Rekommunalisierung in Osnabrück erfolgreich

BLOCK 5: WIDERSTAND

Bürgerentscheid erzwingt Gründung einer kommunalen Wohnungsgesellschaft

Ein kleiner Blick zurück auf Osnabrück im Jahre 2002: CDU und FDP gewannen in diesem Jahr knapp die Kommunalwahlen und lösten die damalige hauchdünne Mehrheit von SPD und Grünen im Stadtrat ab.

Eine der ersten Amtshandlungen der neuen schwarz-gelben Koalition war ein Beschluss, die städtische Wohnungsgesellschaft OWG mit einem Bestand von 3700 Wohnungen zu verkaufen. Osnabrück lag damit voll im neoliberalen Trend – bundesweit privatisierten in dieser Zeit viele verschuldete Städte ihre Wohnungsgesellschaften, in der meist blauäugigen Hoffnung, so die klammen kommunalen Haushalte dauerhaft sanieren zu können. Heute sieht sehr vieles ganz anders aus.

2002: Privatisierung konnte nicht verhindert werden

Die damals frisch gegründete Attac-Gruppe nahm sich des Themas an. Ziel war es, mit einem Bürgerentscheid den Verkauf der OWG zu verhindern. Auf den Vorschlag von Attac fanden sich damals SPD, Grüne, DGB und vor allem viele Mieterinnen und Mieter der OWG in einer Bürgerinitiative zusammen und starteten ein Bürgerbegehren, das in einen Bürgerentscheid münden sollte. Leider erfolglos.

Denn noch während der laufenden Unterschriftensammlung beschlossen CDU und FDP den Verkauf (mit der entscheidenden Stimme des SPD-Oberbürgermeisters, der sich damit gegen seine Partei stellte). Für einen durchschnittlichen Verkaufspreis von gut 30.000 Euro pro Wohnung ging die OWG an die NILEG, eine Tochtergesellschaft der landeseigenen Norddeutschen Landesbank NordLB. Ein ebenfalls am Kauf interessierter Private Equity Fonds kam nicht zum Zug. Dies wurde den besorgten Mieterinnen und Mietern als Garantie verkauft, dass die Wohnungen in öffentlicher Hand bleiben und nicht nach maximalen Renditeerwartungen bewirtschaftet werden sollten.

Die Warnung der Bürgerinitiative, dass der Verkauf an die NILEG der erste Schritt zu einer späteren Übernahme durch private Wohnungskonzerne sein könnte, wurde als abwegig und „Panikmache“ abgetan.

Genauso aber kam es: Nach mehreren Eigentümerwechseln landeten die ehemals kommunalen Wohnungen 2015 in den Besitz von Vonovia.

2018/2019: Initiative für Neugründung einer kommunalen Wohnungsgesellschaft

Sechzehn Jahre später wurde der Spieß dann aber wieder umgedreht. Im letzten Jahr ist ein breites Bündnis entstanden, das sich zum Ziel setzte, mit einem Bürgerentscheid die Gründung einer kommunalen Wohnungsgesellschaft durchzusetzen. Die Initiative dazu ging wie schon 2002 von Attac Osnabrück aus.

Dabei ist die soziale und politische Ausgangslage heute eine andere als 2002. Vor allem hat sich die Situation auf dem lokalen Wohnungsmarkt gegenüber damals deutlich verschärft.

Wie in vielen anderen deutschen Großstädten haben die Mieten in Osnabrück in den letzten Jahren auf breiter Front angezogen, es fehlen tausende Wohnungen für Menschen mit geringen Einkommen. Ein Fünftel der Haushalte muss mehr als 40 Prozent seines Einkommens für die Kaltmiete ausgeben. Fühlten sich vom Verkauf der OWG 2002 in erster Linie die dort wohnenden Menschen betroffen, so ist die Wohnungsmisere heute ein Thema, das große Teile der Stadtbevölkerung beschäftigt.

Das Problem ist auch bei den Parteien im Stadtrat angekommen, die verbal seit einigen Jahren alle anerkennen, dass Anstrengungen zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum unternommen werden müssen. CDU und FDP – im Rat zusammen mit drei kleinen Gruppierungen wieder mit einem Sitz Vorsprung in der Mehrheit – waren bislang aber nur zu wenigen regulierenden Eingriffen in den Wohnungsmarkt bereit. Ansonsten setzten sie darauf, nach der Devise „bauen, bauen, bauen“ Anreize für private Investoren zum Wohnungsneubau zu schaffen und sie – sofern die Stadt überhaupt Einfluss darauf hat – zu verpflichten, dabei auch einen kleinen Anteil an günstigen Wohnungen zu errichten.

Die Opposition aus SPD, Grünen und Linken hat als eine Antwort auf die Wohnungsmisere in den letzten Jahren mehrfach versucht, im Rat eine kommunale Wohnungsgesellschaft beschließen zu lassen. Das ist aber von CDU, FDP und den Ratsmitgliedern der drei „Kleinen“ immer wieder abgeschmettert worden.

Es geht auch ohne Mehrheit im Rat – vom Bürgerbegehren zum Bürgerentscheid

In der Attac-Gruppe entstand vor diesem Hintergrund die Idee, statt auf veränderte Mehrheitsverhältnisse im Rat zu warten, mit einem Bürgerentscheid eine kommunale Wohnungsgesellschaft durchzusetzen. Im April 2018 haben wir nach etlichen Vorgesprächen mit möglichen Bündnispartnern auf einer Veranstaltung unseren Vorschlag vorgestellt. Das Echo war überwältigend – Wohlfahrtsverbände, DGB, Kirchengemeinden, SPD, Grüne, Linke, Uni-ASTA und viele kleinere Initiativen kamen und erklärten sich bereit, an der Kampagne mitzuwirken. Aus der Veranstaltung heraus gründete sich das „Osnabrücker Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“, das seitdem auf den Bürgerentscheid hingearbeitet hat.

Als erster Schritt war dazu ein erfolgreiches Bürgerbegehren nötig. Innerhalb von sechs Monaten mussten knapp 10.000 Unterschriften (entspricht 7,5 Prozent der Kommunalwahlberechtigten) für den Bürgerentscheid zusammenkommen. Die beteiligten Organisationen und viele Einzelpersonen haben seit September 2018 gesammelt: bei Großevents, an dutzenden Infoständen in den Stadtteilen, auf der Arbeit und im persönlichen Umfeld. Schon Anfang Februar 2019 waren die erforderlichen Unterschriften zusammen – am Ende hatten 13.500 Wahlberechtige mit Wohnort Osnabrück unterzeichnet.

Am 12. März ging es im Stadtrat weiter. Der hatte nach dem erfolgreichen Bürgerbegehren zwei Möglichkeiten: entweder unsere Forderung zu übernehmen und die Wohnungsgesellschaft zu beschließen oder den Bürgerentscheid einzuleiten. Die Blockierer von CDU, FDP und Co. blieben bei ihrer ablehnenden Haltung und stimmten gegen die Gründung einer Wohnungsgesellschaft. Somit musste am 26. Mai – parallel zur Europawahl – in einem Bürgerentscheid die Entscheidung fallen.

Die Latte für einen Erfolg lag durchaus hoch: Nach den Bestimmungen der niedersächsischen Kommunalverfassung müssen in einem Bürgerentscheid mindestens 20 Prozent der Kommunalwahlberechtigten mit „Ja“ votieren. Was für Osnabrück bedeutete, dass wenigstens 25.600 Bürgerinnen und Bürger ihr Kreuz bei „Ja“ machen mussten. Außerdem ist natürlich erforderlich, dass sich dann auch die Mehrheit der Abstimmenden für das Anliegen des Bürgerentscheids ausspricht.

Eine satte Mehrheit für die Wohnungsgesellschaft

Während der Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren waren wir in der Bevölkerung auf sehr viel Sympathie gestoßen. Unsere Argumentation, dass „der Markt“ und private Investoren nicht für den nötigen bezahlbaren Wohnraum sorgen werden und deshalb die Kommune mit einer eigenen, nicht profitorientierten Wohnungsgesellschaft leistbare Wohnungen anbieten muss, fand bei vielen Menschen Zustimmung. Von daher waren wir optimistisch, dass wir den Bürgerentscheid gewinnen können.

Aber sicher konnten wir uns natürlich nicht sein. Unklar war, ob sich genügend Menschen an der Abstimmung beteiligen würden. Nicht einschätzen konnten wir, ob die Argumente der Gegenseite nicht doch noch bei vielen verfangen würden. Insbesondere CDU und FDP warnten vor den hohen Investitionskosten für eine Wohnungsgesellschaft, die angeblich zu Einsparungen an anderer Stelle, etwa bei der Sanierung von Schulen, führen würden.

Für unser Bündnis begann also eine zehnwöchige Phase intensiver Mobilisierungsarbeit. Wieder waren wir in den Stadtteilen mit Infoständen präsent, haben in der ganzen Stadt unsere Plakate aufgehängt und in einer fast flächendeckenden Hauswurfsendung 60.000 Flyer verteilt. Genau wie beim Bürgerbegehren haben uns dabei Dutzende Menschen geholfen. Nicht unerheblich war zudem, dass die uns unterstützenden Parteien SPD, Grüne und Linke diese Aktivitäten in ihren Europawahlkampf eingebaut hatten.

Am Ende stand ein in dieser Höhe nicht erwarteter Erfolg: Bei einer Wahlbeteiligung von 56 Prozent haben dreiviertel der Wählerschaft für die Errichtung der kommunalen Wohnungsgesellschaft gestimmt. In absoluten Zahlen waren das etwa 56.000 „Ja“-Stimmen und damit fast genauso viele, wie CDU, Grüne und SPD zusammen bei den zeitgleich stattgefundenen Europawahlen bekommen haben.

Wie es jetzt weitergeht

Dieses Ergebnis hat auch bei den bisherigen Gegnern der kommunalen Wohnungsgesellschaft Eindruck gemacht. Alle Parteien im Rat gaben die Zusicherung, den Ausgang des Bürgerentscheids zu respektieren und ihn umzusetzen. Man wird sehen müssen, was das in der Praxis in den nächsten Jahren bedeutet.

Unser Bündnis hat von Anfang an klargemacht, dass wir in den Gründungsprozess der Wohnungsgesellschaft und in die Diskussion um ihre Ausgestaltung einbezogen werden wollen. Wir haben einen Katalog von Anforderungen entwickelt, den wir als Messlatte an alle Vorschläge anlegen, die jetzt von Ratsparteien und Verwaltung kommen werden.

Der Rat hat Anfang Oktober einen Projektausschuss gegründet, in dem neben der Vertretung der Ratsfraktionen auch zwei Mitglieder unseres Bündnisses und der Mieterverein einen Sitz haben. Der Ausschuss hat die Aufgabe, ein Konzept für die Gründung und die Aufgaben der Wohnungsgesellschaft zu entwickeln und dem Stadtrat vorzuschlagen.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es dabei zu Konflikten und Meinungsverschiedenheiten – auch innerhalb unseres Bündnisses – kommen wird. Zum Beispiel sind aus der Verwaltung Vorstellungen bekannt geworden, in welchem Umfang und in welcher Geschwindigkeit mit dem Aufbau eines kommunalen Wohnungsbestandes begonnen werden soll. Der federführende Finanzvorstand schlägt die jährliche Schaffung von lediglich 80 bis 100 Wohneinheiten durch die künftige kommunale Wohnungsgesellschaft vor, von denen die Hälfte auch noch zu marktüblichen Preisen vermietet werden sollen. Aus Sicht der Aktiven des Bündnisses sind diese Pläne angesichts des großen Bedarfes an bezahlbarem Wohnraum völlig unzureichend.

Es ist nicht abzusehen, wie sich das Ganze entwickelt und welchen Einfluss das „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“ auf Dauer ausüben kann. Viel wird davon abhängen, ob wir den öffentlichen Druck aufrechterhalten können, den wir durch den Bürgerentscheid aufbauen konnten.

Ein positives Zwischenfazit kann man aber in jedem Fall ziehen: Unsere Initiative hat eine breite wohnungspolitische Diskussion in der Stadt angestoßen. Es ist großer Druck auf die Parteien entstanden, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen und dies als eine Aufgabe der Öffentlichen Hand zu begreifen. Wir haben die fatale Entscheidung der Kommunalpolitik, den Mietwohnungsmarkt komplett privaten Vermietern und Immobilieninvestoren zu überlassen, rückgängig gemacht und den (Wieder-)Einstieg in eine städtische und nicht auf Profitmacherei ausgerichtete Wohnraumversorgung erzwungen. Und mit dem Instrument des Bürgerentscheids haben wir einen Weg aufgezeigt, wie Menschen ihre Interessen in der Kommune auch gegen die vorherrschende Politik durchsetzen können.

Stefan Wilker lebt in Osnabrück und ist u.a. aktiv bei Attac in dieser Stadt.

Mehr Infos: www.bezahlbarer-wohnraum-osnabrueck.de · https://www.facebook.com/osnabruecker.buendnis.fuer.bezahlbaren.wohnraum

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