Mit Geheimdienstmethoden gegen die GDL – Outsourcing der DB-AG-Verhandlungsstrategie nach Zürich?
Werner Rügemer/Winfried Wolf. Lunapark21 – Heft 29
Wenn der Bahn-Vorstand mit Gewerkschaften verhandelt, ist Werner Bayreuther dabei. Er ist Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (Agv-MoVe). Er gehört aber auch zum Team des Schranner Negotiation Institute (SNI) in Zürich (Negotiation = Verhandlung). Auf der SNI-Website wird Bayreuther angepriesen: „Er hat die Deutsche Bahn in der Verhandlung mit der GDL beraten und aktiv unterstützt.“
Das SNI arbeitet weltweit im Auftrag von Unternehmen und Regierungen, nach dem Motto „Wenn Verhandlungen schwierig werden“. Die Berater sind allgegenwärtig, bleiben aber unsichtbar: „Wir unterstützen Sie im Hintergrund vor, während und nach Ihren Verhandlungen.“
SNI versteht sich nicht als Schlichter. Der Kunde soll am Ende als „Sieger“ und die andere Seite als „Verlierer“ dastehen: „Mit unserer Unterstützung werden Sie Verhandlungssieger.“ Intern heißt es: „Es gibt bei Verhandlungen keine win-win-Situation. […] Aufgrund unserer Erfahrung gibt es immer einen Sieger.“ In der Öffentlichkeit sagt Bahn-Personalchef Ulrich Weber das Gegenteil: Kompromiss, Aufeinander zugehen… Die Verhandlungen werden als Strategiespiele angelegt: Die Berater ermitteln zuerst „die Motive hinter den Positionen“. Dazu gehört die Analyse der Persönlichkeitsstrukturen des Gegenübers: Er soll in der Öffentlichkeit möglichst als „schwierige Persönlichkeit“ erscheinen.
SNI preist seinen Trainer Leo Martin so an: Er war „10 Jahre lang für einen großen deutschen Nachrichtendienst im Einsatz.“ Sein Spezialgebiet war das Anwerben und Führen von V-Leuten. Er hat das Buch geschrieben „Ich durchschau dich!“ Martins Standard-Referat bei Seminaren lautet: „Analyse des Verhandlungspartners: Vom Geheimdienst lernen.“ Was auf der SNI-Website nicht steht: „Leo Martin“ heißt in Wirklichkeit anders.
Zum SNI-Angebot gehören auch „Verhandlungstaktiken von Polizei und FBI“. Der langjährige Chef der Münchener Mordkommission Josef Wilfing ist ebenso dabei wie Gary Noesner vom FBI. SNI-Chef Matthias Schranner präsentiert sich als ehemaliger Verhandlungsführer der Polizei bei Geiselnahmen und Banküberfällen. Da kann sich die GDL aussuchen: Wird sie vom Bahn-Konzern als Geisel behandelt oder als Bankräuber?
Bewußt in eine Sackgasse manövrieren
Eine strategisch angelegte Verhandlung hat nach SNI-Prinzipien auch das mögliche Ziel, das Gegenüber „bewusst in eine Sackgasse“ zu manövrieren. Zum Beispiel: Man macht einige Zugeständnisse, der Streik wird abgebrochen, aber die eigentlichen Verhandlungen stehen noch aus. Nach zwei Monaten, wenn die Verhandlungen wieder beginnen, wird die frühere Vereinbarung widerrufen. Die Gewerkschaft muss überlegen, ob sie neu streiken soll.
Eine andere Strategie besteht darin: Man gibt sich als verantwortungsvoller Konzern, der sich um das Wohl der Kunden kümmert und jeden Streik vermeiden will. Gleichzeitig kann man sein Gegenüber in einen Streik hineintreiben, nach dem SNI-Motto „Warum ein Streik nicht vermieden werden sollte“.
Die Spezialisten beraten einen Konzernvorstand auch darin, wie man sein Gegenüber in ein Wechselbad der Gefühle taucht. Im SNI-Seminar zur Ausbildung als „Zertifizierter Verhandler“ wird gelernt, wie man „stressverschärfende“ mit „stressvermindernden Elementen“ abwechselt. Der Erziehungswissenschaftler und Kriminologe Professor Jens Weidner ist Experte dafür, wie man Aggressivität in Verhandlungen einsetzt. Stefan Spies hat Opernsänger ausgebildet und Opern inszeniert. Er trainiert die Verhandlungsführer beim Einsatz der richtigen Körpersprache.
Überläufer als Top-Verhandler
Bayreuther war Richter für Arbeitsrecht. Er verließ diese neutrale Position. Er baute für den privatisierten Bahn-Konzern den eigenen Arbeitgeberverband auf, in dem die zahlreichen Tochter-Holdings Mitglied sind: DB Schenker, DB Regio, DB Netz usw. Auf der SNI – Website wird er mit der Fähigkeit angepriesen: „Nutzen von irrationalen Forderungen“ der Gegenseite. Dazu kann auch gehören, Forderungen der Gegenseite erst ein Mal als irrational zu bezeichnen. Und sie dann auch als solche zu behandeln. Und alles tun, damit das so in der Öffentlichkeit gesehen wird.
Wie Bayreuther gehört auch Stefan Schneider zum SNI-Team. Schneider war lange Jahre Betriebsrat bei Daimler und Verhandlungsführer der IG Metall. Dann wechselte er die Seite und stieg zum Personalleiter auf. Jetzt ist er als selbständiger Manager-Berater tätig. Seine Qualifikation: Er „kennt die Motivlage von Betriebsräten und Gewerkschaften“. Zusammen bestreiten Bayreuther und Schneider Seminare, wie die Arbeitgeberseite am besten mit „ideologisch geprägten Betriebsräten“ umgeht.
Praktische Anwendung
Am 17. Dezember 2014 gab es in der Tarifauseinandersetzung zwischen Deutsche Bahn und GDL eine 5-Punkte-Erklärung, unterschrieben von Werner Bayreuther für den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e.V. (Agv Mo Ve), der komplett von der Deutschen Bahn dominiert wird und der der offizielle Tarifpartner der GDL ist. Die Erklärung war so gehalten, dass damit wesentliche Forderungen der GDL erfüllt und Konfliktpunkte, um die es seit Sommer 2014 ging, bereinigt schienen.
Dort hieß es gleich zur Eröffnung: „Der Agv MoVe erkennt das Recht der GDL an, Tarifverträge für alle im Forderungsschreiben [der GDL] vom 23. Juni 2014 aufgeführten Arbeitnehmergruppen zu fordern und abzuschließen.“ Gemeint war: Tarifverträge für das gesamte Zugpersonal, außer für die Streckenlokführer auch für die Rangierlokführer, auch für die Zugbegleiter, auch für die Bordgastronomen und auch für die Instruktoren bzw. Trainer und die Disponenten. Weiter hieß in Punkt 2: „Der Agv MoVe ist bereit, ohne Vorbedingungen Verhandlungen über Tarifverträge für diese Arbeitnehmergruppen zu führen.“ Und schließlich: „Der Agv MoVE hat das legitime Interesse, Tarifverhandlungen so zu führen, dass konkurrierende Tarifabschlüsse vermieden werden. Damit verbindet er jedoch keine Vorbedingung oder inhaltliche Beschränkung hinsichtlich der materiellen Bedingungen und schafft auch keine Abhängigkeit vom Verlauf anderer Tarifverhandlungen.“
Die Kuh schien also vom Eis. Bayreuther, Bahn & Bund, die ein halbes Jahr die Übernahme von just diesen Positionen strikt abgelehnt und die GDL damit zu mehreren Streiks gezwungen hatten, schienen eine Teilkapitulation unterzeichnet zu haben.
Doch die schöne Bescherung gab es dann nach Weihnachten. Schritt für Schritt kassierten Bayreuther, Bahn & Bund diese Positionen wieder – um Anfang Februar hinsichtlich der Grundlagen für einen möglichen neuen Tarifvertrag weitgehend wieder die Positionen einzunehmen, die sie in den Monaten Juli bis November 2014 eingenommen hatten.
Erneut brach die GDL die Verhandlungen ab. Erneut kündigte die Gewerkschaft Streiks an. Erneut gab es in den Leitmedien die bekannten schrillen Töne wie „GDL läuft Amok“. Erneut trötete der DGB-Chef Hoffmann in das Horn der Arbeitgeber: „Wir haben keinerlei Verständnis für einen neuen GDL-Streik.“ (Protest des dbb und der GdL).
Dann gab es am 23. Februar 2015 eine neuerliche Wende. An diesem Tag wurde von Bayreuther und Weselsky einigermaßen überraschend ein Verhandlungsprotokoll zwischen AgV MoVe und GDL unterzeichnet, in dem festgehalten wurde: Die beiden Tarifpartner schließen einen „Bundesrahmentarifvertrag“, dessen „persönlicher Geltungsbereich“ die „Arbeitnehmergruppen Lokomotivführer/Lokrangierführer, Zugbegleiter/Bordgastronomen und Disponenten […] umfasst.“ Dort wird in Punkt 5 erneut, wie in der Dezember-Erklärung, das Problem „Ziel inhaltsgleiche Regelungen“ wie folgt aufgegriffen: „Die GDL nimmt das Ziel des Agv MoVe, inhaltsgleiche Regelungen für die gleichen Arbeitnehmergruppen zu erreichen, zur Kenntnis. Damit werden vom Agv MoVe jedoch keine Vorbedingungen oder inhaltliche Beschränkungen hinsichtlich der materiellen Bedingungen geschaffen und es wird seinerseits auch keine Abhängigkeit vom Verlauf anderer Tarifverhandlungen hergestellt.“
Das geneigte Publikum rieb sich die Augen. Das Papier vom 23. Februar unterscheidet sich inhaltlich kaum von der Erklärung vom 16. Dezember. Neu ist allerdings, dass das Februar-2015-Dokument ein gemeinsamer Vertrag ist, wohingegen die Dezember-2014-Erklärung eine einseitige, juristisch letztlich nicht bindende Erklärung darstellte.
Auf die Frage, wie es zu dem neuerlichen Umschwung kam, gibt es zwei Antworten: Erstens. Die allgemeine Streikankündigung der GDL gepaart mit der Flexibilität seitens der GDL-Leitung, sich eben nicht sofort in einen konkreten Streik zu begeben, dürfte im Arbeitgeberlager das neuerliche Nachgeben begünstigt haben. Zweitens. Die Veröffentlichung der Verbindungen zwischen Bayreuther und dem Züricher Institut, die ja auch dazu führte, dass der GDL-Dachverband dbb die GDL erstmals seit längerem wieder unzweideutig unterstützte, hat zweifellos zum Einknicken der Arbeitgeberseite beigetragen.
Am Ende dürften Bayreuther, Bahn & Bund das Ganze allerdings erneut als Teil ihres gezielten Zickzack-Kurses zur Zermürbung der Arbeitnehmerseite verstehen. Just so, wie der „Berater“ Bayreuther dies beim SNI lehrt.
Werner Rügemer und Winfried Wolf sind aktiv beteiligt an der Herausgabe der Streikzeitung: JA zum Arbeitskampf der GDL – NEIN zum Tarifeinheitsgesetz. Ende Februar 2015 erschien die vierte Ausgabe der STREIKZEITUNG. Diese lag am 28. Februar auch der Tageszeitung Frankfurter Rundschau bei. Informationen und laufender StrikeBlog siehe: www.pro-gdl-streik14.de
Was ist ein Lokrangierführer? Warum gibt es „Rangierlokführer“? (Eberhard Happe)