modellprojekten stehen bleiben, sondern bundesweit realisiert werden. Auch abseits der Bahnhöfe bieten sich die gigantischen Bahnflächen zur Eigenproduktion erneuerbarer Energien an – seien es die Dächer von Instandhaltungswerken , Lärmschutzwände oder andere Bahnanlagen. Dies könnte ein höchst sinnvolles Projekt zur Wirtschaftsförderung in der Corona-Krise sein, und so könnte die Bahn den Klimaschutz wirklich glaubhaft vertreten, anstatt weiter Kohlestrom einzukaufen.

Bernhard Knierim lebt in Werder (Havel) und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Bundestagsbüro

Anmerkungen:

1 Angabe für 2019: https://www.dbenergie.de/dbenergie-de/Erneuerbare-Energien-3244834

2 https://inside.bahn.de/bahn-umwelt-gruen/ (abgerufen am 31.8.2020)

3https://www.uniper.energy/de/datteln-4 (abgerufen am 31.8.2020)

4 https://gruen.deutschebahn.com/de/massnahmen/gruener-bahnhof (abgerufen am 31.8.2020)

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