Die Entscheidung des BVerfG im EZB-Fall
Thomas Fruth. Lunapark21 – Heft 25
Eigentlich ist die Sache einfach: sollen Rechtsakte der nationalen Parlamente überprüft werden, entscheiden die Verfassungsgerichte der jeweiligen Ländern, für Deutschland das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Maßstab des Grundgesetzes. Sollen Rechtsakte der Europäischen Union auf Verfassungsmäßigkeit überprüft werden, entscheidet der Europäische Gerichtshof (EUGH) am Maßstab der europäischen Grundrechtecharta.
Wie kann es da zu einer Entscheidung des BVerfG über die Politik der europäischen Zentralbank (EZB), deren Rechte eindeutig aus einem Rechtsakt der EU stammen, kommen? Hier geht es um das sogenannte OMT-Programm, mit dem die EZB angekündigt hat, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen. Und zusätzlich, wie kann die Politik der EZB gegen das deutsche Grundgesetz, nicht aber gegen die EU-Grundrechtecharta verstoßen?
Eine solche Entscheidung geschieht durch eine doppelte Überschreitung seiner eigenen Kompetenzen durch das BVerfG. Die eine, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, besteht darin, dass das BVerfG zwischenzeitlich praktisch jedes Gesetz nach seinen Vorstellung unter Bezugnahme auf – angebliche – Grundrechtsverstöße uminterpretiert oder gleich für unwirksam erklärt und damit die Gewaltenteilung ad absurdum führt.
Die andere Überschreitung ist die Behauptung, die Grundrechte der EU (Grundrechtecharta) würden weniger Wert haben als die Grundrechte des Grundgesetzes und so sei das BVerfG berufen, die Deutschen vor grundgesetzwidrigen Akten europäischer Institutionen, einschließlich des EUGH, zu schützen (sog. ausbrechende Rechtsakte, oder ultra vires-Rechtsprechung).
Dass 27 andere EU-Staaten wenig Lust haben, sich am deutschen Wesen des BVerfG zu orientieren und damit einer deutschen Institution die Letztentscheidung über die Politik der gesamten EU einzuräumen, versteht sich wohl ohne weitere Worte.
Inhaltlich, und dies ist das eigentlich Gefährliche an dieser Sache, zeigt das BVerfG mit dieser Rechtsprechung seine „abschirmend-souveränitäts-versessene Grundeinstellung, die den Nationalstaat in den Mittelpunkt stellt“ (Jürgen Habermas, Vortrag auf dem dt. Juristentag 2012). Befeuert wird damit eine Politik, die der politischen Ausrichtung rechtsnationaler (wie Gauweiler) und linksnationaler (wie der Linkspartei) Kläger entspricht.
Zusätzlich zu dieser inhaltlichen Grundausrichtung steht die reale Angst des BVerfG vor dem Verlust der eigenen Letztentscheidungsmacht über die gesamte Politik angesichts der Tatsache, dass auf einmal der EUGH über dem BVerfG steht.
Hatte das BVerfG sich bisher mit seinen schon sprichwörtlichen „Ja-aber-Entscheidungen“ aus der Affäre gezogen, dabei aber deutlich gemacht, dass ihm die ganze Richtung der Euro-Rettungspolitik nicht passt, sah es sich nunmehr in seiner EZB-Entscheidung veranlasst, dem EUGH recht offen den Fehdehandschuh hinzuwerfen.
Dies wohl auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich (mit Ausnahme der Bundesbank) die deutsche Politik im Bundestag (alle Parteien, außer der Linkspartei) um die Meinung des BVerfG nicht geschert, sondern ihren Kurs der Euro-Rettung unbeirrt fortgesetzt hat.
Anstatt, wie es vorgesehen ist, die hier anstehende europarechtliche Frage dem EUGH zur Beantwortung vorzulegen und sich dann, wie es für ein untergeordnetes Gericht angebracht ist, diesem Diktum zu beugen, will das BVerfG dem EUGH genau vorgeben, wie dieser zu entscheiden habe und droht gleichzeitig für den Fall, dass dies nicht geschieht, dem EUGH damit, gegebenenfalls dessen Entscheidung unter Bezugnahme auf die eigene ultra vires–Rechtsprechung zu ignorieren.
Der EUGH hat bereits vielfach in Anerkennung der Gewaltenteilung die Euro-Rettungspolitik für verfassungsgemäß erachtet (z. B. in seinem sog. Pringel-Urteil von 2012 zum ESM). Die Euro-Rettung und die Unabhängigkeit der EZB ist nun einmal Politik und nicht Juristerei.
Dies muss dem BVerfG dringend ins Stammbuch geschrieben werden. So oder so wird der Bundestag nicht den Austritt Deutschlands aus dem Euro beschließen, auch wenn das BVerfG dies wünscht.
Thomas Fruth arbeitet als Rechtsanwalt und Notar in Berlin