seziertisch nr. 168: Austerität

Aus: LunaPark21 – Heft 31

Das Fremdwort „Austerität“ wird oft mit „Sparpolitik“ übersetzt. Dies ist unscharf und kann leicht dazu beitragen, diejenigen zu entwaffnen, die einen solchen Kurs bekämpfen wollen. Denn was ist gegen Sparen einzuwenden? Das Beispiel der schwäbischen Hausfrau, die nicht mehr ausgibt als sie einnimmt, wird nur von einer Minderheit verlacht. Die Mehrheit findet, dass das ein vernünftiges Verhalten ist. Dies gilt umso mehr, als man in der Heimat der schwäbischen Hausfrau in der Regel ja nicht hungert. In den Speckgürteln Baden-Württembergs sind die Einnahmen hoch, und es kostet keine Entbehrungen, wenn sie von den Ausgaben nicht übertroffen werden.

Zuweilen wird „Austerität“ mit „Sparzwang“ oder „Zwangssparen“ übersetzt. Hier müsste dann geklärt werden, wer wen zwingt. Dazu später.

„Kaputtsparen“ trifft die Sache besser, klingt aber polemisch und hat dadurch den Nachteil, dass Überzeugungsarbeit erschwert oder gar verunmöglicht wird.

In erster Näherung hat Austerität die Annahme zur Voraussetzung, private Investitionen würden dadurch erleichtert, dass die Einnahmen und Ausgaben der Öffentlichen Hände möglichst gering sind. Dadurch würden Mittel frei, deren Einsatz für Wachstum sorge. Dieses komme über Steuereinnahmen dann auch wieder Staat und Gemeinden zugute. Es handelt sich um eine allgemeine Doktrin marktradikalen Handelns. Austerität ist ein Spezialfall ihrer Anwendung. Er trete ein, wenn ein Gemeinwesen verschuldet ist und dafür gesorgt werden soll, dass dies nie wieder passiert. Aktuelle Anwendungsfälle sind die Schuldenbremse in Deutschland und der europäische Fiskalpakt. Sie gehen davon aus, dass Haushalte, die zu viele Kredite aufgenommen haben, saniert werden müssen und danach die Wiederholung einer solchen Schieflage auf Dauer vermieden werden soll. Dagegen ist nicht von vornherein viel zu sagen, nämlich dann nicht, wenn die Einnahmen so erhöht werden, dass die alten Schulden zurückgezahlt werden können und keine neuen gemacht werden müssen.

Austeritätspolitik setzt aber immer zunächst an der Ausgabenseite an. Dass durch Sparen allein Wachstum entsteht, leuchtet nicht ein. Im Gegenteil: dadurch fällt Nachfrage aus. Allenfalls kann argumentiert werden, dass ein Staat oder eine Gemeinde, die überschuldet sind, ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Deren Umfang aber ist bereits wieder strittig. Nach marktliberaler Auffassung sollen die öffentlichen Hände ohnehin nur solche Leistungen anbieten, die nicht auch durch Private erbracht werden, wobei davon ausgegangen wird, dass Letzteres gewinnbringend erfolgt. Der Rest-Service verbleibt dann in den öffentlichen Händen und ist so schmal ausgelegt, dass er nicht hoch finanziert werden muss.

Austeritätspolitik bezeichnet nicht diesen – sozusagen – Idealzustand liberaler Ökonomie, sondern seine (Wieder-) Herstellung: Überschuldete Gemeinwesen müssen gezwungen werden, ihre Haushalte auszugleichen, nämlich durch das Zurückschneiden ihrer Ausgaben.

Die Beschäftigung im Öffentlichen Dienst soll gesenkt werden. Dies korrespondiert mit dem Zurückschneiden von Dienstleistungen, die vom Staat und den Kommunen erbracht werden. Benachteiligt sind vor allem diejenigen Menschen, die von öffentlicher Infrastruktur abhängig sind, in der Hauptsache Angehörige der Unter- und der unteren Mittelschichten.

So weit Austeritätspolitik auch Erhöhung der Einnahmen vorsieht, haben diese ebenfalls eine klassenpolitische Schlagseite. Sie setzen eher auf Verbrauchssteuern als auf Vermögenssteuern und eine steile Progression der Einkommensteuern.

„Austerität“ kann somit ohne Bedeutungsverlust mit Umverteilung von unten nach oben übersetzt werden. Ist sie imstande, Wachstum anzukurbeln? Ja und nein. Zunächst zum Nein: Einsparungen von öffentlichen Ausgaben mögen Liquidität in privaten Hauhalten schaffen. Daraus folgt nicht, dass diese wieder investiert werden. Es gibt nämlich auch eine private Austerität: Sparen als scheinbarer Selbstzweck, in Wirklichkeit aber als Versuch, Vermögen zinstragend durch Einsatz außerhalb der Produktion zu vermehren, z. B. an der Börse oder durch Immobilienspekulation.

Blieben durch Sparen erübrigte Mittel in den Öffentlichen Händen und würden für Investitionen verwandt, könnte dies tatsächlich zu Wachstum führen. Dies widerspräche allerdings dem Hauptzweck der markliberalen Austeritätspolitik. Allein für Kriege oder deren Vorbereitung (manchmal auf für anschließenden Wiederaufbau) ist derlei typisch, dann auch verbunden mit Erhöhung der Staatseinnahmen, teilweise durch Steuern, vor allem aber Anleihen. So lernten wir das bei Piketty.

Wachstum durch private Investitionen nach einer Phase der Austerität hat es historisch dennoch immer wieder einmal gegeben. Das ergibt sich daraus, dass sie nicht eine ausschließlich ökonomische, sondern auch politische Strategie ist. Sie ist immer mit der Niederwerfung oder Ermüdung gewerkschaftlichen und politischen Widerstandes verbunden. Ein Beispiel war die Sparpolitik des deutschen Kanzlers Heinrich Brüning 1930-1932. Sie führte zur Diskreditierung der SPD (die sie toleriert hatte), zur Ineffizienz der Gewerkschaften durch Massenarbeitslosigkeit und zur Abwendung großer Teile der Volksmassen von der Demokratie. Danach, ab dem 30. Januar 1933, bestand ein hervorragendes Investitionsklima, zumal der Staat sich durch die Rüstung auch als profitbringende Anlagesphäre empfahl. Der Putsch in Chile 1973 wurde von den Chicago-Boys als eine Form der Sanierung gefeiert und gefördert. Nicht nur der Geist weht, wo er will, sondern auch das Kapital. Die Niederlage, Spaltung oder auch eine notgedrungene Totalanpassung von Syriza in Griechenland könnte, obwohl dies nicht sehr wahrscheinlich ist, auch ein Investitionsanreiz sein.

Georg Fülberth lebt in Marburg an der Lahn. Er war an der dortigen Universität Professor für Politikwissenschaften. Sein „Seziertisch“ erscheint in Lunapark21 seit der ersten Ausgabe Anfang 2008.