Winfried Wolf in Lunapark21 – Heft 29
In den vergangenen Wochen und Tagen tauchte im Zusammenhang mit der Zuspitzung der politischen und ökonomischen Krise in Griechenland immer wieder eine Behauptung auf, die da lautet: „Und dabei begann doch die Sparpolitik erste Früchte zu tragen….“ Stellvertretend für viele Berichte sei hier die Rheinische Post vom 29. Dezember 2014 – also aus der Zeit vor dem Syriza-Wahlsieg – zitiert: „Die strikte Sparpolitik der Regierung Samaras trug erste Früchte, das Wachstum zog langsam an, die horrende Arbeitslosigkeit begann, ganz leicht zu sinken. Anteil daran hatte neben den gewaltigen Anstrengungen der Griechen selbst mit Lohnkürzungen von 25 Prozent auch die internationale Gemeinschaft, die Athen mit Notkrediten über die Krise half. Dies ist alles in Gefahr, wenn nun vorgezogene Neuwahlen kommen. […] Ein triumphierender Links-Populist Tsipras [ist] Gift für den Erholungskurs.“
Damit soll gesagt werden: Die neuerliche Zuspitzung der Krise, die wir in Griechenland seit Ende Januar 2015 erleben, sei in erster Linie der unverantwortlichen Politik von Syriza geschuldet, die den Weg des Sparens abrupt und verantwortungslos abbreche. Wenn im Fall Griechenland die entsprechenden Fakten nicht ausreichend zurecht gebogen werden können, dann wird auf die anderen Peripherie-Länder verwiesen, in denen ebenfalls Programme der Troika zur Anwendung kamen. Dann wird behauptet, am Beispiel Portugal, Spanien, Irland und Zypern könne man doch sehen, dass „die Sparpolitik Früchte trägt“.
In Wirklichkeit handelt es sich bei derlei Behauptungen um eine Quartalslüge. Die Fakten und die Statistiken sprechen eine andere Sprache. Und dies gilt keineswegs nur für Griechenland.
Sehen wir uns zunächst in Tabelle 1 die Entwicklung der absoluten Höhe der öffentlichen Schulden an. Im Fall Griechenland setzte die brutale Sparpolitik Anfang 2010 ein. Bereits in diesem Jahr schnellte die Schuldensumme von 301 auf 330,3 Milliarden Euro nach oben. 2011 gibt es einen weiteren Anstieg auf 356 Milliarden Euro. 2012 gab es dann einen beträchtlichen Schuldenschnitt, womit die absolute Schuldensumme deutlich fiel. 2014 lag sie bei 316 Milliarden – womit sie aber dennoch über dem Niveau von 2009 liegt.
In drei der anderen hier aufgeführten Peripheriestaaten – in Portugal, Spanien und Zypern – gab es sogar einen kontinuierlichen Anstieg der absoluten Schuldensumme bis einschließlich 2014. In Irland stieg die Schuldensumme bis 2013 an. Wobei der erste deutliche Anstieg immer mit Beginn der Sparpolitik und weitgehend mit Beginn des jeweiligen EU-Regimes, das den Ländern aufgezwungen wurde, zusammenfällt.
Der fortgesetzte Anstieg der öffentlichen Schulden erfolgte in all diesen Staaten vor allem deshalb, weil die Regierungen die überschuldeten und vom Einsturz gefährdeten Banken massiv mit öffentlichen Mitteln gestützt hatten. Private Schulden (der Banken) wurden in öffentliche Schulden (der Staatshaushalte) umgerubelt.
Wichtiger als die absolute Summe der öffentlichen Schulden ist allerdings der Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt. Das ist ja auch der Maßstab, der mit den Maastricht-Kriterien angelegt wurde (wonach die Summe der öffentlichen Schulden gemessen am BIP nicht mehr als 60 Prozent ausmachen dürfe, damit ein Land „Euro-würdig“ ist). Diese Relation als solche – wenn auch nicht die fixe Zahl „60 Prozent“ – macht als Indikator auch grundsätzlich Sinn. Denn der Schuldendienst muss aus dem gesamten Einkommen des betroffenen Nationalstaats bezahlt werden. Die Grafik und Tabelle 2 zeigen die entsprechende Dynamik. Und hier ist das Ergebnis noch deutlicher als bei der absoluten Summe der öffentlichen Schulden. Der Anteil der öffentlichen Schulden am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt aller Peripherieländer steigt seit Etablierung der Sparpolitik – und damit meist seit Beginn der krassen Austeritätspolitik, die jeweils erheblich von der EU bestimmt wurde.
2014 liegt in Griechenland der Anteil der öffentlichen Schuld am BIP mit 176,3 Prozent sogar höher als vor dem Schuldenschnitt (2011: 171,3%). Und er liegt um gut 60 Prozent höher als vor Beginn der Troika-Politik (2009: 109,3%). Vergleichbar die Entwicklung in den anderen Euro-Peripheriestaaten. In Portugal liegt die Schuldenquote 2014 bei 129 Prozent – gegenüber 83,6 Prozent 2009. In Spanien sind es 2014 sogar 145 Prozent – gegenüber 52,7 Prozent 2009. In Zypern 110 Prozent – gegenüber 58,5 Prozent 2009 (oder 61,5% 2010). Irland ist das einzige Land, bei dem es 2014 einen Rückgang dieses Indikators gab: von 123,3 auf 111 Prozent. Wobei auch das 2014er Niveau gut doppelt so hoch liegt wie vor Beginn der Finanzkrise (2008: 42,6%).
Der wesentliche Grund, warum die Schuldenquote nochmals deutlich schneller steigt als die Schuldensumme, liegt darin, dass das jeweilige Bruttoinlandsprodukt über Jahre hinweg sank. Eine hohe und teilweise weiter steigende Schuldensumme bezogen auf ein sinkendes BIP ergibt eben diese beschleunigt steigende Schuldenquoten. Und damit auch eine abnehmende Fähigkeit, durch das Gesamteinkommen für den Schuldendienst, geschweige denn für die Rückzahlung der Schulden jemals aufkommen zu können.
Das Bruttoinlandsprodukt wiederum sank von Land zu Land und über all die Jahre hinweg – eben aufgrund der durch EU, EZB und IWF aufgezwungenen Sparpolitik. In Griechenland gab es seit 2008 nur Negativ-Wachstum. 2014 kverharrte das BIP erstmals in einer Stagnation. In Spanien gab es im Zeitraum 2009 bis einschließlich 2013 ein rückläufiges BIP.
In Portugal lag die BIP-Entwicklung 2009, 2011, 2012 und 2013 im Minusbereich. In Irland gab es 2009, 2010, 2012 und 2013 Minuswachstum. In Zypern gibt es seit 2012 und einschließlich 2014 einen BIP-Rückgang.
Vergleicht man schließlich die zwei gleichgroßen Inselstaaten Zypern und Island. Beide Länder erlebten eine ähnlich krasse Finanz- und Bankenkrise. In beiden war der Bankensektor im Vergleich zum BIP ähnlich übergroß aufgebläht worden. In Zypern wurde die beschriebene Austeritätspolitik, wie von der EU aufgezwungen, verfolgt – mit dem bereits beschriebenen Ergebnis. In Island gab es eine einigermaßen andere Entwicklung: Nur geringe Einschnitte im öffentlichen Haushalt, kein Absenken der durchschnittlichen Renten und der niedrigen Einkommen, keine Gelder für faule ausländische Kredite. Das BIP war nur in zwei Jahren (2009 und 2010) rückläufig. Die öffentlichen Schulden stiegen seit 2009 nicht mehr an. Die Schuldenquote konnte sogar deutlich gesenkt werden – von fast 100 Prozent im Jahr 2011 (96,6%) auf 2014 82,2 Prozent.
Offensichtlich hatte das mit zwei Dingen zu tun. Island ist nicht in der EU. Und: Island behielt die eigene Währung und wertete die isländische Krone um mehr als 35 Prozent ab.