Bürgerbegehren und Bürger- bzw. Volksentscheide zu „bezahlbarem Wohnraum“

Block 5: Widerstand

Eine Zusammenstellung

In den letzten zwei Jahren sind bundesweit eine ganze Reihe von Initiativen entstanden, die mit dem Mittel des Bürger- oder Volksentscheids versuchen, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Die Forderungen sind von Stadt zu Stadt bzw. von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Mal geht es um eine Deckelung der Mieten, mal um die Schaffung von günstigen Wohnungen in öffentlicher Hand. In Berlin geht es gar um die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen wie die „Deutsche Wohnen“. Gemeinsam ist allen Initiativen, dass sie das demokratische Instrument des Bürger- bzw. Volksentscheids nutzen, um ihre Forderungen gegenüber Kommune oder Landesregierung durchzusetzen. In Landshut und Osnabrück wurden damit bereits Erfolge erzielt. Vielerorts sind die Verfahren noch nicht abgeschlossen.

Wir geben hier einen kurzen Überblick über die uns bekannten Bürger- und Volksentscheid-Kampagnen und den jeweiligen Stand der Dinge.

Landshut

Die Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren wurde im März 2018 gestartet.

Das Bürgerbegehren in Landshut wurde von der SPD initiiert und allein durchgeführt, es gab kein Bündnis.

Fragestellung des Bürgerbegehrens:

„Sind Sie dafür, dass die Stadt Landshut eine städtische Wohnbaugesellschaft gründet?“

Im Oktober 2018 kam es zum Bürgerentscheid – der mit 66 % „Ja“-Stimmen gewonnen wurde.

Osnabrück „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum

Das Bürgerbegehren startete im September 2018 – im Februar 2019 waren die erforderlichen 10.000 Unterschriften erreicht und deutlich übertroffen.

Träger war ein breites Bündnis, das sich im Mai 2018 auf Initiative von Attac gegründet hatte. Beteiligt waren Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, SPD, Grüne, Linke, kirchliche Gruppierungen und kleinere Initiativen.

Fragestellung des Bürgerbegehrens:

„Soll die Stadt Osnabrück eine kommunale Wohnungsgesellschaft gründen?“

Der Bürgerentscheid fand Ende Mai 2019 statt und wurde mit 76 % „Ja“-Stimmen gewonnen.

Mietentscheid Frankfurt

Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren im August 2018 gestartet.

Auch hier ein breites Bündnis aus 45 Organisationen (siehe https://mietentscheid-frankfurt.de/?page_id=320).

Fragestellung des Bürgerbegehrens:

„Sind Sie dafür, dass die Stadt Frankfurt am Main …

– beschließt, dass die ABG Frankfurt Holding im Wohnungsneubau ab dem 01.09.2019 zu 100% geförderten Wohnraum für geringe und mittlere Einkommensschichten schafft;

– beschließt, dass die Mieten bei der ABG Frankfurt Holding ab dem 01.09.2019 für alle Bestandsmieterinnen und -mieter, die vom Einkommen her Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, jedoch eine höhere Miete zahlen, auf maximal 6,50 Euro pro qm abgesenkt werden;

– beschließt, dass die ABG Frankfurt Holding ab 01.09.2019 ihre durch Mieterfluktuation frei werdenden freifinanzierten Wohnungen künftig zu den entsprechenden Preisniveaus und Belegungsbindungen des geförderten Wohnungsbaus vermietet, davon zwei Drittel analog zum derzeitigen Preisniveau des sozialen Wohnungsbaus von maximal 6,50 Euro pro qm und ein Drittel auf dem derzeitigen Preisniveau des „Frankfurter Programms für den Neubau von bezahlbaren Mietwohnungen: Förderweg 2“ (8,50 bis 10,50 Euro pro qm)?“

Im Januar 2019 wurden die erforderlichen Unterschriften erreicht – das Rechtsamt der Stadt Frankfurt prüft seit Februar 2019 (!) die Zulässigkeit des Begehrens.

Um Druck auf die Stadt zu machen, hat das Bündnis im Juni 2019 eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben. Ergebnis: 63 % stimmten mit „Ja“ auf die Frage „Befürworten Sie, dass die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt nur noch geförderten Wohnraum für geringe & mittlere Einkommen schaffen soll?“

Berlin: Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“

Unterschriftensammlung für den Antrag auf ein Volksbegehren im April 2019 gestartet.

Initiative besteht aus Aktiven vom Mietenvolksentscheid 2015, der Initiative Kotti & Co., dem Mieter*innenprotest Deutsche Wohnen, der Akelius Vernetzung, vielen weiteren Mieter*inneninitiativen, der Interventionistischen Linken, Mitgliedern verschiedener Parteien sowie engagierten Einzelpersonen

Forderungen:

„Wir fordern vom Berliner Senat die Erarbeitung und Verabschiedung eines Gesetzes mit folgenden Inhalten:

– Private Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, sollen nach Artikel 15 Grundgesetz enteignet und ihre Bestände in Gemeineigentum überführt werden.

– Die betroffenen Unternehmen sollen deutlich unter Marktwert entschädigt werden.

– Zur Verwaltung der Bestände soll eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) neu geschaffen werden. In deren Satzung wird festgehalten, dass die Bestände der AöR nicht privatisiert werden dürfen.

– In der AöR sollen die in Gemeineigentum überführten Bestände unter mehrheitlich demokratischer Beteiligung von Stadtgesellschaft und Mieter*innen verwaltet werden.“

Ablauf Volksbegehren/Volksentscheid in Berlin (drei Stufen):

1. Antrag auf ein Volksbegehren: Hierfür müssen 20.000 gültige Unterschriften innerhalb von sechs Monaten gesammelt werden.

2. Volksbegehren: In dieser Stufe müssen ca. 170.000 gültige Unterschriften innerhalb von vier Monaten gesammelt werden.

3. Volksentscheid: Waren die ersten beiden Stufen erfolgreich, kommt es zu einem Volksentscheid. Dies ist vergleichbar mit einer Parlamentswahl. Zur Abstimmung steht der Vorschlag des Volksbegehrens. Es gilt als angenommen, wenn mehr als 50% der Abstimmenden und mehr als 25% der Wahlberechtigten ihm zustimmen.

Mitte Juni 2019 wurden 77.000 Unterschriften beim Senat abgegeben und damit das Ziel der ersten Stufe erreicht. Seitdem findet eine „Zulässigkeitsprüfung“ des Begehrens durch den Innensenator statt.

Mietentscheid Stuttgart

Das Bürgerbegehren ist noch nicht gestartet.

Das Bündnis aus bisher etwa 20 zivilgesellschaftlichen Initiativen, Gewerkschaften, Mieterinitiativen und Parteien wurde – inspiriert durch den Mietentscheid Frankfurt – im Frühjahr 2019 gegründet.

Forderungen:

„- Ein Wohnungsbauprogramm mit dem Ziel, den Bestand an städtischen Wohnungen zu verdoppeln.

– Einen Verkaufsstopp von Wohngebäuden und Liegenschaften im Eigentum der Stadt.

– Die Absenkung der Mieten bei allen Wohnungen der Stadt und ihrer Tochtergesellschaften.

– Baugebote für baureife, jedoch brachliegende Grundstücke und bei weiterer Untätigkeit der Eigentümer die Einleitung eines Enteignungsverfahren zum Wohle der Allgemeinheit.

– Ein konsequenteres Vorgehen gegen Leerstand von Wohnraum“

Aktuell lässt das Bündnis sich von der Stadt Stuttgart „zur Erstellung des Kostendeckungsvorschlags Auskünfte zur Sach- und Rechtslage“ geben, wozu die Stadt verpflichtet ist.

Danach soll das Bürgerbegehren ausformuliert und dann mit der Unterschriftensammlung begonnen werden.

Bayern: Volksbegehren

„#6 Jahre Mietenstopp“

Die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren wurde Anfang Oktober 2019 begonnen.

Trägerkreis: Mieterverein München, Dt. Mieterbund Bayern, SPD München und Bayern, DGB Region München, Linke Bayern, ausspekuliert – darüber hinaus viele unterstützende Organisationen

Forderungen:

„Der Gesetzesentwurf zum Volksbegehren „#6JahrenMietenstopp“ sieht vor, Mieterhöhungen in angespannten Wohnungsmärkten (162 Städte und Gemeinden) in Bayern bei laufenden Mietverhältnissen sechs Jahre lang zu unterbinden. Auch bei Staffel- und Indexmietverträgen werden die Mieten eingefroren. Eine Regelung soll allerdings sozial verantwortlichen Vermietern entgegenkommen. Eine Erhöhung der Miete ist dann noch erlaubt, wenn die erhöhte Miete nicht den Betrag von 80 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete übersteigt. Wer derzeit sehr wenig Miete verlangt, soll also noch einen finanziellen Spielraum haben, um nicht in Bedrängnis zu kommen. Vom Gesetz ausgeschlossen sind Mieten in Neubauten (ab 1. Januar 2017), da Investitionen nicht gebremst werden sollen. Bei neuen Mietverträgen soll nach dem Gesetzesentwurf künftig auch nur maximal die ortsübliche Vergleichsmiete verlangt werden dürfen, das Gleiche gilt für Modernisierungs-Mieterhöhungen. Verstöße gegen das Mietenstopp-Gesetz sollen mit bis zu 500.000 Euro bestraft werden können.“

Verfahren: Ein Volksbegehren in Bayern ist in drei Phasen aufgeteilt. Aktuell läuft die erste Phase: Mindestens 25.000 Wahlberechtigte müssen die „Zulassung des Volksbegehrens für faire Mieten in Bayern“ unterschreiben. Das Innenministerium überprüft danach, ob der Gesetzestext zulässig ist. Wenn ja, startet Phase 2: Voraussichtlich im Frühjahr 2020 gibt es dann einen Zeitraum von 14 Tagen, in dem mindestens eine Million bayerische Wahlberechtigte in Bayerns Rathäusern den Gesetzestext unterschreiben müssen. Danach kommt das Gesetz direkt auf die Tagesordnung im bayerischen Landtag. Stimmt das Parlament für das Gesetz, tritt es sofort in Kraft. Stimmt es gegen das Gesetz, kommt es zum Volksentscheid – der Phase 3. Wie bei einer Wahl stimmen die Wahlberechtigten hier über das Gesetz ab. Die einfache Mehrheit entscheidet.

Bezahlbar Wohnen in Schweinfurt

Anfang Oktober 2019 gestartet

Initiatoren sind sechs Einzelpersonen (es gibt aber Unterstützung von DGB, ver.di, SPD, Grüne, Diakonisches Werk)

Beschlusstext des Bürgerbegehrens:

„Stimmen Sie diesem Antrag zu?

Die Stadt Schweinfurt sorgt bis zum Jahr 2026 für den Neubau von mindestens 600 Wohnungen mit Sozialbindung (Sozialwohnungen) in bedarfsgerechten Größen.

Diese Sozialwohnungen können durch die Stadt Schweinfurt selbst, ihre Tochter SWG, die Hospitalstiftung oder durch Dritte finanziert und errichtet werden.“

Zusammenstellung: Stefan Wilker, Osnabrück


Warum wir eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit brauchen

Von den bundesweit 23 Millionen Mietwohnungen entfallen nur 2,3 Millionen auf kommunale Wohnungsgesellschaften. Mit diesem geringen Bestand können die Kommunen keine soziale Wohnraumversorgung sicherstellen oder Einfluss auf den Wohnungsmarkt nehmen. Daher muss der kommunale Wohnungsbestand dringend erweitert und der Wohnungssektor der Kommerzialisierung entzogen werden. Eine Neue Wohnungsgemeinnützigkeit (NWG), wie sie seit einigen Jahren diskutiert wird, bietet dafür einen Ansatz. Der Grundgedanke ist einfach: Wohnungsunternehmen, die sich zu dauerhaft leistbaren Mieten und der Demokratisierung ihrer Geschäftspolitik verpflichten, erhalten Steuererleichterungen und privilegierten Zugang zu Fördermitteln und öffentlichen Grundstücken. Das Ziel ist eine schrittweise Verschiebung der Eigentumsstruktur von Mietshäusern und Grundstücken zugunsten von öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen.

Erste Konzepte für eine Neue Wohnungsgemeinnützigkeit wurden von Andrej Holm und Jan Kuhnert entwickelt und von den Grünen und der Linkspartei in Bundestagsanträgen aufgegriffen. Die GroKo-Parteien lehnten diese allerdings 2017 ab. Da die Wohnungsnot in den Ballungsräumen aber unvermindert zunimmt, plant Attac Deutschland, die Neue Wohnungsgemeinnützigkeit in einem möglichst breiten Bündnis zum Thema einer Kampagne zu machen. Diese soll die Möglichkeit bieten, sich auf kommunaler, Landes- und Bundesebene für eine gemeinnützige Wohnraumversorgung stark zu machen.

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