Wider das neoliberale Märchen „ÖPP macht Politik wieder handlungsfähig“

(Aus: LP21 Extra 2017/18)

Es war einmal ein Vorstandsmitglied eines großen deutschen Baukonzerns. Sein Name – Nikolaus Graf von Matuschka – war lang und edel. Seine Sorge um die Verkehrsinfrastruktur in deutschen Landen war groß. Im Dezember 2014 sprach er seinen Freunden vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft deshalb zum Abdruck in deren Verbandszeitschrift Folgendes ins Mikrofon: „Öffentlich-Private Partnerschaften können das Finanzierungsproblem der deutschen Infrastruktur lösen und helfen, den Modernisierungsstau abzubauen. Sonst steuern wir unweigerlich auf einen Verkehrsinfarkt zu.“

Öffentlich-Private Partnerschaften sind eine Form von Privatisierung. Dabei geht eine staatliche Stelle einen längerfristigen, zeitlich begrenzten Vertrag mit einem privaten „Partner“ ein. Dieser übernimmt umfassend die Errichtung oder Sanierung sowie die damit zusammenhängende Planung, den Betrieb und meist auch die Finanzierung einer Infrastruktur. Dafür erhält der Private reichlich Entgelte. Die öffentliche Seite wiederum ist auf Jahrzehnte hinaus zu entsprechenden Zahlungen verpflichtet. ÖPP-Projekte stellen damit faktisch eine Form der Verschuldung dar, sie werden aber statistisch und politisch oftmals gar nicht als Verschuldung gewertet: Mit ihnen lässt sich daher elegant die Aufnahme von Krediten verstecken. Solche Modelle seien nun geeignet, so Matuschka, den Staat bei den erforderlichen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur wieder handlungsfähig zu machen.

Matuschka hat dabei den – in der Tat höchst problematischen – Umstand im Blick, dass die Haushaltspolitik der zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte die Handlungsfähigkeit des Staates drastisch reduziert hat. Ausgabenkürzungen haben einen enormen Investitionsstau herbeigeführt: Ausgeglichene öffentliche Haushalte gelten seit Jahrzehnten als anzustrebendes politisches Ziel, und seit „Schuldenbremse“ und Europäischem Fiskalpakt sind sie auch rechtlich verbindlich. Neue Kredite aufzunehmen gilt als schmutziges Geschäft. In der Folge zerfallen Schul- und Verwaltungsgebäude, Straßen, Brücken und Schienen, weil nur noch unzureichend investiert wird.

In gewisser Weise sind Öffentlich-Private Partnerschaften vor diesem Hintergrund durchaus folgerichtig. Und sie sind attraktiv: Für Bauindustrie und Finanzwirtschaft, weil sich mit ÖPP gutes Geld verdienen lässt. Für die Gesellschaft, weil sie auf eine intakte Infrastruktur angewiesen ist. Für die politische Elite, weil es ohne ÖPP kaum mehr Flatterbänder zum Durchschneiden gäbe. Sind ÖPP deshalb aber tatsächlich Lösungen für das „Finanzierungsproblem der deutschen Infrastruktur“? Mit Sicherheit nicht. Sie sind überteuert, weil sie Renditebedürfnisse der Privaten bedienen und hohe Zinskosten erwirtschaften müssen. Sie sind undemokratisch, weil sie kaum mehr rückgängig gemacht werden können, also Bindungswirkung für viele Jahrzehnte (oder für immer) entfalten. Auch sind sie in ihrer Komplexität für demokratische Entscheidungsgremien schlicht nicht zu bewältigen. Und nicht zuletzt sind sie intransparent, weil die entsprechenden Verträge stets geheim gehalten werden.

Was ÖPP-Freunde zudem gerne übersehen: Die mangelnde Handlungsfähigkeit des Staates ist politisch gemacht. Sie ist eine Konsequenz neoliberaler Politik. Es waren bewusste (Fehl-)Entscheidungen, die Verschuldungsmöglichkeiten der öffentlichen Haushalte auf fast null zu reduzieren. Und es waren bewusste (Fehl-)Entscheidungen, deren finanzielle Misere durch Steuergeschenke zusätzlich zu verschärfen. Falsche politische Weichenstellungen lassen sich aber auch wieder umkehren. Die „Schuldenbremse“ und den Fetisch der „schwarzen Null“ aufzugeben, ist allemal klüger, als immer findigere, immer teurere und immer undemokratischere Modelle zu ihrer Umgehung zu entwickeln. Oder mit anderen Worten: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Kai Eicker-Wolf ist Ökonom und arbeitet als Gewerkschafter in Frankfurt/Main. Patrick Schreiner arbeitet als Gewerkschafter in Berlin und betreibt den Blog www.annotazioni.de. Die Serie „Märchen des Neoliberalismus“, verfasst von den beiden Autoren, erscheint regelmäßig in der Vierteljahreszeitschrift Lunapark21. Das in diesem Extra veröffentlichte „Märchen“ war Nr. 11 dieser Serie.

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