Eine unheilige Allianz. Hindunationalisten und Big Business

Aus: LunaPark21 – Heft 18

Im Windschatten der Anschläge des 11. September ereignete sich eines der blutigsten Progrome im unabhängigen Indien: Am 28. Februar 2002 gingen im indischen Bundesstaat Gujarat Hindunationalisten mit Brandschatzungen und Vergewaltigungen gegen die muslimische Minderheit vor; der rasende Mob tötete mehr als 2000 Muslime.

Die Empörung der Weltöffentlichkeit hielt sich damals in Grenzen. Narendra Modi, der Ministerpräsident des Bundesstaates, hielt schützend seine Hand über die Täter. Er ist Mitglied der Bharatiya Janata Party, der indischen Volkspartei, dem politischen Arm der rechtsradikalen Hindunationalisten. Gestützt auf die indische Mittelschicht führte sie zwischen 1998 und 2004 bereits die Regierungskoalition in Neu Delhi an. Narendra Modi gilt mittlerweile als wichtigster Herausforderer des amtierenden Premierministers Manmohan Singh und erfreut sich in indischen Wirtschaftskreisen, aber auch bei vielen westlichen Autoherstellern und Chemiekonzernen größter Beliebtheit.

„Indien zuerst – alles andere kommt danach“, tönt Narendra Modi auf Kundgebungen der BJP. „Die größte Sache ist die Nation, unser Gefühl, unsere Identität – all das verdanken wir dem nationalistischen Ansatz der Bharatiya Janata Party, unserer Indischen Volkspartei.“

Modi ist ein charismatischer Redner. Er peitscht seine Worte regelrecht ins Publikum. Manchmal liegt in seiner Stimme, seiner Gestik, seiner Mimik etwas Bedrohliches und er formt seine Hände langsam zur Faust, als wollte er etwas zerquetschen. Modi nennt seinen Wohnsitz nie Ahmedabad, sondern nennt die Millionenstadt Karnavati. Das ist der alte Name Ahmedabads, als die Stadt noch klein und unbedeutend war. Der heutige Name bezieht sich auf den Sultan Ahmed Shah, der Ahmedabad groß und zu seiner Hauptstadt machte. Als „Sultanat“ bezeichnet Modi hingegen die amtierende Regierung unter Führung der Kongress-Partei in Delhi. Er wirft ihr vor, mit Blick auf muslimische Wählerstimmen nicht hart genug gegen Terroristen und das Nachbarland Pakistan vorzugehen.

Bis heute hat sich Narendra Modi nicht bei den Opfern des Pogroms von 2002 entschuldigt und leugnet jede Verantwortung. Dabei hat er das Pogrom als legitimen Racheakt bezeichnet und die Order ausgegeben, den marodierenden Mob gewähren zu lassen. Seiner politischen Karriere hat das bisher nicht sonderlich geschadet: Zweimal wurde der Ministerpräsident seitdem in seinem Bundesstaat mit absoluter Mehrheit wiedergewählt; er gilt heute als erfolgreichster Politiker der Indischen Volkspartei. Indienweit hat die BJP bei Wahlen und Umfragen in den letzten Jahren nicht so gut abgeschnitten wie in Gujarat.

Achin Vanaik, Dekan an der politischen Fakultät der Universität Delhi, warnt davor, die Hindunationalisten deshalb zu unterschätzen: „Eine Stagnation oder sogar Wahlniederlagen der BJP darf man auf keinen Fall mit einem politischen oder ideologischen Niedergang gleichsetzen“, so Vanaik. Denn ihr ideologischer Einfluss hänge davon ab, wie fest die Bewegung der Hindunationalisten in der Gesellschaft verankert ist. „Die Hindutva-Bewegung ist tiefer in die Poren der indischen Gesellschaft eingedrungen als jede andere politische Kraft“, so das Resümee des Politikwissenschaftlers.

Die „Hindutva-Bewegung“, deren politischer Arm die BJP ist, zählt viele Millionen Anhänger in allen Teilen Indiens. Sie organisiert sich in Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, religiösen Gemeinschaften und Kulturverbänden. Achtzig Prozent der 1,2 Milliarden Inder sind Hindus. Eine „unterdrückte Mehrheit“, sagen die Hindutva Anhänger. Sie sehen sich durch Muslime, aber auch Christen und Kommunisten sowie durch alle Hindus bedroht, die ihre Ausgrenzungspolitik gegenüber Minderheiten nicht teilen. Gründerväter der Hindu-Nationalisten bewunderten Adolf Hitler und den italienischen Faschismus. Heute ist die BJP auf nationaler Ebene die größte Oppositionspartei. Sie regiert in mehreren indischen Bundesstaaten. Aber vor allem Gujarat mit seinen 50 Millionen Einwohnern ist zum Vorzeigemodell geworden. Narendra Modi ist der wirtschaftlich erfolgreichste indische Ministerpräsident; er wird im In- und Ausland gelobt. Sein Bundesstaat ist ein Anlegerparadies und hat die geringste Anzahl von Streiktagen in Indien. Nirgendwo werden zu Gunsten von Investoren Kleinbauern schneller enteignet als in Gujarat. Kein Bundesstaat in Indien weist ein vergleichbares Wachstum des Bruttoinlandsprodukts auf. Ratan Tata, der vielzitierte indische Liebling der westlichen Wirtschaftspresse, lässt dort das billigste Auto der Welt – den Nano – bauen. Die Autohersteller Ford und General Motors sowie der Chemieriese Lanxess haben dort große Produktionseinheiten aufgebaut und Hunderte von Millionen Dollar investiert. Der indische Milliardär Mukesh Ambani, einer der reichsten Männer der Welt, sieht Gujarat und seinen autoritären Ministerpräsidenten als Vorbild für den Rest Indiens – ebenso wie der US-Kongress, der den „effektiven Regierungsstil“ eines Narendra Modi bewundert.

Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy kann diese Begeisterung nicht teilen. „Aus der Geschichte Deutschlands kennt man die historische Verbindung zwischen Konzernen und Faschismus“, warnt sie im Hinblick auf diese politischen Entwicklungen in Indien.

„Nur für Hindus“ steht auf Schildern vor einigen Wohnblöcken der Mittelschicht Ahmedabads – viele Muslime und andere Minderheiten leben in ärmlich anmutenden Vierteln am Rande der Großstädte in Gujarat. Indien, die vielzitierte „größte Demokratie der Welt“, ist dabei, die im Unabhängigkeitskampf bitter erstrittenen Errungenschaften zu opfern – auf dem Altar des sakrosankten Wirtschaftswachstums. Der größten rechtsradikalen Bewegung der Welt bietet sie damit den besten Nährboden.

Gerhard Klas lebt als freier Autor in Köln; seine jüngste Buchveröffentlichung „Die Mikrofinanzindustrie – Die große Illusion oder das Geschäft mit der Armut“ (siehe Rezension).

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