Mit oder ohne Euro-Zone

Ein alternatives Europa setzt sozialen Massenwiderstand voraus – einschließlich der organisierten Lohnarbeit
Lunapark21 – Heft 25

EU-Debatte: Wir führten im vorletzten Lunapark21-Heft (Nr. 22/2013) eine Debatte zur Europäischen Union und zum Euro, an der sich Elmar Altvater, Werner Rügemer, Karl Heinz Roth und Winfried Wolf beteiligten. In diesem Beitrag knüpft Conrad Schuhler an diesen Debattenbeiträgen und an dem vorstehenden Artikel von Karl Heinz Roth an. Er nimmt dabei auch Bezug auf einen Beschluss der Europäischen Linken vom Dezember 2013.

Das Ziel der politischen Union Europas ist schon seit Generationen auch ein Thema der Linken. Vor knapp hundert Jahren hat W.I. Lenin diesem Ziel eine schroffe Absage erteilt. Im Namen der Redaktion des Zentralorgans seiner Partei teilte er mit, „dass die Losung der Vereinigten Staaten von Europa eine falsche Losung ist“. Zeitweilige Abkommen zwischen den Kapitalisten und zwischen den Mächten seien natürlich möglich. Aber nur zur rascheren und strafferen Verfolgung der kapitalistischen Interessen. Auf der heutigen ökonomischen Basis, führte Lenin damals aus, würden die Vereinigten Staaten von Europa die Organisation der Reaktion zur Hemmung der rascheren Entwicklung Amerikas bedeuten. Mit seiner Partei plädierte Lenin für das Herauslösen der einzelnen Länder aus einem eventuellen supra-nationalen Verbund und für den Versuch, dem Sozialismus in einem Lande zum Sieg zu verhelfen. „Das siegreiche Proletariat dieses Landes würde sich nach Enteignung der Kapitalisten und nach Organisierung der sozialistischen Produktion im eigenen Lande der übrigen, der kapitalistischen Welt entgegenstellen, würde die unterdrückten Klassen der anderen Länder auf seine Seite ziehen.“ (W.I .Lenin, Ausgewählte Werke, Band I, S. 761)

Mindestens zwei der Leninschen Argumente werden von den Befürwortern eines Ausscheidens von einigen oder allen Peripherieländern aus dem Euroverbund, selbstverständlich in jeder Beziehung unbewusst, geteilt. Das erste hat Winfried Wolf in seinen „Sieben Thesen“ formuliert: Die EU und der Euroraum sind immer ein im Wesentlichen von deutschen Interessen bestimmtes Kapitalprojekt gewesen. Es schwang auch stets die Option eines europäischen Nationalstaates als imperialistischer Gegenpol zu den USA mit. Das zweite, von Wolf, Flassbeck und vielen anderen lautet: Ein Rückzug der schwachen Ökonomien – mit Abwertung und „nationaler“ Aufbaupolitik – aus dem Euroraum wäre sinnvoll, böte Möglichkeiten zu einer eigenständigen, besseren Entwicklung. Beide Argumente ziehen nicht.

Ohne Frage sind EU und Euroraum Projekte des Kapitals und werden hemmungslos in dessen Interesse eingesetzt. Die Spezifizierung auf die „deutschen Interessen“ und auf den „imperialistischen Gegenpol“ zu den USA liegt aber daneben. Wir haben von Deutschland ausgehendes Kapital, aber kein „deutsches“ Kapital. Der größte Investor im DAX (Deutscher Aktien-Index) ist die US-Firma Blackrock. Der Transnationalitätsindex der multinationalen Konzerne liegt bei über 60 Prozent – weit über die Hälfte von Aktien, Beschäftigten und Umsatz findet im Ausland oder durch Ausländer statt. Die großen Ratingagenturen, die großen Wirtschaftsprüfer und die großen Wirtschaftskanzleien, die in Europa den Ton angeben, stammen allesamt aus den USA. Europa und die USA gehören zu einem zusammenwachsenden Raum des globalen Kapitals, das sich auch in anderen Regionen – Südamerika, Asien, Afrika – zum Teil dominierend ausbreitet. Dass politische Agenturen sich in die Brust werfen als „dynamischste Wirtschaftsregion“ der Welt – so die Europäer in ihrer Lissaboner Erklärung 2000 – hat etwas zu tun mit dem globalen Wettbewerb der Regionen um Investitionsmittel. Für das globale Kapital selbst ist dieser Konkurrenzkampf um die besten Kapitalbedingungen optimal. Die einzelnen Staaten wetteifern um die niedrigsten Lohnstückkosten, die niedrigsten Profitsteuern, um die besten allgemeinen Bedingungen für den Höchstprofit.

Wieso ist es von Belang, ob es sich um „deutsches Kapital“ oder „von Deutschland ausgehendes Kapital“ handelt? Deshalb, weil Griechenland oder Portugal oder Spanien auch dann in den Fängen des globalen Kapitals bleiben, wenn die Länder aus dem Euroraum ausscheiden würden. Würde das global operierende Kapital hinsichtlich dieser und anderer Länder den Daumen senken, dann wäre ihr Sturz auf den Status eines Entwicklungslandes zu erwarten, dessen Ausverkauf an ausländische Investoren dank der Abwertungen noch billiger würde. Eine erfolgreiche, an der Volkswohlfahrt ausgerichtete nationale Politik eines aus dem Euroraum ausgeschiedenen Peripherielandes gegen die Strategie des globalen Kapitals zu erwarten, ist so hoffnungslos wie weiland Lenins Vorstellung, das siegreiche Proletariat in einem sozialistischen Land würde die „unterdrückten Klassen der anderen Länder auf seine Seite ziehen“.

Sind die Chancen für eine „egalitäre und solidarische Erneuerung des europäischen Integrationsprozesses“ (Karl Heinz Roth) besser, wenn alle Länder im integrierten Euro-Raum bleiben? Dieser Auffassung ist die Europäische Linke (EL), in der die deutsche Linkspartei Mitglied ist. Zunächst teilt die EL den Ausgangspunkt der linken Position: „Wenn die gegenwärtigen Entscheidungen beibehalten werden, wird die EU mehr und mehr auf einen autoritären Verwalter und Produzenten sozialer Regression reduziert, der jede Idee von Solidarität und europäischer Gerechtigkeit bedroht.“ Sie will nicht warten „auf den Zerfall der Europäischen Union und die Monster, die aus den Trümmern hervorkriechen könnten“. Stattdessen plädiert sie „für eine Neugründung Europas, mit anderen Worten, für eine neue Definition seiner Ziele, Politiken und Strukturen; für ein ganz anderes wirtschaftliches, produktives, soziales und ökologisches Modell, das auf Solidarität, sozialer Gerechtigkeit und Volkssouveränität beruht“.

Wie beim Austritt einzelner Länder aus der Euro-Zone spitzt sich auch hier die Frage zu auf die der Kräfteverhältnisse: „Nur wenn eine gut aufgestellte und koordinierte soziale Massenbewegung der europäischen Peripherie- und Kernländer den vom schwächsten Kettenglied ausgehenden Impuls aufgreift und weitertreibt, gerät eine Kehrtwende in Reichweite.“ Karl-Heinz Roth bezieht sich hier auf einen möglichen Wahlsieg der griechischen Syriza, deren Vorsitzender Tsipras Kandidat der EL für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten ist. Wenn Syriza in Griechenland obsiegt, kommt es dann zu einer Massenbewegung von unten, die eine Kehrtwende für ein alternatives Europa in Sichtweite bringt?

Die Chancen stehen nicht gut, aber sie müssen genutzt werden. Die Sozialdemokraten in den Kernländern sind samt und sonders politische Stoßtrupps des Neoliberalismus und einer neoliberalen Euro-Zone, was u.a. bedeutet, dass die politischen Eliten insgesamt ungebremst auf ein weiteres Abladen der Krisenlasten auf die Unter- und Mittelschichten der Peripherie- und zunehmend auch der Kernländer setzen. In Frankreich und Italien haben sozialdemokratische Parteien an der Regierung eine Wende im Stil der Schröderschen 2010-Politik ausgerufen. Große Gewerkschaften wie die IG Metall in Deutschland feiern ihren Krisen-Korporatismus mit dem Kapital, der sie angeblich zu Ko-Siegern in der Krise macht, von dem sie auch ´machtpolitisch´ profitiert haben und nicht abrücken wollen.

Der DGB ruft auf zu einer Demonstration des Europäischen Gewerkschaftsbundes in Brüssel für einen „Kurswechsel in Europa“: „Für ein soziales Europa, Vollbeschäftigung und eine sichere Zukunft für Jung und Alt.“ Das sind zunächst einmal Leerformeln, die von links gefüllt werden müssen. Mit einem neoliberalen Regime in Europa sind die Ziele nicht zu erreichen – im Gegenteil, dieses Regime ist dafür verantwortlich, dass wir in einem unsozialen Europa, einem der Arbeits- und Perspektivlosigkeit für Jung und Alt leben.

Deutschland gehört zu den Kernländern des Euro-Raumes und zum Kern des Problems der bisherigen Alternativlosigkeit. Die Arbeiterbewegung muss zu den Kräften für ein alternatives Europa stoßen. Deutsche Gewerkschaften sorgen bisher maßgeblich dafür, dass dies nicht gelingt.

Conrad Schuhler ist Diplomvolkswirt und Vorsitzender des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) in München. Aktuell erscheint ein neuer isw-Report mit dem Titel Widerstand. Kapitalismus oder Demokratie siehe: www.isw-muenchen.de