ÖPP-Welle ergreift den globalen Süden
(Aus: LP21 Extra 2017/18)
Der Aufschrei war groß, als A1 mobil, die vor dem Bankrott stehende Betreiberfirma der Autobahn zwischen Hamburg und Bremen, die Bundesregierung auf 778 Millionen Euro zuzüglich 42 Millionen Verzugszinsen verklagte. Erneut scheiterte eine Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP), erneut droht eine Plünderung öffentlicher Kassen zur Rettung exorbitanter privater Renditen. Was sich in Deutschland abspielt, ist jedoch keine Ausnahme, sondern die Regel. Ein Blick über den nationalen Tellerrand zeigt, dass ÖPPs grundsätzlich aus dem Ruder laufen.
Was Deutschland droht, lässt sich bereits jetzt in Argentinien studieren. Um höhere Mauteinnahmen durchzusetzen, verklagte der spanische Autobahnbetreiber Abertis – in die Bieterschlacht um dessen Übernahme stieg jüngst die deutsche Hochtief ein – die argentinische Regierung 2016 vor einem privaten Investitionstribunal in Washington. Abertis verlangte eine Entschädigung von umgerechnet 780 Millionen Euro, weil Argentinien sich einer geforderten Mautanpassung verweigerte. Die Klage zeigte Wirkung: Im Juni 2017 willigte Argentinien in einen Vergleich ein. Das Land stimmt nun einer Mauterhöhung zu, verzichtet auf seinen eigenen Mautanteil und verlängert Abertis‘ Konzession bis 2030. Obgleich es zu keinem Urteil kam, hat sich das Manöver für die Autobahnbetreiber gelohnt: Ihre Profite steigen und schreiben sich fort, zu Lasten der öffentlichen Hand.
Private Investitionen: Retter in der Not?
Doch warum werden ÖPPs trotz schlechter Erfahrungen international weiterhin propagiert? Die ÖPP-Lobby macht sich zweierlei zu Nutze: Die klammen öffentlichen Kassen und die mangelnde oder verfallende Infrastruktur. Der riesige Investitionsstau, so die Argumentation, könne unmöglich durch die öffentliche Hand gestemmt werden. Daher müssten zwingend privates Kapital und private Unternehmen einbezogen werden.
In Deutschland lassen sich diese Argumente in dem Bericht der Fratzscher-Kommission nachlesen, die im Auftrag des Wirtschaftsministeriums den Masterplan für die Privatisierung der Autobahnen entwarf, den die Große Koalition schließlich im Juni 2017 umsetzte. Einer ähnlichen Logik folgt auf europäischer Ebene der mit dem Juncker-Plan geschaffene Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI). Dieser unterstützte zum Beispiel den Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport dabei, in Griechenland 14 Regionalflughäfen für 40 Jahre zu übernehmen. Deren Privatisierung gehörte zu den Auflagen, die die Gläubiger-Troika dem überschuldeten Land aufzwang. Den gleichen Ansatz verfolgen auf globaler Ebene die G20 mit ihrem Compact with Africa – eine Initiative der Bundesregierung. Auch diese sieht vor, durch die Mobilisierung privaten Kapitals öffentliche Infrastrukturen zu finanzieren, diesmal in Afrika.
Im Interview mit der Zeit erklärt Paul Collier, ein neoliberaler Entwicklungsökonom und ehemaliger Berater der Bundesregierung für die G20-Präsidentschaft, die Strategie hinter dem Compact: „Es gibt auf der Welt genug Geld. In vielen westlichen Ländern haben Versicherungen und Pensionskassen große Schwierigkeiten, die Ersparnisse ihrer Kunden anzulegen, weil die Zinsen so niedrig sind. Das gefährdet die Altersversorgung in den Industrienationen. Wenn mit diesen Geldern die Modernisierung der Infrastruktur in Afrika finanziert würde, dann würden sich damit ansehnliche Renditen erzielen lassen. Das ist eines der Dinge, die wir vorhaben: die Bedingungen für private Investitionen verbessern.“ [1]
Deckmantel Nachhaltigkeit
Als Legitimation für ÖPPs dienen neuerdings auch die nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) der Vereinten Nationen, die im September 2016 in Kraft traten. Sie umfassen auch Ziele für öffentliche Infrastrukturen wie die Wasser- und Energieversorgung und den Verkehr. Flächendeckend sollen diese vorhanden sein, eine gute Qualität aufweisen und sozial ausgestaltet werden. Dezidiert setzen die Vereinten Nationen bei der Umsetzung der Ziele jedoch auf die Mobilisierung privaten Kapitals und ÖPPs.
Auch die Weltbank beruft sich auf die Nachhaltigkeitsziele und gab zu deren Finanzierung das Motto aus: „Von Milliarden zu Billionen“ (From Billions to Trillions). [2] Öffentliche Gelder wie die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit sollen dazu eingesetzt werden, internationales privates Kapital „zu hebeln“, wie es im Bankerjargon heißt. Die Folge ist, dass die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit immer weniger direkt in Gesundheits- oder Bildungsprojekte fließen, sondern stattdessen Finanzintermediären, etwa Fondsgesellschaften zugehen, die wiederum in renditeträchtige Projekte in Entwicklungsländern investieren.
Um Kapitalanlegern den roten Teppich auszurollen, genügt es jedoch nicht, nur öffentliches Geld locker zu machen. Vielmehr müssen auch Gesetze und Standards investorenfreundlich ausgestaltet werden. So entwickelte die Weltbank spezielle Richtlinien für ÖPP-Verträge, die vor allem Konzerninteressen dienen. Nehmen Entwicklungsländer die empfohlenen Vertragsklauseln in ihre ÖPP-Verträge auf, erhöhen sich die ohnehin schon großen Risiken von ÖPP für sie sogar noch. Staatliche Eingriffe zur Durchsetzung ökologischer und sozialer Standards könnten danach als Vertragsverstöße gewertet werden und empfindliche Kompensationszahlungen an die privaten Betreibergesellschaften zur Folge haben.
Bad Practices Made in Germany
Auch die deutsche Entwicklungshilfe ist eifrig dabei, mit Hilfe von ÖPPs die Umsätze von Banken und Konzernen in Ländern des Südens anzukurbeln. Die Folgen sind häufig dramatisch.
Als 2012 das Wasserkraftwerk Bujagali in Uganda ans Netz ging, fand die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) überschwängliche Worte. Ein „Quantensprung“ sei mit dem Staudamm erreicht worden. Das Projekt habe „Modellcharakter“, denn es „konnten Privatinvestoren für ein Hochrisikoland gewonnen werden“. [3] Der ÖPP-Staudamm wurde in einer typischen Mischfinanzierung realisiert, bei der öffentliche und private Kreditgeber Mittel bereitstellen. Die KfW und ihre Tochter DEG (Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft) steuerten 45 Millionen US-Dollar bei. Doch wie so oft, liefen die Gesamtkosten aus dem Ruder: Von anfänglichen 800 Millionen US-Dollar kletterten sie auf 1,3 Milliarden. Auch die Strompreise fallen um 150 Prozent höher aus als projektiert.
Während sich die Bujagali-Betreibergesellschaft über „substanzielle Gewinne“ freute, beklagten ArbeiterInnen ausstehende Löhne und die Zwangsumgesiedelten fehlende Entschädigungen. Die Flutung des Staubeckens zerstörte eines der wichtigsten Touristengebiete Ugandas; 6800 Fischer- und Bauernfamilien verloren ihre Lebensgrundlage.
Eine besondere Vorliebe hegt die deutsche Entwicklungshilfe für die Privatisierung der Gesundheitssysteme. Die DEG etwa steuerte 60 Millionen US-Dollar zum Africa Health Fund bei, der in private Klinikbetreiber investiert. Da er von einem privaten Fondsverwalter gemanagt wird und ebenfalls öffentliche und private Gelder vereint, „ist er auf der Finanzierungs- und Managementseite ein PPP-Fonds“, so das Entwicklungsministerium. [4] Dieser Fonds investierte unter anderem in das Nairobi Women‘s Hospital, dessen Schwangerschaftsbetreuung für die meisten Kenianerinnen völlig unerschwinglich ist, wie die Hilfsorganisation Oxfam herausfand. Während die Schwangerschaftsuntersuchungen in öffentlichen Kliniken kostenlos sind, müssten Durchschnittsverdienerinnen in der Privatklinik die Hälfte eines Jahreseinkommens berappen.
Teufelskreis der Privatisierung
Viele der typischen ÖPP-Risiken ähneln sich weltweit: die Geheimhaltung der überaus komplexen Verträge; die im Vergleich zur öffentlichen Finanzierung völlig überteuerte Kreditaufnahme der privaten Betreiber; die Verschleierung der wahren Kosten durch Auslagerung der ÖPPs aus den öffentlichen Haushalten sowie die notorischen Vertragsstreitigkeiten, an deren Ende der öffentlichen Hand immer wieder Zusatzkosten entstehen.
Doch manche ÖPP-Risiken verschärfen sich in Ländern des Südens. Aufgrund der Mischfinanzierung, die meist großen Infrastrukturprojekten wie Staudämmen, Häfen und Straßen dient, schrumpfen die öffentlichen Mittel für die Grundversorgung armer Familien mit Bildung, Gesundheit, Wasser und Energie. Während die ÖPPs in Industriestaaten den universellen Zugang zu diesen Daseinsvorsorgeleistungen tendenziell abbauen, verhindern sie in vielen Ländern des Südens, diesen überhaupt erst aufzubauen.
Hinzu kommt, dass Entwicklungsländer mit den strukturell überteuerten ÖPPs ein überproportionales Risiko der Verschuldung gegenüber ausländischen Kreditgebern eingehen. Dies kann dazu führen, dass sie sich erneut Strukturanpassungsauflagen internationaler Finanzinstitutionen wie Weltbank und IWF unterwerfen müssen, die sie überhaupt erst zur Privatisierung zwangen. ÖPPs sind insofern ein Schmiermittel, das den Teufelskreis von öffentlicher Verschuldung und nachfolgender Privatisierung am Laufen hält – zum Schaden der Allgemeinheit und zum Nutzen der internationalen Gläubiger.
Thomas Fritz arbeitet als freier Autor in Berlin. Seine Schwerpunkte sind die sozialen und ökologischen Folgen von Liberalisierungen und Privatisierungen. Webseite: www.thomas-fritz.org.
Jana Mattert ist seit 2015 Mitarbeiterin des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand. Sie beschäftigt sich mit der Privatisierung von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen in nationalen wie auch internationalen Kontexten.
Anmerkungen:
[1] Paul Collier: „Afrika kann sich nur selbst retten“: Interview: Mark Schieritz, Die Zeit, Nr. 43/2016: http://www.zeit.de/2016/43/paul-collier-angela-merkel-afrika-fluechtlingspolitik
[2] World Bank/IMF: From Billions to Trillions: Transforming Development Finance, Development Committee, 2. April 2015, DC2015-0002
[3] Kreditanstalt für Wiederaufbau: Energiewende in Uganda: Erster Strom aus Bujagali – einem afrikanischen Wasserkraftwerk mit Modellcharakter, Pressemitteilung, 9.2.2012: http://www.presseportal.de/pm/41193/2195444
[4] Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Kooperation mit dem Privatsektor in der Entwicklungszusammenarbeit – Aktuelle Situation und Ausblick im Gesundheitssektor, Sektoranalyse, April 2012, Seite 12 f.