Gedanken eines Bewohners der Tagebauregion zum Wert unseres Grundwassers
Unter dem Begriff der Tragik der Allmende kennen wir die Problematik von uns allen kostenlos zur Verfügung stehenden Gütern: Da für ihre Nutzung kein (angemessener) Preis zu entrichten ist und eine Ausweitung des Verbrauchs zunächst nur der Allgemeinheit schadet, dem Einzelnen aber einen Vorteil bringt, fehlt der individuelle Anreiz für eine schonende und nachhaltige Bewirtschaftung.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass auch in Deutschland nicht mehr von einer grenzenlosen Verfügbarkeit an Trinkwasser ausgegangen werden kann. Zwar liegt der Wasserverbrauch der Privathaushalte momentan noch etwa zehn Prozent unter dem Wert von 1991, allerdings dürfte dies eher mit sparsameren Haushaltsgeräten und WC-Spülungen zu erklären sein als mit einer Änderung des Verbraucherverhaltens. Dagegen könnte der sich in den vergangenen Jahren abzeichnende neuerliche Anstieg ein Anzeichen für höhere Entnahmen sein, auch zur Gartenbewässerung.
In vielen Regionen Deutschlands sehen sich Kommunen während der Sommermonate häufiger gezwungen, das Befüllen der wachsenden Anzahl privater Swimmingpools oder die Beregnung von Rasenflächen zu verbieten. Vielfach werden jedoch weder Appelle noch Verbote beachtet, und so muss man sich fragen, ob der Preis für ein lebenswichtiges, zunehmend knappes Gut wie Trinkwasser so niedrig sein darf, dass dessen unverhältnismäßige Verschwendung durch die dafür anfallenden Mehrkosten kaum beeinflusst wird. Und während Privathaushalte zunehmend von der Möglichkeit Gebrauch machen, mit zusätzlichen Zählern die Abwassergebühren für das im Garten genutzte Wasser einzusparen, wird den Großverbrauchern in Industrie, Energieversorgung und Landwirtschaft in vielen Bundesländern nach wie vor eine kostenlose Entnahme von Grund- und Oberflächenwasser gewährt.
Wasser marsch
Das Statistische Bundesamt weist für Deutschland im Jahr 2019 einen Wasserverbrauch von insgesamt zirka 20 Milliarden Kubikmetern aus. Der Anteil der öffentlichen Wasserversorgung belief sich auf 5,4 Milliarden Kubikmeter. 6 Milliarden Kubikmeter stammen aus Grund- und Quellwasser, 14 Milliarden entfielen auf die Entnahme von Fluss- oder Oberflächenwasser.
Das für Kühlzwecke verwendete Oberflächenwasser wird in nahezu gleicher Menge wieder in Flüsse zurückgespeist und trägt damit zu einem Anstieg der Wassertemperaturen bei. Dies ist angesichts steigender Umgebungstemperaturen nicht unproblematisch. In allen großen Flüssen wird die Temperaturbelastung zu einer wachsenden Gefahr für die Wasserqualität und die Fischbestände, und zukünftig wird der Bedarf an Kühlenergie wohl weiter zunehmen. Gleichwohl bleiben die enormen Mengen umgewälzten Kühlwassers ohne direkte Auswirkung auf die Grundwasserreserven.
Anders verhält es sich mit dem für industrielle Prozesse aus Brunnen geförderten Wasser. Am Beispiel der in Brandenburg neu angesiedelten Tesla-Produktion wird deutlich, dass je nach Standort in Deutschland schon die Entnahme eines einzigen Großunternehmens zu Problemen für die öffentlichen Wasserversorgung führen kann. Mit der Tesla erteilten Genehmigung zur Förderung von rund zwei Millionen Kubikmeter Grundwasser pro Jahr in der ohnehin wasserarmen Region stellte die Landesregierung den örtlichen Wasserversorger vor vollendete Tatsachen und entzog ihm sämtliche für die nächsten Jahre noch verfügbaren Reserven. Die Fertigung von jährlich etwa 500.000 Pkw wird die regionalen Grundwasservorräte auf das Äußerste beanspruchen.
Das Land Brandenburg zählt aufgrund seiner geologischen Beschaffenheit und der im bundesweiten Durchschnitt geringen Niederschlagsmengen ohnehin zu den wasserarmen Regionen Deutschlands. Häufig lässt sich Wassermangel an den Fließgewässern erkennen. So auch an der für die Berliner Trinkwasserversorgung wichtigen Spree, die seit etwa 20 Jahren immer häufiger nicht mehr durch Berlin in Richtung Westen zur Havel, sondern ab dem Zusammentreffen mit dem Fluss Dahme nach Osten in den großen Müggelsee zurückfließt, was auch daran liegt, dass die von der Spree mitgeführte Wassermenge sich seit Beginn der Flutungen ehemaliger Braunkohlegruben im Raum Cottbus deutlich verringert hat.
Hypotheken
Die seit den fünfziger Jahren betriebenen Großtagebaue haben nicht nur die Grundwasserstände in Brandenburg und Sachsen deutlich abgesenkt und zu einem teilweisen Versiegen kleinerer Zuflüsse geführt, zusätzlich wird seit einigen Jahren die Einleitung von Sümpfungswasser aus den noch aktiven Kohlegruben immer weiter reduziert, wodurch die Wassermenge der Spree langfristig um 50 bis 70 Prozent abnehmen dürfte.
Eine Besonderheit des für die Kohleförderung erforderlichen Wasserverbrauchs ist der damit verbundene ausschließliche Einsatz von Grundwasser. Während große Industrieunternehmen häufig an Flüssen erbaut wurden und den Hauptanteil ihres Wasserbedarfs aus Flusswasser bestreiten, ist für den Kohleabbau sowohl im Tagebau als auch unter Tage ein Abpumpen des Grundwassers erforderlich – in Ostdeutschland bis in eine Tiefe von etwa 150 Metern, in den rheinischen Braunkohletagebauen dagegen bis zu 230 (Garzweiler II) und 500 (Hambach) Metern tief. Durch die in beiden Revieren vorgenommenen Eingriffe wurden Grundwasservorkommen in einer Ausdehnung von mehreren tausend Quadratkilometern auf unabsehbare Zeit geschädigt. Allein im Rheinland sind bis zur Mitte der achtziger Jahre knapp 1,2 Milliarden Kubikmeter Grundwasser pro Jahr vernichtet worden, und noch heute gehen jährlich 500 Millionen Kubikmeter verloren. In den ostdeutschen Kohlerevieren haben wir es mit Grundwasserverlusten in ähnlicher Größenordnung zu tun, und so weist das Statistische Bundesamt unter dem Begriff „Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden“ (Stand 2016) einen Wasserbedarf von 1,2 Milliarden Kubikmetern aus. Ein Ressourcenverbrauch, der in Bezug auf Qualität und Menge ausreichen würde, um dauerhaft mehr als 20 Prozent der öffentlichen Wasserversorgung in Deutschland zu bestreiten, und der bis vor wenigen Jahrzehnten in noch deutlich größerem Ausmaß betrieben wurde.
Nach Einschätzung des Bundesumweltministeriums ist auf diese Weise bis jetzt ein Grundwasserdefizit von zirka 13 Milliarden Kubikmetern entstanden, mit regional unterschiedlichen Auswirkungen: Die nach Norden zunehmend trockenen Böden der ostdeutschen Kohleregion enthalten einen hohen Pyrit-Anteil, der infolge des Sauerstoffkontaktes bei der tagebaubedingten Erdbewegung Eisen und Sulfat freisetzt. In den Gewässern kommt es dadurch einerseits zu einer massiven Absetzung von Eisenhydroxidschlamm und einem Absterben von Pflanzen und Fischen. Andererseits wird das für die Trinkwasserversorgung benötigte Wasser der Spree stark mit Sulfat belastet, und die Beschaffung des zur Verdünnung der gesundheitsgefährdenden Konzentration erforderlichen unbelasteten Wassers stellt die Versorger zunehmend vor Probleme.
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Das ganze Ausmaß des Wassermangels in Brandenburg und Sachsen ist erst in Ansätzen erkennbar. Dennoch treten schon heute während anhaltend trockener Wetterlagen Engpässe bei der Wasserversorgung auf.
Gern würde man die als Naherholungsgebiete angepriesenen zukünftigen Seenlandschaften der ehemaligen Tagebaue schneller fertigstellen, doch dafür reicht das Wasser schon jetzt nicht aus. Immer wieder muss die Zuleitung unterbrochen werden, und auch bei einigen der bereits befüllten Restseen sinken die Pegelstände wieder ab. Das aus dem noch betriebenen Kohleabbau abgepumpte Wasser wird in seit Jahren steigendem Umfang zur Befüllung der alten Tagebaue verwendet.
Die großflächigen aber teils sehr flachen Seen könnte man mit einer Pfanne vergleichen. Der zukünftige Cottbuser Ostsee wird eine Wasserfläche von zwölf Quadratkilometern aber nur eine mittlere Tiefe von zwei bis drei Metern haben. Entsprechend hoch wird der Verlust durch Verdunstung sein. Somit werden sich zwangsläufig auch dauerhaft viel zu hohe Wassertemperaturen einstellen, als dass derartige Seen für die Speicherung von Trinkwasser genutzt werden könnten.
Nordrhein-Westfalen verfügt im Gegensatz zu den ostdeutschen Kohleregionen über sehr ergiebige Grundwasservorräte. Allerdings wurden insbesondere seit den sechziger Jahren deutlich tiefer liegende Kohlevorkommen abgebaut mit weitreichenden Auswirkungen auf die Grundwasservorräte in der niederrheinischen Bucht. Die zurückbleibenden ausgekohlten Gruben sind infolge des Volumenverlustes durch die Kohleförderung und die zusätzliche Gewinnung von Baustoffen wie Sand und Kies erheblich tiefer. Nach Beendigung des Tagebaus werden drei riesige Restseen mit einer Gesamtfläche von ungefähr 70 Quadratkilometern zurückbleiben.
Gleichwohl besteht auch hier das grundsätzliche Problem der dauerhaften Grundwasserbelastung durch aus den alten Tagebauen austretende Grubenwässer. Die Befüllung der Seen und die bis in das nächste Jahrhundert notwendige Stützung nahegelegener Naturschutzgebiete erfordern eine derart hohe Wasserüberleitung aus dem Rhein und der kleineren Rur, dass die auf 40 bis 60 Jahre veranschlagte Fertigstellung der drei Seen Inden, Garzweiler II und Hambach nicht als sicher angesehen werden kann.
Trübe Aussichten
Überdies stellt die bislang vom Tagebaubetreiber ab 2030 in unmittelbarer Nähe des Dormagener Chemieparks beabsichtigte Entnahme von ungeklärtem Rheinwasser eine erhebliche Gefahr für die Qualität der Grundwasserneubildung dar, da ein sehr großer Teil des zugeführten Wassers aus den Tagebaulöchern in die über Jahrzehnte entleerten Bodenschichten einfließen wird.
Die Verknappung von Trinkwasser wird in vielen Regionen Deutschlands spürbar. Zu lang ging man davon aus, dass Wasser hierzulande in beliebiger Menge verfügbar sei. Sorglos wurden Großverbrauchern Entnahmerechte auf Jahrzehnte gegen ein geringes Wasserentnahmeentgelt gewährt. Vielfach wurde auf die Erhebung selbst des üblicherweise nur wenige Cent pro Kubikmeter Grundwasser betragenden Entgelts verzichtet. Die Bergbaukonzerne haben für ihre enormen Grundwasserentnahmen fast nie etwas bezahlt.
Auch für die Beregnung landwirtschaftlicher Flächen gelten in den meisten Bundesländern Ausnahmeregelungen. Dabei sind die zuständigen Behörden bis heute nicht in der Lage, die Einhaltung der festgelegten Fördermengen zu kontrollieren. Vereinzelt durchgeführte Kontrollen belegen, dass die genehmigten Entnahmemengen von den landwirtschaftlichen Betrieben oft um ein Vielfaches überschritten werden.
Mittlerweile gestaltet sich auch die Versorgung großer Ballungsräume schwierig. Die von der Stadt Hamburg beantragte Ausweitung der Förderung von Grundwasser aus der Lüneburger Heide etwa wurde vor zwei Jahren gerichtlich abgewiesen, während sich auch Coca-Cola um eine Verdoppelung der Fördermenge bemühte. An diesem Beispiel zeigt sich, dass dringend ein Umdenken erfolgen muss. Weder ist es verantwortbar, unser kostbarstes Lebensmittel in nahezu allen Haushalten weiterhin für die Toilettenspülung zu benutzen, noch ein unverzichtbares Allgemeingut zum Gegenstand privatwirtschaftlicher Interessen zu machen. Wenn wir heute darauf verzichten, dass die für unser Überleben wertvollsten Ressourcen mit einem angemessenen Preis bezahlt werden müssen, werden diese eines nicht so fernen Tages von niemandem mehr bezahlt werden können.
Reinhard Noffke, Jahrgang 1964, wohnt im Süden Mönchengladbachs, nur wenige Kilometer vom Tagebau Garzweiler II entfernt. Seit einigen Jahren hat er es sich zur Aufgabe gemacht, das Ausmaß der für den Kohleabbau betriebene Umweltzerstörung einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen.