Elisa Simantke & Nikolas Leontopoulos befragten Costas Lapavitsas
Was ist Ihr Eindruck von den bisherigen Verhandlungen?
Die Strategie der Regierung war, dass eine Veränderung der politischen Kräfte in Griechenland als Katalysator für ganz Europa wirken wird. Diese Strategie ist jetzt gescheitert. Die wirkliche Frage ist, wie lange es dauern wird, bis die Menschen das verstanden haben. Ich war schon immer skeptisch. Mein Argument hat sich bestätigt: Es gibt institutionelle Mechanismen und die vorherrschende Logik der Währungsunion, und diejenigen, die glauben, das sei mit einer reinen Änderung der Politik ebenfalls zu ändern, haben sich geirrt. Wir sehen, dass der institutionelle Rahmen und die damit verbundene ideologische Maschinerie nicht auf die Argumente einer politischen Neuaufstellung reagieren.
Teilt Ihre Partei diese Einschätzung?
Syriza ist eine große Organisation, die rapide gewachsen ist. Sie reflektiert die Gesellschaft und ist keine traditionelle linke Partei, deshalb gibt es viele verschiedene Meinungen und politische Einstellungen. Ich glaube, die Regierung weiß, dass sie eine harte Entscheidung vor sich hat: Bleiben wir bei dem Programm, das wir den Wählern versprochen haben? Oder fügen wir uns dem, was die Troika von uns will? Diese beiden Sachen sind inkompatibel.
Was sollte die Regierung Ihrer Meinung nach tun?
Die Regierung muss die einzige echte Alternative in Betracht ziehen und diese gescheiterte Währungsunion zu verlassen. Der Exit war von Anfang an der einzige Weg. Wenn man ein Programm umsetzen will, wie Syriza es versprochen hat, das für mich nicht radikal, sondern höchstens moderater Keynesianismus ist, dann muss man ernsthaft darüber nachdenken, die Grenzen der Euro-Zone zu verlassen.
Hat Syriza dafür denn überhaupt das Mandat?
Die klare Antwort ist Nein. Syriza hat ein Mandat, sein Programm zu erfüllen. Und ein indirektes, kein direktes, Griechenland in der Euro-Zone zu halten. Aber diese Frage wurde den Griechen nie offen gestellt.
Also doch ein Referendum?
Als erstes sollte es eine echte öffentliche Debatte geben. Das ist schwer, weil es in Griechenland unglaubliche Desinformations- und Angstkampagnen gegeben hat. Die Atmosphäre ist vergiftet. Diese Debatte ist nicht unmöglich, aber schwieriger als noch vor einigen Jahren.
Die beste Strategie ist meiner Ansicht nach ein einvernehmlicher geordneter Austritt aus dem Euro – kein umkämpfter. Griechenland sollt sich das Ziel setzen, einen Austritt ohne Bruch, ohne Kampf, ohne einseitige Aktionen zu erreichen. Das würde heißen: Der Austritt findet gemeinsam mit einer Umschuldung statt.
Warum sollten die EU-Partner das akzeptieren? Das sind gleich zwei Elemente, die sie nicht wollen: der Austritt an sich und erst recht die Umschuldung.
Nach meiner Einschätzung wird ein Land, das nach einem solchen verhandelten Austritt fragt, ihn auch bekommen. Deutschland, Schäuble, war 2011 sehr wohl für einen Austritt Griechenlands zu haben. Der Preis, den die Euro-Zone zahlen müsste, ist die Umschuldung. Es gibt noch zwei andere Elemente: den Schutz des Wechselkurses und den Schutz der Banken. Das wird die EZB aber nahezu nichts kosten, weil Griechenland so ein kleines Land ist.
Nochmal, was sollen die EU-Partner davon haben?
Ruhe und Frieden. Zumindest für eine Weile.
Warum nur für eine Weile?
Weil die Währungsunion ein historischer Fehler ist. Sie ist Europas größtes Versagen in Jahrzehnten. Sie wird nicht halten. Offensichtlich wird sie gerade lange genug halten, bis Griechenland tot am Boden liegt. Die Befürworter der Union glauben zwar, sie wird für immer halten, aber das ist eine historische Illusion. Währungsunionen halten nicht für immer.
Wie soll Griechenland den Austritt wirtschaftlich überstehen und sich erholen?
In drei Stufen: erst der geordnete, einvernehmliche, verhandelte Austritt. In der zweiten Stufe muss sich die Binnennachfrage erholen, die in den vergangenen Jahren stark unterdrückt wurde.
Da sind viele Ressourcen nicht genutzt worden. Kleine und mittlere Unternehmen würden wieder reaktiviert, und das wird die griechische Wirtschaft erneuern. Das Anbeten von Exporten ist Quatsch. Aber das allein ist noch kein Weg für nachhaltiges Wachstum. Was es danach braucht, ist eine Industriepolitik, ein Wiederaufbau der Produktion, um an der Weltwirtschaft wieder teilzuhaben, wenn auch auf einer anderen Basis.
Quelle: Tagesspiegel, 16. März 2015.