Peter Nolan. Lunapark21 – Heft 25
Seit September 2012 sind die westlichen Medien voll von Berichten über den Streit zwischen China und Japan über eine Gruppe von kleinen unbewohnten Inseln, die Diaoyu (auf Chinesisch) oder Senkaku (auf Japanisch) – direkt am Rand des Südchinesischen Meeres. Dabei werden immer wieder Pekings territoriale Forderungen kritisiert, die als Teil eines Musters von „schikanösem Verhalten“ in der Region betrachtet werden.
Einige Kommentatoren erwecken gar den Anschein, dass der Streit einen neuen Peloponnesischen Krieg im Pazifik auslösen könne.[1] Das Territorium, um das es geht, ist historisch und strategisch wichtig. Es könnte überdies ansehnliche Bodenschätze bergen, zu denen die VR China Zugang gewinnen würde, wenn sie mit ihren Forderungen erfolgreich wäre. Diese Rohstoffe im Südchinesischen Meer müssen allerdings mit denen verglichen werden, die die USA und die früheren europäischen Kolonialmächte durch den Beschluss der UN-Seerechtskonvention (UNCLOS) erlangt haben.
Diese Konvention wurde 1982 nach neunjährigen Verhandlungen beschlossen. Sie schuf ein rechtliches Regelwerk für alle Nutzungen der Ozeane der Welt. Das internationale Interesse an den Verfügungsrechten in den Ozeanen war seit den 1970er Jahren stärker geworden, als die Besorgnis über den erkennbaren Rückgang der begrenzten Ressourcen zunahm – am deutlichsten erkennbar bei den rapide abnehmenden Fischbeständen.[2] Der technische Fortschritt hatte zudem neue Möglichkeiten für eine massive Ausbeutung von fossilen Brennstoffen in Tiefseegebieten und in klimatisch schwierigen Gegenden geschaffen. In der Zeit vor der UN-Seerechtskonvention hatten die Küstenstaaten die souveräne Verfügungsmacht über die zu ihrem Gebiet gehörenden Wasserflächen, die sich bis zu einem Abstand von 22 Kilometern (12 Seemeilen) von der Küste erstreckten. Es gab zahlreiche Streitigkeiten über den Umfang und die Art der Rechte über diese 12-Seemeilen-Zone hinaus. Die Seerechtskonvention bewirkte eine revolutionäre Veränderung des Seerechts, indem sie Staaten die Möglichkeit gab, direkt angrenzend an ihr Hoheitsgebiet eine neue Ressourcenzone, die Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) einzurichten, die eine Ausdehnung von bis zu 200 Seemeilen (370 Kilometer) von der gleichen Küstenlinie haben kann, von der aus auch das maritime Hoheitsgebiet gemessen wird.[3] Innerhalb der AWZ haben die Küstenstaaten die hoheitlichen Rechte, um die natürlichen Ressourcen zu erforschen und auszubeuten – sowohl die des Wassers oberhalb des Meeresbodens als auch die innerhalb des Meeresbodens und darunter. Sie haben auch die Rechte, diese Zone in anderer Weise zu nutzen, beispielsweise für die Energieproduktion aus Wasser, Strömungen und Wind.
Bis 2011 sind 161 Einzelstaaten und die Europäische Union UNCLOS beigetreten. Wenn ein Staat der Konvention beitritt, muss er seine maritimen Ansprüche und nationalen Gesetze an diese anpassen. Der Streit um das Südchinesische Meer dreht sich primär um die Ausdehnung der von China beanspruchten AWZ im Verhältnis zu den anderen beteiligten Ländern. Fünf der involvierten Staaten – China, Malaysia, Indonesien, die Philippinen und Vietnam – hatten UNCLOS bis 1996 ratifiziert. (Das andere beteiligte Land, Taiwan, konnte UNCLOS nicht ratifizieren, da es kein Teil der Vereinten Nationen ist, aber es hat seine nationalen Gesetze dennoch an die Konvention angepasst.) Doch während die komplexe Auseinandersetzung zwischen China und seinen Nachbarn über die maritimen Ressourcen die Diskussionen im Westen dominiert, ist die riesige Vereinnahmung von Ressourcen durch die früheren Kolonialmächte, die UNCLOS ermöglicht hat, der internationalen Aufmerksamkeit fast völlig entgangen.
Ein extrem wichtiger Teil von UNCLOS ist die Klausel, dass Inseln zu den gleichen maritimen Zonen berechtigen wie Landflächen; beide erlauben eine AWZ von 200 Seemeilen. Obwohl die Kolonialmächte zwischen den späten 1940er und den frühen 1980er Jahren größtenteils ihren formellen Kolonialmacht-Status verloren hatten, haben die früheren Kolonialherren die administrative Kontrolle über ‚einige zerstreute Überbleibsel’, darunter zahlreiche kleine Inseln, entweder als formale Kolonien oder auf andere Weise behalten. Diese Überbleibsel sind typischerweise nur kleine Landflächen – manchmal nur einige Quadratkilometer – und haben meist eine kleine oder gar keine Bevölkerung. Nur wenige Menschen in den jeweiligen „Besitzer-Ländern“ wissen überhaupt von diesen entlegenen Territorien: Wie viele Britinnen und Briten könnten das „British Indian Ocean Territory“ auf einer Karte zeigen? Wie viele Französische Bürgerinnen und Bürger könnten die Kerguelen-Inseln, oder Amerikanerinnen und Amerikaner die Nördlichen Marianen identifizieren? Einige dieser Inseln sind exotische Touristenziele, andere Naturreservate, wieder andere beherbergen noch wissenschaftliche Forschungsstationen; viele werden als exzentrische Anachronismen gesehen.[4] Dennoch erwiesen sich diese ‚verstreuten Überbleibsel‘ der alten kolonialen Imperien als weit wichtiger als die meisten Menschen annehmen. Diese weit entfernten Territorien haben oft eine immense strategische Wichtigkeit, auf vielen finden sich Amerikanische Marine- und Luftwaffenstützpunkte, ebenso Aufklärungsstationen. Durch UNCLOS sind sie darüber hinaus für die rechtliche Durchsetzbarkeit von Eigentumsrechten an den natürlichen Ressourcen der Welt entscheidend geworden. Viele dieser Territorien bestehen aus Gruppen von kleinen Inseln, die sich über große Gebiete des Meeres erstrecken. Dies erlaubt es den Ländern, die sie kontrollieren, die alleinige Herrschaft über den Zugang zu den Ressourcen innerhalb der ausgedehnten AWZ zu beanspruchen. Und diese Herrschaft wird immer wieder von ihren jeweiligen bewaffneten Kräften durchgesetzt, unter anderem durch die riesige Küstenwachen- und Marineflotten der USA.
Dank der Besitzrechte an den Inseln umfassen die Ausschließlichen Wirtschaftszonen der USA, Großbritanniens und Frankreichs riesige Gebiete des Pazifiks, des Indischen Ozeans und des Südatlantiks; diese drei sind zusammen mit Australien, Neuseeland und Russland die sechs Länder mit den größten AWZ-Regionen. All diese Länder sind entwickelte frühere Kolonialmächte mit einer überwiegend weißen Bevölkerung. Ihre zusammengenommene Einwohnerzahl umfasst 604 Millionen, verglichen mit 1338 Millionen in China. Alle haben die territoriale Basis ihrer riesigen überseeischen AWZn in der Kolonialzeit begründet, vom fünfzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Ihre zusammengenommene ausschließliche Wirtschaftszone umfasst 54 Millionen Quadratkilometer, von denen fast drei Viertel (39 Millionen Quadratkilometer) von ihrem Heimatterritorium separiert sind. Die überseeischen AWZ-Regionen der USA, Frankreichs und Großbritanniens übertreffen die AWZ ihrer Heimatländer um ein Vielfaches (siehe Tabelle1, Seite 52). Darüber hinaus existieren die „Heimatterritorien“ der USA, Australiens und Neuseelands selbst nur aufgrund der Besiedlung durch weiße europäische Kolonisatoren, die oft gewaltsam die indigenen Menschen ihrer Ressourcen beraubt haben.
China besitzt lediglich 900000 Quadratkilometer unumstrittene ausschließliche Wirtschaftszone direkt am Festland – die Größe einer der kleineren AWZ der USA, Frankreichs oder Großbritanniens. Peking erhebt nun Anspruch auf ein Gebiet von vermutlich weniger als 2 Millionen Quadratkilometern an AWZ im Südchinesischen Meer.[5] Selbst wenn China alle seine Forderungen durchsetzen könnte, würde seine gesamte AWZ wohl weniger als 3 Millionen Quadratkilometer umfassen. Unabhängig von den Forderungen im Südchinesischen Meer, die von anderen Ländern in der Region (und der angrenzenden Insel Taiwan) energisch bestritten werden, beansprucht China keine überseeischen Territorien. Im krassen Gegensatz zu den europäischen Mächten und den Nachfolgern ihrer kolonialen Siedler hat China nie versucht, ein überseeisches Imperium aufzubauen. Dieser Unterschied hat tiefgreifende Folgen für die globale Verteilung von nationalen Eigentumsrechten über die Ressourcen der Ozeane, besonders unter UNCLOS.[6]
Das Imperium der Stützpunkte
Die USA entschieden sich dafür, die UN-Seerechtskonvention nicht zu unterzeichnen, aber sie erkennen die Rechtmäßigkeit der AWZ formell an. Pünktlich ein Jahr nach dem Beschluss der UN-Seerechtskonvention gab US-Präsident Ronald Reagan die AWZ der USA bekannt. Es ist mit weitem Abstand die größte aller Staaten – mit mehr als 12 Millionen Quadratkilometern, ein Fünftel größer als die Landfläche der Vereinigten Staaten. Einem Rechtswissenschaftler zufolge „kann Reagan’s Bekanntmachung als die größte gebietsmäßige Aneignung in der Geschichte der Vereinigten Staaten charakterisiert werden“.[7]
Die 48 Staaten der kontinentalen USA haben eine AWZ von zusammengenommen 2,45 Millionen Quadratkilometern. Diese Gebiete haben sie sich durch die fortwährende Verlagerung der Grenze nach Westen angeeignet, vor allem durch militärische Aktivitäten. Die ursprünglichen 13 Staaten zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit wurden durch die Zwangsenteignung des von den Ureinwohnern bewohnten Landes durch die kolonialen Siedler gegründet. Mit dem Kauf von Louisiana im Jahr 1803 kam ein großer Streifen des französischen Kolonialbesitzes dazu, der sich von Louisiana bis Montana und North Dakota erstreckte. Der Mexikanische Krieg von 1846-48 endete mit der Aneignung der Gebiete von New Mexico, Utah, Arizona, Nevada, eines Teils von Colorado, Kalifornien und Texas. Das Massaker an den Indianern bei Wounded Knee im Jahre 1890 vollendete schließlich den Aufbau des kontinentalen Nationalstaats und stattete die USA mit einer langen Küstenlinie aus, die sich am Atlantik, dem Pazifik und dem Golf von Mexiko entlangzieht. Im gleichen Jahr erklärte die US-Behörde für Bevölkerungsstatistik die Grenzziehung offiziell für vollendet.
Zusätzlich zu der AWZ der 48 Staaten haben die USA eine AWZ von weiteren 96 Millionen Quadratkilometern im Pazifik. Der Ursprung dafür sind mehrere unterschiedliche Gebietserwerbungen. Den größten Teil davon machen der Staat Alaska und die Inselkette der Aleuten aus, die das imperiale Russland im 18. Jahrhundert kolonisiert hatte. Im Jahr 1867 kaufte die US-Regierung das riesige Territorium für 7,2 Millionen Dollar von Russland. Die gesamte AWZ von Alaska beträgt 3,8 Millionen Quadratkilometer – noch einmal halb so viel wie die AWZ-Region der Bundesstaaten des Kernlandes der USA. Die Kette der Aleuten ist 1900 Kilometer lang und erstreckt sich von der südwestlichen Spitze Alaskas über den Pazifischen Ozean bis zur russischen Kamtchatka-Halbinsel. Die Inselkette hat eine Bevölkerung von knapp über 4000 Menschen, und seine AWZ macht etwa ein Drittel der gesamten AWZ Alaskas aus.
Abgesehen von Alaska und der Aleuten-Inselkette beläuft sich die gesamte AWZ-Region um die pazifischen Inselterritorien der USA auf 5,8 Millionen Quadratkilometer. Bei dieser Gesamtfläche begründen gerade einmal 90 Quadratkilometer Landfläche von unbewohnten Inseln eine Ausschließliche Wirtschaftszone von 1,95 Millionen Quadratkilometern. Der größte Teil davon rührt von Gebieten her, die 1856 unter dem Guano Islands Act okkupiert wurden.[8] Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert war Guano eine wertvolle Quelle für landwirtschaftlichen Dünger und konnte auch dazu verwendet werden, Salpeter für Schießpulver herzustellen. Washington besitzt noch heute die meisten der Inselgruppen, die unter diesem Gesetz in Besitz genommen wurden, einschließlich von Howland und Baker Island, Jarvis Island, das Johnston-Atoll, das Palmyra-Atoll und das Kingman-Riff. Letztere stellen alle kaum mehr als Felsen dar und haben keine permanenten menschlichen Bewohner. Ihre vereinte Landfläche beträgt gerade einmal 87 Quadratkilometer. Dennoch haben sie aufgrund ihrer Streuung im Ozean eine vereinte AWZ von 1,55 Millionen Quadratkilometern, fast so groß wie die der gesamten Ost- und Westküste der USA zusammengenommen und deutlich größer als die nicht umstrittenen AWZ-Regionen Chinas (siehe Tabelle 2, Seite 55).
In den 1890er Jahren richteten die USA ihre Aufmerksamkeit auf ihre überseeische Expansion. Am Vorabend des Spanisch-Amerikanischen Krieges konnte man in einem Editorial in der Washington Post über das Aufkommen eines „neuen Appetits, einer Sehnsucht, unsere Stärke zu zeigen… [dem Aufkommen] von Ehrgeiz, Geltung, Landhunger, Stolz, von einer puren Freude am Kampf“ lesen, was in der Feststellung mündete: „Der Geschmack des Imperiums findet sich im Mund der Bevölkerung ebenso wie der Geschmack des Blutes im Dschungel.“[9] Ein Ergebnis des Sieges über Spanien 1898 war nicht nur die faktische Kontrolle der USA über Kuba und Puerto Rico, sondern auch die Inbesitznahme einer Kette von Gebieten quer über den Pazifik, einschließlich der Philippinen, Guam und Wake Island. Die letzteren beiden sind auch heute noch US-Gebiete. Hawaii war von 1801 bis 1893 ein unabhängiges Königtum, als eine Gruppe von vorwiegend Amerikanischen Geschäftsleuten die Monarchie hinwegfegte. Nach einer kurzen Zeit als Republik wurde Hawaii 1898 von den USA annektiert und 1959 in die Union aufgenommen. Guam und Hawaii sind wichtige Elemente des US-Militärkommandos im Pazifik – das mit Abstand den größten Teil der globalen Militärstruktur des Landes darstellt. Pearl Harbour ist auch heute das Hauptquartier der Pazifikflotte.
In seiner Ansprache im November 2011 vor dem australischen Parlament verkündete Obama, dass „die Vereinigten Staaten immer eine Pazifische Nation waren und sein werden“; zur selben Zeit erklärte seine Außenministerin, dass dies „Amerikas Pazifisches Jahrhundert“ sei.[10] Die Insel Okinawa hat eine ganz besondere Bedeutung in Washingtons strategischem Konzept für den Pazifik. Etwa 650 Kilometer vor der Küste der Chinesischen Fujian-Provinz gelegen und 1300 Kilometer von Tokio ist Okinawa die größte der Ryuku/Liuqiu-Inseln. Diese sind die strategisch bedeutsamsten aller Gruppen von kleinen Inseln auf der Welt, sie erstrecken sich über 1100 Kilometer bis zum Südwesten des Japanischen Festlandes im Ostchinesischen Meer und finden in den Diaoyu/Senkaku-Inseln ihren klarsten Ausdruck. Für Jahrhunderte war Ryukyu/Liuquiu ein kleines unabhängiges Königreich, das von seefahrenden Händlern bewohnt war – mit einer Kultur, die wohl mehr von der chinesischen als der japanischen Tradition geprägt war. 1879 hat Japan es sich gewaltsam als „Präfektur Okinawa“ angeeignet. Nach dem Zweiten Weltkrieg okkupierten US-Truppen Okinawa, der Vertrag von San Francisco von 1951 gab den USA „alle Macht der Verwaltung, Gesetzgebund und Rechtsprechung“ über das Gebiet, „einschließlich über die Einwohner und die der Region zuzurechnenden Gewässer“. Die USA bauten riesige militärische Einrichtungen auf Okinawa und nutzten die Insel als die wichtigste Basis für den Korea- und den Vietnamkrieg. 1972 wurden die Ryukyu/Liuqiu-Inseln inklusive Okinawa und der Diaoyu-Inseln an Japan „zurückgegeben“. Aber die Präsenz des US-Militärs nahm weiter zu: Heute sind auf der Insel 25000 bewaffnete Kräfte stationiert, etwa die Hälfte der gesamten US-Truppen in Japan.
Der Status der Insel als „virtuelle Kolonie der USA“ war immer wieder ein großer Streitpunkt sowohl auf Okinawa selbst als auch auf dem japanischen Festland. 1995 verkündete US-Verteidigungsminister Joseph Nye eine Politik des „tiefen Engagements“ in der Asien-Pazifik-Region, die er für notwendig hielt, da „aufstrebende Mächte eine Instabilität im internationalen Staatengefüge“ schafften: Eine „vorwärtsgewandte Truppenpräsenz sichert den USA einen Sitz am Tisch der asiatischen Frage“ und „ermöglicht uns, schnell zu handeln, um unsere Interessen zu schützen, nicht nur in Asien, sondern auch bis zum Persischen Golf“. Für die absehbare Zukunft sollten Japan und die Basis auf Okinawa als die „Ecksteine unserer Sicherheitsstrategie für die ganze Region“ dienen.[11] Der Gouverneur von Okinawa bemerkte dazu, dass Nye von Okinawa spreche als wäre es US-amerikanisches Territorium.
Die Übernahme der Marianen-Inseln und von Amerikanisch-Samoa durch die USA fand auf andere Weise statt. Die Marianen-Inseln, die sich etwa 2400 Kilometer von Norden nach Süden östlich der Philippinen erstrecken, wurden 1565 von Spanien annektiert; Guam ist die südlichste Insel der Kette. Die Nördlichen Marianen wurden 1899 an Deutschland verkauft und dann nach dem Ersten Weltkrieg von der Staatengemeinschaft Japan „zugesprochen“. Nach der japanischen Niederlage 1945 kamen die Inseln unter amerikanische Treuhandverwaltung, und 1976 wurde das Commonwealth of the North Mariana Islands (CNMI) formell in eine politische Union mit den USA eingegliedert.
Amerikanisch-Samoa liegt im Südpazifik, nordöstlich von Neuseeland. Im späten 19. Jahrhundert war der Hafen bei Pago Pago eine regelmäßig angelaufene Station zum Nachbunkern für die kohlebetriebenen Schiffe geworden. Das Dreierabkommen von 1899 zwischen Großbritannien, Deutschland und den USA teilte Samoa in zwei Teile, wobei Deutschland die Kontrolle über die westlichen Inseln erhielt und die USA über die östlichen, inklusive Pago Pago; es ist auch heute noch Amerikanisches Staatsgebiet.[12]
Leichte Fußabdrücke?
Eine wichtige Begründung für die Einführung des Konzepts der Ausschließlichen Wirtschaftszone war der Wunsch, die Schäden an den endlichen natürlichen Ressourcen zu begrenzen. Die Hoffnung war, dass die Etablierung klarer nationaler Besitzrechte über diese Ressourcen die fraglichen Gebiete von globalen Gemeingütern mit Zugang für alle zu Schutzregionen umwandeln würde. Tatsächlich bieten die Erfahrungen des Westens beim Umgang mit den Ressourcen in diesen Gebieten wohl kaum ein gutes Modell. Ganz besonders die frühen Phasen des Kolonialismus hatten höchst negative Auswirkungen auf die Tierpopulationen im Pazifik. Die drei großen Reisen von Kapitän James Cook zwischen 1768 und 1780, unter dem Befehl der Britischen Admiralität durchgeführt und von der Royal Society unterstützt, waren ein extrem wichtiger Impuls für die Einmischung des Westens in der Region. Auf jeder seiner Expeditionen dorthin wurde Cook von Wissenschaftlern begleitet, die eine detaillierte Aufstellung der Tierwelt lieferten. Eines der überraschendsten Ergebnisse der Expeditionen war das riesige Vorkommen von wildlebenden Tieren im südlichen Ozean, darunter enorme Zahlen von Vögeln, Seehunden und Walen.
Die genauen Aufstellungen in Cooks Aufzeichnungen und den dazugehörigen Karten erzeugten eine Welle der kommerziellen Ausbeutung in den südlichen Meeren durch Europäische und Amerikanische Schiffe. Seehunde wurden vor allem wegen ihrer wertvollen Haut getötet und Wale vor allem wegen des Öls. Bis zu den 1830ern waren die Seehunde im südlichen Ozean praktisch ausgerottet. Daraufhin konzentrierte sich die Ausbeutung im Wesentlichen auf die Walpopulation, die immer im Sommer für die Aufzucht der Jungen in den Süden kam. Die USA waren der Marktführer in dieser Industrie. Um 1846 hatte Neu-England alleine 735 Walfangschiffe, wobei jedes durchschnittlich 100 Wale auf jeder Reise tötete. Das Töten ging weiter, bis praktisch nichts mehr zu töten war: „In einer Zeit von kaum mehr als 50 Jahren – grob von den 1780ern bis zu den 1840ern – durchkämmten diese kleinen Schiffe mit ihren polyglotten Mannschaften […] diese riesigen eisigen Ozeane so sorgfältig, dass kein größeres Wasserlebewesen mehr leicht auffindbar war.“ Um 1880 wurde der kommerzielle Walfang über weite Gebiete des Pazifiks eingestellt.[13]
Die Wirkung auf die menschlichen Bevölkerungen war vergleichbar. Bis zur Ankunft der westlichen Kolonisatoren war die gesamte indigene Bevölkerung von Australien, Neuseeland und den Pazifischen Inseln relativ klein; die Durchsetzung der kolonialen Herrschaft war folglich keine so große Herausforderung wie in Indien, China oder den Ländern, die an das Südchinesische Meer angrenzen. Dennoch kam es zu zahlreichen Konflikten zwischen den westlichen Siedlern und den indigenen Völkern, besonders um das Land. Der heftigste fand in Neuseeland zwischen 1843 und 1872 statt, als wohl etwa 20000 Maoris im Verlauf mehrerer brutaler Kämpfe mit britischen Truppen getötet wurden. Die kolonialen Kräfte wendeten dabei häufig die Taktik der verbrannten Erde an und zerstörten ganze Maori-Dörfer und ihre Felder. Wenn auch deutlich kleiner vom Umfang her, war der Krieg in Neukaledonien zwischen französischen Kolonisatoren und indigenen Einwohnern ebenso blutig: Frankreich annektierte das Gebiet 1853; es kam zu gewalttätigen Konflikten, als französische Siedler versuchten, das Land von den Kanaka-Einwohnern zu rauben. Ein großer Aufstand der Kanaka brach 1878 aus. Die französischen Herrscher beantworteten dies mit Angriffen auf ihre Dörfer und Felder.
Die indigene Bevölkerung im Pazifik wurde immer wieder als Untermenschen behandelt und oft ohne Hemmungen getötet. Im Falle von Tasmanien vertrieben die Siedler – hauptsächlich verurteilte Straftäter – die indigene Bevölkerung von ihrem Land mit einer wilden Menschenjagd. 1830 wurde Tasmanien unter Kriegsrecht gestellt. Die Ureinwohner wurden „ständig gejagt und verfolgt wie Rehe, und, wenn sie gefangen waren, alleine oder in Gruppen auf die Inseln der Bass Strait deportiert.“[14] In nur fünf Jahren überlebten gerade einmal 100 bis 200 der Ureinwohner – von geschätzten 5000.
Die Ausbreitung von Krankheiten hatte eine noch schrecklichere Auswirkung auf die Bevölkerung der Pazifik-Territorien: Sexuell übertragene Krankheiten spielten eine besonders wichtige Rolle; vom späten neunzehnten bis zum späten zwanzigsten Jahrhundert brachte die zunehmende Anzahl von Seehundjägern, Walfängern und normaler Handelsschifffahrt eine florierende Sexindustrie mit sich, und in gleicher Weise gewalttätige sexuelle Übergriffe auf indigene Frauen. Eine Kombination von Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose, Pocken und Ruhr war vor allem für den massiven Bevölkerungsrückgang auf vielen Pazifischen Inseln verantwortlich, darunter Hawaii, Tahiti, die Marquesas und die Osterinsel. Vor Cooks Ankunft 1778 hatte Hawaii nach vorsichtigen Schätzungen eine Bevölkerung von einer Viertelmillion (sie könnte auch deutlich größer gewesen sein). Der Einfluss der ansteckenden Krankheiten erzeugte eine demographische Katastrophe, aufgrund derer die indigene Bevölkerung auf nur noch 30000 bis zum Jahr 1900 reduziert wurde.[15] Im Falle von Tahiti, von Frankreich 1843 besetzt, wurde geschätzt, dass die Bevölkerungszahl von 40000 in den späten 1770ern auf nur noch 9000 in den 1830ern fiel, um auf nur noch 6000 im späten neunzehnten Jahrhundert zurückzugehen.[16] Auf den Marquesas, von Frankreich 1842 besetzt, reduzierte sich die Bevölkerungszahl von etwa 70 bis 80000 im späten neunzehnten Jahrhundert auf etwa 4000 im Jahre 1900. Die Bevölkerung der Osterinsel ist Schätzungen zufolge von 4200 im Jahre 1860 auf nur noch 500 in 1871 gefallen.[17]
Die indigene Bevölkerung Australiens ist Schätzungen zufolge von etwa 200000 im Jahre 1800 auf nur 20000 im Jahr 1900 zurückgegangen.[18] Auch nach Australien brachten die weißen Siedler neue Krankheiten, darunter die Geschlechtskrankheiten, gegen die die Aborigines keine Abwehrkräfte entwickeln konnten. Aber der katastrophale Bevölkerungsschwund wurde zu einem hohen Maße durch die Verschlechterung des Gesundheitszustands der indigenen Bevölkerung verursacht, die aus der gewaltsamen Vertreibung von ihrem Land verursacht wurde. Dieser Effekt war besonders schlimm im Falle von Jägern und Sammlern. Als Charles Darwin Australien 1836 besuchte, schrieb er: „Wohin auch immer der Europäer getreten war, scheint Tod den Aborigine zu verfolgen. Ob wir auf die Weiten der Amerikas, Polynesien, das Kap der Guten Hoffnung oder Australien schauen, finden wir immer das gleiche Ergebnis.“[19]
Die Perlenkette
Im Westen wird oft behauptet, Peking verfolge seit längerem eine „Perlenkette‘-Strategie, um eine Abfolge von überseeischen Basen in Südostasien und im Indischen Ozean aufzubauen. Ein großer Teil der Analyse des Streits über die Diaoyu/Senkaku-Inseln fokussierte ebenfalls auf die Möglichkeit, dass China die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen in und unter dem Südchinesischen Meer gewinnen könnte. Dennoch lässt die riesige Ausdehnung der AWZ-Regionen, die von der kolonialen Expansion des Westens im und um den Pazifik herrühren und die durch UNCLOS ratifiziert sind, die Gebiete, die zwischen China und seinen direkten Nachbarn strittig sind, winzig aussehen (Tabelle 3, Überblick).
China existierte für viele hundert Jahre als vereinigter Staat, und der Pazifik bildete dabei seinen Hinterhof. Schon früh in seiner Geschichte besaß China die technologische und administrative Fähigkeit, um Südostasien zu besetzen – und ebenso die kaum bevölkerten Gebiete des Pazifiks, darunter das heutige Australien, Neuseeland und die anderen Archipele. Dennoch entschied China sich, dies nicht zu tun. Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts hatten dann die westlichen Mächte den Pazifik zu ihrem Hinterhof gemacht und hatten die meisten Gebiete um das Südchinesische Meer besetzt, während China selbst auf den Status eines Bettlers reduziert worden war. Seine drastisch verschlechterte Stellung symbolisierte die Flut der Millionen von verarmten chinesischen Migranten, um in den vor allem in westlichem Besitz befindlichen Minen und Plantagen um das Südchinesische Meer und auf den weit verstreuten Pazifischen Inseln zu arbeiten.
Die Beschäftigung des Westens mit Pekings Ansprüchen im Südchinesischen Meer steht in einem scharfen Kontrast zum völligen Fehlen jeglicher Diskussion der riesigen AWZ des Westens, die von den kolonialen Eroberungen herrühren. Der Gewinn an Kontrolle der ehemaligen imperialen Mächte über riesige Meeresgebiete und Ressourcen durch UNCLOS hat abgesehen von spezialisierten Rechtszeitschriften kaum Aufmerksamkeit erfahren, obwohl es die Fläche und die Ressourcen, um die es im Südchinesischen Meer geht, bei weitem übertrifft. Der Unterschied, wie beide Fragen behandelt werden, ist besonders beunruhigend, wenn von einem neuen Peloponnesischen Krieg die Rede ist, der von dem Streit um die Diaoyu/Senkaku-Inseln ausgelöst werde.
Es ist, als wenn es den westlichen Medien gelungen wäre, die Aufmerksamkeit ihrer Bevölkerungen auf eine Maus zu lenken, obwohl ein stattlicher Elefant unbemerkt hinter ihnen steht.
Peter Nolan ist Professor für chinesische Wirtschaft an der Universität Cambridge und Direktor des Zentrums für Development Studies der Universität. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem „Commander of the Order of the British Empire“ für seine Beiträge zur Verbesserung der chinesisch-britischen Wirtschaftsbeziehungen
Übersetzung: Bernhard Knierim.
Dieser Artikel erschien in der Erstfassung in New Left Review 80, März/April 2013, hier mit freundlicher Genehmigung der NLR-Redaktion und des Autors erstmals in deutsch veröffentlicht (siehe auch den Hinweis im
Editorial S. 3, unter „PS“ zur Langfassung).
Anmerkungen:
[1] Beispielsweise Graham Allison, Thucydides’s trap has been sprung in the Pacific, Financial Times, 21. August 2012.
[2] Callum Roberts, The Unnatural History of the Sea, Washington, DC 2007.
[3] Unter bestimmten Umständen kann sich die EEZ eines Landes sogar über diese Grenze hinaus erstrecken.
[4] Siehe z. B. Simon Winchester, Outposts: Journeys to the Surviving Relics of the British Empire, London 1985.
[5] Chinas Anspruch auf eine AWZ im Südchinesischen Meer bezieht sich nur auf die Flächen um die „Inseln“ im Meer. Die Anzahl der Gebilde, die nur „Felsen“ und nicht „Inseln“ darstellen, ist heiß umstritten; nur „Inseln“ berechtigen zu einer AWZ. Die Gesamtfläche des Südchinesischen Meeres umfasst rund 3,5 Millionen Quadratkilometer. Wenn man die Gebiete der unumstrittenen Küstengewässer und der unumstrittenen Hochseeflächen herausrechnet, dann umfasst das Gebiet, das China letztlich als AWZ im Südchinesischen Meer beansprucht, deutlich weniger als das gesamte Gebiet dieses Meeres.
[6] Im folgenden geht der Autor im Detail auf die Insel-Imperien Großbritanniens und Frankreichs ein. Die Abschnitte wurden in der Printfassung gekürzt, finden sich aber in der Online-Fassung: www.Lunapark21.net [Anmerkung des Übersetzers]
[7] Donald Woodworth, The Exclusive Economic Zone and the United States Insular Areas: A Case for Shared Sovereignity, Ocean Development and International Law, Vol. 25, Nr. 4, Seite 366.
[8] Kommentar Wikipedia: „Das Guano Islands Act wurde vom US-amerikanischen Kongress am 18. August 1856 verabschiedet. Dieses heute noch gültige Gesetz besagt, dass eine Insel, auf der es eine bestimmte Sorte von Vogelexkrementen gibt, zum amerikanischen Staatsgebiet gehört, sobald ein US-Bürger eine solche Insel findet. Es wird allerdings vorausgesetzt, dass die Insel nicht zum Staatsgebiet einer anderen Nation gehört, die Insel nicht von Bürgern einer anderen Nation bewohnt wird, und dass der amerikanische Bürger in friedlicher Art und Weise von der Insel Besitz nimmt. („Whenever any citizen of the United States discovers a deposit of guano on any island, rock, or key, not within the lawful jurisdiction of any other government, and not occupied by the citizens of any other government, and takes peaceable possession thereof […]“) [Anmerkung des Übersetzers].
[9] zitiert in Howard Zinn, A People’s History of the United States, 1492 – Present, New York 1999, Seite 299.
[10] „Remarks By President Obama to the Australian Parliament“, 17. November 2011; Hillary Clinton, „America’s Pacific Century“, Foreign Affairs, November 2011.
[11] Joseph Nye, „East Asian Security: The case for deep engagement“, Foreign Affairs, Juli-August 1995; siehe auch US Department of Defense, United States Security Strategy in the East Asia-Pacific Region, 27. Februar 1995.
[12] In einem folgenden Abschnitt geht der Autor im Detail auf die imperialen Inselreiche Neuseelands, Australiens und Russlands ein. Auch dieser Abschnitt fiel in der Print-Fassung der Kürzung zum Opfer. Siehe die ungekürzte Fassung auf www.lunapark21.net. [Anmerkung LP21-Redaktion]
[13] Alan Moorehead, The Fatal Impact: An account of the invasion of the South Pacific, 1767-1840, London 1968, Seiten 242 und 251f. Für eine umfassende Bilanz der Zerstörung der Wal- und Seehundspopulation durch die kommerziellen Wal- und Seehundfangflotten in dieser Periode siehe Roberts, Unnatural History oft he Sea, Kapitel 7 (Walfang: Die erste globale Industrie) und Kapitel 8 (To the Ends oft the Earth for Seals).
[14] zitiert in Moorehead, The Fatal Impact, S. 213.
[15] A. O. Bushnell, Gifts of Civilisation: Germs and Genocide in Hawaii, Hawaii 1993. Cook selbst wurde von Hawaiianern bei seiner Rückkehr auf die Insel 1779 getötet.
[16] Moorehead, The Fatal Impact, S. 117.
[17] Nicholas Thomas, Islanders: The Pacific in the Age of Empire, London 2010. Kapitel 2 bietet eine detaillierte Beschreibung der Verwüstungen, die Geschlechtskrankheiten im neunzehnten Jahrhundert über die Marquesas brachten. Die gewaltsame Rekrutierung der Osterinsel-Bewohner, um in Peru zu arbeiten, spielte dort ebenfalls eine Rolle beim katastrophalen Rückgang der Bevölkerung.
[18] Richard Broome, Aboriginal Australians: A History since 1788, Sydney 2010, S. 172.
[19] zitiert in Moorehead, The Fatal Impact, S. 212.