Autobahnprivatisierung aus Sicht kritischer Institutionen

Grundsätzlich kostet ÖPP die Bevölkerung deutlich mehr Steuergeld

Die vorgeschlagenen 13 Grundgesetzänderungen bilden zusammen mit den zahlreichen Begleitgesetzen ein komplexes Geflecht juristischer Texte. Einzelne Regelungen kann man als Laie eventuell noch erfassen. Andere sind rätselhaft, und insbesondere das Zusammenwirken bedarf zusätzlich der Interpretation und Bewertung durch Experten. Die Abgeordneten und auch die Zivilgesellschaft werden ein Stückweit von dieser Expertise abhängig. Durch die künstlich erzeugte Zeitnot vergrößert sich diese Abhängigkeit: Die Bundesregierung hatte den Gesetzentwurf nach eigener Aussage schon im April 2016 in der Schublade, brachte ihn aber erst im Dezember in den Bundestag ein. Nun besteht die Gefahr, dass die Befürworter der Autobahnprivatisierung zusätzlich noch regierungsnahe Gutachter aus dem Hut zaubern, die die Öffentlichkeit beruhigen, etwa: „Keine Sorge, jede Privatisierung ist ausgeschlossen“. Insofern ist es wichtig, sich mit den Aussagen kritischer Institutionen zu befassen, um solcher Schönfärberei etwas entgegensetzen zu können.
Von großer Wichtigkeit im Zeugenstand sind der Bundesrechnungshof und ihre Pendants auf Landesebene, die Landesrechnungshöfe. Faktisch zwar ohne Sanktionsmöglichkeiten führen die Rechnungshöfe dennoch mit ihren Stellungnahmen einen engagierten Kampf gegen Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) (siehe Kasten „Der Kampf der Rechnungshöfe gegen ÖPP“). In der Frage der Autobahnprivatisierung hat der BRH die Gesetzentwürfe der Bundesregierung bis zum November 2016 in einem eigenen umfangreichen Gutachten untersucht.

Weitere wichtige Experten sind der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Georg Hermes, der Infrastrukturrechtsexperte Dr. Holger Weiß sowie der auf Infrastrukturen spezialisierte Ökonom Prof. Dr. Thorsten Beckers. Das Trio Hermes/Weiß/Beckers war 2016 für mehrere Aufraggeber aktiv: angefangen vom ADAC über das Verkehrsministerium in Baden-Württemberg bis hin zum Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Sie warnten zeitig vor verschiedenen Privatisierungsformen. Ihre Stellungnahme zum vorgelegten Gesetzentwurf ist in dieser Hinsicht vernichtend.

Als weiterer Gutachter war Prof. Dr. Christoph Möllers tätig. Er war bereit, einen von Attac und Gemeingut in BürgerInnenhand „geleakten“ Zwischenstand des Gesetzgebungsverfahrens zu bewerten (im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen). Möllers ist Professor für Öffentliches Recht in Münster. Auch er sieht erhebliche Privatisierungsgefahren.

Die Ergebnisse von Prof. Möllers
Der Text, den Möllers bewertet hat, wurde inzwischen modifiziert. Insofern sind seine damaligen Aussagen nicht mehr in allen Punkten aktuell. Es ist dennoch interessant, dass seiner Einschätzung nach der Entwurf „hinsichtlich der Grenzen der Privatisierbarkeit erkennbar hinter die bestehenden Regelungen für die Privatisierung von Bahn und Post zurückfällt“. Das bedeutet im Klartext: Bei der Autobahnreform wurden anfangs Verfassungsänderungen vorgeschlagen, die noch krasser waren als die folgenreichen Regelungen in den Fällen der Post- und Bahnprivatisierung. Im Zuge der Postreform waren vom Bund damals Witwen-, Waisen- und sonstige Renten übernommen worden, für die bis ins Jahr 2076 noch 550 Milliarden Euro zu bezahlen sind[*] – und zwar von der Gemeinschaft der Steuerzahlenden, nicht von den Telekom-Aktionären.

Allgemeine Gültigkeit hat auch Möllers Analyse der Ermöglichung der Rosinenpickerei: „Es läuft darauf hinaus, dass Private, die mit einem legitimen Profitinteresse in eine solche Kooperation einsteigen werden, nur für solche Straßen zuständig werden, die wegen ihres hohen Auslastungsgrades profitabel sind, während wenig benutzte Fern- und Landstraßen in der alleinigen Verantwortung des Staates bleiben – oder in ÖPP-Strukturen eingebunden werden, in denen zwischen stark und schwach ausgelasteten Strecken querfinanziert wird.“

Ebenfalls erhellend ist Möllers‘ Blick auf die Motivation der „Reformer“. Danach stehen fiskalische Gründe – also die Zielsetzung der Beschaffung zusätzlicher Gelder in Form privaten Kapitals – deutlich vor dem Anliegen, die Organisationsstruktur zu verbessern. Möllers verdeutlicht das an der unterschiedlichen Behandlung von Autobahnen und Bundesstraßen. Nach Möllers unterscheidet sich die Verwaltung beider Straßentypen praktisch kaum. Es sind jedoch nur die Autobahnen, die in privatisierbare Strukturen überführt werden. Der Grund: „Der relevante Unterschied zwischen Bundesautobahnen und den anderen Bundesfernstraßen liegt eben im Maß ihrer Auslastung und damit zugleich in der Möglichkeit der kommerziellen Verwertbarkeit.“
Die weniger rentablen bis kostspieligen Bundesstraßen sollen deswegen bei den Ländern bleiben.

Bundesrechnungshof und Autobahnprivatisierung
Maastricht-Kriterien und Schuldenbremse sind fraglos Bestandteile neoliberaler Austeritätspolitik. Bezogen auf die europäischen Verträge kann es Sinn machen, diese Schuldenbegrenzungen auszuhebeln. Hätte die Bundesregierung z .B 2015/2016 (unseretwegen unter Verweis auf einen – durchaus vorhandenen – Notstandsparagrafen im Maastricht-Vertrag) erklärt, man erhöhe kurzfristig die öffentlichen Schulden und das Jahresdefizit, um ein 50-Milliarden-Euro-Programm zur Integration geflüchteter Menschen zu stemmen (und 300.00 Lehrkräfte, 250.000 Erzieherinnen und 100.000 Sozialhelfer, Dolmetscher usw. zusätzlich zu beschäftigen), so wäre das eine sinnvolle (und wirtschaftlich wohl perspektivisch zukunftsweisende) Verletzung dieser Regeln gewesen. Im Fall der Autobahnprivatisierung jedoch werden diese Schuldenbegrenzungen ganz klammheimlich umgangen. Nur diese Intransparenz ermöglicht es, einen grundsätzlichen Privatisierungsprozess voranzutreiben und dann noch eine besonders zerstörerische Mobilitätsform zu fördern. Vor diesem Hintergrund kann der Hinweis des BRH im seinem Gutachten vom November 2016 als Warnsignal verstanden werden „ dass die Gründung der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft nicht dem Ziel dienen darf, Schulden aus den Kernhaushalten des Bundes auszulagern und die Schuldengrenzen zu umgehen.“ Auch eine Umgehung der Maastricht-Kriterien wäre laut BRH möglich, wenn die Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten des Bundes und der Einfluss des Parlamentes auf die Entscheidungen der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft gering wären.

Für ein Gespräch im Verkehrsministerium erarbeitete der BRH zusätzlich zu seinem Gutachten eine Präsentation. Darin spitzen die Bonner Kontrolleure ihre Ergebnisse weiter zu. Die Aussagen sind brisant; der Spiegel berichtet noch am gleichen Tag in seiner online-Ausgabe darüber. In dem Vorschlag der Bundesregierung zur Autobahnreform sieht der BRH sowohl die Möglichkeit der formellen, der materiellen und der funktionalen Privatisierung. Hinsichtlich der formellen Privatisierung weist der BRH darauf hin, dass der im Gesetzentwurf vorgezeichnete Weg von der GmbH zur Aktiengesellschaft eine Einbahnstraße wäre, aus der eine Rückkehr ins öffentliche Recht (und damit unter parlamentarische Kontrolle) gesetzlich versperrt werden soll. Zudem hätte der BRH laut aktuellem Entwurf keinerlei Prüfungsrechte und könnte mithin die Tätigkeit der neuen Gesellschaft nicht mehr effektiv kontrollieren. Welche Folgen funktionale und materielle Privatisierung haben, macht der BRH ebenfalls deutlich. Als erstes würde die Transparenz verloren gehen: „Bei der funktionalen und materiellen Privatisierung werden die Unternehmen in der Regel nur in dem vertraglich vereinbarten oder gesetzlich vorgegebenen Umfang Daten und Unterlagen veröffentlichen oder zugänglich machen. Wesentliche Unterlagen und Daten würden – wie bei den bisherigen ÖPP-Projekten auch – als Geschäftsgeheimnisse gewertet und damit nicht öffentlich werden.“

Auch generell könnten die Privaten ihre Renditeziele über die Gemeinwohlziele stellen: „Der gesamtwirtschaftliche Nutzen einer Straßenbauinvestition kann sich […] deutlich von deren betriebswirtschaftlicher Vorteilhaftigkeit unterscheiden. […] Gesamtwirtschaftlich vorteilhafte Projekte würden dann gegebenenfalls nicht verwirklicht.“

Das Parlament hätte nur noch sehr mittelbar Einfluss, der Bund würde bei einer Privatisierung kaum noch direkte Steuerungsmöglichkeiten besitzen und das staatliche Monopol würde auf Private übergehen. Ein solches Monopol müsste reguliert werden, um eine Ausnutzung durch die Privaten wenigstens zu begrenzen. Der BRH weist aber darauf hin, dass eine Regulierung der Maut im vorgegebenen europäischen Rechtsrahmen schlechterdings kaum noch möglich ist.

Ergebnisse Hermes/Weiß/Beckers
Die Gutachter Hermes/Weiß/Beckers decken auf, dass es mehrere Möglichkeiten geben wird, vorgebliche Privatisierungsschranken zu umgehen. So ist es nach ihrer Aussage der neuen Gesellschaft möglich, „Kapital über Eigenkapital-ähnliche Finanzierungsinstrumente (wie Genussscheine oder die Beteiligung typischer stiller Gesellschafter) aufzunehmen, bei denen Eigenkapital-ähnliche Renditeerwartungen vorliegen.“
Hermes/Weiß/Beckers weiter: „Derartige sogenannte ´Mezzanine-Finanzierungen´ könnten eingesetzt werden, um das Verbot einer privaten Eigenkapital-Beteiligung (Kapitalprivatisierungsverbot) zu umgehen.“

Die Autoren verdeutlichen auch, dass es mit Hilfe von ÖPP zu einer „Autobahnprivatisierung nach dem französischen Modell“ kommen kann. Der Grund liegt für sie darin begründet, dass funktionale Privatisierungen nach dem ÖPP-Ansatz, die sich auf ganze Teilnetze beziehen, nicht unterbunden werden. „Teilnetz-ÖPP, bei denen die Vergütung des Privaten durch die BAB-Gesellschaft und nicht direkt durch die Nutzer erfolgt, dürften nach Art. 90 GG-RE grundgesetzlich erlaubt und ohne jegliche einfachgesetzliche Anpassung umsetzbar sein.“
Auch ist es durch Teilnetz-ÖPP-Vorhaben laut Hermes/Weiß/Beckers möglich, das in Grundgesetzentwurf enthaltene Kapitalprivatisierungsverbot zu umgehen.

Anmerkung
[*] Tim Engartner (2014): Der große Postraub: Die Privatisierung der Bundespost und ihre Folgen, in „Blätter für deutsche und internationale Politik” Nr. 1/2014.

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