Was Frauen alles leisten

Daten im zweiten Gleichstellungsbericht

Die älteren Aktivistinnen in der Frauen- und Gleichstellungspolitik werden sich daran erinnern. Wenn Frauen in den neunziger Jahren ihr Grundrecht auf Gleichstellung geltend machten oder entsprechende Maßnahmen einforderten und die Aufgeforderten aus Politik und Wirtschaft nicht länger umhin konnten, eine Zusage machen zu müssen, gab es verschiedene Standardantworten. Beispielsweise hieß es zunächst stets, die Qualifikation von Frauen und Mädchen sei zu verbessern, damit auch sie in die bis dahin von Männern besetzten Berufe und Positionen gelangen könnten. Eine andere sehr beliebte Anregung waren neue Studien und Statistiken. Beide Aufforderungen sind in der Zwischenzeit vielfach erfüllt worden. So macht das Stichwort von der am besten ausgebildeten Frauengeneration in wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Talkshows und politischen Begründungen seit Jahren die Runde. Die Antwort, warum das noch nicht zu paritätischer Besetzung von Führungs- und Fachpositionen geführt hat, bleiben große Teile von Politik und Wirtschaft weiterhin schuldig. Richtig ist nach wie vor, dass Ungleichbehandlung oft deutlich erkennbar, aber ohne geschlechtsspezifische Daten schwer nachweisbar ist. Bis heute fehlt an vielen Stellen eine Aufteilung nach Geschlecht und dessen gesellschaftlichen Bedingungen. Andererseits wird die Validität der von Frauenpolitikerinnen verwendeten Daten noch immer bezweifelt. So geschieht das beispielsweise, wenn sie mit der „bereinigten Lohnlücke“ argumentieren. Unterstellt wird unter anderem, dass ein niedrigerer Lohn bei gleicher Arbeit gerechtfertigt sei, wenn es sich um Teilzeitbeschäftigung handelt, was natürlich nicht stimmt.

Erfreulicherweise wissen wir heute viel mehr über die Unterschiede hinsichtlich der beruflichen und gesellschaftlichen Position von Frauen und Männern als vor zwanzig oder dreißig Jahren. Dazu haben in der Tat viele Studien und Statistiken beigetragen. Was jedoch immer noch offen bleibt, ist die entsprechende Gesetzesfolgenabschätzung. Und das, obwohl der erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung bereits vor Jahren im zugehörigen Gutachten begründete, dass und warum Gesetzgebung zu konsistenter Rechtsetzung führen muss, in der die Lebensverlaufsperspektive insbesondere der Frauen zu berücksichtigen ist. Im zweiten Gleichstellungsbericht sind weitere Ansätze enthalten, die diese Notwendigkeit unter dem Titel „Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten“ weiter darlegen. Die allgemeine Erkenntnis darin lautet sinngemäß: Frauen arbeiten in ihrem Leben viel mehr als Männer. Den größten Teil davon leisten sie unbezahlt und ohne eigenständige soziale Absicherung. Daraus ergibt sich zum einen wieder einmal die Frage danach, was in unserer gesellschaftlichen Definition eigentlich Arbeit ist und wie sie bewertet wird. Diese Grundsatzfrage soll hier aber nicht behandelt werden. Dieser knappe Artikel deutet nur einige Aufgaben an, die sich aus den Erkenntnissen über unterschiedliche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit ergeben. Es sind Daten, die wir aufgrund heutiger digitaler Möglichkeiten für die Politik bereits haben. Sie müssen „nur“ politisch genutzt werden.

Das Gutachten zum zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hat die Lücken, die durch die ungleiche Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit bei Einkommen, Alterssicherung und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern entstehen, in Zahlen gefasst und einige sehr eindrucksvolle Indizes erstellt. Die Lohnlücke (Gender Pay Gap) von 21 Prozent kennen inzwischen schon alle. Bekannt dürfte auch sein, dass daraus unter anderem die geschlechtsspezifische Rentenlücke (Gender Pension Gap) entsteht, die zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens bei 53 Prozent lag. Zurückzuführen ist die Lücke in den Alterseinkommen darauf, dass Frauen in Deutschland insgesamt ein um 48,8 Prozent geringeres Lebenseinkommen erzielen als Männer. Zusätzliche Gründe dafür sind die Erwerbsunterbrechungen für Familienarbeit, Teilzeitarbeit, die aus betrieblichen Gründen in Sackgassen umgeleitet worden ist und die geringere Bewertung der professionellen Care- und Sozialberufe im Vergleich zu Berufen in der industriellen Produktion. Branchen, in denen überwiegend Frauen arbeiten, sind von prekärer Beschäftigung und Niedriglohnpolitik gekennzeichnet. Erkennbar ist das beispielsweise an hohen Anteilen geringfügig entlohnter Beschäftigung (Minijob) etwa im Handel, Reinigungs- und Gastgewerbe, meistens, aber nicht immer, entlohnt mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Der Anteil der Minijobberinnen unter den erwerbstätigen Frauen zwischen 30 und 55 Jahren beträgt im Durchschnitt 16,5 Prozent, in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland sogar über 20 Prozent.

Hinzu kommt ein weiteres frauenspezifisches Einkommensgefälle hinsichtlich der Zugehörigkeit zu sozialen Schichten. Besonders groß ist die Lücke zwischen Einkommen von Frauen und Männern im unteren Einkommens-Segment. Bei dem Bevölkerungsteil mit den niedrigsten 5 Prozent an Einkommen verdienen Frauen sogar nur 41 Prozent dessen, was Männer dieser Gruppe im Lebensverlauf erhalten. Frauen sind also besonders arm. Diese Tatsache wird jedoch meist erst dann politisch zur Kenntnis genommen, wenn daraus Grundsicherungsbedarf entsteht, arme Frauen also dem Staat zur Last fallen. Als Risikogruppen stehen Alleinerziehende und Rentnerinnen im Fokus von Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Heute sind neunzig Prozent der knapp 1,7 Millionen Alleinerziehenden Frauen. Der Anteil der alleinerziehenden Väter ist noch um zwei Prozent gesunken. Der durchschnittliche Rentenzahlbetrag [1] betrug mit Stichtag 31. Dezember 2015 für Frauen (West) 584 Euro und für Frauen (Ost) 860 Euro. Solange Frauen in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft als vom Partner versorgt gelten, wird ihre persönliche Armut politisch weniger zur Kenntnis genommen. So ist auch die wissenschaftliche Betrachtung von Aushandlungsprozessen in Paarbeziehungen ein relativ neuer Untersuchungsgegenstand.

Tatsächliche Arbeitszeiten von Frauen und Männern verhalten sich umgekehrt zu ihren Verdiensten. Die geschlechtsspezifische Zeit-Lücke (Gender-Time-Gap) beschreibt, dass Frauen insgesamt viel mehr arbeiten als Männer. Im Lebensverlauf haben Frauen insgesamt 18 Jahre zusätzlicher Arbeit vorzuweisen. Sie arbeiten im Durchschnitt pro Woche 45,5 Stunden, davon 16 Stunden in bezahlter Arbeit, Männer 44,5 Stunden, überwiegend bezahlt. Männer in abhängiger Beschäftigung leisten im Durchschnitt wöchentlich 8,2 Stunden mehr bezahlte Arbeit als Frauen. Der Überschuss der unbezahlten Arbeit auf Seiten der Frauen wird mit der Sorge-Lücke (Gender Care Gap) beschrieben. Sie liegt im Durchschnitt bei täglich 87 Minuten. Das entspricht einer Mehrleistung von 52,4 Prozent oder 529 Stunden im Jahr, also etwa 3,3 monatlichen Vollzeitäquivalenten unbezahlt.

Besonders drastisch ist die Sorge-Lücke im Alter von 34 Jahren, wenn Kinder da sind und möglicherweise auch schon ein Pflegefall. Dann arbeiten Frauen um 110,6 Prozent länger unbezahlt als Männer, nämlich täglich 5 Stunden 18 Minuten. Männer in diesem Alter leisten für Haus und Familie 2 Stunden und 31 Minuten unbezahlte Arbeit.

Dieser Unterschied muss ausgeglichen werden. Bezahlte und unbezahlte Arbeit ist partnerschaftlich neu zu verteilen. Frauen müssen dazu von unbezahlter Arbeit in Haushalt, Pflege und Erziehung durch Infrastrukturangebote entlastet werden. Auch gesetzliche Änderungen sind erforderlich. So muss beispielsweise der Subsidiaritätsgrundsatz im Pflegeversicherungsgesetz aufgegeben werden, also der Vorrang der häuslichen Pflege vor ambulanter professioneller und stationärer Pflege. Bis heute werden etwa 70 Prozent aller Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt, und zwar zu drei Viertel von Frauen.

Neben den Indizes enthält das Gutachten weitere interessante Daten, die die ungleichen Verteilungen zwischen Frauen und Männern beschreiben und kritisieren. Ein Beispiel ist die Besteuerung von Einkommen. Frauen machen neunzig Prozent der Beschäftigten mit der Steuerklasse fünf aus. Eine Grafik im Gutachten stellt dar, dass die persönlichen Einkommen der Frauen dadurch ungleich höher besteuert werden als vergleichbare Einkommen von Männern, die stattdessen die begünstigte Steuerklasse drei oder die gleichstellende Klasse vier haben. Die Steuerklasse fünf führt zu einer Situation für erwerbstätige Frauen, die Forderungen nach mehr Stundenlohn oder mehr bezahlter Arbeitszeit begrenzt. Verantwortlich dafür ist der sehr stark ansteigende Grenzsteuersatz[2] bei etwa 15.000 Euro Jahreseinkommen (1.250 Euro im Monat). Bis dahin liegt der effektive Grenzsteuersatz bei etwa zwölf Prozent. Danach steigt er sofort auf 34 bis 39 Prozent an und pendelt sich bis auf über 40 Prozent ein. Dadurch verdoppelt sich beispielsweise der monatliche Steuerabzug von etwa 150 auf knapp 300 Euro bei einem Anstieg des Jahreseinkommens auf 20.000 Euro (1.660 Euro im Monat). Versteuert ein Beschäftigter sein Einkommen in der Steuerklasse drei, so zahlt er null Euro Steuern bis zu einer Höhe von etwa 23.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen. Diese Konstellationen finden in der Regel zwar nicht in derselben Ehe statt. Festzustellen ist dennoch, dass hier mittelbare Diskriminierung vorliegt. Statistisch gesehen geht die geschlechtsspezifische Wirkung einer neutral formulierten Gesetzesvorgabe zu Lasten einer Mehrheit von Frauen. Auch das Argument, dass beim Lohnsteuer-Jahresausgleich die ungleiche Belastung ausgeglichen werde, rechtfertigt das nicht. Im Vergleich zu einer Individualbesteuerung führt auch das Ehegattensplitting selbst zu einer prozentual erhöhten Steuerbelastung niedriger Fraueneinkommen, indem ihr niedrigeres Einkommen mit dem gemeinsamen relativ höheren Steuersatz belastet wird.[3]

Wenn aufgrund solcher Zahlen die Frage nach dem politischen Handlungsbedarf gestellt wird, so verwies die Gleichstellungspolitik in der Vergangenheit zunächst auf den Arbeitsmarkt. Um Einkommen und soziale Sicherung zu verbessern, müssen bezahlte Arbeitszeit und Vergütung erhöht werden. Das jedoch führte oft zu dem unerfüllbaren Anspruch, dass Frauen wie Männer leben und arbeiten und für sich die MINT-Berufe erobern sollen.[4]

Der zweite Gleichstellungsbericht wirft folgerichtig die Frage auf, wer dann in Zukunft die Care-Arbeit leistet, die in der Familie übrig bleibt, selbst wenn die Infrastruktur für Kinder und Pflegebedürftige weiter ausgebaut wird. Die konsequente Antwort ist, dass auch in der Haus- und Familienarbeit Änderungen erforderlich sind. Eine notwendige Ergänzung zur privat erbrachten Care-Arbeit sind haushaltsnahe Dienste, von denen auch Wiedereinsteigerinnen in den Beruf profitieren oder ältere Menschen bei Bedarf entlastet werden können. Der Gleichstellungsbericht hat für die weitere Bearbeitung des Themas den Begriff der SAHGE-Berufe geprägt: Soziale Arbeit (SA), haushaltsnahe Dienstleistung (H) und Gesundheitsberufe (GE). Alle SAHGE-Berufe sind gesellschaftlich und finanziell aufzuwerten. Insbesondere die H-Zahlen sind eindrucksvoll. Es gibt in diesem Wirtschaftssegment 43.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, 290.000 Minijobs und 3.310.000 irregulär Beschäftigte, also Schwarzarbeit. Die Frage, warum diesen Berufen politisch immer noch die Produktivität abgesprochen wird, die einen leistungsgerechten Lohn rechtfertigt, ist weiter zu bearbeiten.

PS: Die weitergehende Lektüre der Gleichstellungsberichte wird empfohlen: www.gleichstellungsbericht.de

Hannelore Buls ist Diplom-Volkswirtin und Sozialökonomin. Sie war von 2012 – 2016 Vorsitzende des Deutschen Frauenrats; aktiv bei DAG und verdi; zuletzt (und bis 2014) Leiterin der ver.di-Frauen- und Gleichstellungspolitik.

Anmerkungen:

[1] Brutto-Rente minus Kranken- und Pflegeversicherung; bei weiteren Einkünften ggf. noch steuerpflichtig.

[2] Steuersatz auf jeden zusätzlich verdienten Euro.

[3] Im Beispiel kann das Jahreseinkommen der Frau in Höhe von 15.000 Euro durch den gemeinsamen Steuersatz, der sich durch hohes Einkommen des Ehemannes ergibt, beispielsweise mit 20 Prozent steuerlich belastet werden, obwohl sie sogar mit der Steuerklasse fünf (also ohne Anrechnung ihrer persönlich zustehenden Steuerfreibeträge, die mit der Steuerklasse drei auf den Ehemann übertragen worden sind) darauf nur 12 Prozent Steuern zahlen müsste.

[4] MINT steht für Mathematik Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Die MINT-Fachbereiche gelten als „zentraler wirtschaftlicher Innovationssektor“. Ein vergleichbarer Begriff im Englischen ist STEM, was steht für science (also Naturwissenschaften); technology (ungefähr „Technik“); engineering and mathematics. Anm. d. LP21-Red.

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