Der Umgang mit Trinkwasser ist weder verantwortungsvoll noch nachhaltig
In kaum einem anderen Bereich des täglichen Lebens kommt die Geringschätzung elementarer Lebensgrundlagen deutlicher zum Ausdruck als bei der Entsorgung unserer Fäkalien mit Hilfe des wichtigsten uns zur Verfügung stehenden Lebensmittels – dem Trinkwasser.
Die bis heute gebräuchliche Verwendung sauberen Trinkwassers für alle häuslichen Anwendungen inklusive der Toilettenspülung hat ihren Ur- sprung in der seit Ende des 19. Jahr-hunderts üblichen Beschränkung auf nur ein Leitungssystem. Anders formuliert: Sie entstammt einer Zeit, in der auf den Straßen noch Pferdekutschen und Handkarren unterwegs waren und die Menschen im schwachen Licht von Petroleumlampen beieinandersaßen.
Laut einer Umfrage der Universität Göttingen im Jahre 2024 schätzten die Befragten den Anteil des für Essen und Trinken verwendeten Wassers mit 16 Prozent gleich hoch ein wie den Bedarf für die Toilettenspülung. Tatsächlich beträgt der Anteil des in deutschen Haushalten als Nahrungsmittel oder für die Nahrungszubereitung genutzten Wassers jedoch gerade einmal vier Prozent. Für die Toilettenspülung wird dagegen fast ein Drittel der Wassermenge verbraucht. Über 40 Prozent des täglichen Haushaltsbedarfs, zu dem auch die Wäschereinigung zählt, ließen sich mit Wasser abdecken, das nicht zuvor aufwendig zu Lebensmittelqualität aufbereitet worden ist.
In vielen Gebieten der Erde ist sauberes Trinkwasser nur begrenzt oder überhaupt nicht verfügbar. Während der zurückliegenden trockenen Jahre kam es auch in Europa zu Engpässen bei der Wasserversorgung, was häufiger zu Auseinandersetzungen führte. Insbesondere in der Landwirtschaft sieht man sich angesichts extremer Wetterlagen mit teils existenzbedrohenden Ertragseinbußen konfrontiert, obwohl weltweit immer größere landwirtschaftliche Flächen bewässert werden.
Von den in Deutschland im Jahre 2019 aus Grund- und Oberflächenwasser entnommenen 20 Milliarden Kubikmetern Wasser entfielen 44 Prozent auf die Energieversorger, knapp 27 Prozent auf Bergbau, ebenfalls 27 Prozent auf verarbeitendes Gewerbe und öffentliche Versorger und etwas mehr als zwei Prozent auf die Landwirtschaft.
Entnahmen
Die enormen Wassermengen zur Kühlung von Kraftwerken werden zwar Flüssen entnommen und wieder eingeleitet, was aber zu deren Erwärmung beiträgt. Große Industrieunternehmen nutzen Oberflächengewässer. Zur Absicherung des Förderbetriebs im Bergbau sind seit den 1950er Jahren, meist ohne jede nachfolgende Verwendung, enorme Grundwassermengen abgepumpt worden. Allein für die Braunkohletagebaue in Nordrhein-Westfalen wurden während der 1960er und 1970er Jahre jährlich zirka 1,2 Milliarden Kubikmeter Grundwasser in Flüsse entsorgt, und noch heute sind es 500 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Für die massive Schädigung der Grundwasserkörper musste Rheinbraun (heute RWE) jahrzehntelang nicht einen Cent bezahlen. Im niederschlagsarmen Osten der Republik sind die Zahlen für den dortigen Tagebau nahezu gleich, mit jedoch noch extremeren Auswirkungen auf die Wasserverfügbarkeit.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der tatsächliche Verbrauch insbesondere für Industrie und Landwirtschaft höher ist als offiziell angegeben. Umweltgruppen und Journalisten konnten in den vergangenen Jahren aufdecken, dass Landwirte häufig ein Vielfaches der ihnen zugestandenen Wasserentnahme für ihre Felder abpumpten. Die daraufhin eingeschalteten regionalen Behörden schien dies nie sonderlich zu interessieren. Auch Industriebetriebe mit eigenen, leistungsfähigen Brunnenanlagen möchte man anscheinend nur ungern durch Kontrollen verärgern.
Nach dem vergangenen regenreichen Jahr überraschen uns nun Warnungen vor einer langfristig drohenden Wasserknappheit in Deutschland. Flutkatastrophen wie im Jahr 2021 vermitteln zunächst nicht den Eindruck, dass wir uns wegen eines Mangels an Wasser sorgen sollten. Tatsächlich aber widerspricht die Häufung von Hochwasserereignissen nicht dem schon heute nachweisbaren erheblichen Wasserverlust während der vergangenen 20 Jahre.
Denn mit der Klimaerwärmung nimmt nicht nur die Niederschlagsmenge, sondern auch die Verdunstung zu. Nach den Messungen des Deutschen Wetterdienstes verdunsten im jährlichen Mittel etwa 70 Prozent der Niederschlagsmenge, was durch die steigende Menge versiegelter Flächen noch begünstigt wird.
Große Probleme bereitet das bisherige Bestreben, Niederschläge schnellstmöglich durch Kanalsysteme abzuleiten und Flüsse nicht nur zu begradigen, sondern auch die für den Hochwasserschutz wichtigen Auenflächen für den Siedlungsbau oder für die Landwirtschaft nutzbar zu machen. Auf diese Weise können die Niederschläge nicht zu einer Grundwasserneubildung beitragen, sondern führen bei Starkregen zu noch extremeren Hochwasserereignissen.
Knappes Gut
Noch immer scheint eine Auffassung vorzuherrschen, die in Deutschland verfügbaren Wasserreserven seien nahezu unerschöpflich. Anders ist die vielerorts waltende Sorglosigkeit insbesondere bei der Vergabe von Entnahmerechten auf Jahrzehnte für Kohlebergbau, Industrie- und Mineralbrunnenanlagen nicht zu erklären. Entnahmeentgelte, sofern überhaupt erhoben, bewegen sich im Bereich weniger Cent pro Kubikmeter und stellen keinen Anreiz für Sparmaßnahmen dar. Die Zugeständnisse des ohnehin niederschlagsarmen Landes Brandenburg bei der Ansiedlung einer Teslafabrik haben traurige Berühmtheit erlangt. (Siehe auch den nachfolgenden Artikel „Verfehlte Hoffnungen – Drei Jahre Tesla in Grünheide“ auf Seite 59.)
Eine im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellte aktuelle Studie weist für Deutschland eine Reihe von Risikogebieten aus, in denen das Grundwasser während künftiger Trockenperioden knapp werden könnte. Angesichts jahrzehntelanger Tagebautätigkeit überrascht die Nennung der Lausitz kaum, doch auch in der ursprünglich wasserreichen Niederrheinischen Bucht werden sich die Langzeitfolgen des Braunkohletagebaus spürbar auswirken. Aufgeführt sind Regionen in der Nähe großer Ballungsräume wie Hannover, Frankfurt am Main oder Ludwigshafen und auch Berlin. Dort dürfte das bevorstehende Ende des Tagebaus wegen der dann ausbleibenden Grundwasserableitung in die Spree zu erheblichen Problemen führen, so dass schon der Bau einer Transportleitung für jährlich bis zu 60 Millionen Kubikmeter Wasser aus der Elbe erwogen wird.
Wegen der geringer werdenden Zuflüsse aus der Schneeschmelze und der Zunahme längerer Trockenphasen sind Konflikte mit den Anrainerstaaten absehbar. Auch in Tschechien steigt der Wasserbedarf, weshalb am dortigen Oberlauf der Elbe mehr Wasser in den Talsperren zurückgehalten wird.
Vieles deutet darauf hin, dass die Trinkwasserversorgung in Zukunft deutlich teurer werden wird. Schließlich ist der Mangel an sauberem Wasser nicht ausschließlich ein mengenmäßiges Problem. Wegen der zunehmenden Belastung sowohl der Oberflächengewässer als auch des Grundwassers durch Nitrat, Pestizide, Mikroplastik, Medikamente und Chemikalien werden die Versorgungsunternehmen zusätzliche Reinigungsmaßnahmen durchführen müssen. Die Nitratkonzentration auf landwirtschaftlichen Flächen wird noch dadurch erhöht, dass die Anbaupflanzen bei anhaltender Trockenheit nicht mehr in der Lage sind, die ausgebrachten Düngermengen aufzunehmen. Dass man die Situation in Deutschland durch den Import niederländischer Gülle verschärft, sei hier nur am Rande erwähnt.
Gesunkene Pegel
Die Beanspruchung der natürlichen Grundwasserspeicher durch zu hohe Entnahmen führt zunächst zu einem Absinken des Grundwasserspiegels, zu Bodensenkungen, Wasserverlust und Vegetationsschäden an der Oberfläche. In vielen Regionen Deutschlands haben sich die Grundwasserstände nach den trockenen Sommern 2018 bis 2022 trotz der folgenden beiden niederschlagsreichen Jahre noch nicht wieder erholt. Schließlich findet eine unterirdische Druckumkehr statt, da durch den nachlassenden Tiefendruck ein Herabströmen verunreinigten Oberflächenwassers hervorgerufen wird, so dass ganze Grundwasserkörper verunreinigt werden. Für die Sicherung unserer Trinkwasserversorgung hinsichtlich Menge und Qualität ist es daher entscheidend, die Grundwasserentnahmen auf das absolut notwendige Maß zu reduzieren.
Viele Anwendungen in Industrie und Landwirtschaft, aber auch in den privaten Haushalten erfordern nicht hochwertiges Grundwasser. Womit wir wieder bei der Toilettenspülung angekommen sind.
In der Städteplanung hat mit dem Konzept der sogenannten Schwammstadt bereits ein Umdenken eingesetzt. Ein möglichst großer Anteil des Niederschlagswassers soll nicht sofort abgeleitet, sondern vor Ort genutzt oder für die Grundwasserbildung versickert werden. Auch bei der Regenwassernutzung in Gebäuden wird durch die Speicherung der von den Dachflächen abfließenden Niederschläge zunächst eine Verringerung der Abflussspitzen bewirkt. In Neubaugebieten kann bei entsprechender Vorplanung daher mit geringeren Kanalquerschnitten gearbeitet werden. Zusätzlich möglich ist der Einsatz von Retentionstanks, die ihren gespeicherten Inhalt ganz oder teilweise zeitverzögert in das Kanalnetz abgeben.
Das bestenfalls unterirdisch gespeicherte Regenwasser hat bei fachgerechter Installation etwa Badegewässerqualität, ist weich, und damit nicht nur für die Toilettenspülung, sondern auch ideal für den Betrieb der Waschmaschine oder zum Putzen verwendbar. Wodurch sich, wie eingangs ausgeführt, in der Regel über 40 Prozent des Trinkwassers einsparen ließen.
70 Prozent der jährlich 5,5 Milliarden Kubikmeter für die öffentliche Trinkwasserversorgung werden aus Grund- und Quellwasser bestritten, und diese Menge macht 62 Prozent des gesamten Grundwasserbedarfs aus. Es ergibt sich daraus, dass bisher ein Viertel des in der Bundesrepublik geförderten, hochwertigen Grundwassers im WC, oder in der Waschmaschine landet.
In Mehrfamilienhäusern rechnen sich auch teurere Anlagen zur Grauwassernutzung, in denen Duschwasser aufgefangen und nach Filterung für WC und Waschmaschine bereitgestellt wird.
Infolge des Klimawandels registrieren die Versorgungsunternehmen in den Trinkwassernetzen schon heute bedenkliche Temperaturen von bis zu 25 Grad, so dass jede Verringerung der Verbrauchs- und Durchflussmengen neue Herausforderungen mit sich bringen wird.
Zur Verringerung einer weiteren Trinkwassererwärmung im Gebäude werden strengere Vorschriften für die Sanitärinstallation und zunehmend auch eine aktive Kühlung der Rohrleitungen notwendig sein. Die Abwasserkanäle benötigen einen ausreichenden Spülstrom. Künftig wird man wohl über eine Verringerung der Leitungsquerschnitte nachdenken müssen. Die anderenfalls erforderlichen hohen Wasserdurchleitungen und -verbräuche werteten kostbares Grundwasser zu einem Spülmedium herab, und diesen Luxus können wir uns nicht länger leisten.
Reinhard Noffke, Jahrgang 1964, wohnt im Süden Mönchengladbachs, nur wenige Kilometer vom Tagebau Garzweiler II entfernt. In einer Reihe von Artikeln für Lunapark21 hat er das Ausmaß der für den Kohleabbau betriebenen Umweltzerstörung beschrieben: