Aus: LunaPark21 – Heft 18
Die Universitätskliniken in Gießen und in Marburg wurden vom Land Hessen zwischen 2001 und 2006 schrittweise in Anstalten öffentlichen Rechts umgeformt, dann fusioniert und zu GmbHs umgewandelt, um dann 2006 zu 95 Prozent an die Rhön-Kliniken AG verkauft zu werden.
Die Bürgerinnen und Bürger in Marburg lehnten damals mehrheitlich die Privatisierung in dieser Form ab und sammelten 30000 Unterschriften gegen den Verkauf. Die Marburger Klinik schrieb schwarze Zahlen, das Alternativmodell einer Stiftung als Träger war im Gespräch. Man fühlte sich von der Landesregierung verraten und verkauft.
In Gießen war die Klinik marode, von Schließung war die Rede. Deshalb setzte man dort Hoffnungen in die Privatisierung, versprach doch der Rhönkonzern großzügige Investitionen und Neubauten ohne öffentliche Zuschüsse.
Inzwischen wurde viel gebaut, in Medizintechnik und Beton investiert, nach zweijährigen zähen Verhandlungen und einem von ver.di organisierten Warnstreik 2008 wurde ein Haustarifvertrag abgeschlossen, der sich ungefähr am Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD ) orientierte. Im Kaufvertrag musste Rhön den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2010 sowie Besitzstandsregelungen für Altbeschäftigte garantieren. Dies milderte die Privatisierungsfolgen für die Stammbelegschaft. Auch ursprünglich geplante Outsourcing-Konzepte konnten modifiziert werden.
Ende 2012 waren die mit Konzernkrediten finanzierten Neubauten abgeschlossen. Nun präsentierte der Konzernvorstand die Rechnung für die Investitionskosten und sah Renditeerwartungen gefährdet. Die Konsequenz: weitere Personal- und Sachkosteneinsparungen. Von 500 Stellen war die Rede.
Chaos & Gegenwehr
Seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre hatten Arbeitsverdichtung und kalter Personalabbau nie aufgehört. Bereits während der Bauarbeiten und nach dem Neubezug erwies sich überdies das Konzept, die Abläufe nach dem Vorbild des Flussprinzips der Autoindustrie umzugestalten, als Fehlschlag. Chaotische Organisation, längere statt kürzere Wege zwischen einzelnen Abteilungen, logistische Probleme wurden zum Dauerbrenner. Auf der Ebene der Geschäftsführung und ihrer Stabsstellen gaben sich die Manager die Klinke in die Hand.
Nun mehrten sich in den Abteilungen Überlastungsanzeigen und Beschwerden. Nachdem die Geschäftsführungen zunächst nicht reagierten, änderte sich dies für einige Monate. Nach einem neuerlichen Geschäftsführerwechsel wurden für einige Monate Probleme nicht länger geleugnet, in sensiblen Bereichen wie den Intensivstationen oder in der Notaufnahme, wo die Neustrukturierung und der abgespeckte Personalschlüssel nicht mehr zu übersehende Folgen zeitigten, wurden „runde Tische“ zur Krisenintervention ins Leben gerufen, allerdings ohne nachhaltige Erfolge: Hohe Krankenstände, fehlende Personalpuffer, um Ausfälle auszugleichen, blieben ein Dauerproblem. Die „Abstimmung mit den Füßen“ war nicht mehr zu stoppen. Erfahrene, gut qualifizierte Fachkräfte ließen sich versetzen oder kündigten. Ersatz war kaum zu finden.
Nach einer Wirtschaftsprüfung zu Jahresbeginn folgte die Ankündigung weiterer „Umstrukturierungen“: Abbau von ca. 500 Stellen durch Nichtbesetzung von auslaufenden Fristverträgen und „natürliche“ Fluktuation“.
Dies löste einen Proteststurm an beiden Standorten aus. Auf Betriebsversammlungen, an denen gut tausend Beschäftigte aller Berufsgruppen teilnahmen, wurde einmütig ein Kurswechsel gefordert. Eine Bürgerinitiative schloss sich den Protesten der Belegschaften an und organisierte in Marburg eine Demonstration mit 2500 Teilnehmerinnen, an der Chefärzte und leitende Angestellte der Uniklinik, aber auch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte teilnahmen. Binnen kurzer Zeit wurden 22000 Unterschriften gegen den Stellenabbau gesammelt. Auf der Abschlusskundgebung der Demonstration verlangten alle Rednerinnen und Redner die Rücknahme des Stellenabbaus, darüber hinaus richtete sich der Zorn gegen den Ausverkauf der Hochschulmedizin und gegen die gesundheitspolitische Grundrichtung.
Selbst Chefärzte gegen Privatisierung
„Gesundheit ist keine Ware“ war eine zentrale Losung, gesetzliche Personalmindeststandards in der Pflege wurden eingefordert und die Präsidentin der Philipps-Universität verwies auf die 600-jährige Tradition der Marburger Hochschulmedizin „im Dienste der Bevölkerung“. Der örtliche DGB-Vorsitzende forderte unter dem Beifall der Demonstrantinnen und Demonstranten gar die entschädigungslose Enteignung des Klinikum. Kurz daraus beschlossen sowohl das Stadtparlament als auch der Kreistag einstimmig die Solidarität mit den Beschäftigten. Im Stadtparlament forderten SPD, Linkspartei und die Grünen, die Optionen einer Rückabwicklung des Klinikverkaufs zu prüfen. Der Sprecher der örtlichen CDU-Fraktion plädierte öffentlich für eine genossenschaftlich gemeinnützige Gesellschaftsform. Die Eigentumsfrage wurde endgültig zum Thema, als schließlich die Sprecher der Chefärzte an beiden Standorten in der Presse die Privatisierung für gescheitert erklärten und dies damit begründeten, dass die Renditeerwartungen einer börsennotierten Aktiengesellschaft mit den Erfordernissen von Forschung, Lehre und qualifizierter Maximalversorgung nicht vereinbar seien.
Privat an Privat?
Angesichts dieser Entwicklungen kündigten auch die jüngst angetretenen Geschäftsführerinnen. Inzwischen will der Rhönvorstand durch Verschmelzung aller Rhönkliniken mit den Fresenius/ Helios-Häusern im Rahmen eines bundesweiten Krankenhausmonopols weitermachen. Fresenius hat ein Übernahme-Angebot gemacht. Sollte der „change of control“ stattfinden, gibt dies der hessischen Regierung – gemäß Kaufvertrag von 2006 – die Möglichkeit, das Klinikum zurückzukaufen.
Ministerpräsident Bouffier begrüßte das Fresenius-Übernahmeangebot mit dem Argument, Fresenius könne leisten, was Rhön nicht gepackt habe. Auf der diesjährigen Mai-Kundgebung machten die Betriebsratsvorsitzende und der Oberbürgermeister deutlich, dass dieser Weg das Gegenteil von dem ist, was die Beschäftigten und die Bürgerinitiative von der Landesregierung erwarten. Sollte die Fusion klappen, hätte dies Folgen für die gesamte Gesundheitsversorgung in der Bundesrepublik: noch weniger Überlebenschancen für kleine Kliniken, ein flächendeckendes Kliniknetz eines Konzern, womöglich noch gekoppelt mit einer von Rhön-Chef Münch konzipierten privaten Zusatzversicherung, welche Patienten zusätzlich an diese Kliniken binden soll.
Bei einer repräsentativen Umfrage am Marburger Klinikum sprachen sich 98 Prozent der Beschäftigten für einen Rückkauf durch das Land aus. „Privat macht krank – zurück zum Land“ war die Losung eines flashmobs der Fachschaft Medizin. Der Probst der evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck unterstützte eine Fahrraddemonstration auf einer Teilstrecke des Elisabeth-Pilgerweges durch den Landkreis.
Ob es Fresenius/Helios/Rhön gelingt, einen Teil der Chefärzte durch großzügige „Geschenke“ für die Fusion einzunehmen, bleibt abzuwarten. Auch in medizinischen Standesorganisationen und Fachverbänden mehren sich kritische Stimmen gegen eine Unterordnung nicht nur der Hochschulmedizin unter Aktionärsinteressen. Auch wenn viele der Landesregierung eine ernsthafte Rückkaufoption nicht abnehmen: Die Stimmung in Marburg bleibt trotzig. „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“. Wenn dieser Artikel erscheint, werden wir vielleicht schon wissen, ob das erste durchprivatisierte Uniklinikum tatsächlich teilweise oder ganz entprivatisiert wird oder nicht. (Siehe auch Seite 24)
Urte Sperling ist Krankenschwester und ver.di-Vertrauensfrau am Standort Marburg des Universitätsklinikums Gießen-Marburg (UKGM)