Nachhaltig sind nur die Umweltschäden

300 Jahre Braunkohleabbau im Rheinland

„Zögert man die Entscheidungen so lange hinaus, bis sich die Probleme verschlimmert haben, so wird sich der Spielraum für wirkungsvolles Handeln drastisch verringern“, lautete das Resümee einer Studie zum Zustand der Erde, die der Präsident der Vereinigten Staaten in Auftrag gegeben hatte. Der Präsident hieß Jimmy Carter, und die Studie „Global 2000“ wurde ihm im Oktober 1980 vorgelegt. 35 Jahre später unterzeichneten in der Folge der Pariser Klimakonferenz mehr als 190 Staaten ein Maßnahmenpaket, das als Einstieg in eine weltweite Umweltpolitik verstanden werden kann. In diesem Jahr erleben wir seit der Ausbreitung des Corona-Virus, zu welch drastischen Maßnahmen die Politik bereit ist, wenn unmittelbare Gefahr droht.

Die beschleunigte Klimaerwärmung und Zerstörung unserer Lebensgrundlagen indes scheint für die meisten Regierungen von geringer Dringlichkeit zu sein. Auch die Bundesregierung hat, als Mitunterzeichnerin der Pariser Klimavereinbarung, die für das Jahr 2020 festgelegte Reduzierung des deutschen CO2-Ausstoßes ohne Zögern aufgegeben. Der Ausbau der für das Gelingen der Energiewende benötigten Windenergie ist in Deutschland durch Reglementierungen des Wirtschaftsministeriums fast vollständig zum Erliegen gekommen. Wir werden nicht an der Erkenntnis vorbeikommen, dass heute unterlassener Umweltschutz ein Vielfaches an erforderlichen Mitteln notwendig machen wird, um die Schäden in der Zukunft abzumildern.

Das Umweltbundesamt weist für 2016 einen Ausstoß von 303 Millionen Tonnen CO2 für die deutsche Stromerzeugung aus, der etwa zur Hälfte aus Braunkohlekraftwerken stammte. Mit einem derart hohen Emissionsanteil produzierten diese Kraftwerke weniger als 25 Prozent des Stroms. Wenn wir uns in Deutschland über den Klimawandel Gedanken machen, müssen wir uns mit der Braunkohle beschäftigen. Angesichts eines zur Jahrtausendwende noch nicht für erreichbar gehaltenen Anteils der regenerativen Stromerzeugung von mittlerweile über 40 Prozent wäre eine deutliche Drosselung der Kohleverstromung möglich gewesen. Aber statt bereitstehende Gaskraftwerke, deren CO2-Ausstoß pro Kilowattstunde bei weniger als der Hälfte hierzulande betriebener Kohlekraftwerke liegt, durch gesetzliche Maßnahmen verstärkt in die Stromproduktion einzubinden und damit eine deutliche Reduzierung der Emissionen zu erzielen, bleiben immer noch viele alte Kohlekraftwerksblöcke in Betrieb.

Die Geschichte des Braunkohletagebaus im Rheinischen Revier

„Brennende Steine“ nannten schon die Römer oberflächennahe Kohlefunde, aber eine intensive Nutzung der Braunkohle setzte erst zum Ende des Mittelalters ein – zunächst vor allem als Grundstoff für die Farbherstellung und für die Auslaugung von Alaun.

Im Raum Brühl/Frechen, südwestlich von Köln, wurde Ton für die Keramikherstellung gewonnen. Um an die Tonschichten zu gelangen, mussten die darüber nahe der Bodenoberfläche lagernden Kohleflöze abgetragen werden. Die Braunkohle verblieb zunächst ungenutzt als Abraum. Zum Ende des 17. Jahrhunderts stellte man schließlich fest, dass diese torfähnliche Schicht nach Trocknung brennbar war. Die Grundherren der Kohlelagerstätten machten sich diese neue Verwendungsmöglichkeit zu Nutze und ließen die Braunkohle von Kleinbauern und Tagelöhnern abgraben. Das damals als „Turf“ benannte faserige Material wurde in topfähnliche Formen gepresst und an der Luft getrocknet. Die entstandenen sogenannten Klütten dienten den Menschen der Umgebung als billiges und willkommenes Heizmittel, denn Brennstoff war knapp, da ein großer Teil der Wälder in den zurückliegenden Jahrhunderten für die Verwendung als Bau- und Heizmaterial abgeholzt worden war.

Mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes in Deutschland wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Steinkohle aus dem Ruhrgebiet auch am linken Niederrhein verfügbar. Die Verbrennung von Braunkohle verlor dadurch kurzzeitig an Bedeutung.

Eine Erfindung aus dem Eisenbahnbetrieb leitete den Wiederaufstieg der Braunkohle ein. Mit der sogenannten Strangpresse gelang es um 1850, Torf für die Feuerung von Lokomotiven nutzbar zu machen. Ab 1876 nutzte die Brikettfabrik Roddergrube nahe Brühl das Verfahren. Als günstig herzustellendes Brennmaterial erlangten Braunkohlebriketts zunehmende Bedeutung – nicht nur für die Eisenbahn.

Weitere Brikettfabriken entstanden im Köln-Bonner Raum, und der Bedarf an Braunkohle nahm stetig zu, so dass die mit den bisherigen Methoden gewonnenen Kohlemengen auf Dauer nicht ausreichen würden. In der Zeit der Jahrhundertwende ging man daher zum Einsatz von Großgeräten über. 1895 wurde ein bis zur Fertigstellung des Nord-Ostsee-Kanals dort eingesetzter Abraumbagger nach Erfstadt-Liblar verbracht und vom Tagebau Donatus übernommen. In den Folgejahren wurden Bagger in immer mehr Gruben eingesetzt. Aus den um 1850 etwa 40 mit Hacken, Schaufeln und Loren betriebenen Kohlegruben entstanden im Laufe der Zeit durch Still- und Zusammenlegung wenige, aber umso größere Abbaugebiete. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges waren nahezu alle der knapp 30 im Rheinland noch bestehenden Kohlegruben mit Baggern ausgestattet. Neben Brikettfabriken entstanden in der Umgebung nun auch Kraftwerke für die Stromversorgung der Städte Bergheim, Frechen und Köln. Und mit steige nder Stromerzeugung siedelten sich auch energieintensive Industriebetriebe an.

Trotz der enormen Ausweitung der Fördermengen blieb die Nutzung der Braunkohle bis zum Ersten Weltkrieg gegenüber der im Ruhrgebiet gewonnenen hochwertigen Steinkohle überregional von geringer Bedeutung. Nach dem Ende des Krieges allerdings verringerte sich die Menge der in Deutschland verfügbaren Steinkohle. Zum einen wurden mit Elsass-Lothringen wichtige Steinkohlevorkommen an Frankreich abgetreten, zum anderen hatte Deutschland aus den im Reichsgebiet weiter betriebenen Kohlebergwerken, insbesondere im Ruhrgebiet, große Mengen Steinkohle als Reparation zu liefern. Infolgedessen erlangte die Braunkohle wieder einen höheren Stellenwert. Während der folgenden zwei Jahrzehnte stieg der Anteil der Braunkohle an der Energieversorgung auf bis zu 60 Prozent.

Besondere Wertschätzung erlangte die Braunkohle in der Zeit des Nationalsozialismus. Durch die stetige Ausweitung der Fördermengen sollte eine Autarkie Deutschlands im Energiesektor erreicht werden. Mit dem in den zwanziger Jahren bereits in ersten Anlagen der chemischen Industrie eingesetzten Verfahren zur Kohleverflüssigung stand den Nationalsozialisten eine technische Lösung zur Verfügung, um die für den späteren Einsatz im Krieg dringend benötigten Treibstoffe zumindest teilweise aus eigenen Rohstoffreserven herstellen zu können. Die größten dieser Hydrierwerke entstanden in Ostdeutschland. Südlich von Köln wurde 1937 die Union Rheinische Braunkohlen Kraftstoff AG gegründet, die ab 1941 Kraftstoffe für die deutsche Wehrmacht produzierte. Wie in vielen anderen Wirtschaftsbereichen konnte aufgrund der stetigen Abkommandierung wehrtauglicher deutscher Arbeitskräfte der Betrieb der Kohleförderung und Verarbeitung bis zum Ende des Kri eges nur mit Zehntausenden Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen aufrechterhalten werden.

Das Ende der Kohlehydrierung im Rheinland setzte mit den massiven alliierten Bombenangriffen ab Mai 1944 ein, die die Treibstofferzeugung im Laufe jenes Jahres fast vollständig zum Erliegen brachten. Nach dem Ende des Krieges war es den Deutschen zunächst nicht mehr erlaubt, Industriebetriebe zur Kohlehydrierung zu nutzen. Letztlich war diese Art der Treibstoffherstellung durch die Verfügbarkeit von billigem Erdöl ohnehin unwirtschaftlich geworden. Seit dem Ende der fünfziger Jahre führte der zunehmende Einsatz von Erdöl für die Beheizung der Privathaushalte auch zu einer stetigen Verringerung der Produktion von Kohlebriketts. Wichtigster Verwendungszweck der Kohle wurde die Stromerzeugung.

Aufgrund sehr geringer Deckschichten von kaum mehr als zehn oder zwölf Metern über den etwa 70 Meter starken Kohleflözen war der Braunkohleabbau bis in die fünfziger Jahre mit verhältnismäßig geringem Aufwand zu betreiben. Nach Norden hin sinken die Flöze jedoch ab, so dass mit fortschreitender Auskohlung der südlichen Vorkommen das Kohle-Abraum-Verhältnis in Richtung Norden deutlich ungünstiger wurde. Die heutigen Tagebaue Garzweiler II und Hambach sind 200 und mehr als 400 Meter tief. Die Kohleförderung blieb für die Betreiber auch bei Abraummengen rentabel, die die Menge abgebauter Kohle um das Sechsfache überstiegen. Immer größere Schaufelradbagger kamen zum Einsatz. Waren schon die nach 1954 gebauten Schaufelradbagger mit Höhen von 60 Metern und täglichen Förderleistungen von 110.000 Kubikmetern gigantisch, so wurden diese Werte bei den seit den siebziger Jahren in Dienst gestellten Baggern nochmals übertroffen. Ihre Höhen betragen nun annähernd 100 Meter, und die Fördermengen wurden mit 240.000 Kubikmetern pro Tag mehr als verdoppelt.

Für den sich immer weiter in Richtung Norden verlagernden Kohleabbau wurde der Bau der sogenannten Nord-Süd-Bahn erforderlich, mit der die Kohle zu den Kraftwerken und Brikettfabriken im Süden transportiert werden konnte. 1955 ging das Kraftwerk Frimmersdorf südlich von Grevenbroich in Betrieb. 1963 startete die Stromproduktion im Kraftwerk Niederaußem bei Bergheim und 1972 im Kraftwerk Neurath, ebenfalls südlich von Grevenbroich. Aus dem westlichen Tagebau Inden wurde seit 1914 das Kraftwerk in Weisweiler versorgt; neue Kraftwerksblöcke entstanden dort ab 1955. Auch im Energiesektor ging der Einsatz immer größerer Produktionsmittel mit einer starken Marktkonzentration einher. Hatten sich 1899 noch 19 Grubenbetreiber zur besseren Vermarktung ihrer Kohlebriketts zusammengeschlossen, so errang nach 1920 die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerks AG (RWE) eine Vorrangstellung und ist heute alleinige Betreiberin der drei verbliebenen großen Tagebaue im Rheinland.

Auswirkungen auf Landschaft und Grundwasser

Im Tagebau Hambach, im sogenannten Nordrevier, wird Braunkohle heute in einer Tiefe von 400 Metern abgebaut. Die Tagebaue Garzweiler II und Inden im Westrevier fördern in rund 200 Metern Tiefe. Entsprechend müssen eine drei-, vier- oder sechsfache Menge Abraum pro gefördertem Kubikmeter Braunkohle bewegt werden. Bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts erlaubten die geringen Ausmaße der Kohlegruben eine relativ unproblematische Renaturierung. Die in der Ville-Region zurückgebliebenen Abbaulöcher füllten sich meist schon durch einfließendes Grundwasser und bildeten Seen, die von Befürworten des Tagebaus gern als Beispiele für eine gelungene Renaturierung angeführt werden.

Die wachsenden Abraummengen im Zuge der Nordwanderung dienten bislang auch der Verfüllung stillgelegter Gruben. Mit Beendigung des Kohletagebaus geht die Möglichkeit einer Verfüllung aus laufender Förderung verloren. Stattdessen könnte man die vorhandenen Abraumhalden nutzen. Als größte entstand seit 1978 für den Tagebau Hambach die sogenannte Sophienhöhe, für die Teile des Hambacher Waldes und die Ortschaft Lich-Steinstraß zerstört wurden. Mit einer Fläche von 13 Quadratkilometern und einer Höhe von etwa 200 Metern wäre es naheliegend, das Material für die Verfüllung zu nutzen. Der Bergbautreibende beabsichtigt allerdings nicht, die Kosten für den Transport von über zwei Milliarden Kubikmetern Abraum zu übernehmen. Doch selbst sämtlicher Abraum reichte nicht, die stillgelegten Gruben vollständig zu füllen. Der Volumenverlust durch die entnommene Kohle müsste zusätzlich ausgeglichen werden. Überdies wu rde vor Beginn der Bergbautätigkeit vielfach Sand und Kies abgebaggert, was die Menge des fehlenden Bodenmaterials weiter vergrößert.

Drei riesige Löcher mit einer Gesamtfläche von zirka 75 Quadratkilometern werden nach Beendigung der Bergbautätigkeit bleiben: am Tagebau Garzweiler II ein Volumen von zwei Milliarden Kubikmetern, 180 Meter tief; am Tagebau Hambach ein Volumen von 3,6 Milliarden Kubikmetern, 400 Meter tief; und am Tagebau Inden ein Volumen von 800 Millionen Kubikmetern, 180 Meter tief.

Gräbt man ein Loch tief genug, so füllt es sich mit Wasser. Voraussetzung für den in Tiefen von mehreren hundert Metern betriebenen Abbau von Stein- und auch Braunkohle ist die Beseitigung des Grundwassers im Fördergebiet. Dazu ist es notwendig, bis unterhalb der Tagebausohle aus sämtlichen Wasser führenden Schichten abzupumpen – die in der Tiefe unter Druck stehenden Grundwasserleiter werden „entspannt“. Dieser Druckabfall bewirkt im Rheinischen Braunkohlerevier einen großräumigen Wasserentzug in kilometerweit vorgelagerten Zonen bis in die Niederlande und an den Rhein. Jährlich werden für den Tagebau Garzweiler 100 Millionen und für den Tagebau Hambach 400 Millionen Kubikmeter sauberes Grundwasser entzogen – mit unverkennbaren Folgen für die Vegetation.

Mit dem Grundwasserentzug verändern sich die Bodenstrukturen irreversibel. Im Tagebaubereich entsteht eine dauerhafte Durchlässigkeit der zuvor voneinander getrennten Schichten. Damit verringert sich die im oberen Grundwasserstockwerk verfügbare und für die Vegetation wichtige Wassermenge. Ebenso dringen nun mit Nitrat und Pestiziden verunreinigte oberflächennahe Grundwässer in tiefere Schichten ein. Sowohl im Ruhrgebiet als auch im rheinischen Braunkohlerevier bestehen in der Folge sogenannte Ewigkeitslasten. Nach Ende der Bergbautätigkeit ist man auf unbestimmte Zeit dazu gezwungen, die Folgen der durch jahrzehntelange Eingriffe in den Grundwasserhaushalt hervorgerufenen Schäden mit hohem Aufwand zu begrenzen. Wie im Ruhrgebiet wird auch in den Tagebauregionen ein Absinken großer Flächen beobachtet. Bei einem späteren Anstieg des Grundwassers auf das ursprüngliche Niveau ist daher ein Schutz der Gebäude erforderlich, örtlich auch ein dauerh aftes Abpumpen des anstehenden Wassers.

Die in den ausgekohlten Flächen zurückgelassenen Abraumkippen führen durch Oxidation der in Luftkontakt getretenen Schwefel-Eisenverbindungen zu einer Versauerung des Bodens, mit der Folge einer Mobilisierung von Schwermetallen. Auf diese Weise gelangen Schwermetalle und Salze in oberflächennahe Schichten und beeinträchtigen die Grundwasserqualität. Eine Neutralisierung des Abraummaterials findet erst in neuerer Zeit statt – im Tagebau Garzweiler etwa wurden im Jahr 2004 rund 80 Millionen Kubikmeter versauerungsfähiger Abraum mit fast 200.000 Tonnen Kalk vermischt, wodurch das Ausmaß der Schwefeloxidation verringert werden soll. Derartige Maßnahmen wurden in den älteren Tagebauflächen allerdings nicht durchgeführt.

Somit dürfte man die zurückgelassenen Tagebaulöcher schon wegen der Wasserqualität nicht mit Grundwasser füllen, abgesehen davon, dass die benötigten Wassermengen aus den entleerten Bodenschichten nicht bereitgestellt werden können. Dennoch favorisiert RWE eine Befüllung der Tagebaue mit Wasser, deren letzte Stillegung für 2038 geplant ist. Es wäre die preiswerteste Lösung. Die zurückbleibenden Wasserbecken werden dezent als Restseen bezeichnet. Ihre Ausmaße wären enorm. In Deutschland würde Hambach dem Volumen nach nur noch vom Bodensee übertroffen. Man rechnet für den unter Wasser zu setzenden Tagebau Garzweiler II mit einem Grundwasseranteil von nur etwa zehn Prozent, der aufgrund seiner höheren Dichte im unteren Bereich des Sees verbleibt. Die entstehenden Seen werden einen anaeroben, also toten, unteren Bereich ausbilden, in dem hohe Konzentrationen gelöster Salze und Schadstoffe vorherrschen. Der bei weitem grð 6ßte Anteil des benötigten Wassers muss aus Flüssen zugeführt werden. Wir erleben heute schon die Auswirkungen einer durch den Klimawandel hervorgerufenen Verringerung der Niederschläge mit teilweise extrem niedrigen Flusspegeln. Die Annahme, der Restsee Garzweiler ließe sich mit der Einleitung von jährlich 60 Millionen Kubikmetern Rheinwasser innerhalb von 40 Jahren planmäßig füllen, erscheint optimistisch. Zur Vermeidung von Abbrüchen der steilen Uferzonen wird man auch auf viele Jahre mit dem Abpumpen fortfahren müssen, um eine Destabilisierung der Böschungen durch in die Seen einfließendes Grundwasser zu verhindern.

Lassen wir nicht außer Acht, dass mit der sogenannten bergbaulichen Inanspruchnahme durch den immer noch 74 Quadratkilometer großen Tagebau ein gravierender Flächenverbrauch hochwertiger Lößböden der Jülicher und Zülpicher Börde verbunden ist. Auch die Landwirtschaft zählt durch die Verringerung dieser charakteristischen regionalen Ackerflächen zu den Verlierern des Tagebaus. Zudem gehen durch den Bau der neuen Umsiedlerorte landwirtschaftliche Betriebsflächen verloren.

Demgegenüber sind die nach vielen Jahrzehnten neu entstehenden rekultivierten Ackerflächen wegen der riesigen zurückbleibenden Restseen deutlich verkleinert. Erfolge bei der Wiederherstellung einer für die landwirtschaftliche Nutzung erforderlichen Bodengüte sind fraglich, die einstigen Qualitäten werden nicht wieder erreicht werden.

Die Situation der betroffenen Einwohner*innen

Seit den frühen fünfziger Jahren hat der Tagebau Wohnorte vertilgt und Menschen ihrer Heimat beraubt. Und noch droht vielen dasselbe Schicksal. Allein im Rheinland liegt die Gesamtzahl der bislang zwangsumgesiedelten Menschen bei 40.000.

Die Menschen verlieren neben ihrem Zuhause auch die Orte ihrer Erinnerung, an die sie niemals werden zurückkehren können. Geburtshaus, Schule und Kirche, Wiesen und Wälder, sogar der Friedhof, verschwinden in einem Hunderte Meter tiefen Loch. Oft sind dem endgültigen Abschied Jahre der Hoffnung vorausgegangen, dass sich die Vernichtung der Ortschaft doch noch abwenden ließe. Jahre, in denen manche Freunde und Bekannte den Ort verließen. In denen die ersten Läden schlossen, das Vereinsleben zurückging. Dann tauchen Bagger und LKW auf. Es werden Erdarbeiten durchgeführt, Absperrungen aufgebaut und Bäume gefällt. Wer nicht zu den ersten Umsiedlern zählt, erlebt ein jahrelanges Sterben seines Heimatortes. Viele, die gehen, ziehen in einen anderen als den neu entstehenden Umsiedlerort, um nicht weitere Jahre auf einer Baustelle leben zu müssen.

Besuchern bietet sich ein unwirkliches Bild. Auf den Äckern wird immer noch Landwirtschaft betrieben, Straßenschilder weisen die Richtung zu bereits zerstörten Orten und in einiger Entfernung ragen die Stahlkonstruktionen der Bagger aus dem Tagebau empor. Einzelne Gebäude sind bereits verlassen, Türen und Fenster vernagelt, viele Gebäude sind in schlechtem Zustand. In der Ungewissheit seit 20 oder 30 Jahren sind manche Reparaturarbeiten ausgeblieben, Neubauten finden sich hier nicht mehr. In den Gärten hängen Obst und Beeren an Bäumen und Sträuchern, die niemand mehr erntet. Wenige geparkte Autos, Blumen und Gardinen in den Fenstern und einzelne Menschen lassen erkennen, dass der Ort noch nicht gänzlich verlassen ist. Manche Geschäfte sind geschlossen, die Schaufenster zugeklebt, mit Holzplatten verschlossen oder zugemauert. Manchmal überrascht ein geöffneter Laden, eine Bäckerei oder Metzgerei. Wer am neuen Ort keine Zukunft für seinen Betrieb sieht, hält das Geschäft offen so lange es eben geht, um schließlich für immer aufzugeben. Auf Grundstücken abgerissener Häuser ist eine Wiese entstanden. Vereinzelte Baumstümpfe zeigen die Reste ehemaliger Gärten an.

In der über Jahre andauernden Phase der Umsiedlung leidet der Zusammenhalt innerhalb der Dorfgemeinschaft. Als Fördern und Spalten ließe sich das Vorgehen der RWE interpretieren. Für den neuen Siedlungsort stellt der Konzern großzügige finanzielle Unterstützung für Sportvereine und Brauchtumspflege zur Verfügung. RWE lässt erkunden, von welchen Bewohnern im Ort Widerstand zu erwarten ist, bietet manchen gut bezahlte Arbeitsplätze an und stellt aufgekaufte Häuser Werksangehörigen zur Verfügung oder nutzt sie als Büros. Diejenigen, die sich zum Fortzug entschließen, finden für ihre Immobilie keine Käufer – außer der RWE. Die zahlt zum Kaufpreis zwar noch eine Aufwandsentschädigung, doch sind die Summen für Häuser und Grundstücke niedrig. Jede in Betracht zu ziehende Wertminderung wird bei der Ermittlung des Immobilienwertes in Abzug gebracht. Der schließlich gewährte Kaufpreis deckt daher keinesfalls die K osten für neu zu errichtende vergleichbare Gebäude.

Da man sich früher oder später zum Verkauf entschließen muss, um der Enteignung zu entgehen, ist man vom Wohlwollen von RWE abhängig, was die Kritik verstummen lässt. Die über Jahre angespannte Situation verursacht Konflikte unter den Bewohner*innen. Ein geschlossener Widerstand kommt nicht zustande. Es bestand nach der bisher geltenden Rechtsprechung keine Aussicht auf eine erfolgreiche juristische Gegenwehr. Der Tagebau mit seiner Zerstörung von Kulturlandschaft, Flüssen, Wäldern, Gebäuden, Kirchen und Infrastruktur wurden stets als unverzichtbar für das Allgemeinwohl betrachtet.

Handeln zum Wohl der Allgemeinheit

Schon die großräumige Vernichtung unserer Grundwasservorräte, die drastische Verringerung der verfügbaren Ackerflächen und die Zerstörung vieler Orte mit der Vertreibung Tausender Menschen sind angesichts der Erfordernisse einer modernen und umweltverträglichen Energieversorgung nicht hinnehmbar. Mochten Regierungen in vergangener Zeit aufgrund des Fehlens von Alternativen und der nicht erkannten Dringlichkeit des Umweltschutzes bereit gewesen sein, der Kohleförderung alles andere unterzuordnen, so sind die Dimensionen des dafür betriebenen Raubbaus nicht mehr zu übersehen. Verantwortungsvolle Politik kommt an einer schnellen Abkehr von der Kohle nicht vorbei. Für ein hoch technisiertes Land ist das Festhalten an einer Form der Energieerzeugung wie vor 150 Jahren keine Option.

Im Januar 2018 gab der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine Studie zum Klimaschutz heraus. Dort heißt es: „Nachhaltiger Klimaschutz eröffnet vielen unserer Unternehmen langfristig Chancen auf dem wachsenden Weltmarkt für klimaschonende Produkte und Prozesse.“ Der Abteilungsleiter Energie- und Klimapolitik beim BDI, Carsten Rolle, ergänzt: „Wenn wir demonstrieren, dass wir die Energiewende sowohl technisch als auch wirtschaftlich beherrschen, könnten wir weltweit viele Nachahmer finden – mit riesigen Chancen für die deutsche Industrie. Denn wir bauen die Kompetenz auf, ein komplexes Energiesystem der Zukunft sicher zu beherrschen. Unsere Studie zeigt, dass es möglich ist.“

Während der vergangenen zehn Jahre hingegen blieb der Anteil der Braunkohle im deutschen Strommix nahezu unverändert. Ganz zu schweigen davon, dass die Bundesregierung den Ausbau von regenerativen Energieerzeugern zurückgeführt hat. Zeitgleich werden Überschüsse produziert. Im Januar 2019 wurde in Deutschland ein neuer Rekord beim Stromexport erzielt, der drei Viertel der Stromproduktion sämtlicher mit Braunkohle betriebener Kraftwerke im selben Zeitraum entsprach. Fast zehn Prozent der deutschen Stromproduktion mussten während der letzten Jahre ins Ausland verkauft werden.

In vielen Volkswirtschaften weltweit wird die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen ausgebaut. Die Verbrennung von Kohle ist nicht nur in hohem Maße umweltschädlich, sondern sie verliert selbst bei Einbeziehung staatlicher Subventionen, Abschreibung bestehender Kraftwerksanlagen und Ausblendung der exorbitanten Folgekosten an Wettbewerbsfähigkeit. Sie ist ein unflexibles Fossil der Stromerzeugung. Das Festhalten an veralteten Strukturen der Energieerzeugung führt in eine Sackgasse. Eigentlich sind wir in der Lage, endlich die notwendigen Schlüsse zu ziehen.

Reinhard Noffke, Jahrgang 1964, wohnt im Süden Mönchengladbachs, nur wenige Kilometer vom Tagebau Garzweiler II entfernt. Seit einigen Jahren hat er es sich zur Aufgabe gemacht, das Ausmaß der für den Kohleabbau betriebenen Umweltzerstörung einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen.


Dividende frisst Heimat

Die Fotos auf den Seiten 42, 44 und 46 stellt uns der Fotograf Hubert Perschke zur Verfügung. Gerade erschienen ist sein Buch „Dividende frisst Heimat“ (Hahne & Schloemer Verlag, 2020) – eine umfangreiche Dokumentation der Zerstörung der Dörfer im rheinischen Braunkohle-Revier durch RWE. Im Vorwort schreibt Hubert Perschke:

„2012 und 2013 besuchte ich regelmäßig Manheim und fotografierte, um für die Bewohner einen Bildband zu erstellen. Ich zeigte das Dorf in seinem intakten Zustand und hatte niemals vor, mir die schrecklichen Szenarien der Vernichtung des Dorfes vor Augen zu führen. Mit der Zeit kam aber die Erkenntnis, dass ich mit meinem Fotoarchiv des intakten Dorfes einen besonderen „Schatz“ besitze. Fotos, die einen Abrissbagger oder die Ruinen zerstörter Gebäude zeigen, gibt es zur Genüge. Aber systematische im Foto dokumentierte Vergleiche, wie ein Dorf vor und nach einer Umsiedlung aussieht oder ausgesehen hat, gibt es nach meinem Kenntnisstand nicht. Geleitet von dieser Überlegung vergleiche ich Fotos aus dem Jahr 2012 mit heutigen Fotografien aus den Jahren 2019 und 2020. So wird nicht nur die Zerstörung, sondern auch die Veränderung dokumentiert. Häufig war es in einer eingeebneten Dorflandschaft äußerst schwierig den Standort von 2012 wiederzufinden und von dort aus mit demselben Blickwinkel die neue Perspektive einzufangen. Pfosten ehemaliger Straßenschilder, Kanaldeckel, Hinweisschilder und ähnliches waren Anhaltspunkte.“